L 15 KR 31/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 75 KR 1807/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 KR 31/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. November 2000 sowie die Bescheide der Beklagten vom 31. Januar und vom 10. Februar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2000 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Kläger über den 30. April 1999 hinaus Mitglied der Beklagten und der Beigeladenen geblieben ist. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass er bei der Beklagten freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung und bei der Beigeladenen Pflichtmitglied in der Pflegeversicherung ist.

Der im Jahre 1942 geborene Kläger litt jedenfalls im streitbefangenen Zeitraum an einer schweren wahnhaften Depression. Auf Grund Beschlusses des Amtsgerichts Sp vom 2. Juli 1998 wurde für ihn die Betreuung mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitssorge angeordnet und das Bezirksamt Sp als Betreuer eingesetzt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Sp vom 10. Mai 1999 wurde die Betreuungsanordnung auf Grund eines zwischenzeitlich eingeholten fachärztlichen Gutachtens aufgehoben.

Am 18. November 1997 beantragte der Kläger bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) B die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Während des Rentenverfahrens bezog er von der Bundesanstalt für Arbeit Arbeitslosenhilfe und war auf Grund dieses Leistungsbezuges bei der Beklagten gegen Krankheit pflichtversichert. Am 8. Januar 1999 fertigte die Beklagte einen Bescheid gegenüber dem Kläger, den sie an diesen mit einfacher Post absandte und dessen Erhalt der Kläger bestreitet. Darin wurde er darauf hingewiesen, dass sein Rentenantrag keine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner auslöse, seine derzeitige Pflichtversicherung jedoch trotz seines Rentenantrages bestehen bleibe. Der Kläger erhielt die Anregung, die Beklagte nach Ende seiner Pflichtversicherung anzusprechen, damit für ihn eine freiwillige Versicherung eingetragen werden könne.

Die Bundesanstalt für Arbeit stellte zum 30. April 1999 die Zahlung von Arbeitslosenhilfe an den Kläger ein und fertigte am 6. Mai 1999 einen Bescheid über die Aufhebung des Leistungsbezuges des Klägers mit Ablauf des 30. April 1999. Dieser Bescheid wurde von der Zentralstelle der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg automatisch mit einfacher Post versandt, seinen Erhalt bestreitet der Kläger ebenfalls. Bereits durch Bescheid vom 25. März 1999 hatte die LVA B dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt. Am 14. Juni 1999 fertigte die LVA B einen Änderungsbescheid, der auf Grund des Wegfalles des Bezuges von Arbeitslosenhilfe zum 30. April 1999 die Hinweise enthielt, für die Zeit ab dem 1. Mai 1999 ändere sich das Krankenversicherungsverhältnis des Klägers und ändere sich das Pflegeversicherungsverhältnis des Klägers. Ein Abzug von Beiträgen von der Rente zur Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung erfolgte nicht mehr.

Am 26. Januar 2000 erfuhr der Kläger von der Beklagten mündlich, dass er nicht mehr deren Mitglied sei. Am selben Tage beantragte er daraufhin seinen Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 31. Januar 2000 mit der Begründung ab, der Kläger habe nicht innerhalb von drei Monaten nach dem Ende seiner Versicherungspflicht den Beitritt schriftlich angezeigt. Am 8. Februar 2000 legte der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch ein und beantragte gleichzeitig unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Überschreitung der Dreimonatsfrist zum Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung. Durch weiteren Bescheid vom 10. Februar 2000 bestätigte die Beklagte ihre ablehnende Entscheidung und wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2000 mit der Begründung zurück, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach § 27 Abs. 1 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch (SGB X) seien nicht gegeben. Der Kläger sei jedenfalls durch den Bescheid der LVA B vom 14. Juni 1999 darauf hingewiesen worden, dass für die Zeit ab dem 1. Mai 1999 keine Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge mehr in Abzug gebracht würden. Hier hätte sich der Kläger gegebenenfalls von der Beklagten über den damals noch möglichen Beitritt zur freiwilligen Versicherung bei der Beklagten informieren müssen, eine weitergehende Beratungspflicht seitens der Beklagten habe nicht bestanden. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Kläger auf Grund seiner psychiatrischen Erkrankung nicht in der Lage gewesen sei, den Sachverhalt vollständig und zutreffend zu erkennen.

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Berlin durch Urteil vom 27. November 2000 abgewiesen: Der Kläger habe die Dreimonatsfrist zum Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung nicht ohne Verschulden versäumt. Hierbei könne offen bleiben, ob das Betreuungsverhältnis überhaupt für den hier in Rede stehenden Aufgabenkreis des Umgangs mit der gesetzlichen Krankenversicherung bestanden habe. Denn jedenfalls sei der Kläger sowohl durch den Aufhebungsbescheid der Bundesanstalt für Arbeit vom 6. Mai 1999, dessen Erhalt er im Verfahren vor dem Sozialgericht nicht bestritten habe, als auch jedenfalls durch den Bescheid der LVA B vom 14. Juni 1999 darüber aufgeklärt worden, dass für die Zeit ab dem 1. Mai 1999 eine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung nicht mehr bestehe. Auch die Voraussetzungen eines sozialversicherungsrechtlichen Herstellungsanspruchs bestünden nicht. Da der Kläger nicht freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung geworden sei, bestehe auch keine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Pflegeversicherung.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Ziel weiter, neben der Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils und der angefochtenen Bescheide die Feststellung seiner freiwilligen Mitgliedschaft bei der Beklagten und der Pflichtmitgliedschaft in der Pflegeversicherung bei der beigeladenen Pflegekasse zu erreichen. Hierbei macht er im Einzelnen und unter zahlreichen Beweisantritten geltend, er sei im streitbefangenen Zeitraum auf Grund einer psychiatrischen Erkrankung nicht in der Lage gewesen, den Sachverhalt zutreffend zu erfassen. Im Übrigen bestreitet er weiterhin den Erhalt des Bescheides der Beklagten vom 8. Januar 1999 sowie nunmehr auch des Bescheides der Bundesanstalt für Arbeit, welcher am 6. Mai 1999 zur Post gegeben worden sein soll. Den Bescheid der LVA B vom 14. Juni 1999 habe er zwar erhalten, doch sei hierin kein Hinweis auf die Beendigung der Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung zum 30. April 1999 zu sehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. November 2000 sowie die Bescheide der Beklagten vom 31. Januar 2000 und 10. Februar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2000 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger über den 30. April 1999 hinaus Mitglied der Beklagten und der Beigeladenen geblieben ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Es dürfe ihr nicht zum Nachteil gereichen, dass auf Grund der im elektronischen Wege veranlassten Bescheidübersendung durch die Bundesanstalt für Arbeit keine Bescheiddurchschriften des am 6. Mai 1999 zur Post gegebenen Aufhebungsbescheides und auch kein Zustellnachweis über diesen vorlägen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und die beigezogenen Verwaltungsakten der LVA B, welche im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und auch begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. November 2000 sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten waren aufzuheben und die beantragte Feststellung war auszusprechen. Der Kläger ist mit Wirkung vom 1. Mai 1999 freiwilliges Mitglied der Beklagten geworden und Pflichtmitglied bei der Beigeladenen geblieben.

Der wirksame Beitritt des Klägers zur freiwilligen Krankenversicherung bei der Beklagten erfolgte nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V). Nach dieser Vorschrift können der freiwilligen Krankenversicherung solche Personen beitreten, die als Mitglieder aus der Versicherung ausgeschieden sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens 12 Monate versichert waren. Diese Voraussetzungen sind bei dem Kläger erfüllt, denn er ist zum 30. April 1999 aus der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nach Beendigung des Arbeitslosenhilfebezuges ausgeschieden und erfüllt auch die Vorversicherungszeiten.

Nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 SGB V ist der Beitritt innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft anzuzeigen. Dies ist zwar im Falle des Klägers nicht geschehen, denn er hat seine Erklärung erst am 26. Januar 2000 und damit erheblich außerhalb der Dreimonatsfrist abgegeben, jedoch ist ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung einer gesetzlichen Frist zu gewähren, wenn der Antragsteller ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Nach § 27 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X ist der Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, dabei sind die Tatsachen zu seiner Begründung glaubhaft zu machen. Nach § 27 Abs. 2 Satz 3 SGB X ist innerhalb der Antragsfrist auch die versäumte Handlung nachzuholen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend sämtlich erfüllt. Der Kläger hat erst am 26. Januar 2000 erfahren, dass er nicht mehr Mitglied der Beklagten sei, und hat dann innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall dieses Hindernisses sowohl den Antrag auf Fortsetzung der Mitgliedschaft bei der Beklagten als auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Dabei hat er sich zur Glaubhaftmachung des Mittels der eidesstattlichen Versicherung bedient. Im Übrigen kommt es auf den weiteren Inhalt der eidesstattlichen Versicherung vorliegend nicht an, denn auch nach dem Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der LVA B steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das Fristversäumnis durch den Kläger nicht verschuldet war.

Zwar macht die Beklagte geltend, der Kläger habe auf Grund ihres Bescheides vom 8. Januar 1999 hinreichenden Anlass gehabt, sich rechtzeitig darüber zu informieren, ob und wann sein Versicherungspflichtverhältnis bei der Beklagten endete. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Abgesehen davon, dass der Kläger den Erhalt des Bescheides der Beklagten vom 8. Januar 1999 stets bestritten hat und der Zugang dieses Bescheides beim Kläger nicht nachgewiesen werden kann, würde sich auch bei wirksamem Zugang dieses Bescheides keine andere Sichtweise ergeben. Denn der Bescheid fordert den Kläger lediglich auf, die Beklagte nach dem Ende seiner Pflichtversicherung anzusprechen, damit eine freiwillige Versicherung eingetragen werden könne. Hieraus musste der Kläger schließen, dass er noch eine eindeutige und unmissverständliche Mitteilung über das Ende seiner Versicherungspflicht erhalten würde. Er konnte diesem Bescheid gerade nicht entnehmen, dass es möglicherweise ihm allein anheim fallen sollte, das Ende seiner Pflichtmitgliedschaft bei der Beklagten festzustellen. Hieraus muss zugleich gefolgert werden, dass ein Verschulden des Klägers hinsichtlich des Fristversäumnisses erst dann angenommen werden kann, wenn er trotz eindeutiger Information über das Ende seiner Pflichtmitgliedschaft keine weiteren Schritte unternahm. Eine solche eindeutige Information hat der Kläger indessen erst am 26. Januar 2000 erhalten, eine frühere Information ist nicht nachweisbar.

Dies gilt auch hinsichtlich des Bescheides über die Aufhebung von Arbeitslosenhilfe durch die Bundesanstalt für Arbeit, der am 6. Mai 1999 durch die Zentralstelle der Bundesanstalt für Arbeit nach maschineller Ausfertigung zur Post gegeben worden sein soll und dessen Text sich nicht mehr rekonstruieren lässt. Der Kläger hat jedenfalls im Berufungsverfahren den Erhalt auch dieses Bescheides bestritten. Es hat sich nicht nachweisen lassen, dass ein Bescheid der Bundesanstalt für Arbeit, der zugleich eine eindeutige Belehrung über den Wegfall der Versicherungspflicht mit Wirkung vom 1. Mai 1999 enthält, dem Kläger zugegangen ist. Weder ist das Bescheidoriginal in irgendwelchen Verwaltungsakten rekonstruierbar, noch existiert ein wie auch immer gearteter Zustellungsnachweis. Nach den Regeln der objektiven Beweislast, die bei der Nichtaufklärbarkeit der Tatsachen im vorliegenden Falle Anwendung finden müssen, ist zu Gunsten des Klägers davon auszugehen, dass er jedenfalls durch die Bundesanstalt für Arbeit keinen geeigneten Hinweis erhalten hat.

Gleiches gilt auch für den Bescheid der LVA B vom 14. Juni 1999. Dieser Bescheid, den der Kläger nach seinen eigenen Angaben auch erhalten hat, enthält zwar den Hinweis, für die Zeit ab dem 1. Mai 1999 ändere sich das Krankenversicherungsverhältnis und ändere sich das Pflegeversicherungsverhältnis. Diese Hinweise lassen aber nicht den eindeutigen Schluss zu, dass mit Wirkung vom 1. Mai 1999 das Krankenversicherungsverhältnis des Klägers erloschen war. Vielmehr deutet die Formulierung, das Versicherungsverhältnis habe sich geändert, im Gegenteil darauf hin, das Versicherungsverhältnis bestehe kraft Gesetzes fort, habe möglicherweise aber einen anderen Inhalt erhalten. Auch bei verständiger Würdigung dieses Bescheidtextes konnte der Kläger nicht annehmen, sein Krankenversicherungsverhältnis sei erloschen und er müsse sich um dessen Fortsetzung selbst kümmern. Weitere Hinweise enthält der Bescheid nicht.

Unter Würdigung aller dem Senat zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen sind vor dem 26. Januar 2000 keine hinreichenden Rechtsfolgenhinweise ersichtlich, die den Kläger hätten veranlassen müssen, von sich aus zur Begründung einer freiwilligen Versicherung bei der Beklagten tätig zu werden.

Bereits diese Umstände rechtfertigen die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand für das Versäumen der Beitrittsfrist. Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, welche Bedeutung gegebenenfalls der psychiatrischen Erkrankung des Klägers zukommt und welche rechtliche Bedeutung der Umstand besitzt, dass der Kläger nach dem 30. April 1999 jedenfalls bis Januar 2000 die Chipkarte der Beklagten unbeanstandet weiter benutzt hat.

Die Mitgliedschaft in der sozialen Pflegeversicherung beruht auf § 49 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 und Abs. 3 Sozialgesetzbuch / Elftes Buch, sie bestand über den 30. April 1999 in Folge des Fortbestehens der Mitgliedschaft bei der Beklagten fort.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
Saved