L 4 KR 20/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 7 KR 216/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 KR 20/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 27. März 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für eine bei ihr durchgeführte künstliche Befruchtung durch intrazytoplasmatische Spermieninjektion - ICSI - in Höhe von 16 693,20 EUR.

Die am ... 1967 geborene Klägerin ist bei der Beklagten als Mitglied versichert. Sie lebt mit einem privat versicherten Lebenspartner in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zusammen, bei dem eine Anejakulation vorliegt, so dass eine Befruchtung nur durch ICSI von ihm durchgeführt werden kann. Die private Krankenversicherung des Partners lehnte nach Angaben der Klägerin eine Kostenübernahme ab.

Am 04. September 2001 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, die Kosten für die künstliche Befruchtung zu übernehmen, und verwies auf die ICSI-Urteile des Bundessozialgerichts - BSG - vom 03. April 2001. Mit Bescheid vom 24. September 2001 lehnte die Beklagte den Antrag unter Bezugnahme auf § 27 a Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ab, da Voraussetzung hierfür sei, dass diejenigen, die diese Maßnahme in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet seien. Am 27. Mai 2002 wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin an die Beklagte und bat um eine Überprüfung der in dem Bescheid ohne Rechtsmittelbelehrung vom 24. September 2001 geäußerten Auffassung, da die Regelung des § 27 a SGB V wegen einer Ungleichbehandlung eheähnlicher Lebensgemeinschaften verfassungswidrig sei.

Mit Bescheid vom 04. Juni 2002 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme erneut ab und wies den Widerspruch der Klägerin hiergegen mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2002 zurück.

Hiergegen hat sich die am 25. Oktober 2002 vor dem Sozialgericht Berlin erhobene Klage gerichtet, die durch Beschluss vom 18. November 2002 an das örtlich zuständige Sozialgericht Potsdam verwiesen wurde.

Mit ihrer Klage vertritt die Klägerin die Auffassung, die Regelung des § 27 a Abs. 3 SGB V sei verfassungswidrig, was sich bereits daraus ergebe, dass der Gesetzgeber die eheähnlichen Gemeinschaften durch das Lebenspartnerschaftsgesetz gestärkt habe und so zum Ausdruck gebracht habe, dass eine Benachteiligung dieser Lebensgemeinschaft im Verhältnis zur Ehe nicht beabsichtigt sei.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom04. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2002 zu verurteilen, die ihr für die Durchführung der ICSI entstandenen Kosten in Höhe von 16 693,20 EUR zu erstatten.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat sich hierzu auf den Inhalt des angefochtenen Widerspruchsbescheides berufen.

Mit Urteil vom 27. März 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung auf den Wortlaut des § 27 a Abs. 3 SGB V verwiesen, der auch verfassungskonform sei. Eine Ungleichbehandlung von ehelicher und nichtehelicher Lebenspartnerschaft sei mit dem Grundgesetz - GG - vereinbar und die Rechtsordnung kenne solche Unterscheidungen an verschiedenen Stellen.

Gegen dieses dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 07. April 2003 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom 02. Mai 2003.

Die Klägerin ist nach wie vor der Auffassung, die Ungleichbehandlung verheirateter und nichtverheirateter Paare durch § 27 a Abs. 3 SGB V verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG und gegen Art. 6 Abs. 5 GG, der sowohl ein Gleichheitsgrundrecht als auch eine verfassungsrechtliche Wertentscheidung sei. Aus dem besonderen Schutz des nichtehelichen Kindes in Art. 6 Abs. 5 GG ergebe sich die Verpflichtung des Gesetzgebers auch zur leistungsrechtlichen Gleichbehandlung. Auch seien die Behandlungen, die vor der förmlichen Beantragung im September 2001 entstanden seien, erstattungsfähig, da der Klägerin durch einen Mitarbeiter der Beklagten fernmündlich mitgeteilt worden sei, dass eine Übernahme nicht in Betracht komme, wie die Klägerin mit Schreiben vom 16. November 1999 begehrt hatte.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 27. März 2003 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 24. September 2001 und vom 04. Juni 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2002 zu verurteilen, die für die Durchführung der ICSI entstandenen Kosten in Höhe von 16 693,20 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten und die Leistungsakte der Beklagten zum hier streitigen Vorgang verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht erhoben, somit insgesamt zulässig.

Sie ist jedoch nicht begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der ICSI mit Spermien ihres nichtehelichen Lebenspartners, so dass die entsprechenden Bescheide der Beklagten und das sie bestätigende Urteil des Sozialgerichts die Klägerin nicht ihren Rechten verletzen.

Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht.

Diese Norm enthält zwei Alternativen:

a) Die Krankenkasse konnte eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen.

b) Die Krankenkasse hat eine Leistung zu Unrecht abgelehnt.

Beide Voraussetzungen liegen nicht vor, eine unaufschiebbare Leistung (Notfallbehandlung) scheidet von der Natur der Sache hier aus und ein ablehnender Verwaltungsakt liegt schon nach dem Vortrag der Klägerin selbst nicht vor. Eine telefonische Meinungsäußerung - die nach dem Vortrag der Klägerin dahin ging, die Leistung "käme in Betracht" - ist keine Ablehnung. Im Übrigen wäre eine Ablehnung auch zu Recht erfolgt.

Daher liegen die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V für eine Kostenerstattung für die Behandlungen vor dem 27. September 2001 deshalb nicht vor, weil die durchgeführten Behandlungen weder unaufschiebbar gewesen noch von der Beklagten zuvor zu Unrecht abgelehnt worden sind.

Gemäß § 27 a Abs. 1 Ziffer 3 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind.

Dass diese gesetzliche Voraussetzung bei der Klägerin nicht vorliegt, ist unstreitig, eine verfassungskonforme Auslegung scheidet bei dem eindeutigen Wortlaut und dem klar zu Tage tretenden gesetzgeberischen Willen aus, so dass der Senat schon aus Rechtsgründen gehindert wäre, selbst wenn er die Auffassung der Klägerin teilte, auf die Berufung hin das angefochtene Urteil zu ändern und der Klage stattzugeben. Vielmehr müsste dann eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG durchgeführt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingeholt werden. Voraussetzung dafür wäre, dass das Gericht von der Verfassungswidrigkeit dieser Norm überzeugt wäre, dies ist jedoch nicht der Fall:

Nachdem § 27 Satz 5 SGB V, der in seiner alten Fassung ausdrücklich bestimmte, dass Leistungen für eine künstliche Befruchtung nicht zur Krankenbehandlung gehören, heftiger öffentlicher Kritik ausgesetzt war, hat der Gesetzgeber mit Gesetz vom 02. Juni 1990 (BGBl. I Seite 1211) mit Wirkung vom 01. Juli 1990 § 27 a in das SGB V eingefügt. Bei den Beratungen hierzu ist die Problematik der Ungleichbehandlung von Ehepaaren und Personen, die in fester Partnerschaft miteinander leben, erkannt und beraten worden. Im Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung der 11. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ist ohne Erfolg beantragt worden, die Maßnahmen der künstlichen Befruchtung auch auf solche, nicht verheiratete Personen zu erstrecken, da die Beschränkung auf verheiratete Partner sozialpolitisch ungerecht sei (BT-Drucksache 11/7097, Seite 24 f.). In der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfes hierzu heißt es, die Beschränkung auf Ehepaare lasse sich verfassungsrechtlich durch die Pflicht des Staates zur Förderung von Ehe und Familie (GG, Art. 6) rechtfertigen (BT-Drucksache 11/6760, Seite 15).

Der Senat hat nicht zu beurteilen, ob er diese vom Gesetzgeber gewollte Regelung für sozialpolitisch sinnvoll oder nicht, für gerecht oder ungerecht hält, sondern allein, ob der Gesetzgeber durch die Verfassung gehindert war, eine derartige Regelung zu treffen, sie also verfassungswidrig ist.

a) Die Regelung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn wesentliches Gleiches willkürlich ungleich oder wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandelt wird (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 4, 144 ff.). Nichteheliche Lebensgemeinschaften jedoch sind im Sinne dieser Rechtsprechung wesensverschieden von Ehen, so dass ihre unterschiedliche Behandlung den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Auch auf Dauer angelegte und nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz eingetragene Lebensgemeinschaften sind mit den Ehen nicht wesensgleich, sie können jederzeit durch einfache Willenserklärungen aufgelöst werden und bereits der Gesetzgeber des Lebenspartnerschaftsgesetztes hat dadurch, dass er in diesem Gesetz eine völlige Gleichstellung mit der Ehe nicht vorgenommen hat, diese Wesensungleichheit gesetzlich normiert. Diese Ungleichbehandlung (etwa bei der Steuer) ist auch vom Gesetzgeber gewollt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 17. Juli 2002 unter Leitsatz 3 ausgeführt, der Gesetzgeber sei nicht gehindert, Lebenspartnerschaften einzuführen, die der Ehe nahe kommen. Von daher ist derzeit geklärt, dass eine Ungleichbehandlung, die zweifellos vorliegt, wegen wesensungleicher Sachverhalte von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist.

b) Auch Art. 6 Abs. 5 GG ist durch die Vorschrift nicht verletzt. Dem Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. 5 GG liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die unehelichen Kinder insgesamt ungünstigere Lebensbedingungen vorfinden als die ehelichen (BVerfGE 17, 283). Wenn jedoch, wie dargelegt, Sinn dieser Vorschrift ist, die ungünstigeren Lebensbedingungen, die die unehelichen Kinder vorfinden, nach Möglichkeit auszugleichen, so ist die Zeugung unehelicher Kinder nicht vom Schutzzweck dieser Norm erfasst. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, lebende uneheliche Kinder besonders zu fördern, er ist jedoch nicht verpflichtet, die Zeugung unehelicher Kinder ebenso zu fördern wie die von ehelichen (Landessozialgericht Neubrandenburg, Urteil vom 15. Mai 2002, L 4 KR 3/01).

Der Senat folgt insoweit der Auffassung des Landessozialgerichts Neubrandenburg. Auch die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 09. November 2001 (B 1 KR 33/00 R) zeigt, dass das Bundessozialgericht die Ungleichbehandlung von Ehegatten und anderen Personen im Rahmen des § 27 a SGB V für verfassungsrechtlich unbedenklich hält. Auch wenn dort die Klägerin verheiratet war und eine heterologische Befruchtung begehrte, so ist der Sachverhalt doch ähnlich. Die Befruchtung, in der wie bei ICSI die künstliche Befruchtung mit dem Samen des Ehemannes durch eigene Eizellen der Ehefrau durchgeführt wird, und solchen, bei denen fremde, von einer anderen Frau gespendete Eizellen verwendet werden müssen, ähnelt dem vorliegenden Fall. Denn auch die Frau, bei der eine heterologische Befruchtung durchgeführt wird, trägt ein Kind von nicht miteinander verheirateten Partnern aus, das biologisch nicht von beiden Ehepartnern abstammt, sondern lediglich vom Vater. Wenn das Bundessozialgericht (a. a. O.) für die unterschiedliche Behandlung dieser beiden Personengruppen bei der Finanzierung durch die Krankenkasse hinreichende sachliche Gründe sieht, so gilt dies auch in dem Fall, wenn keine Ehe der Partner vorliegt. Unter diesen Umständen kann die Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm nicht gewonnen werden.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.

Für die Zulassung der Revision liegt keiner der in § 160 SGG genannten Gründe vor, da sich die Antwort eindeutig aus dem Gesetz ergibt, die zugrundeliegende Frage also nicht klärungsbedürftig ist.
Rechtskraft
Aus
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