L 13 SB 120/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 34 SB 3394/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 120/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 30. Oktober 2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe des bei dem Kläger bestehenden Grades der Behinderung (GdB).

Der 1942 geborene Kläger beantragte im Juni 2001 die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch und gab an, er beziehe seit dem 1. Juli 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, weil bei ihm in einem im Auftrag der Landesversicherungsanstalt (LVA) B erstellten medizinischen Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. S vom 31. Oktober 1999 eine paranoide Persönlichkeitsstörung festgestellt worden und eine latente Fremdgefährdung nicht mit Sicherheit auszuschließen sei.

Auf der Grundlage einer gutachtlichen Stellungnahme der Neurologin und Psychiaterin G vom 1. August 2001 erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 8. August 2001 als Behinderung eine seelische Erkrankung mit einem GdB von 50 an.

Mit seinem Widerspruch trug der Kläger vor, der GdB sei zu gering bemessen, denn nach den Feststellungen der LVA B sei jedes Leistungsvermögen aufgehoben und es bestehe eine dauernde latente Fremdgefährdung, was einer 100 %igen Behinderung nahe komme. Der Beklagte veranlasste daraufhin eine Untersuchung des Klägers durch den Neurologen und Psychiater Dr. S, der in seinem Gutachten vom 7. September 2001 zu dem Ergebnis gelangte, bei dem Kläger bestehe eine paranoide Psychose mit einem systematisierten Wahn und zum Teil verworrenem Gedankengang, so dass von schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten gesprochen werden könne und ein GdB von 80 angemessen sei. Eine höhere Bewertung komme allerdings nicht in Betracht, weil der Kläger in der eigenen Wohnung lebe und in vielen Teilbereichen des Lebens selbständig sei. Der Beklagte änderte den Bescheid vom 8. August 2001 mit Bescheid vom 13. November 2001 und hob den GdB auf 80 an. Den weitergehenden Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2001 zurück.

Hiergegen richtete sich die bei dem Sozialgericht Berlin erhobene Klage, mit der der Kläger weiterhin einen GdB von 100 begehrt hat. Das Sozialgericht hat ein Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. B eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 15. Mai 2002 die Diagnose "paranoide Entwicklung" und deren Bewertung durch den Beklagten bestätigt sowie als weitere Behinderung einen mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden labilen arteriellen Bluthochdruck festgestellt Der Kläger hat u. a. Atteste des Facharztes für Nervenheilkunde Dr. Bvom 2. November 1998 und der Allgemeinmedizinerin Dr. O vom 25. Juni 1997 sowie das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. für das Landesarbeitsamt vom 24. Juli 1998 und Auszüge aus den arbeitsamtsärztlichen Gutachten des Chirurgen Dr. Kvom 9./23. September 1996, und der Ärztin L vom 15. Juni/18. September 1998 eingereicht.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30. Oktober 2002 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig, denn unter Berücksichtigung der übereinstimmenden gutachterlichen Feststellungen der Dres. S und B, die das seelische Leiden des Klägers im oberen Bereich der psychischen Störungen ansiedeln, erscheine ein GdB von 80 ausreichend, weil der Kläger in vielen Teilbereichen des täglichen Lebens selbständig und nicht auf fremde Hilfe angewiesen sei. Der Bezug einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach dem Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) habe dabei keine indikative Wirkung, ein vollkommen aufgehobenes Leistungsvermögen im rentenrechtlichen Sinne führe nicht zu einem GdB in einer bestimmten Höhe. Der von Dr. B festgestellte arterielle Bluthochdruck rechtfertige keine Anhebung des Gesamt-GdB.

Gegen den am 30. November 2002 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die am 2. Dezember 2002 eingegangene Berufung, mit der der Kläger vorträgt, die bisherigen Untersuchungen berücksichtigten seinen Leidensweg und Gesundheitszustand nicht angemessen, er erwarte eine wirklich unabhängige Begutachtung. Er hat diversen Schriftwechsel mit der Gauck-Behörde, dem Bundesministerium des Inneren, dem Verwaltungsgericht und der 78. Kammer des Sozialgerichts Berlin in dem Rechtsstreit S 78 AL 3182/02 sowie weiteres Material über die Verstrickungen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter eingereicht.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 30. Oktober 2002 aufzuheben und den Bescheid vom 8. August 2001 in der Gestalt des Bescheides vom 13. November 2001 und des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2001 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm einen GdB von 100 zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Außerdem wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten sowie den Inhalt der Gerichtsakte S 78 AL 3182/02 und der Leistungsakte des Arbeitsamtes verwiesen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet, denn der Kläger hat - wie das Sozialgericht zu Recht festgestellt hat - keinen Anspruch auf Zuerkennung eines höheren GdB als 80.

Das bei dem Kläger bestehende seelische Leiden, das von den Dres. Sund B übereinstimmend als paranoide Entwicklung eingeschätzt wurde und somit nach Nr. 26. 3, S. 61 der 1996 vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP 96) als schwere psychische Störung mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einzustufen ist, die einen Bewertungsrahmen von 80 bis 100 eröffnet, ist mit einem GdB von 80 angemessen, aber auch ausreichend bewertet. Dass bereits - in Abgrenzung von mittleren - schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten bestehen, zeigt sich vor allem in dem von allen den Kläger begutachtenden Ärzten geschilderten sozialen Rückzug des Klägers und seiner zunehmenden Erregung, in Situationen, in denen er mit seinen wahnhaften Verfolgungsvorstellungen konfrontiert wird. Es soll hier nicht in Abrede gestellt werden, dass der Kläger in der DDR vom Ministerium für Staatssicherheit beobachtet wurde, es hat sich jedoch bei ihm inzwischen ein Krankheitsbild manifestiert, das zu einer wahnhaften Verarbeitung selbst kleinerer Konflikte führt (Gutachten Dr. C). Der Gedankengang des Klägers wird als auf die fortgesetzte Verfolgung durch ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit eingeengt geschildert, seine Aufmerksamkeit für andere Themenbereiche sei deutlich herabgesetzt. Der Antrieb wird als leicht gesteigert beschrieben, wobei auch querulatorische Tendenzen mitspielen könnten (Gutachten Dr. S). Nach Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B hat das offensichtlich paranoide Erleben zudem einen hohen Grad an Systematisierung erfahren, was für eine langjährige Wahnarbeit spreche; Wahrnehmungsstörungen seien allerdings nicht zu fassen. Andererseits ist der Kläger in vielen Teilbereichen des Lebens noch selbständig, er lebt in der eigenen Wohnung und versorgt sich selbst, und im Untersuchungsgespräch mit Dr. B ergab sich noch ein guter und treffender Rapport. Diese Beobachtungen bestätigt letztlich auch das von dem Kläger eingereichte Attest des Dr. Bvom 2. November 1998, der die Stimmung als indifferent, den Affekt als wenig moduliert, den Antrieb als gesteigert bei unruhiger Psychomotorik und Logorrhoe beschreibt und bestätigt, dass das inhaltliche Denken des Klägers fast ausschließlich darauf abziele, die von ihm in staatlichen Behörden vermuteten alten Kader zu decouvrieren, wobei er den Eindruck habe, dass sich biographisch nachvollziehbare Benachteiligungen seiner Person in seiner derzeitigen Lebenssituation fortsetzten. Unter Berücksichtigung des gesamten Krankheitsbildes ist daher der GdB für das seelische Leiden in Übereinstimmung mit dem nachvollziehbaren und in sich schlüssigen Gutachten des mit der Beurteilung von Behinderungen besonders erfahrenen gerichtlichen Sachverständigen Dr. B im unteren Bereich des Bewertungsrahmens mit 80 einzuordnen.

Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf das im Rentenverfahren festgestellte aufgehobene Leistungsvermögen und eine dauernde latente Fremdgefährdung davon ausgeht, seine Gesundheitsstörungen kämen einer 100 %igen Behinderung nahe, verkennt er, dass mit dem GdB nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben erfasst werden, sondern die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die Einschätzung des GdB ist unabhängig vom ausgeübten Beruf vorzunehmen und deshalb nicht mit der Feststellung des Rentenversicherungsträgers über das Vorliegen von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder auch der Feststellung einer Dienst- oder Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen (vgl. Nr. 18, S. 28, 29 AHP 96). Das Ausmaß der Leistungsfähigkeit im ausgeübten Beruf oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist gerade nicht der für die Beurteilung des GdB geltende Maßstab.

Der von Dr. Bresser festgestellte - letztlich bekannte - labile arterielle Bluthochdruck ist ohne erkennbare Organbeteiligung und daher nach Nr. 26.9, S. 61 AHP 96 mit einem GdB von 10 angemessen bewertet. Er rechtfertigt keine Anhebung des Gesamt-GdB, weil er neben dem seelischen Leiden nicht ins Gewicht fällt, dieses insbesondere nicht verstärkt.

Die Berufung war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ist am Ergebnis der Hauptsache orientiert und ergibt sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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