L 5 RA 18/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 RA 3576/98-2
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 RA 18/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. März 2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin streitet um die Zulassung zur Nachentrichtung von Rentenbeiträgen und die Zahlung einer Altersrente in die USA unter dem Aspekt ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis.

Die Klägerin wurde 1917 unter dem Geburtsnamen S in Polen (W/Regierungsbezirk L, Kreis Lodz) geboren. Sie ist als Angehörige des jüdischen Glaubens Verfolgte des Nationalsozialismus. Ansprüche nach dem Bundesentschädigungsgesetz machte sie nicht geltend.

Im Mai 1940 floh die Klägerin vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach Russland. Sie lebte von Mai 1940 bis März 1946 in Sibirien. Danach hielt sie sich bis 1947 in Breslau auf. Von 1947 bis 1956 lebte sie in Italien und wanderte von dort in die Vereinigten Staaten von Amerika aus, deren Staatsangehörigkeit sie seit 1962 besitzt. Im November 1939 heiratete sie in Lodz ihren im Januar 1992 verstorbenen Ehemann L (bzw. J) K. Im September 1941 brachte sie ihren Sohn A zur Welt.

Am 3. Dezember 1996 - im Alter von 79 Jahren - beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Maßgabe des Zusatzabkommens zum deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommen und die Gewährung einer Altersrente. In diesem Zusammenhang gab sie an, das Gymnasium bis Juli 1933 besucht zu haben, von September 1933 bis September 1935 in einer Bank in W als Praktikantin und von Oktober 1935 bis September 1939 in derselben Bank als Buchhalterin angestellt gewesen zu sein. Hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis machte sie auf einem am 4. April 1997 unterzeichneten Fragebogen folgende Angaben: Sie sei Angehörige des Judentums und habe im Zeitpunkt der nationalsozialistischen Einflussnahme auf ihr Heimatgebiet (18. September 1939) dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört. Vor und nach 1933 habe sie die Sprachen Deutsch und Polnisch in Wort und Schrift beherrscht. Im persönlichen Lebensbereich, in der Familie, und auch außerhalb der Familie habe sie überwiegend die deutsche Sprache benutzt. Im Berufsleben habe sie sich der polnischen und der deutschen Sprache überwiegend bedient. Sie habe nicht überwiegend jiddisch oder hebräisch gesprochen. Deutsche Schulen oder Schulen mit deutscher Unterrichtssprache habe sie nicht besucht. Ihre Eltern hätten deutsch gesprochen. Im Elternhaus sei überwiegend deutsch gesprochen worden. Auch in der Ehe der Klägerin sei überwiegend das Deutsche benutzt worden. In ihrem Elternhaus habe es die Lodzer Volkszeitung gegeben.

Am 12. Juni 1997 unterzog die Klägerin sich einer Sprachprüfung im Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Los Angeles, über die von dem Konsularbeamten F ein Bericht gefertigt wurde. Danach habe die Klägerin erklärt: Die Muttersprache des 1883 in W geborenen Vaters sei Jiddisch und Deutsch gewesen. Zusätzlich habe er Polnisch beherrscht. Er sei Steuerbeamter und Stadtrat gewesen. Im Beruf habe er sich des Polnischen und des Deutschen bedient. Die Muttersprache der ca. 1887 in Lodz geborenen Mutter sei Jiddisch und Polnisch gewesen, zusätzlich habe sie das Deutsche beherrscht. Sie habe über einen höheren Schulabschluss verfügt und sei Ladenbesitzerin gewesen. Im Beruf habe sie sich des Polnischen, des Deutschen und des Jiddischen bedient. Die Umgangssprache im Elternhaus sei Polnisch gewesen. Umgangssprache außerhalb des Elternhauses im persönlichen Bereich sei Polnisch und Deutsch gewesen. Im Elternhaus habe es polnische, deutsche und jiddische Lektüre bzw. Bildungsgut gegeben. In ihrer Kindheit seien ihr von den Eltern polnische und deutsche Bücher geschenkt worden. Als ihre Muttersprache gab die Klägerin gegenüber dem Sprachprüfer Polnisch an. Im privaten Bereich seien Polnisch, Deutsch und Russisch Umgangssprache gewesen. Umgangssprache im Beruf sei Polnisch gewesen. In ihrem Haushalt seien polnische und deutsche Zeitungen gelesen worden. Heute sei ihre Lektüre englisch und italienisch. In der Volksschule (1923 bis 1930) und im Gymnasium (1930 bis 1935) sei jeweils polnisch die Unterrichtssprache gewesen. Im Gymnasium sei außerdem Deutsch als Fach unterrichtet worden. Während ihrer Tätigkeit in der Bank von 1935 bis 1939 habe sie keinen deutschsprachigen Arbeitgeber und keine deutschsprachigen Arbeitskollegen gehabt. Für ihren verstorbenen Ehemann gab die Klägerin als Muttersprache Polnisch an. Zusätzlich habe er die Sprachen Jiddisch und Deutsch gebraucht. Umgangssprache in der Ehe seien Polnisch, Englisch und Deutsch gewesen. Die Muttersprache ihres 1941 geborenen Kindes sei Russisch. Als Umgangssprache bediene es sich des Italienischen. Die "zusammenfassende Bewertung" des Konsulatsbeamten lautet: "Die Antragstellerin spricht ein recht fließendes Deutsch mit leichtem polnischen Akzent und Umstellungen in der Wortfolge. Die Schriftprobe ist, wie üblich, bedeutend schlechter ausgefallen. Es bleibt festzuhalten, dass die Antragstellerin dem deutschen Kulturkreis angehört oder zumindest nahe gestanden haben muss." Wegen der Einzelheiten der Sprachprüfung wird auf Blatt 44 bis 47 der Rentenakte Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 21. Juli 1997 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab, weil die Wartezeit nicht erfüllt sei. Die Nachentrichtung von Beiträgen komme nicht in Betracht, weil die Klägerin am 18. September 1939, dem Zeitpunkt der Erstreckung der nationalsozialistischen Herrschaft auf ihr Heimatgebiet, nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört habe. Hierfür sei ausschlaggebend, dass sie bei ihrer Sprachprüfung am 12. Juni 1997 als Muttersprache Polnisch angegeben habe.

In ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch trug die Klägerin vor, bei der Sprachprüfung möglicherweise verwirrt gewesen zu sein und die Fragen nicht richtig verstanden zu haben. Im Grunde genommen sei das Sprachprüfungsergebnis positiv. Die Angabe des Polnischen als Muttersprache müsse auf einem Missverständnis beruhen.

Im Laufe des Widerspruchsverfahrens legte die Klägerin schriftliche Zeugenerklärungen des 1914 in W geborenen J J und des 1912 in Wgeborenen S T (früher FC) vor. Der Zeuge J erklärte dabei im Wesentlichen, die Klägerin sehr gut aus W zu kennen. Er könne mit Sicherheit bestätigen, dass sie mit 16 Jahren ihr Praktikum bei einer Bank begonnen habe und dort anschließend bis zum Krieg angestellt gewesen sei. Er sei mit ihr, wie auch mit ihrem späteren Ehemann, sehr gut befreundet gewesen, könne sich aber an die Höhe des Gehalts, das ihr gezahlt worden sei, nicht mehr erinnern. Er könne auch bestätigen, dass die Klägerin in der deutschen Sprache erzogen worden sei. Diese Sprache sei die Umgangssprache in ihrem Elternhaus gewesen. Mit ihrem Bräutigam, mit dem sie schon einige Jahre vor dem Krieg verlobt gewesen sei, wie auch in ihrem Freundeskreis habe sie nur deutsch gesprochen. Der Zeuge T erklärte im Wesentlichen, die Klägerin sehr gut aus der Bank in W zu kennen, wo sie seinerzeit als Buchhalterin angestellt gewesen sei. Sie habe diesen Arbeitsplatz ungefähr im Herbst 1933 bekommen, nachdem sie zwei Klassen Gymnasium beendet habe. Zuerst habe sie als Praktikantin, später als Buchhalterin gearbeitet. Sie habe gut verdient. Er habe die Familie S aus W gut gekannt. Mit dem späteren Ehemann der Klägerin sei er befreundet gewesen. Er könne aus eigener Anschauung bestätigen, dass alltäglich im Elternhaus der Klägerin deutsch gesprochen worden sei. Auch untereinander hätten die Klägerin und ihr Ehemann nur deutsch gesprochen. Wegen des Wortlauts der beiden genannten Zeugenaussagen wird auf Blatt 63 und Blatt 64 der Rentenakte Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 9. Juli 1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen die Ablehnung der Zulassung zur Nachentrichtung und der Zahlung einer Rente in die USA zurück. Die Möglichkeit der Nachentrichtung sei der Klägerin verschlossen, weil sie im maßgeblichen Zeitpunkt (1939) nicht dem deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört habe. Ausschlaggebend hierfür seien ihre Angaben in der Sprachprüfung am 12. Juni 1997. Die Angaben der Zeugen Jund T stünden nicht mit den eigenen Angaben der Klägerin in Einklang. Nach Abwägung aller vorliegenden Angaben habe die Klägerin bis September 1939 sicher auch deutsch gesprochen. Die Beherrschung der deutschen Sprache wie eine Muttersprache und ihr überwiegender Gebrauch im persönlichen Bereich sei jedoch nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

Hiergegen hat die Klägerin am 29. Juli 1998 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen: Die Beklagte habe das Ergebnis der schriftlichen Sprachprüfung überbewertet. Immerhin habe die Prüfung ergeben, dass sie ein recht fließendes Deutsch spreche. Sie sei über 80 Jahre alt und habe bei der Prüfung in einem erheblichen Erregungszustand gestanden. Die deutsche Sprache habe für sie seit etwa 60 Jahren weder in Wort noch in Schrift im Vordergrund gestanden. Sie sei fast nicht mehr gebraucht oder auch verdrängt worden. Bei einem derartig langen Zeitraum des Nichtgebrauchs der deutschen Sprache in Wort und Schrift sei es wohl kein Wunder, wenn die Schriftprobe Fehler und Mängel aufweise. Die negative Bewertung der beiden Zeugenaussagen sei "reine Ansichtssache" der Beklagten, die sich nicht mit diesen positiven Aussagen auseinander setze. Sie sei trotz ihres hohen Alters fest entschlossen, nach Deutschland zu reisen und dort über ihre Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis angehört zu werden. Sie denke trotz aller biographischen Umbrüche nach wie vor in der deutschen Sprache und sei sozusagen mit ihr verwachsen.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2000 hat die Beklagte gegenüber dem Sozialgericht erklärt, dass die Zeit vom 1. September 1933 bis zum 30. September 1939 als glaubhaft gemachte Beitragszeit nach § 17 Abs. 1 Buchstabe b FRG anerkannt werden könnte, wenn die Voraussetzungen des § 17 a FRG erfüllt wären; ein überwiegender Gebrauch der deutschen Sprache der Klägerin im persönlichen Bereich sei jedoch bisher nicht ausreichend glaubhaft gemacht.

Das Sozialgericht hat die Vernehmung der Zeugen J und T in Israel angeordnet, welche jedoch daran gescheitert ist, dass der Zeuge J bereits verstorben war und der Zeuge T schwer krank war und unter einer Gedächtnisstörung litt.

Die Klägerin hat außerdem eine schriftliche Zeugenerklärung des 1921 in Wgeborenen D S zu den Akten gereicht, aus der sich im Wesentlichen ergibt: Er bestätige, dass die Klägerin bis September 1939 bei der Bank in Wielun als Buchhalterin beschäftigt gewesen sei. Diese Bank habe hauptsächlich die jüdische Bevölkerung und viele Deutsche bedient. Wahrscheinlich hätten deshalb die in der Bank Angestellten vor allem die deutsche Sprache beherrschen müssen. Er selbst habe dort ein Sparkonto gehabt. Auch sein Vater, der in W ein Wein- und Spirituosengeschäft besessen habe, sei dort Kunde gewesen. Über die Höhe des Gehalts der Klägerin könne er nichts sagen. Wegen der Einzelheiten dieser Zeugenerklärung wird auf Blatt 52 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage nach mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 13. März 2002 abgewiesen. Zur Begründung, wegen deren Einzelheiten auf die Gerichtsakte Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt: Es sei nicht glaubhaft, dass die Klägerin die deutsche Sprache wie eine Muttersprache beherrscht und sie in ihrem persönlichen Lebensbereich überwiegend verwendet habe. Die Kammer sei vielmehr der Überzeugung, dass die Klägerin mit den Sprachen polnisch, jiddisch und deutsch aufgewachsen sei und könne nicht feststellen, dass der Gebrauch des Deutschen im gesamten persönlichen Leben vorgeherrscht habe. Der behaupteten Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis stünden vor allen Dingen die eigenen Erklärungen der Klägerin entgegen. Im Rahmen der Sprachprüfung bei dem Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Los Angeles habe sie angegeben, dass die Muttersprache ihres Vaters Jiddisch und Deutsch und diejenige ihrer Mutter Jiddisch und Polnisch sei, ihre eigene sei indessen die Polnische gewesen, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die deutsche Sprache überwiegend im persönlichen Bereich gebraucht worden sei. Auch sei Polnisch die Umgangssprache im Elternhaus gewesen. Diese bestehenden Widersprüche habe die Klägerin nicht aufgelöst. Insbesondere habe sie nicht dazu Stellung genommen, wie es zu den unterschiedlichen Angaben gekommen sei. Nach Auffassung der Kammer habe außerdem der Besuch von Schulen mit primär polnischer Unterrichtssprache über einen bedeutenden Zeitraum hinweg - 1924 bis 1935 - eine wesentliche Rolle bei ihrer sprachlich-kulturellen Erziehung und Bildung gespielt. Auch habe sie nach ihren eigenen Angaben während ihrer Berufstätigkeit von 1933 bis 1939 weder bei einem deutschsprachigen Arbeitgeber noch mit deutschsprachigen Arbeitskollegen gearbeitet. Es werde nicht in Abrede gestellt, dass die Klägerin, auch noch zur Zeit der Sprachprüfung im Jahre 1997, über deutsche Sprachkenntnisse verfügt habe. Gleichwohl wiesen der von der Klägerin gefertigte Aufsatz und auch das Diktat in einem sehr erheblichen Umfange Fehler auf. Auch der Sprachprüfer habe nicht dahingehend votiert, dass die Klägerin die deutsche Sprache im persönlichen Bereich überwiegend verwandt habe. Die Zeugenaussagen genügten den Anforderungen der Glaubhaftmachung nicht, zumal sie teilweise im Widerspruch zu den Angaben der Klägerin stünden. Vor diesem Hintergrund kämen weder die Nachentrichtung noch die Zahlung einer Rente in Betracht.

Gegen das ihr am 28. März 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 5. April 2002 Berufung eingelegt. Mit ihr verfolgt sie ihr Begehren weiter und vertieft ihren bisherigen Standpunkt. Sie lege größten Wert darauf, zur mündlichen Verhandlung bei dem Landessozialgericht in Berlin anwesend zu sein. Die Einschätzung des Sozialgerichts sei unzutreffend. Es habe übersehen, dass in der Ehe Deutsch als Umgangssprache gesprochen worden sei. Es habe auch übersehen, dass sie, über 80jährig, bei der Prüfung in einem erheblichen Erregungszustand gestanden habe, besonders, nachdem sie beim Vorlegen des Reisepasses gefragt worden sei, ob sie oft Besuche in Amsterdam tätige, um Brillianten zu kaufen. Man frage sich, woher sie ihre einwandfreien deutschen Sprachkenntnisse habe, die auch im Sprachprüfungsprotokoll bestätigt seien, wenn nicht aus dem Elternhaus, wo sie doch keine deutschen Schulen habe besuchen können und seit 40 Jahren in den USA lebe. Von einer einwandfreien Beherrschung der deutschen Rechtschreibung hänge die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis nicht ab. Zur Begründung ihrer Berufung hat die Klägerin außerdem eine eidesstattliche Versicherung vom 2. März 2003 zu den Akten gereicht, wegen deren Inhalt auf Blatt 102 der Gerichtsakte Bezug genommen wird. Darin heißt es im Wesentlichen: Sie und auch ihr Ehemann seien in deutscher Sprache erzogen worden. Ihre Familien seien in W als so genannte "Jekies" (deutsche Juden) weit bekannt gewesen. Jeder aus W könne dies bestätigen. Sie habe sich in ihrem persönlichen Lebensbereich der deutschen Sprache mehr als überwiegend bedient. Mit deutschsprechenden Partnern habe sie nur deutsch gesprochen. Alle ihre Zeugen hätten glaubhaft bestätigt, dass sie in der deutschen Sprache erzogen worden sei, Deutsch die Umgangssprache im Elternhaus und in der Ehe gewesen sei. Über die Atmosphäre bei der Anhörung, nachdem sie als verfolgte Jüdin gefragt worden sei, ob sie oft nach Holland fahre, um Brillianten zu kaufen, habe sie Herrn Rechtsanwalt H benachrichtigt. Weil die Anhörung kurz nach Antragstellung vorgenommen worden sei, müsse die Richtigkeit des Berichts bezweifelt werden. In mehreren bestimmenden Punkten sei er verwirrt. So könne es zum Beispiel doch nicht sein, dass sie seit September 1939 die russische Sprache beherrscht habe oder bei der Zeit der Anhörung die italienische und englische nicht angegeben habe. Es könne auch nicht sein, dass sie als Arbeitgeber "Stary Rynck" (Altmarkt) angegeben habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. März 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Juli 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen gemäß Nr. 8 des Schlussprotokolls zum deutsch-amerikanischen Sozialversicherungsabkommen zuzulassen und ihr nach erfolgter Beitragsentrichtung Regelaltersrente in die USA zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das mit der Berufung angefochtene Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Neue Tatsachen seien nicht vorgetragen. Die widersprüchlichen Angaben im Verwaltungsverfahren sowie im Verfahren vor dem Sozialgericht seien nicht nachvollziehbar erklärt worden.

Der Senat hat die in der mündlichen Verhandlung anwesende Klägerin angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Rentenakte sowie der Gerichtsakte Bezug genommen, der soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das sorgfältig und stichhaltig begründete Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. März 2002 hat die Klage zu Recht abgewiesen. Aus der Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ergibt sich nichts anderes. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung von Rentenbeiträgen bzw. auf Zahlung einer Rente in die USA.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat nach eigener Sachprüfung Bezug auf die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts (§ 153 Abs. 2 SGG).

Ergänzend bleibt auszuführen:

Die Klägerin hat für den entscheidungserheblichen Zeitpunkt im Jahre 1939 ihre Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis, also eine Beherrschung der deutschen Sprache wie eine Muttersprache und ihre überwiegende Verwendung im persönlichen Bereich, nicht glaubhaft gemacht.

Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist, § 4 Abs. 1 Satz 2 FRG. Hieran gemessen spricht mehr gegen als für die Zugehörigkeit der Klägerin zum deutschen Sprach- und Kulturkreis im Jahre 1939. Erster und auch maßgeblicher Anknüpfungspunkt für diese Beurteilung sind Inhalt und Stimmigkeit der eigenen Angaben eines Betroffenen. Hier hat die Klägerin zwar in dem Antragsformular vom 4. April 1997 Angaben zu einem Sprachgebrauch gemacht, der auf ihre Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis schließen lassen könnte. Die Angaben jedoch, die sie am 12. Juni 1997 gegenüber dem Sprachprüfer im Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Los Angeles machte, weichen erheblich von diesen ersten Einlassungen ab und deuten für sich genommen nicht auf eine Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis. Hier hat die Klägerin nämlich laut dem Bericht über die Anhörung als Umgangssprache im Elternhaus und als eigene Muttersprache das Polnische angegeben. Allein diese Angaben lassen eine Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis ausgeschlossen erscheinen. Deshalb ist auch unerheblich, wie einmütig die drei vorhandenen schriftlichen Zeugenaussagen auf einen deutschen Sprachgebrauch im Rahmen der Familie deuten mögen. Denn wenn schon das eigene Vorbringen eines Betroffenen erhebliche und unerklärte Widersprüche aufweist, kommt es auf weitere Zeugenaussagen nicht an. Wenn die Klägerin nun vorträgt, vom Sprachprüfer durch suggestive Fragen zum Brilliantenkauf in Amsterdam gleichsam aus der Fassung gebracht worden zu sein, sieht der Senat hierin keinen Umstand, der entscheidend in der Lage wäre, den Beweiswert des Berichts über den Sprachtest zu beeinträchtigen. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass der betreffende Konsulatsbeamte wissentlich falsche Informationen wiedergeben haben sollte.

Konkrete Angaben zum Ablauf der Sprachprüfung konnte die Klägerin trotz mehrfacher Nachfrage des Senats nicht machen. Gleichzeitig dürfte es unwahrscheinlich sein, sich bei der Angabe seiner Muttersprache zu irren, selbst wenn man sich in nervösem Zustand befindet. Im Übrigen hält der Senat die heute 86jährige Klägerin, die ihm während der mündlichen Verhandlung gegenüber saß und eine lange Reise zur Wahrnehmung des Gerichtstermins auf sich genommen hatte, für relativ belastbar und ausgeglichen, denn sie wirkte im Rahmen ihrer Äußerungen ruhig und nicht aufgeregt.

Der Eindruck, den der Senat vom Sprachvermögen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, spricht im Übrigen dafür, dass der Bericht über die Sprachprüfung in wesentlicher Hinsicht, nämlich im Hinblick auf die Angaben zur Muttersprache der Klägerin und ihren überwiegenden Sprachgebrauch im persönlichen Bereich, zutreffend ist. Die Klägerin hat nämlich nicht den Eindruck hinterlassen, als sei Deutsch ihre Muttersprache. Dabei ist sich der Senat der Tatsache bewusst, wie lange die heute 86jährige Klägerin ihrer angestammten Heimat entwurzelt ist und dass Sprachkenntnisse nach Jahrzehnten verblassen. Das Sprachvermögen der Klägerin, das im Rahmen ihrer Äußerungen zum Ausdruck gekommen ist, war jedoch so schwach, dass der Senat meint, die Klägerin könne Deutsch nur wie eine Fremdsprache erlernt haben. Der Sprachgebrauch der Klägerin war gekennzeichnet von einer teilweise schwer verständlichen Aussprache, von deutlich messbaren sprachlichen Fehlern und von gravierendem Akzent. Umgekehrt konnte die Klägerin Fragen des Gerichts, etwa nach ihren Großeltern, nur mit Mühe und Verzögerung verstehen. All dies gewinnt umso stärkere Bedeutung, als die Klägerin – wie bereits erwähnt – nicht erkennbar nervös oder sonst indisponiert war. Das Sprachvermögen der Klägerin lässt nach dem persönlichen Eindruck, den sie auf den Senat gemacht hat, also lediglich eine Schlussfolgerung auf Mehrsprachigkeit zu, nicht aber eine solche auf Deutsch als Muttersprache.

Nach Aktenlage und persönlichem Eindruck von der Klägerin hält der Senat ihre Angaben zur Dominanz des Deutschen für zielgerichtet. Kennzeichnend sind etwa die widersprüchlichen Einlassungen zu dem Sprachgebrauch während ihrer Ehe. Während sie im Fragebogen vom 4. April 1997 Deutsch noch als in der Ehe überwiegend gesprochene Sprache angegeben hatte, bezeichnete sie in der Sprachprüfung vom 12. Juni 1997 die Sprachen Polnisch, Englisch und Deutsch als Umgangssprachen in der Ehe. Stellt allein dies schon einen Widerspruch dar, wird die Unstimmigkeit noch größer angesichts der Angaben in der Klageschrift vom 23. September 1998, wonach "seit etwa 60 Jahren die deutsche Sprache weder in Wort noch Schrift im Vordergrund gestanden hat". Hieraus kann nur abgeleitet werden, dass Deutsch nicht die dominante Ehesprache war. Der Senat kann seinerseits nicht glauben, dass Deutsch die gemeinsame Ehesprache war, weil nicht vorstellbar erscheint, dass die Klägerin mit ihrem 1992 verstorbenen Ehemann dauerhaft in so geringer sprachlicher Kompetenz kommunizierte. Dies entwertet wiederum die Glaubhaftigkeit der Angaben im Fragebogen vom 4. April 1997 insgesamt, wie auch die Behauptung der Klägerin in der Klageschrift dass sie "nach wie vor in der deutschen Sprache denke und sozusagen mit ihr verwachsen sei", weil dann auch ihre derzeitige mündliche Ausdrucksfähigkeit erheblich besser sein müsste.

Zusammenfassend hält der Senat die Angaben der Klägerin zur Dominanz des Deutschen für nicht glaubhaft. Abgesehen von den bisherigen Ausführungen spricht hierfür auch der von der Klägerin eingereichte Briefwechsel mit ihrer deutschen Freundin , die am 8. Oktober 2003 bemerkte: "Ich habe jetzt mal in Deutsch geschrieben, ich hoffe, dass Du alles lesen kannst, Du hast das toll gemacht in Deinem Brief." Hieraus lässt sich nur ableiten, dass Deutsch, anders als von der Klägerin behauptet, nicht die übliche Umgangssprache zwischen den Freundinnen bildet. Schließlich hält der Senat die Angaben der Klägerin zum Gewicht der polnischen Sprache in ihrem Elternhaus für untertrieben. So hat die Klägerin etwa angegeben, ihr Vater sei Steuerbeamter und Stadtrat gewesen; die in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, er habe nur gebrochen Polnisch gesprochen, ist mit dieser beruflichen Stellung nicht in Einklang zu bringen.

Der Berufung war danach der Erfolg versagt. Der Senat musste sich nicht gedrängt fühlen, die Freundin der Klägerin als Zeugin zu vernehmen, denn diese kennt die Klägerin erst seit 1981, kann also zu ihrem Sprachverhalten in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt 1939 keine Angaben aus eigenem Wissen machen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache. Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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