L 8 RJ 73/99

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 RJ 2608/98
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RJ 73/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. November 1999 sowie der Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 1998 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Juni 2001 bis 31. Mai 2004 zu gewähren. Die Beklagte hat die der Klägerin entstandenen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu drei Vierteln zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin beansprucht eine Rente wegen Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit.

Die 1952 geborene Klägerin hat einen Beruf nicht erlernt. Nach ihren Angaben war sie von 1968 bis 1978 als Botin und anschließend bis 1982 als Wachfrau beschäftigt. Vom 4. November 1982 bis 12. Dezember 1983 sind im Versicherungsverlauf Zeiten des Mutterschutzes verzeichnet. Von Dezember 1983 bis zum 31. Januar 1995 war sie als "Technische Mitarbeiterin" beim Deutschen B versicherungspflichtig beschäftigt und mit Tätigkeiten der Postsortierung, des Postversandes sowie anderen leichten Bürotätigkeiten betraut. Seit dem 1. Februar 1995 bezog sie im Wesentlichen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung und nahm in dieser Zeit vom 18. September bis 27. Oktober 1995 an einem vom Arbeitsamt Berlin geförderten Lehrgang Sozialpflege teil. Am 1. Oktober 1996 nahm sie eine Beschäftigung als Fahrgastbetreuerin im Rahmen des ABM-Programms auf und bezog vom 22. Oktober bis 28. Oktober 1996 und erneut ab 10. Dezember 1996 Krankengeld. Vom 7. August 1997 bis 21. Januar 1998 und nach zwischenzeitlichem Krankengeldbezug (vom 22. Januar bis 7. Juni 1998) bezog sie erneut ab 8. Juni 1998 Leistungen vom Arbeitsamt.

Am 19. Januar 1998 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf ihren Gesundheitszustand die Gewährung einer Rente. Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen der Kaufmännischen Krankenkasse bei und veranlasste eine Begutachtung durch die Ärztin für Innere Medizin und Sozialmedizin Dr. R. Diese stellte in ihrem am 23. April 1998 erstatteten Gutachten folgende Diagnosen: chronische Bronchitis, Zustand nach Struma-Operation 1993, Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom, Varicosis. Unter Beachtung dieser Feststellungen hielt sie die Klägerin noch für fähig, leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Unter Hinweis auf diese Feststellungen lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab (Bescheid vom 10. Juni 1998, Widerspruchsbescheid vom 4. Dezember 1998).

Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer zum Sozialgericht (SG) Berlin erhobenen Klage gewandt und geltend gemacht, sie sei nicht mehr fähig, Arbeiten von wirtschaftlichem Wert zu verrichten. Das SG hat ein für das Landesarbeitsamt erstattetes Gutachten vom 24. Oktober 1997 beigezogen sowie Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. Anschließend hat es eine Untersuchung und Begutachtung durch Prof. Dr. Sp veranlasst. Dieser hat in seinem am 15. Juli 1999 erstatteten orthopädisch-rheumatologischen Gutachten auf seinem Fachgebiet eine Spinalkanalstenose, degenerative Veränderungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule mit mittelgradigen Nervenwurzelreizerscheinungen, beginnende Verschleißerkrankung der Kniegelenke, Krampfaderleiden und Senk-Spreiz-Knickfußleiden und außerhalb seines Fachgebietes eine mittelgradige Schwerhörigkeit, ein allergisches Asthma mit obstruktiver Bronchitis und eine Teillähmung des Stimmbandnerven festgestellt; wesentliche neue Befunde seien nicht erhoben worden. Auf der Grundlage dieser Feststellungen ist er zu der Einschätzung gelangt, die Klägerin könne noch regelmäßig vollschichtig leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen ohne zusätzliche Pausen verrichten; Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstelle seien nicht zu berücksichtigen, denn die Klägerin könne noch Wegstrecken von 500 m und mehr zurücklegen.

Sodann hat das SG die Klage mit Urteil vom 3. November 1999 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die begehrte Rente, denn sie sei weder berufs- noch erwerbsunfähig. Bisheriger Beruf im Sinne der rentenrechtlichen Bestimmungen sei der einer Büroarbeiterin. Es könne dahinstehen, ob sie diese Tätigkeit weiterhin ausüben könne. Die Klägerin leide zwar an verschiedenen Gesundheitsstörungen, die ihre Leistungsfähigkeit zwar einschränkten, aber nach den Feststellungen des gerichtlichen Gutachters, denen das SG folge, noch ein ausreichendes Leistungsvermögen für das vollschichtige Verrichten leichter Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen, die näher ausgeführt werden, bestehe. Auf Grund dieses verbliebenen Leistungsvermögens sei sie bereits nicht berufsunfähig. Denn selbst wenn sie ihren zuletzt versicherungspflichtig ausgeübten Beruf als Büroarbeiterin nicht mehr verrichten könne, sei sie noch auf andere ihr zumutbare Tätigkeiten verweisbar. Die Klägerin habe weder eine Berufsausbildung durchlaufen, noch habe sie während ihres Berufslebens in einem Beruf gearbeitet, der eine qualifizierte Ausbildung voraussetze. Sie sei daher auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Da die Klägerin schon nicht berufsunfähig sei, bestehe auch kein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 44 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), da hierzu eine noch weitergehende Leistungseinschränkung vorliegen müsse.

Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer Berufung gewandt, mit der sie ihren Anspruch weiter verfolgt und auf eine psychiatrische Behandlung und fehlende orthopädische Feststellungen im Hinblick auf ihre Angabe, nur 200 m laufen zu können, verweist. Sie hat ergänzend einen Entlassungsbericht des Krankenhauses im F über einen stationären Aufenthalt auf der Inneren Abteilung vom 16. Bis 24. Februar 2000 sowie einen Arztbrief der behandelnden Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T vorgelegt.

Der Senat hat Befundberichte von der behandelnden Lungenfachärztin Dr. P und dem Allgemeinmediziner B eingeholt und anschließend Dr. L mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragt. Dieser hat in seinem am 17. Februar 2001 erstatteten neurologisch-psychiatrischen Gutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet bei der Klägerin eine leichte ängstliche Depression bei selbstunsicherer Persönlichkeitsstörung festgestellt. Er ist zu der Einschätzung gelangt, die Klägerin könne noch körperlich leichte Arbeiten vollschichtig in geschlossenen Räumen ohne Einfluss von Kälte, Staub, Feuchtigkeit oder Zugluft und überwiegend im Sitzen mit der Gelegenheit zu entlastendem Aufstehen ohne einseitige körperliche Belastung verrichten. Arbeiten unter Zeitdruck (Akkord- oder Fließbandarbeiten) seien ebenso wie Arbeiten in Wechsel- oder Nachtschicht oder an laufenden Maschinen nicht möglich. Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten und Überkopfarbeiten seien nur eingeschränkt möglich und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie mit häufigem Bücken, Hocken oder Knien seien zu vermeiden. Es bestehe eine Hörminderung beidseits. Reaktionsvermögen, Lese- und Schreibgewandtheit seien ebenso wie Auffassungsgabe, Lern- und Merkfähigkeit, Gedächtnis und Konzentrationsschwierigkeiten nicht eingeschränkt; auf Grund der selbstunsicheren Persönlichkeitsstruktur seien Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit, Kontakt-, Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit leicht eingeschränkt. Auf Grund einer teilweise noch auftretenden phobischen Reaktion bestünden Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstelle, wobei die Klägerin angegeben habe, bis zu drei Stationen mit dem Autobus und grundsätzlich wieder S-Bahn fahren zu können. Weiter hat er ausgeführt, dass die auf nervenärztlichem Fachgebiet bestehende Leistungsminderung durch eine Verhaltenstherapie behebbar sei. Ein weiteres Gutachten hat Dr. L nicht für erforderlich gehalten; das orthopädisch-rheumatologische Gutachten vom 15. Juli 1999 sei nachvollziehbar.

Im Hinblick auf die von der Klägerin geschilderte Atemnot und die eingeschränkte Wegefähigkeit von lediglich 200 m hat der Senat einen weiteren Befundbericht der behandelnden Lungenfachärztin Dr. P vom 25. Mai 2001 eingeholt und anschließend den Arzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie Prof. Dr. H mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 10. Oktober 2001 folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: Neigung zu Stimmbandspasmen, Rekurrensparese rechts bei Zustand nach Strumektomie 1993, chronische, pharmakologisch nicht reversible Obstruktion, Sklerose der Beingefäße ohne Hinweise auf eine Durchblutungsstörung, deutliche Ober- und Unterschenkelvarizen, Zustand nach Varizenstripping, degenerative Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates (nach Aktenlage), leichte ängstliche Depression bei unsicherer Persönlichkeitsstruktur (nach Aktenlage). Er ist ebenfalls zu der Einschätzung gelangt, die Klägerin könne noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen verrichten; wesentliche weitergehende qualitative Einschränkungen gegenüber den bisherigen gutachterlichen Feststellungen hat er nicht formuliert.

Auf die Anfrage des Senats bezüglich der Wegefähigkeit und der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel hat Dr. L in Ergänzung seines nervenärztlichen Gutachtens ausgeführt: "Die Einschätzung der Einschränkung bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei auf Grund der Angaben der Klägerin erfolgt; diese spiegelten zwar ein subjektives Angstgefühl wider, seien jedoch das Ausmaß der Beeinträchtigung betreffend glaubhaft, insbesondere weil sie selbst eine Differenzierung vornehme und Fortschritt beschreibe (" ... Sie könne nicht U-Bahn fahren, Bus fahren könne sie jetzt schon zwei bis drei Stationen; die Schwierigkeiten mit dem S-Bahnfahren habe sie überwunden ...").

Die von der Klägerin angegebenen Symptome seien mit den Diagnosen: "leichte ängstliche Depression bei selbstunsicherer Persönlichkeitsstörung" vereinbar und im Zusammenhang mit der übrigen Anamnese plausibel.

Es handele sich nicht um eine gelegentliche Krankheitserscheinung, sondern um eine mit großer Wahrscheinlichkeit auftretende Symptomatik, sobald sie bestimmten Situationen (U-Bahnfahren, Autobusfahren länger als zwei bis drei Stationen) ausgesetzt sei. Bei Benutzung anderer Verkehrsmittel trete die Symptomatik (Angstzustände) nicht auf."

Schließlich hat der Senat noch einen Befundbericht des die Klägerin seit Juli 2001 behandelnden Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K eingeholt.

Die Klägerin ist nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen der Auffassung, dass ihr eine Rente wegen Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit zustehe, denn es fehle jedenfalls an der Wegefähigkeit. Sie könne - wie sie bei ihrer persönlichen Anhörung erläutert hat - auch weiterhin nur in ganz geringem Maße öffentliche Verkehrsmittel benutzen, und auch dann nur, wenn sie nicht voll seien.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. November 1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Dezember 1998 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalls der Erwerbsunfähigkeit im Februar 2000 ab 1. September 2000 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bis zum 31. August 2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Durchgreifende Zweifel an der Wegefähigkeit bestünden nicht. Die Klägerin könne lediglich die U-Bahn nicht benutzen, wodurch ihr das Erreichen von Arbeitsplätzen nicht unmöglich sei. Jedenfalls könne im Hinblick auf die vorliegenden ärztlichen Unterlagen allenfalls ab dem Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung im November 2000 ein entsprechender Zustand als hinreichend belegt angesehen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist im tenorierten Umfang begründet. Der Klägerin steht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Juni 2001 bis 31. Mai 2004 zu.

Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI (in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 - BGBl. I S. 1827) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1. voll erwerbsgemindert sind,

2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin vor. So erfüllt die Klägerin ausweislich des in der Verwaltungsakte enthaltenen Versicherungsverlaufs die geforderten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Sie erfüllt die allgemeine Wartezeit (§§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI) und unter Beachtung des bis zum Rentenbeginn reichenden Bezuges von Sozialleistungen (vgl. dazu § 43 Abs. 4 SGB VI) auch das Vorliegen von drei Jahren Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung. Schließlich ist sie auch voll erwerbsgemindert.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen ist die Klägerin zwar noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Sie kann diese Arbeiten aber nur, wie sich aus den überzeugenden Gutachten ergibt, mit qualitativen Einschränkungen verrichten; allerdings lassen diese qualitativen Einschränkungen eine betriebliche Einsetzbarkeit nicht grundsätzlich zweifelhaft erscheinen, so dass die Benennung einer Verweisungstätigkeit nicht erforderlich ist. Diese Feststellung hindert jedoch nicht das Vorliegen der vom Gesetz verlangten Erwerbsminderung. Denn nur das Leistungspotenzial, das auf dem Arbeitsmarkt konkret einsetzbar ist, kann als Maßstab für die Fähigkeit eines Versicherten, Erwerbseinkommen zu erzielen, herangezogen werden. Folglich gehört nach der Rechtsprechung des BSG zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (stellvertretend BSG, Urteil vom 9. August 2001 -B 10 LW 18/00 R in SozR 3-5864 § 13 Nr. 2 Satz 4 f m.w.N.). Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des versicherten Risikos; das Defizit führt zur Erwerbsunfähigkeit bzw. zur vollen Erwerbsminderung. Die von der Rechtsprechung für die Beurteilung der Wegefähigkeit herausgearbeiteten Kriterien lassen sich daher auch für die Anwendung des neuen Rechts heranziehen (BSG, Urteil vom 28. August 2002 - B 5 RJ 8/02 R). Die Wegefähigkeit ist dabei nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt, abzuklären. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt deshalb die Fähigkeit voraus, Strecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß zu bewältigen und zweimal täglich während der Hauptverkehrszeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können und schließt die Benutzung zur Verfügung stehender Hilfsmittel ein (BSG, a.a.O. m.w.N.). Da die Klägerin, wie sie auf Befragen erklärt hat, selbst keinen Führerschein besitzt, kommt es nicht darauf an, ob ihr ein PKW zur Benutzung zur Verfügung stünde. Zur Bejahung ihrer Wegefähigkeit ist es deshalb erforderlich, dass sie zumindest zweimal täglich während der Hauptverkehrszeit öffentliche Verkehrsmittel benutzen kann. Daran fehlt es jedoch. Die Klägerin hat ihre diesbezüglichen Schwierigkeiten bei ihrer persönlichen Anhörung plausibel beschrieben und dabei erläutert, dass sie insbesondere volle Verkehrsmittel nicht benutzen könne, wie sie während der Hauptverkehrszeit regelmäßig anzutreffen sind. Da der Gutachter Dr. L auf eine diesbezügliche ausdrückliche gerichtliche Nachfrage die von der Klägerin geschilderte Beeinträchtigung für glaubhaft und mit dem Krankheitsbild in Übereinstimmung stehend angesehen und auch der Senat anlässlich der persönlichen Befragung keinen Anhalt für eine abweichende Beurteilung hat erkennen können, legt der Senat seiner Entscheidung eine nicht ausreichende Möglichkeit zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu Grunde. Der Auffassung der Beklagten, die insoweit nur ein Unvermögen zur Benutzung der U-Bahn annehmen will, vermag der Senat daher nicht zu folgen. Schon die Schilderung des Anfahrtsweges zum Gutachter (Bl. 3 des Gutachtens Dr. L) belegt, dass die Klägerin nicht nur unfähig ist, unterirdische Verkehrsmittel zu benutzen. Der Senat teilt allerdings die Bedenken der Beklagten insofern, als der Gutachter meint, aus den Berichten der behandelnden Ärzte bereits auf eine zu Beginn des Jahres 2000 vorliegende phobische Symptomatik schließen zu können. Denn weder der Bericht der Fachärztin vom 24. März 2000 (Bl. 118 GA) noch der Befundbericht des die Klägerin seit Februar 2000 behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin (Bl. 127 GA) erwähnt einen solchen Umstand, obwohl dieser Punkt für die Beschreibung des Krankheitsbildes durchaus beachtlich ist. Das Fehlen der Wegefähigkeit sieht der Senat daher erst auf Grund der gutachterlichen Untersuchung vom 23. November 2000 als ausreichend nachgewiesen an. Der Senat geht mit dem Gutachter Dr. L davon aus, dass die die Wegefähigkeit ausschließende ängstlich/phobische Symptomatik innerhalb von weniger als drei Jahren behebbar ist. Dagegen bedingen die auf anderen Fachgebieten bestehenden Leiden keine Wegeunfähigkeit; nach dem Ergebnis der Begutachtung auf orthopädischem und internistischem Gebiet ist die Fähigkeit zur Zurücklegung üblicher Arbeitswege (von [etwa] mehr als 500 m) ohne Besonderheiten möglich. Bei einem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit im November 2000 kann der Rentenanspruch daher ab 1. Juni 2001 und nur befristet zuerkannt werden (§§ 102 Abs. 2, 101 Abs. 2 SGB VI). Angesichts der von dem Gutachter für erforderlich gehaltenen und nach Angaben der Klägerin bisher nicht begonnenen ärztlichen Behandlung ist der Klägerin die gemäß § 102 Abs. 2 SGB VI höchst zulässige Befristung und damit ein Anspruch bis zum 31. Mai 2004 zuzuerkennen.

Im Übrigen hatte die Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das nur teilweise Obsiegen der Klägerin.

Gründe zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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