L 17 RA 53/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 RA 3572/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 17 RA 53/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 7. September 2001 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich als Nacherbe gegen eine Rentenerstattung.

Der. 1918 geborene und. 1994 verstorbene H.-U. R. (im Folgenden: Versicherter) war in der DDR berufstätig und bezog vom dortigen Rentenversicherungsträger seit 1. Juni 1983 eine Altersrente.

Im August 1986 beantragte er bei der Beklagten Altersruhegeld und machte dazu geltend, er sei am 16. Juli 1986 aus der DDR kommend in die Bundesrepublik übergesiedelt. Von diesem Zeitpunkt an gewährte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 25. November 1986 die beantragte Rente bis zu seinem Tod (letzter Zahlbetrag 1.956,19 DM). Eine bis Juni 1995 erfolgte Überzahlung wurde von der Rentenzahlstelle der Post erstattet. Da der Versicherte seinen Wohnsitz in der DDR beibehalten hatte, wurde ihm auch auf ein dort geführtes Konto weiterhin Rente gezahlt, die zum 1. Juli 1990 auf Deutsche Mark umgestellt wurde und sodann 1.017,00 DM betrug. Zum 1 Juli 1991 wurde der aus Altersrente und Zusatzaltersrente bestehende Gesamtzahlbetrag auf 1.331,00 DM vom Träger der Rentenversicherung-Überleitungsanstalt Sozialversicherung erhöht. Mit Bescheid vom 29. November 1991 wertete die nunmehr auch für diese Rente zuständig gewordene Beklagte die Rente um und zahlte sie seit 1. Januar 1992 als Regelaltersrente mit einem anfänglichen Zahlbetrag von 1.687,93 DM bis zum Tod des Versicherten (letzter Zahlbetrag im Dezember 1994 2.467,15 DM) weiter.

Anlässlich der Beantragung einer Witwenrente durch die Vorerbin des Versicherten fiel der Beklagten die bis dahin durch die Vergabe von zwei Versicherungsnummern an den Versicherten unbemerkt gebliebene doppelte Rentenzahlung auf.

Mit Bescheid vom 31. Januar 1996 hob die Beklagte nach vorheriger Anhörung gegenüber der Vorerbin die Bewilligung der vom 16. Juli 1986 bis 31. Dezember 1994 gewährten (West) -Rente mit der Begründung auf, der Versicherte habe entgegen den Angaben im 1986 gestellten Rentenantrag seinen Wohnsitz im Sinne des Mittelpunktes des persönlichen und wirtschaftlichen Lebensbereiches in der ehemaligen DDR gehabt, so dass der Rentenanspruch nach § 96 Angestelltenversicherungsgesetz -AVG- geruht habe. Es wurde eine Erstattung in Höhe von 173.640,93 DM geltend gemacht. Dagegen legte die Vorerbin Widerspruch ein und machte zu dessen Begründung geltend, der Lebensmittelpunkt des Versicherten habe seit Ende 1985 in Berlin-C. gelegen. Bis Ende 1989 sei der Versicherte nur gelegentlich in das Staatsgebiet der ehemaligen DDR eingereist. Erst nach dem politischen Umbruch habe er sich wieder häufiger dort aufgehalten aber nie seinen ersten Wohnsitz in Berlin-C. aufgegeben. Nachdem die Beklagte im Widerspruchsverfahren Ermittlungen über den Aufenthalt des Versicherten im fraglichen Zeitraum angestellt hatte, deren Ergebnis für die Angaben der Widerspruchsführerin sprachen, hob sie den Bescheid vom 31. Januar 1996 auf.

Am 29. März 1998 verstarb die Witwe und Vorerbin des Versicherten. Nacherbe ist der Kläger.

Nach Anhörung des Klägers nahm die Beklagte mit Bescheid vom 24. Januar 2000 den Bescheid vom 28. November 1991 über die zum 1. Januar 1992 erfolgte Umwertung und Anpassung der vom damaligen Träger der Rentenversicherung der DDR anerkannten Altersrente von Beginn an zurück und forderte den Kläger als Nacherben zur Erstattung der im Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis 31. Dezember 1994 entstandenen Überzahlung in Höhe von 76.661,27 DM auf. Der Bescheid sei rechtswidrig gewesen, da der Versicherte nicht zwei Renten gleichzeitig habe beziehen können. Dies habe dem Versicherten auch bekannt sein müssen, so dass er keinen Vertrauensschutz für sich in Anspruch nehmen könne. Ermessenserwägungen seien bei dieser Sachlage nicht anzustellen, da ein bösgläubiger Leistungsempfänger sich schlechthin nicht auf einen Vertrauensschutz berufen könne. Es liege eine sogenannte Ermessensreduzierung auf Null vor. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2000, der am 3. Juli 2000 abgesandt wurde, zurück.

Die dagegen am 2. August 2000 erhobene Klage, die nicht begründet worden ist, hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 7. Dezember 2001 abgewiesen.

Gegen den am 19. September 2001 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich der Kläger mit der am 16. Oktober 2001 eingelegten Berufung. Zu deren Begründung trägt er vor, die Rente könne nicht zurückgefordert werden, weil der Versicherte sie zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes benötigt habe und die Erben nicht um den Betrag bereichert seien. Der Versicherte sei aufgrund einer schwerwiegenden Augenerkrankung, die nur im Westen habe erfolgreich behandelt werden können, nach West-Berlin übergesiedelt. Da er sich nicht von seiner Familie habe trennen wollen, habe er keinen Ausreiseantrag gestellt, denn dann wäre ihm die Wiedereinreise in die DDR für längere Zeit verwehrt worden. Aufgrund dieser Umstände habe sich der Versicherte nicht von der Rentenversicherung der DDR abmelden können. Nach der Wende habe er befürchtet, wegen des Doppelbezugs von Rente belangt zu werden und deshalb sein Doppelleben weitergeführt. Für die doppelte Haushaltsführung seien beide Renten gebraucht worden. Zudem sei das Rückforderungsverlangen der Beklagten verjährt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 7. September 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2000 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die den Versicherten betreffenden Rentenakten der Beklagten zu den Aktenzeichen 44 170618 R 008 und 65 170618 R 004 sowie die Prozessakten des Sozialgerichts Berlin zum Aktenzeichen S 13 RA 3572/00 haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Beklagten steht der geltend gemachte Rückforderungsanspruch zu. Die Beklagte hat den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wegen zu Unrecht gewährter Leistungen nach dem Tode des Empfängers zu Recht gegen seinen Erben/Nacherben erlassen, weil dieser grundsätzlich in die öffentlich-rechtliche Rechtsstellung des Erblassers entsprechend den §§ 1922, 1967 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB - eintritt. Zwar fehlt im Sozialrecht eine ausdrückliche Vorschrift, wonach bei Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden auf den Rechtsnachfolger übergehen, insbesondere aus den Bestimmungen über die Sonderrechtsnachfolge (§§ 56 ff. Sozialgesetzbuch Erstes Buch - SGB I -) ergibt sich aber, dass sich die Haftung des Erben im Übrigen nach den Vorschriften des BGB richtet (vgl. Bundessozialgericht - BSG - SozR 1300 § 45 Nr. 40). Dies gilt jedenfalls, soweit es sich - so wie hier - nicht um höchstpersönliche Verhältnisse oder Umstände handelt, die unlösbar mit der Person des Rechtsvorgängers verbunden sind. Weil der Erbe in vollem Umfang in die Rechtsstellung des Erblassers eintritt, kann die Rückforderung durch Verwaltungsakt geltend gemacht werden (vgl. BSG a.a.O.)

Gegen die Rechtmäßigkeit der Bescheide kann auch nicht eingewandt werden, dass die Nachlassverbindlichkeiten nicht vor dem Erbfall entstanden sind, da die Rentenbewilligung nicht schon zu Lebzeiten des Versicherten zurückgenommen worden ist. Denn zu den "vom Erblasser herrührenden Schulden" im Sinne von § 1967 Abs. 2 BGB gehören nicht nur solche, die bis zum Erbfall entstanden sind, sondern aufgrund der Gesamtrechtsnachfolge gehen auf den Erben alle vermögensrechtlichen Beziehungen über, auch wenn ihre Folgen erst nach dem Erbfall eintreten.

Rechtsgrundlage der Bescheide sind die §§ 45, 50 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X -. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den in § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X genannten Einschränkungen ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Nach § 45 Abs. 2 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Die Voraussetzungen des § 45 SGB X liegen vor. Bei dem Bewilligungsbescheid vom 28. November 1991, mit dem die Beklagte dem Kläger erstmalig eine aus der DDR-Rente umgewertete Regelaltersrente seit 1. Januar 1992 gewährte, handelt es sich um einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt. Dem Kläger stand diese nach § 307 a Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI - berechnete Rente nicht zu, denn er hatte am 31. Dezember 1991 keinen Anspruch auf eine nach den Vorschriften des Beitrittsgebiets berechnete Rente. Nach den Angaben der Witwe des Versicherten, die durch die Ermittlungen der Beklagten bestätigt wurden, hatte der Versicherte seinen ständigen Wohnsitz seit 1986 nicht mehr in der DDR. Nach § 1 in Verbindung mit § 74 der Rentenverordnung vom 23. November 1979 (Gesetzblatt der DDR I Seite 401) hatten DDR-Bürger einen Rentenanspruch nur dann, wenn sie ihren ständigen Wohnsitz dort unterhielten oder wenn mit dem ausländischen Staat, in dem sie sich aufhielten, eine zwischenstaatliche Vereinbarung über Rentenansprüche bestand. Eine solche Vereinbarung bestand mit der Bundesrepublik Deutschland, die aus der Sicht der DDR ein ausländischer Staat war, nicht, so dass der Versicherte seit seiner Übersiedlung in der DDR zu Unrecht eine Rente bezog.

Die rückwirkende Aufhebung der Rentenbewilligung ist nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes ausgeschlossen, da dem Versicherten die Rechtswidrigkeit des Leistungsbezugs bekannt war. Dies ergibt sich jedenfalls aus dem Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren, der Versicherte habe auch nach der Wende sein "Doppelleben" weitergeführt, da er befürchtet habe, wegen des Doppelbezugs von Rente belangt zu werden. Hinsichtlich des Vertrauensschutzes ist, wenn eine rechtswidrige Leistung nicht mehr vom Empfänger, sondern aufgrund seines Todes von den Erben zu erstatten ist, nicht auf jene, sondern auf die Person des Erblassers abzustellen (vgl. Bundesverwaltungsgericht NJW 2002, 1892), denn nur der Versicherte hat die Leistung aufgrund eines einen besonderen Vertrauensschutz begründenden Sozialrechtsverhältnisses erlangt. Die Erben hingegen erlangen die Leistungen nicht aufgrund eines Sozialrechtsverhältnisses, sondern infolge einer Gesamtrechtsnachfolge.

Die sonstigen Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 45 SGB X liegen ebenfalls vor. Die Zehnjahresfrist nach § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X ist gewahrt. Gewahrt ist auch die in § 45 Abs. 4 Satz 3 SGB X geregelte Jahresfrist. Da sich die Kenntnis der Behörde auf alle für die Rücknahme bedeutsamen Umstände zu erstrecken hat, beginnt die Frist regelmäßig frühestens mit der hier im Oktober 1999 erfolgten Anhörung des Begünstigten. Zudem hat die Beklagte auch erst im Juni 1999 Kenntnis von der Nacherbenstellung des Klägers erlangt. Eine "Verjährung" des Erstattungsanspruchs ist mithin nicht ersichtlich.

Der angefochtene Bescheid ist auch nicht aus sonstigen Gründen rechtswidrig. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte bei der in ihrem pflichtgemäßen Ermessen stehenden Entscheidung über die Rücknahme der Leistungsbewilligung von einer sogenannten Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen ist. Nimmt ein Versicherter (auf den - wie bereits dargelegt wurde - hier abzustellen ist), dem die Rechtswidrigkeit der Rentengewährung bekannt ist, die Leistung dennoch entgegen, dann kann er sich, sofern nicht ganz besondere Ausnahmeumstände vorliegen, schlechthin nicht auf ein bei der Ermessensausübung zu berücksichtigendes Vertrauen berufen (vgl. BSG SozR 3-1300 § 50 Nr. 16 und BSG B 3 P 8/01 R Seite 8 des amtlichen Umdrucks). Denn in einem solchen Fall sind grundsätzlich keine billigenswerten Interessen rechtlich anzuerkennen, das zu Unrecht Erlangte ganz oder teilweise zu behalten. Ein schutzwürdiges Interesse am Behaltendürfen des bösgläubig Erlangten ergibt sich insbesondere auch nicht daraus, dass die Erstattung zu wirtschaftlichen Härten führen kann.

Konnte der Bescheid vom 28. November 1998 nach § 45 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, sind die erbrachten Leistungen gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.

Die Beiladung (§ 75 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) etwaiger weiterer Nacherben zum Verfahren war nicht erforderlich. Mehrere Erben haften für die Nachlassverbindlichkeiten als Gesamtschuldner, so dass jeder von ihnen in Anspruch genommen werden kann. Der Senat schließt sich der Auffassung des Bundessozialgerichts (SozR 3-1500 § 58 Nr. 1) an, dass auch unter dem Gesichtspunkt der Ausgleichspflicht der Miterben untereinander im Verfahren gegen einen oder mehrere Miterben lediglich über eine Vorfrage entschieden wird, so dass jedenfalls kein Fall der notwendigen Beiladung gegeben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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