L 13 V 65/98

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 V 65/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Gesuche des Klägers, den Richter am Landessozialgericht D und den gerichtlichen Sachverständigen Dr. F wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, werden zurückgewiesen. 2. Die Beschwerde des Klägers gegen den Inhalt der Beweisanordnung vom 4. Februar 2000 wird als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Streitig ist in dem vor dem Senat anhängigen Hauptverfahren u.a., ob die gesamte bei dem Kläger bestehende Innenohrschwerhörigkeit als Schädigungsfolge nach dem Bundesversorgungsgesetz anzuerkennen ist.

Der Beklagte hat u.a. ein Gutachten des Direktors der HNO-Klinik ... vom 12. Dezember 1994 eingeholt, der zu dem Ergebnis gelangte, der Kläger habe mit hoher Wahrscheinlichkeit als Artillerist während des Krieges links einen mittelgradigen, rechts einen geringgradigen Hörverlust als Dauerschaden erlitten, dessen Anerkennung als Versorgungsleiden mit einer Minde-rung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. er empfehle. Insgesamt liege bei dem Kläger eine mittelgradige Schwerhörigkeit rechts und eine hochgradige Schwerhörigkeit links vor, die einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 bedinge. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 11. Januar 1995 schloss sich die HNO-Ärztin Dr. Fr diesem Gutachten an und empfahl, die Schwerhörigkeit des Klägers, soweit sie das altersphysiologische Maß überschreite, als Versorgungsleiden mit einer MdE von 20 v.H. zu bewerten. Der Beklagte lehnte die Gewährung einer Rente daraufhin durch Bescheid vom 17. Januar 1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. April 1995 mit der Begründung ab, die schädigungsbedingte MdE betrage weniger als 25 v.H. Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Juli 1998).

Auf die Berufung des Klägers hat der Senat - nach Ernennung des Richters am Landessozialgericht D zum Berichterstatter - am 28. September 1999 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, die zu einer Vertagung zur weiteren Sachverhaltsaufklärung führte. Entsprechend dem Vorbringen des Klägers hat der Berichterstatter zunächst mit Schreiben vom 30. September 1999 die Arbeitsgruppe Hörforschung der Universität Gießen um eine Stellungnahme gebeten, die in dem Schreiben vom 30. November 1999 von dem Arzt B (Arbeitsgruppe Hörforschung/Prof. Dr. Fl) abgegeben wurde. Der Berichterstatter ernannte daraufhin mit Beweisanordnung vom 4. Februar 2000 den HNO-Arzt Dr. F zum gerichtlichen Sachverständigen.

Mit Schreiben vom 21. März 2000 hat der Kläger den Richter am Landessozialgericht D und mit Schreiben vom 22. März 2000 Dr. F abgelehnt.

Zur Begründung der Ablehnungsgesuche trägt er vor: Der abgelehnte Richter habe bei seinem Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung vom 28. September 1999 fälschlich angegeben, der Rechtsstreit werde um eine Verschlimmerung des Kriegsleidens geführt und in diesem Zusammenhang auf das während des Verwaltungsverfahrens eingeholte Gutachten von Prof. Dr. G hingewiesen. Bei der Erörterung des Rechtsstreites habe er altersbedingte Hörleiden seiner Eltern erwähnt und damit versucht, die im Gerichtssaal Anwesenden dafür einzunehmen. Ausschlaggebend für das Ablehnungsgesuch gegen den Berichterstatter sei letztlich die Beweisanordnung vom 4. Februar 2000, in der „in der Fortführung der bisher festgestellten Verhaltensweisen ... wiederum die fehlende Neutralität des Richters D zum Ausdruck“ komme. So habe er „stur“ an Ansichten festgehalten, die von den Hörforschern der Universität Gießen wiederlegt worden seien. Der Leiter der Arbeitsgruppe Hörforschung dieser Universität habe dem Richter fernmündlich und in dem Schreiben vom 30. November 1999 die prinzipielle Richtigkeit seines - des Klägers - Vortrages bestätigt und die wissenschaftliche Abkehr von der unbewiesenen Annahme eines Hörverlustes durch bloßes Altwerden dargelegt. Der Richter habe in der Beweisanordnung auch den Beweisgegenstand unzulässig ausgeweitet, in dem er insgesamt nach allen auf HNO-ärztlichen Gebiet bestehenden Gesundheitsstörungen und außerdem nach dem bei ihm noch vorhandenen Hörvermögen gefragt habe, obwohl allein die Ursächlichkeit der maßgeblichen Kriegsereignisse Gegenstand des Rechtsstreits sei; sein Hörvermögen stehe durch die bereits durchgeführten Untersuchungen fest und sei unstreitig. Die Fragestellung erscheine deshalb willkürlich. Soweit der Richter dem Sachverständigen aufgegeben habe, zu seinem Vorbringen kritisch Stellung zu nehmen, habe er es unterlassen, diesen darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um seine Theorie, sondern um eine gesicherte medizinische Erkenntnis handele, die durch Prof. Dr. Fl, einem der führenden Experten Deutschlands auf dem einschlägigen Gebiet der Hörforschung, bestätigt worden sei. Der Richter habe es auch unterlassen, den Sachverständigen auf die besondere Sachkunde dieses Wissenschaftlers hinzuweisen und damit den Eindruck erweckt, der Sachverständige solle „auf hinterlistige Weise nicht erfahren, dass er mit der Qualifikation und Berufspraxis des allgemeinen HNO-Arztes gegen hochspezialisierte Spitzenkräfte der Hörforschung ... anzutreten“ habe. Bereits die Auswahl eines niedergelassenen HNO-Arztes zeige, dass der Berichterstatter seine Pflicht zur Neutralität verletzt habe, weil davon auszugehen sei, dass dieser über die zur Beurteilung eines Ursachenzusammenhanges notwendige Sachkenntnis nicht verfüge.

Damit hat der Kläger auch sein Ablehnungsgesuch gegen den medizinischen Sachverständigen begründet; es sei davon auszugehen, dass dieser in Ermangelung der erforderlichen Spezialkenntnisse und in Ermangelung der praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet der Explosionstraumata fachlich nicht geeignet sei.

Der abgelehnte Richter hat dienstlich erklärt, er halte sich nicht für befangen.

II.

Die Ablehnungsgesuche sind nicht begründet.

Nach § 60 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 42 der Zivilprozess-ordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein vernünftiger Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Maßstab dafür ist nicht die - subjektive - Sicht des Beteiligten, sondern, ob für einen aus der Sicht des Beteiligten - objektiv - Urteilenden die Besorgnis gerechtfertigt ist, der Richter werde nicht unvoreingenommen und unparteiisch entscheiden. Ein medizinischer Sachverständiger kann nach § 118 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 406 Abs. 1 ZPO aus denselben Gründen, die die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit rechtfertigen, abgelehnt werden.

III.

Zunächst sind die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Richters am Landessozialgericht D nicht erfüllt. Soweit sich der Kläger auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 1999 bezieht, ist festzustellen, dass der Rechtsstreit genau um eine Verschlimmerung eines kriegsbedingten Hörschadens geführt wird; diese Auffassung vertritt der Beklagte, während der Kläger sie bestreitet. Der vom Kläger insoweit beanstandete Vortrag des abgelehnten Richters trifft somit zu. Dass in dem Sachvortrag auf das Gutachten von Prof. Dr. G hingewiesen worden ist, ist für einen vollständigen Bericht erforderlich. Im Übrigen ist festzustellen, dass der Vortrag gerade dazu dient, den Prozessbeteiligten eine abweichende Darstellung zu ermöglichen und das Gericht darüber aufzuklären; davon hat der Kläger auch, wie er nunmehr selbst vorträgt, Gebrauch gemacht. Da nach dem Gutachten von Prof. Dr. G - der seinerzeit neben der Stellungnahme von Frau Dr. Fr allein vorliegenden medizinischen Äußerung - von einem zusätzlichen altersbedingten Hörverlust auszugehen war, kann es auch nicht als Ausdruck einer Voreingenommenheit angesehen werden, wenn der abgelehnte Richter zur Erläuterung auf das Schicksal seiner Eltern hingewiesen hat.

Auch die Beweisanordnung vom 4. Februar 2000 gibt objektiv keinen Grund für eine Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters. Hinsichtlich der Auswahl des Sachverständigen ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht nach § 103 SGG den Sachverhalt von Amts wegen erforscht. Dabei ist es weder an das Vorbringen der Beteiligten noch an deren Beweisanträge gebunden. Welche Maßnahmen zur Erforschung des Sachverhalts erforderlich sind und welcher Arzt zum Sachverständigen ernannt wird, hat deshalb der bearbeitende Richter - hier der Berichterstatter - aufgrund seiner Beurteilung des Sachverhaltes zu entscheiden. Das Gericht kann - mit Ausnahme eines Gutachtenauftrages nach § 109 SGG - nicht gezwungen werden, einen bestimmten Arzt zum Sachverständigen zu ernennen oder nicht zu ernennen, und zwar auch nicht durch ein Ablehnungsgesuch. Im Übrigen steht es jedem Beteiligten frei, sich nach der Erstattung kritisch zu dem Gutachten zu äußern.

Auch die dem Sachverständigen gestellten Fragen bieten keinen Anlass, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln. Insoweit ist weder eine „fehlende Neutralität“ noch eine „unzulässige Ausweitung des Beweisgegenstandes“ festzustellen. Dass ein Sachverständiger die zur Beurteilung des hier strittigen Ursachenzusammenhanges erforderlichen Befunde selbst zu erheben hat, ist selbstverständlich und bedarf keiner näheren Erläuterung. Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass die Frage nach allen auf HNO-ärztlichem Gebiet bestehenden Gesundheitsstörungen Ausdruck einer Voreingenommenheit ist. Sie kann sich im Übrigen auch zu Gunsten des Klägers auswirken, etwa wenn weitere Gesundheitsstörungen festgestellt werden, die rechtliche Auswirkungen - z.B. im Schwerbehindertenrecht - haben können. Entsprechendes gilt für die Frage nach dem Grad der MdE; es gehört zur selbstverständlichen Pflicht des Gerichts, im Rahmen der Beweisaufnahme das während des Verwaltungsverfahrens eingeholte Gutachten in jeder Hinsicht einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Soweit sich der Kläger gegen die Verwendung des Begriffes „Knalltrauma“ (anstelle des von der Universität Gießen gebrauchten „Explosionstrauma“) wendet, ist nicht ersichtlich, dass dadurch die allein aufgrund einer Beurteilung des - aktenkundigen - Sachverhaltes zu erstellende Bewertung beeinflusst werden könnte. Im Übrigen ist auch die vom Kläger gerügte Bezeichnung aktenkundig, nämlich durch das Schreiben des Arztes B vom 30. November 1999.

Schließlich ist auch das Fehlen eines Hinweises auf die besondere Sachkunde des Instituts für Hörforschung in der Beweisanordnung nicht geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Zum einen ergibt sich dies bereits aus dem Schreiben vom 30. November 1999 und den diesem beigefügten Skripten. Zum anderen könnte ein solcher Hinweis als der Versuch einer Beeinflussung des Sachverständigen, der ausdrücklich aufgefordert worden ist (Frage 6 c), sich mit der Auffassung des Instituts kritisch auseinander zu setzen, angesehen werden.

IV.

Auch das Ablehnungsgesuch gegen den gerichtlichen Sachverständigen Dr. F ist unbegründet. Der Kläger hat dieses - neben erneuten Vorwürfen gegen den abgelehnten Richter - lediglich mit der von ihm unterstellten fehlenden fachlichen Qualifikation begründet. Es ist offenkundig, dass es sich dabei lediglich um eine Vermutung handelt, die durch keinerlei Tatsachen belegt ist. Die Qualifikation eines Sachverständigen ist auch nicht Gegenstand eines Ablehnungsgesuches. Vielmehr hat das Gericht nach Vorlage des schriftlichen Gutachtens im Rahmen der Beweiswürdigung von Amts wegen zu prüfen, ob und in welchem Umfang es zu verwerten ist. Es ist im Übrigen Aufgabe eines jeden Sachverständigen, vor der Gutachtenerstattung zu prüfen, ob seine Sachkunde ausreicht, um die ihm gestellten Fragen zu beantworten. Eine Äußerung des Sachverständigen, aus der sich eine Voreingenommenheit gegen den Kläger ergeben könn-te, liegt schließlich nicht vor.

V.

Die Beschwerde des Klägers vom 6. April 2000 gegen den Inhalt der Beweisanordnung vom 4. Februar 2000 war nach § 172 Abs. 2 SGG als unzulässig zu verwerfen. Auf den Beschluss vom 15. März 2000 wird verwiesen.

Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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