L 13 VG 2/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 43 VG 40/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VG 2/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Dezember 2000 und der Bescheid des Beklagten vom 18. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2000 aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung der Folgen der am 28. Dezember 1998 erlittenen Schussverletzung als Schädigungsfolge Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz nach einer MdE von 70 v.H. zu gewähren. Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz -OEG-.

Der 1959 geborene Kläger machte mit dem am 12. April 1999 bei dem Beklagten gestellten Antrag geltend, am 28. Dezember 1998 in seiner Funktion als Objektschützer Opfer eines auf ihn abgegebenen Schusses geworden zu sein. Er habe eine Verletzung der linken Schulter (Achselhöhle) mit Läsionen des Nervus axillaris und der Arteria axillaris erlitten. Seither bestehe eine schlaffe Lähmung des Bizeps- und des Trizeps-Muskels sowie der gesamten Unterarmmuskulatur. Für den Schwerbeschädigtenbereich ist eine „posttraumatische schlaffe Lähmung des linken Unterarms“ mit einem Grad der Behinderung von 70 anerkannt worden (Bescheid vom 25. Oktober 1999).

Der Kläger stellte den zur Verletzung führenden Sachverhalt folgendermaßen dar: Er habe sich an jenem Tage - wie auch sonst jeweils morgens und nachmittags - auf dem Gelände einer in der Hallee in B-W gelegenen Villa, deren Eigentümer die K G- und B-Handelsgesellschaft (B.E.R.K.A.) ist, befunden. Weil einer der beiden Gesellschafter erpresst worden sei, habe er den Auftrag erhalten, durch seine zeitweilige Anwesenheit in der Villa den dort arbeitenden Mitarbeitern der Grundstücksgesellschaft „ein positives Sicherheitsgefühl zu geben“. Er habe kurz nach 16.00 Uhr die an das Büro angeschlossene Terrasse an der Rückfront des Gebäudes betreten. Von dort aus habe er die Büros der Geschäftsführer durch die zur Terrasse führenden Fenster überprüfen können. Er habe sich zunächst mit dem Angestellten R zusammen auf der Terrasse aufgehalten, der dann später in das Büro zurückgekehrt sei. Er habe - nunmehr allein auf der Terrasse - auf deren rechter Seite mit dem Gesicht zum Garten stehend in seiner Bauchtasche nach Zigaretten und Feuerzeug gesucht, als ihn ein Schuss in die linke Schulter getroffen habe. Als er sich von der Wucht des Schusses erholt habe, sei er zurück in das Büro gestürzt, habe die dort anwesenden Mitarbeiter gewarnt und sich auf eine Sitzgruppe hinter dem Fenster fallen gelassen. Er sei dann mit dem telefonisch herbeigerufenen Notarzt in das Klinikum R-V gefahren worden, wo er operiert worden sei. Seit dem Anschlag sei er arbeitsunfähig. Sein Auftrag als Objektschützer sei von vorn herein bis zum 30. Dezember 1998 befristet gewesen.

Die von der Polizei eingeleiteten Ermittlungen wegen des Verdachts eines versuchten Tötungsdeliktes zum Nachteil des Klägers erbrachten keine Feststellung eines Täters. Die gegen den Mitarbeiter der Grundstücksgesellschaft, Herrn K.-D. R, geführten Ermittlungen wurden von der Staatsanwaltschaft am 31. August 1999 eingestellt. Es hatten sich keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er den Kläger niedergeschossen hatte. Aus der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft zum Aktenzeichen ergibt sich außerdem, dass Herr G von der Polizeitechnischen Untersuchungsstelle des Landeskriminalamtes (LKA PTU) nach erster Inaugenscheinnahme des sichergestellten Sakkos des Klägers eine Schussabgabe aus einer Entfernung von maximal 30 cm vermutete und dass aufgrund des Schmauchbildes auf dem Kleidungsstück von einem Schuss von schräg unten auszugehen sei. Am 8. Januar 1999 wurde dann von Herrn J, Angehöriger der LKA PTU 22, die Auffassung vertreten, dass es sich bei dem Schuss auf den Kläger mit Sicherheit um einen Nahschuss handele. Die wahrscheinliche Schussentfernung habe 10 bis 20 cm betragen. In dem abschließenden Untersuchungsbericht der LKA PTU 22 vom 11. Juni 1999 heißt es schließlich, eine exakte Schusswaffenentfernung könne nur bei Vorliegen der Tatwaffe und Vergleichsschüssen ermittelt werden, da der aus der Mündung austretende Schmauchkegel von der Lauffläche (Kurz- oder Langwaffe) und dem Zustand der Waffe abhängig sei. Allerdings sei die Bleiflächendichte in der Umgebung des Einschusses deutlich erhöht. Derartig hohe Bleiflächendichten sprächen für einen relativen nahen Nahschuss.

Der Beklagte lehnte es durch Bescheid vom 18. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2000 ab, den Kläger nach den Vorschriften des OEG zu entschädigen. Es sei nicht nachgewiesen, dass er am 28. Dezember 1998 infolge eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten habe. Ein Täter habe nicht ermittelt werden können. Die eigenen Angaben des Klägers reichten zum Nachweis im Sinne des § 1 OEG nicht aus. Nach den Unterlagen der Strafermittlungsbehörden könne auch nicht zweifelsfrei festgestellt werden, unter welchen Umständen es zu den Verletzungen des Klägers gekommen sei. Eine genaue Aufklärung des Sachverhalts sei auch aufgrund der Zeugenaussagen und der kriminaltechnischen Untersuchung nicht möglich.

Im anschließenden Klageverfahren machte der Kläger unter Bezugnahme auf die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG-, insbesondere BSG SozR 3-3800 § 1 Nr. 12, geltend, dass nach den hier anwendbaren Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins von einem rechtswidrigen und vorsätzlich gegen ihn gerichteten Angriff auszugehen sei. Einer Leistungsgewährung stehe nicht entgegen, dass der Täter unbekannt geblieben sei oder dass er in Ausübung seines Berufs als Personenschützer geschädigt worden sei.

Das Sozialgericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts eine schriftliche Stellungnahme des Landeskriminalamtes, Institut für Polizeitechnische Untersuchungen 22, zur mutmaßlichen Schussentfernung erbeten, die zuständigkeitshalber am 13. November 2000 vom Bundeskriminalamt -BKA- Wiesbaden beantwortet worden ist. Sie ist den Beteiligten bekannt.

Im Termin vom 18. Dezember 2000 hat das Sozialgericht dann den Kläger persönlich zu dem Vorfall vom 28. Dezember 1998 vernommen (Terminsprotokoll, Seite 48 der Gerichtsakte) und schließlich durch Urteil vom gleichen Tage die Klage abgewiesen. Eine vorsätzliche rechtswidrige Verletzung sei nicht nachgewiesen. Die vom Kläger geforderte Beweiserleichterung entsprechend dem Rechtsgedanken des Anscheinsbeweises komme hier nicht in Betracht. Beweisschwierigkeiten insbesondere, wenn der Täter nicht habe ermittelt werden können, rechtfertigten keine generelle Beweiserleichterung, etwa durch eine stets gebotene Annahme der Voraussetzungen des sogenannten Anscheinsbeweises oder durch geringere Anforderungen an die Beweiskraft. Den Beweisschwierigkeiten, die typischerweise in der sozialen Entschädigung vorkämen, habe der Gesetzgeber bereits durch begrenzte Regeln zu Gunsten der Geschädigten entsprochen. Diese würden dem Kläger im vorliegenden Fall allerdings nicht weiterhelfen. Denn der Kläger wisse nicht, wer auf ihn geschossen habe und aus welchem Motiv heraus das gesehen sei. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Sinn des OEG. Zwar sei es richtig, dass das Gesetz gerade auch die Opfer entschädigen wolle, bei denen ein Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden könne. Das bedeute aber nicht, dass das Gesetz in allen Fällen einer unbekannten Täterschaft Anwendung finden müsse. Vielmehr bleibe der Anwendungsbereich auf Vorsatztaten beschränkt. Der Vorsatz müsse sich dann (mangels Geständnis eines Täters) aus sonstigen Indizien schließen lassen, insbesondere aus einem erkennbaren Motiv. Die Voraussetzungen der Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises bei sogenannten typischen Geschehensabläufen, in denen von einer festgestellten Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder von einem festgestellten Erfolg auf eine bestimmte Ursache zu schließen sei, lägen hier nicht vor. Es müsse ein Hergang zugrunde liegen, der erfahrungsgemäß in bestimmtem Sinne ablaufe. Seien mehrere Geschehensabläufe oder Vorgänge möglich, dann sei diese Beweisregel ausgeschlossen. So sei eine gesundheitliche Schädigung durch eine Schussverletzung nicht regelmäßig kraft eines ersten Anscheins auf eine vorsätzliche Tat im Sinne des § 1 OEG zurückzuführen. Sie könne auch fahrlässig verursacht worden sein.

Das vom Kläger zur Begründung seines Anspruchs herangezogene Urteil des BSG sei wegen eines anderen Sachverhalts auf ihn nicht anwendbar. Dort habe aus den äußeren Umständen geschlossen werden können, dass der Täter bedingt vorsätzlich gehandelt habe, weil er mehrfach Feuerwerkskörper in eine Menschengruppe geworfen habe. Es sei deshalb in jenem Fall davon auszugehen gewesen, dass er eine Verletzung von Menschen für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen habe. Die äußeren Umstände der hier streitigen Tat ließen sowohl eine fahrlässige wie auch eine vorsätzliche Tatbegehung als denkbar erscheinen. Da der Abstand zwischen der Waffe des Täters und dem Kläger nach den polizeilichen Erkenntnissen allenfalls einen Meter betragen haben könne, ließen die Angaben des Klägers, der keinen Schützen gesehen haben wolle, eine fahrlässige Tatbegehung nicht ausschließen.

Gegen das am 23. Januar 2001 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 22. Februar 2001. Er sei Opfer eines gezielten Angriffs mit einer Schusswaffe durch einen unbekannt gebliebenen Täter geworden. Alternative Geschehensabläufe, wie sie das Sozialgericht aufgezeigt habe, sei es durch eine Selbstverletzung, sei es infolge einer durch den Herrn R zugefügten Verletzung, den die Polizei allerdings als mutmaßlichen Täter ausgeschlossen habe, kämen nicht in Betracht. Damit könne auch die für diesen Fall anwendbare Beweisregel des ersten Anscheins nicht entkräftet werden. Soweit das Gericht konkret und fallbezogen zu der Überzeugung gelangt sei, dass sowohl eine fahrlässig als auch eine vorsätzliche Tatbegehung denkbar erscheine, habe es diese Überzeugung rechtlich zutreffend nur darauf stützen dürfen, dass tatsächlich einer oder mehrere Geschehensabläufe mit fahrlässiger Tatbegehung ausdrücklich als möglich anzusehen gewesen seien. An diesbezüglichen Feststellungen fehle es aber in dem Urteil. Es seien bloß Andeutungen erfolgt. Die als denkbar angesehenen alternativen Geschehensabläufe seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Die Herbeiführung der Verletzungen durch eine fahrlässige Begehungsweise sei aufgrund der vorliegend bekannten äußeren Umstände als regelrecht abwegig anzusehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Dezember 2000 und den Bescheid des Beklagten vom 18. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2000 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm unter Anerkennung der Folgen der am 28. Dezember 1998 erlittenen Schussverletzung als Schädigungsfolge Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz nach einer MdE von 70 v.H. zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Sozialgericht habe mit zutreffender Begründung festgestellt, dass nicht nachgewiesen sei, dass der Kläger Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des OEG geworden sei. Die Umstände, die zu seiner Schussverletzung geführt hätten, hätten nicht aufgeklärt werden können. Der Kläger wisse nach eigenen Angaben nicht, wer auf ihn geschossen haben könnte oder aus welchem Motiv heraus dies geschehen sein könnte. Es sei nur ein einziger Schuss abgegeben worden, der den Kläger verletzt habe. Ob es sich um einen vorsätzlich oder fahrlässig abgegebenen Schuss handele, habe nicht aufgeklärt werden können. Beide Möglichkeiten seien denkbar. Solange mehrere Möglichkeiten zum Geschehensablauf - wie hier - denkbar seien, würden die Voraussetzungen für eine Anerkennung nach § 1 OEG nicht vorliegen.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Verwiesen wird außerdem auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Akte der Staatsanwaltschaft I bei dem Landgericht Berlin zum Az.: 66 Js 466/99, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Ihm steht wegen der Folgen des Ereignisses vom 28. Dezember 1998 ein Anspruch auf Entschädigung nach dem OEG zu. Der Senat hält es nach gewissenhafter Überprüfung des sich aus den Akten ergebenden Sachverhalts für überwiegend wahrscheinlich, dass der am 28. Dezember 1998 auf den Kläger abgegebene Schuss mit den aktenkundigen Verletzungsfolgen auf einen gegen seine Person gerichteten vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff zurückzuführen ist.

Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG hat Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetze -BVG-, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes ... infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine ... Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Der vorsätzliche rechtswidrige tätliche Angriff als eine der anspruchsbegründenden Tatsachen im Sinne des § 1 OEG muss, wie es für soziale Leistungsansprüche allgemein gilt, zur Überzeugung des Gerichts erwiesen sein, d.h. es muss von einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit oder von einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden können, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt. Fehlt es daran, geht das zu Lasten des Klägers (objektive Beweis- oder Feststellungslast). Das gilt auch für den erforderlichen Vorsatz des tätlichen Angriffs. Eine fahrlässige Schädigung genügt nicht, es sei denn, es handelt sich um das Fehlgehen eines gezielten Angriffs oder um ein gemeingefährliches Verbrechen im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 OEG (vgl. BSGE 63 S. 270, 271 = SozR 1500 § 128 Nr. 34 und BSG SozR 3-3800 § 1 Nr. 12). Der für diesen Angriff geforderte Vorsatz braucht sich grundsätzlich nur auf diese Angriffshandlung zu beziehen. Welche Anforderungen an die Feststellung der Vorstellungen und Willensrichtung des Täters bei der zur Verletzung führenden Tat zu stellen sind, wenn der Täter - wie hier - nicht ermittelt werden konnte, hat das Bundessozialgericht -BSG- in seinem die frühere Rechtssprechung interpretierenden Urteil vom 4. Februar 1998 (SozR 3-3800 § 1 Nr. 12 = BSGE 81/288) wie folgt herausgearbeitet: „Die Feststellung einer Gewalttat im Sinne des OEG sowie deren Entschädigung setzt weder voraus, dass der Täter bekannt ist, noch dass er gezielt die Verletzung einer „bestimmten“ Person in seinen Vorsatz aufgenommen hat. Nach dem Gewaltopferentschädigungsgesetz kann jedermann Opfer eines tätlichen Angriffs sein, so dass sich dieser auch gegen eine „unbestimmte“ andere Person richten kann. Hierfür kann auch ein bedingter Vorsatz des Täters ausreichen, auf den auch aus äußeren Umständen geschlossen werden kann. Die anspruchsbegründenden Tatsachen müssen vom Geschädigten jedenfalls dann nicht im Sinne strenger Beweisregeln bewiesen werden. Es reicht vielmehr in Fällen, in denen - wie hier - ein Täter nicht ermittelt werden konnte, aus, auf die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins zurückzugreifen“. Diese Art der Beweiswürdigung ist grundsätzlich auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage - 1998, Rdnr. 9 zu § 128 m.w.N.).

Nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins kann bei sogenannten typischen Geschehensabläufen von einer festgestellten Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder von einem bestimmten Erfolg auf eine bestimmte Ursache geschlossen werden (Meyer-Ladewig, a.a.O.).

Nach der Auffassung des Senats lässt sich aus den durch den Akteninhalt feststellbaren Umständen auf das Vorliegen eines zumindest bedingten Vorsatzes des unbekannt gebliebenen Täters schließen, mit einem zielgerichteten Schuss unmittelbar auf den Körper des Klägers einzuwirken.

Der Senat geht hierbei von dem auch vom Sozialgericht zur Grundlage seiner Entscheidung gemachten Sachverhalt aus. Hiernach war der Kläger nach seinen durch die im Strafverfahren von dem Miteigentümer der Firma Karolinenhofer Grund- und Boden, Herrn M P, bestätigten und hier gemäß § 128 Sozialgerichtsgesetz -SGG- im Wege des Urkundenbeweises (vgl. u.a. BSGE 52, 281, 284; 60, 147, 149) gewürdigten Angaben als Objektschützer angestellt worden. Er sollte jeweils morgens und nachmittags, sich tageweise abwechselnd mit dem Kollegen Herrn W, „Streife um das Firmenobjekt laufen“. Dieser Vereinbarung war nach dem weiteren Inhalt der Akte der Staatsanwaltschaft ein am 17. November 1998 dem anderen Firmeninhaber Buchmann unter der Firmenanschrift in der Hubertusallee 74 zugestellter Erpresserbrief mit der Forderung, eine Geldsumme von 120.000 DM zu zahlen, vorausgegangen. Weiterhin ergibt sich aus dem Akteninhalt, dass am 7. Dezember 1998 eine ebenfalls zur Anzeige gebrachte Sachbeschädigung durch Schussabgabe auf die zur Hubertusallee gelegenen Bürofenster des vom Kläger zu überwachenden Objektes erfolgt war, wobei das Geschoss auch die zur Hinterseite des Firmengebäudes gelegenen Terrassenfenster durchschlug. Am 28. Dezember 1998 kam es dann zur Schussverletzung des nach seinen Angaben auf der Terrasse gartenseitig stehenden Klägers. Den Täter will der Kläger nicht wahrgenommen haben. Der ihn zunächst auf die Terrasse begleitende Mitarbeiter der Fa. B.E.R.K.A., Herr R, soll diese vor der Schussabgabe wieder in Richtung der Büros verlassen haben. Außerdem ist das endgültige vom Senat allein als maßgeblich gewürdigte Untersuchungsergebnis der Schmauchspuren am Sakko des Klägers bekannt, das das BKA Wiesbaden KT 23 dem Sozialgericht auf dessen Auskunftsersuchen am 13. November 2000 übermittelt hatte. Hiernach sah sich das BKA zur Angabe einer wahrscheinlichen Schussentfernung nicht imstande. Darüber hinaus gab es keine Spuren am Tatort, die weiterer Auswertung oder Verfolgung zugänglich waren. Die Tatwaffe, mit der die Verletzung des Klägers herbeigeführt worden war, konnte nicht ermittelt werden. Der Kläger selbst konnte über den Täter, dessen Standort bei der Schussabgabe, die Tatwaffe und die mutmaßliche Motivation des Täters keine Angaben machen. Aus den Akten ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger selbst Objekt einer Erpressung gewesen sein könnte oder dass er persönliche Feinde hatte, die bei Auseinandersetzungen Gebrauch von Schusswaffen machen würden.

Die dargelegten Umstände des Geschehens bieten nach Auffassung des Senats Anlass zu der Annahme, dass der unbekannt gebliebene Täter gezielt auf den allein auf der Terrasse des Hauses Hallee stehenden Kläger mit der Vorstellung geschossen hat, diesen zumindest zu verletzen. Er wird hiermit dem Inhaber der Firma B.E.R.K.A. eine Warnung haben zukommen lassen wollen, weil seiner erpresserischen Forderung auf Zahlung einer Geldsumme von 120.000,00 DM noch nicht nachgekommen und stattdessen Anzeige gegen Unbekannt erstattet worden war. Diese Variante erscheint eher wahrscheinlich als die von dem Beklagten angestellte Vermutung, der Kläger sei versehentlich getroffen worden, seine Verletzung sei auf eine fahrlässige Tatbegehung zurückzuführen. Dass der unbekannt gebliebene Erpresser zur Durchsetzung seiner Forderung vor dem Gebrauch von Schusswaffen nicht zurückschrecken würde, macht die Tatsache deutlich, dass bereits am 7. Dezember 1998 ein einen Sachschaden verursachender Schuss auf das vom Kläger zu schützende Objekt Hallee abgegeben worden war, bei dem sowohl die straßenseitige Scheibe als auch ein zum Garten liegendes Terrassenfenster durchschlagen worden war. In Anbetracht dieses Vorfalles erscheint es eher unwahrscheinlich, dass der das Objekt Hallee seit Tagen bewachende und mit einer Pistole bewaffnete Kläger, als er allein auf der Terrasse des Hauses gestanden hatte, zufällig oder irrtümlich von einer nicht für ihn bestimmten Kugel getroffen worden ist. Der Sachverhalt gibt, so wie er sich dem Senat aus den Unterlagen darstellt, nichts für die Annahme her, der den Kläger treffende Schuss sei von dem unbekannt gebliebenen Täter ohne bestimmte Zielrichtung abgegeben worden. Allein schon der in der Regel rechtswidrige, von der Rechtsordnung nicht gedeckte Gebrauch einer Schusswaffe durch einen sich zu seiner Tat nicht bekennenden und unbekannt bleiben wollenden Täter spricht zwangsläufig dafür, dass er mit seinem Schuss eine Körperverletzung nicht ausschließen wollte und mithin mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat.

Anhaltspunkte für eine andere Betrachtungsweise sieht der Senat nicht. Zum Ausschluss des Anspruchs kann insbesondere nicht führen, dass der Kläger zur Zeit des hier zu beurteilenden Ereignisses eine offenbar besonders gefahrträchtige Tätigkeit ausgeübt hat oder dass er - nach eigenen Angaben (vgl. das Protokoll des Sozialgerichts vom 18. Dezember 2000) - Umgang mit Personen zweifelhaften Rufes („M“) hatte. Diese Sachverhalte allein begründen keine nachvollziehbare Erklärung dafür, warum auf den Kläger geschossen worden ist.

Für den Senat steht nach alledem fest, dass der Kläger Opfer eines Verbrechens geworden ist, dessen Täter nicht ermittelt und nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte. Für die hieraus resultierenden Verletzungsfolgen hat der Beklagte jedenfalls bei dem hier vorliegenden Sachverhalt im Rahmen des OEG einzustehen.

Aufgrund des Schriftsatzes des Beklagten vom 14. August 2002 besteht kein Zweifel daran, dass die auf den Vorfall vom 28. Dezember 1998 zurückzuführenden Gesundheitsstörungen mit einer MdE von 70 v.H. zu bewerten sind. Die posttraumatisch schlaffe Lähmung des linken Unterarmes entspricht dem Verlust eines Armes im Ellenbogengelenk, der mit einer MdE von 70 v.H. zu bemessen ist (Ziff. 26.18, S. 143 der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit“, 1996).

Die Kostenentscheidung, die dem Ergebnis in der Hauptsache folgt, beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG-.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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