L 4 KR 39/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 7 KR 97/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 KR 39/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 02. August 2001 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Versorgung mit einer Oberschenkelprothese in Modulartechnik mit C-Leg-Gelenk.

Die im ... 1951 geborene Klägerin, die bei der Beklagten krankenversichert ist, ist Rechtspflegerin und stellvertretende Geschäftsleiterin des A ... P. Sie ist infolge eines 1972 erlittenen Verkehrsunfalls rechts beinamputiert. Die Beklagte hat sie zuletzt im Oktober 1992 mit einer Oberschenkelprothese versorgt, an der 1997 und 1999 Reparaturen vorgenommen wurden; 1999 wurde außerdem ein 3-C/1-Kniegelenk eingesetzt. Im Oktober 2001 wurde ein Oberschaft verordnet. Im Oktober 2003 wurde, nachdem die Prothese am Kniegelenk und am Fuß weggebrochen war, eine Notreparatur durchgeführt.

Im September 1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Versorgung mit der o. g. Oberschenkelprothese. Sie fügte die Verordnung der Fachärztin für Allgemeinmedizin S. vom 12. August 1999 und den Kostenvoranschlag des Sanitätshauses K. GmbH vom 10. September 1999 über einen Betrag von 43.087,84 DM bei.

Nachdem die Beklagte das Gutachten des Arztes D. des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MdK) vom 03. November 1999 eingeholt hatte, lehnte sie mit Bescheid vom 25. Januar 2000 die beantragte Versorgung ab. Die C-Leg-Oberschenkelprothese sei als Hilfsmittel bisher noch nicht zugelassen. Außerdem sei die bisherige Prothese ausreichend.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Abnutzung ihres (gesunden) linken Kniegelenkes sei fortgeschritten. Sie müsse nach 100 m Gehen Erholungsphasen einlegen. Es bestünden außerdem erhebliche Druckstellen, so dass eine Neuanpassung der Prothese nötig sei. Im Beruf sei sie auf Beweglichkeit angewiesen. Ihr privates Umfeld mit sportlichen Aktivitäten und Gartenarbeit sei nicht berücksichtigt worden. Mit der beantragten Oberschenkelprothese werde ihr Freiraum nicht nur unerheblich erweitert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da die bisherige Prothese ausreichend sei.

Dagegen hat die Klägerin am 07. Juli 2000 beim Sozialgericht Potsdam Klage erhoben und vorgetragen:

Die bisherige Prothese reiche für ihre Pflichten im Arbeitsleben nicht aus. Auf Teppichboden werde zwar eine vertretbare Gangart erreicht. Ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen, wie z. B. der Teilnahme an einem Betriebsausflug, könne sie nicht nachkommen. Sie müsse sich auch ständig auf die Prothese konzentrieren, um Stürze zu vermeiden.

Das Sozialgericht hat die Befundberichte der Fachärztin für Orthopädie Dr. E. vom 17. Dezember 2000, der Fachärztin für Innere Medizin U. vom 21. Dezember 2000 und der Fachärztin für Allgemeinmedizin S. vom 09. Januar 2001 eingeholt. Die Klägerin hat verschiedene Aufsätze zur Oberschenkelprothese mit C-Leg-Kniegelenk eingereicht.

Mit Urteil vom 02. August 2001 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt, der Klägerin eine Kostenübernahmeerklärung für die unter dem 12. August 1999 ärztlich verordnete Prothese in Modulartechnik mit C-Leg zu erteilen: Die Klägerin sei Anfang 50 und stehe trotz ihrer Behinderung im beruflichen Leben. Nach den vorliegenden ärztlichen Einschätzungen ermögliche das C-Leg-System, auf wechselseitige Belastungen, Richtungs- und Tempoänderungen sehr zeitnah aktiv zu reagieren. Daraus ergäben sich Vorteile einer erhöhten Standsicherheit, Flexions- und Extensionsdämpfung. Es seien sogar Anpassungen an die Erfordernisse des nächsten Schrittes in einem gewissen Maße möglich. Es werde durch die elektronisch gesteuerte Einrichtung eine bisher durch andere Prothesenversorgungen unerreichte Sicherheit, ein flüssige Gangbild und Energieeinsparung erzielt. Darüber hinaus würden Fehlbelastungen der Gelenke gegenüber den herkömmlichen Prothesen vermieden und die bekannten Spätschäden des Bewegungsapparates voraussichtlich zurückgedrängt werden. Durch die in sehr hohem Maße gegebene Standsicherheit, unabhängig von der willentlichen Stumpfsteuerung, könne auch davon ausgegangen werden, dass die Unfallgefahr wie z. B. Sturz auf unebenem Boden oder bei unverhofften motorischen Aktionen erheblich vermindert werde. Mit der neuen Prothese werde die Lebensqualität der Klägerin weit erhöht. Es sei zu berücksichtigen, dass sie aktiv im Berufsleben stehe und gesellschaftlich aktiv sei. Der Versorgung stehe auch nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot entgegen. Zu bedenken sei, dass grundsätzlich alle vier Jahre Anspruch auf eine neue Prothesenversorgung bestehe. Eine herkömmliche Prothese koste durchschnittlich 15.000 DM. Die letzte Prothese sei 1992 verordnet worden, so dass die Prothesenversorgung nunmehr in Betracht komme.

Gegen das ihr am 15. August 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. September 2001 eingelegte Berufung der Beklagten.

Die gesetzliche Krankenversicherung habe lediglich die Versorgung im Bereich der Grundbedürfnisse, hier der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraumes durch die Möglichkeit des Gehens und Stehens, zu gewährleisten. Eine Gleichstellung mit nichtbehinderten Fußgängern komme daher nicht in Betracht. Ebenso wenig seien die Erhöhung der Lebensqualität oder die beruflichen Aktivitäten für die Leistungspflicht der Krankenversicherung von Bedeutung. Die Klägerin sei ausreichend versorgt. Das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 06. Juni 2002 (B 3 KR 68/01 R) zur Oberschenkelprothese mit C-Leg-Kniegelenk bestätige diese Auffassung. Nur bei besonderen Bedürfnissen, wie in jenem Fall bei einer Mutter mit Erziehungsaufgaben, kämen die insoweit für die Leistungsgewährung erforderlichen erheblichen Gebrauchsvorteile zum Tragen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 02. August 2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ein Basisausgleich reiche nicht aus, da sie im Berufsleben stehe. Sie leide bereits nachweislich an Spätschäden. Das genannte Urteil des BSG habe über den entschiedenen Einzelfall hinaus Bedeutung. So habe das BSG insbesondere auch auf die Verringerung der Sturzgefahr hingewiesen.

Der Senat hat den Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin S. vom 07. Januar 2002 eingeholt. Er hat außerdem Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Fachärztin für Allgemeinmedizin S. und der Fachärztin für Orthopädie Dr. E. als Zeugen.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird u. a. auf die Anlagen 1 zu den Sitzungsniederschriften vom 06. März 2002 und 14. Mai 2003 verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ( ...), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt. Der Bescheid vom 25. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2000 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Sie hat Anspruch auf Versorgung mit der Oberschenkelprothese in Modulartechnik mit C-Leg-Kniegelenk.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52 SGB V). Ein Anspruch auf Krankenbehandlung nach § 27 Abs. 1 SGB V besteht, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u. a. die Versorgung mit Hilfsmitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V).

Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 34 Abs. 4 Satz 1 SGB V kann das Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Heil- und Hilfsmittel von geringem oder umstrittenen therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis bestimmen, deren Kosten die Krankenkasse nicht übernimmt.

Das begehrte Hilfsmittel kommt vorliegend in Betracht, um eine Behinderung auszugleichen.

Eine Behinderung liegt vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Eine Behinderung droht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist (vgl. § 2 Abs. 1 SGB IX).

Bei dem Zustand nach Oberschenkelamputation rechts handelt es sich um eine bestehende Behinderung, denn er ist nicht alterstypisch und beeinträchtigt das Leben in der Gesellschaft.

Ziel der Versorgung behinderter Menschen mit Hilfsmitteln ist die Förderung ihrer Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (§ 1 Satz 1 SGB IX). Im Rahmen dieser für alle behinderten Menschen geltenden Bestimmungen ist die gesetzliche Krankenversicherung allerdings nur innerhalb ihres Aufgabengebietes - Krankenhilfe und medizinische Rehabilitation - und unter ihren besonderen Voraussetzungen (§ 7 SGB IX) zur Gewährung von Hilfsmitteln verpflichtet. Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Versorgung mit Hilfsmitteln nur insoweit, als sie der Sicherstellung eines allgemeinen Grundbedürfnisses dienen (vgl. BSG Urteil vom 06. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 44). Dazu gehören zum einen die körperlichen Grundfunktionen (Gehen, Stehen, Treppensteigen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnahme, Ausscheidung) und zum anderen die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen sowie die dazu erforderliche Erschließung eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, der auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen zur Vermeidung von Vereinsamung sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grundwissens (Schulwissens) umfasst (BSG Urteil vom 16. September 1999 - B 3 KR 8/98 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 31). Das Grundbedürfnis der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraumes ist hierbei nur als Basisausgleich zu verstehen und bedeutet nicht die vollständige Gleichstellung mit den letztlich unbegrenzten Mobilitätsmöglichkeiten eines Gesunden. Soweit das allgemeine Grundbedürfnis, selbständig zu gehen, betroffen ist, fallen darunter nur diejenigen Entfernungen, die ein Gesunder üblicherweise zu Fuß zurücklegt. Allerdings ist hierbei nicht auf Wegstrecken jeder Art und Länge abzustellen, die ein Nichtbehinderter bei normalem Gehen zu Fuß noch bewältigen kann. Zu den vitalen Lebensbedürfnissen im Bereich des Gehens gehört vielmehr nur die Fähigkeit, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die - üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Besonderheiten des Wohnortes, die ggf. das Zurücklegen weiterer Strecken oder besonderer Strecken erfordern, sind nicht maßgeblich. Zum Grundbedürfnis des Gehens gehören daher nicht das Zurücklegen längerer Wegstrecken vergleichbar einem Radfahrer, Jogger oder Wanderer bzw. zur Unternehmung von Ausflügen in die Umgebung. Sportliche Betätigung im Freizeitbereich gehört ebenso wie das Laufen bzw. Rennen nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen bei Erwachsenen (BSG Urteil vom 16. September 1999 - B 3 KR 8/98 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 31).

Soweit die Klägerin daher vorträgt, das begehrte Hilfsmittel werde aus beruflichen Gründen und wegen ihrer vielfältigen Freizeitaktivitäten benötigt, handelt es sich um Gesichtspunkte, die im Rahmen der Versorgung durch die Krankenversicherung rechtlich ohne Belang sind.

Das begehrte Hilfsmittel ist allerdings geeignet, einen entsprechenden Ausgleich hinsichtlich des selbständigen Gehens und Stehens im Rahmen des Grundbedürfnisses zu bewirken.

Der hier vorliegenden ärztlichen Verordnung der Fachärztin für Allgemeinmedizin S. vom 12. August 1999 über die Versorgung mit der begehrten Prothese kommt jedoch für sich noch keine die Leistungsverpflichtung der Beklagten verbindlich regelnde Wirkung zu. Dies folgt zum einen daraus, dass nach § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V die Krankenkassen unwirtschaftliche Leistungen nicht bewilligen dürfen und nach § 275 Abs. 3 Nr. 2 SGB V die Krankenkassen vor Bewilligung eines Hilfsmittels in geeigneten Fällen durch den Medizinischen Dienst prüfen lassen können, ob das Hilfsmittel erforderlich ist. Hiermit steht zum anderen in Einklang, dass nach den die Verordnungstätigkeit regelnden Bundesmantelverträgen (§ 30 Abs. 8 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte; BMV-Ä; § 16 Abs. 8 Satz 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen; EKV-Ä) die Abgabe von Hilfsmitteln einer Genehmigung durch die Krankenkasse bedarf, soweit in ihren Bestimmungen nichts anderes vorgesehen ist (BSG Urteil vom 29. September 1997 - 8 RKn 27/96 in SozR 3-2500 § 33 Nr. 25; Urteil vom 16. September 1999 - B 3 KR 8/98 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 31).

Der Versorgung der Klägerin mit dem begehrten Hilfsmittel steht nicht das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V entgegen.

Nach dieser Vorschrift müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Notwendig in diesem Sinne ist ein Hilfsmittel, wenn der Behinderungsausgleich im Rahmen der o. g. allgemeinen Grundbedürfnisse nicht in gleichem Umfang mit einem kostengünstigeren und zumindest gleich geeigneten Hilfsmittel erreicht werden kann. Außerdem dürfen Kosten und Nutzen des Hilfsmittels nicht außerhalb jeden Verhältnisses stehen (BSG Urteil vom 29. September 1997 - 8 RKn 27/96 in SozR 3-2500 § 33 Nr. 25).

Geht es um den Ersatz eines noch voll funktionstüchtigen Hilfsmittels durch ein technisch verbessertes Gerät mit Gebrauchsvorteilen gegenüber dem bisherigen Hilfsmittel, so reicht es nicht aus, wenn die Verbesserung sich nur in einzelnen Lebensbereichen auswirkt, die nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen zählen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot schließt darüber hinaus eine Leistungspflicht der Krankenversicherung für solche Innovationen aus, die nicht die Funktionalität, sondern in erster Linie Bequemlichkeit und Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels betreffen. Speziellen Wünschen des Behinderten trägt nunmehr § 31 Abs. 3 SGB IX Rechnung, wonach Leistungsempfänger, die ein geeignetes Hilfsmittel in einer aufwendigeren Ausführung als notwendig wählen, die Mehrkosten selbst tragen (BSG Urteil vom 06. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 44).

Wie das BSG in letztgenannter Entscheidung ausgeführt hat, werden die Gebrauchsvorteile der Oberschenkelprothese mit C-Leg-Kniegelenk gegenüber einer herkömmlichen Prothese von den genannten Einschränkungen nicht erfasst. Sie sind weder auf spezielle Lebensbereiche begrenzt, noch erschöpfen sie sich in der Bequemlichkeit oder im Komfort der Nutzung. Der Einsatz der Beine zum Gehen, Laufen und Stehen ist jederzeit und überall erforderlich und damit ein Grundbedürfnis, das diese Prothese nach dem gegenwärtigen Stand der Technik soweit wie möglich deckt. Der Gebrauchsvorteil hängt allerdings maßgebend von den körperlichen und geistigen Voraussetzungen des Prothesenträgers und seiner persönlichen Lebensgestaltung ab. Nicht jeder Betroffene ist in der Lage, die Gebrauchsvorteile zu nutzen. In diesem Fall fehlt es an der Erforderlichkeit dieses speziellen Hilfsmittels. Die Versorgung mit der genannten Prothese kann daher nur derjenige beanspruchen, der im Alltagsleben dadurch deutliche Gebrauchsvorteile hat.

Die Klägerin erfüllt nicht nur die körperlichen und geistigen Voraussetzungen für die begehrte Prothese. Die Prothese bewirkt auch einen erheblichen Gebrauchsvorteil in ihrem Lebensalltag.

Nach dem MDK-Gutachten des Arztes D. vom 03. November 1999 bestehen zwar für den Gebrauch der C-Leg-Systeme medizinische Kontraindikationen, so bei der Erstversorgung oder der Versorgung einer Knieexartikulation, bei Versicherten, die über 100 kg schwer oder die so klein sind, dass die Pendelphase nicht exakt eingestellt werden kann. Diese Einschränkungen liegen bei der 50 kg schweren und 149 cm großen Klägerin nach der Beurteilung dieses Arztes jedoch nicht vor.

Das Sozialgericht hat zutreffend die allgemeinen Verbesserungen der begehrten Prothese gegenüber einer herkömmlichen Prothese dargestellt. Die entsprechenden Erkenntnisse hat es vornehmlich dem MDK-Gutachten des Arztes D. entnommen.

Auch die behandelnden Ärzte S. und Dr. E. haben insbesondere bei ihrer Vernehmung auf die verbesserte Standfestigkeit und das verbesserte Gangbild hingewiesen. So bewirkt insbesondere der gleichmäßigere Gang eine gleichmäßigere Muskelbeanspruchung, wodurch eine Hohlkreuzbildung mit Muskeldysbalance und daraus resultierenden Schmerzen vermieden werden kann.

Die von der Klägerin vorgelegten Aufsätze zum C-Leg bestätigen diese Vorteile. Nach Kastner in Medizinische orthopädische Technik 119 (1999) 131 bis 137 sind die Vorteile im Schwungverhalten und die Reduktion der am Stumpf auftretenden Kräfte augenscheinlich. Für den Amputierten bedeutet dies eine harmonische Gehbewegung über einen größeren Geschwindigkeitsbereich. Nach Stinus in der Zeitschrift für Orthopädie 2000, 278 bis 282 ist es mit dieser Prothese erstmalig gelungen, nicht nur die Schwungphase gangabhängig zu steuern, sondern auch die Sicherheit während der Standphase elektronisch zu gewährleisten. Nach Dietl in Orthopädietechnik 3/98 bestehen die Vorteile des neuen Systems in der Reduzierung des Aufwandes des Patienten für die Stabilisierung der Standphase. Die Standphasenflexion ist möglich. Die Schwungphaseneinleitung wird erleichtert, wobei es zu einer Reduktion des Energieaufwandes kommt. Die Schwungphase folgt einem dynamischen Modell des gesunden Beines, wodurch bei Reduzierung der nötigen Ausgleichsaktivitäten ein harmonisches und symmetrisches Gangbild ermöglicht wird. Außerdem wird das Rampengehen und Treppabgehen erleichtert.

Ob das C-Leg zu weniger Verschleiß des gesunden Kniegelenkes führt, lässt der Senat dahinstehen, da es hierfür wegen der noch nicht längeren Anwendung dieses Prothesensystems wohl noch keine gesicherten Erkenntnisse geben dürfte. Darauf kommt es auch nicht an. Ebenso wenig ist wesentlich, dass bei der Klägerin bedeutende gesundheitliche Probleme durch die Nutzung der bisherigen Prothesen nicht aufgetreten sind. Nach dem Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin S. vom 07. Januar 2002 wurde die Klägerin lediglich im November und Dezember 1997 und im November 2001 wegen eines Ekzems im Stumpfbereich behandelt. Wesentliche Beeinträchtigungen am linken Kniegelenk sind ebenfalls nicht nachgewiesen. Im Befundbericht vom 17. Dezember 2000 hat die Fachärztin für Orthopädie Dr. E. eine Erkrankung dieses Gelenkes nicht mitgeteilt. Lediglich röntgenologisch habe sich eine initiale Gonarthrose links dargestellt, die auch weiterhin nur dezent ist (so ihre Aussage am 14. Mai 2003).

Das BSG hat im Urteil vom 06. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 44 bezogen auf die erheblichen Gebrauchsvorteile ausgeführt: Von Gewicht sei insbesondere die generell deutlich verminderte Sturzgefahr, die für die (dortige) Klägerin im Umgang mit ihren kleinen Kindern erhebliche Bedeutung habe, ferner Verbesserungen des Bewegungsablaufes auf unebenem Gelände sowie beim Berg- und Treppabgehen. Es könne nicht darauf verwiesen werden, durch entsprechende Vorsicht Stürze beim Gehen zu vermeiden. Es möge auch zutreffen, dass die zusätzliche Standsicherheit zum Teil durch eine größere Vorsicht kompensiert werden könne. Dies sei aber dann nicht der Fall, wenn die eigene Sicherheit zurücktreten müsse, weil andere Gefahren abzuwenden seien, etwa bei der Beaufsichtigung der Kinder oder wenn eine größere Gefahr als die eines Sturzes rasches Laufen erfordere. Während bei der Beaufsichtigung von Kindern derartige Situationen nicht selten aufträten, mögen andere Gefahrenlagen eher selten sein, dafür aber um so gravierender. In allen diesen Fällen wirke sich der Sicherheitsvorteil der Prothese aus.

Diese Ausführungen lassen durchaus, wie die Klägerin meint, die Schlussfolgerung zu, dass auch eher seltene andere Gefahrenlagen den erheblichen Gebrauchsvorteil deswegen begründen können, weil solche Gefahrenlagen um so gravierender sind. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang durchaus an die Gefährdungen im Straßenverkehr durch unachtsames oder rücksichtloses Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer oder an fahrlässig im Haushalt selbst herbeigeführte Gefahren, die bei Erkennen sofortiges Einschreiten erfordern (so beim Umgang mit Hausgehaltsgeräten wie Gas- und Elektroherden, Waschmaschinen etc). Von solchen Gefahren ist auch die Klägerin betroffen, da sie nach ihrer persönlichen Lebensgestaltung ihre Wohnung verlässt und zudem auch als Hausfrau tätig wird. Daher könnte der Gebrauchsvorteil, den die Klägerin durch das begehrte Hilfsmittel zur Abwendung der genannten Gefahren hat, erheblich sein.

Ob dies jedoch ausreichend ist, um die Notwendigkeit der Prothese mit C-Leg-Kniegelenk zu bejahen, kann vorliegend dahinstehen. In der Person der Klägerin selbst liegt ein Umstand vor, der den erheblichen Gebrauchsvorteil begründet. Wie die Ärztin für Allgemeinmedizin S. bei ihrer Vernehmung ausgeführt hat, hat die Klägerin infolge der geringen Körpergröße ohne die Schwungphasensteuerung des C-Leg-Systems Probleme beim Einstieg in die Straßenbahn, das heißt beim Auf- und Abgehen der Stufe (n), und beim Sitzen auf einem normalen Stuhl. Diese Probleme berührten auch den häuslichen Bereich, wie die Fachärztin für Orthopädie Dr. E. bei ihrer Vernehmung ausgeführt hat, nämlich beim Ein- und Aussteigen in Duschwannen. Insofern ist die Klägerin aufgrund ihrer Körpergröße gegenüber anderen Beinamputierten in besonderem Maße beim Gehen und Sitzen bzw. Aufstehen und Hinsetzen betroffen, so dass sie gerade durch die Schwungphasensteuerung des C-Leg-Systems besondere Gebrauchsvorteile erlangt.

Schließlich kommt hinzu, dass die Klägerin - im Unterschied zu jener Klägerin in dem vom BSG mit Urteil vom 06. Juni 2002 entschiedenen Verfahren - nicht über eine noch funktionstüchtige Oberschenkelprothese verfügt. Ihre Prothese ist zwischenzeitlich über 11 Jahre alt, bereits mehrfach repariert und im Oktober 2003 nur noch durch eine Notreparatur wieder hergestellt worden, so dass ohnehin eine neue Versorgung ansteht.

Die Beklagte kann sich auch nicht auf erhebliche Mehrkosten berufen. Im Urteil vom 06. Juni 2002 hat das BSG ohnehin klargestellt, dass es mit der "begründbaren Relation zwischen den Kosten und dem Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels" (bzw. des "außerhalb jeden Verhältnisses stehend"; Urteil vom 29. September 1997 - 8 RKn 27/96) eine zusätzliche Kosten-Nutzen-Erwägung nicht hat anstellen wollen. Vorliegend ist es nicht nur so, dass sich die Funktionsvorteile lediglich am Rande des Alltagslebens der Klägerin abspielen. Die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel bei einer ohnehin anstehenden Versorgung verursacht gegenüber einer Versorgung neben einem noch voll funktionstüchtigen Hilfsmittel keine Mehrkosten, die außerhalb jedem Verhältnisses stehen.

Bei der Prothese mit C-Leg-Gelenk handelt es sich auch nicht um einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, denn Prothesen werden generell nur für die speziellen Bedürfnisse behinderter Menschen entwickelt und hergestellt und ausschließlich von diesem Personenkreis benutzt.

Eine Versorgung mit der begehrten Oberschenkelprothese ist ebenfalls nicht durch § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen. Die nach dieser Vorschrift erlassene Verordnung über Hilfsmittel von geringem therapeutischen Nutzen oder geringem Abgabepreis in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 13. Dezember 1989 (BGBl I S. 2237), zuletzt geändert durch Verordnung vom 17. Januar 1995 (BGBl I S. 44) führt diese Oberschenkelprothese nicht auf.

Sie wird zwar auch in dem nach § 128 SGB V von den Spitzenverbänden der Krankenkassen erstellten Hilfsmittelverzeichnis nicht genannt. Nach dieser Vorschrift erstellen die Spitzenverbände der Krankenkassen gemeinsam ein Hilfsmittelverzeichnis. In dem Verzeichnis sind die von der Leistungspflicht umfassten Hilfsmittel aufzuführen und die dafür vorgesehenen Festbeträge oder vereinbarten Preise anzugeben. Das Hilfsmittelverzeichnis ist regelmäßig fortzuschreiben. Vor Erstellung und Fortschreibung des Verzeichnisses ist den Spitzenorganisationen der betroffenen Leistungserbringer und Hilfsmittelhersteller Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; die Stellungnahmen sind in die Entscheidung einzubeziehen. Das Hilfsmittelverzeichnis ist im Bundesanzeiger bekannt zu machen.

Aus dieser Regelung folgt jedoch nicht die Aufgabe des Hilfsmittelverzeichnisses, abschließend darüber zu befinden, welche Hilfsmittel der Versicherte im Rahmen der Krankenbehandlung beanspruchen kann; es handelt sich vielmehr um eine Auslegungshilfe, die für die Gerichte nicht verbindlich ist. Das Hilfsmittelverzeichnis ist eine bloße Verwaltungsvorschrift zu der gesetzlichen Anspruchsnorm des § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V. Es ist daher nur beachtlich, wenn es mit dieser in Einklang steht. Nichts anderes ergibt sich für die Gerichte aus den auf der Ermächtigung in § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V beruhenden Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittelrichtlinie) in der Fassung vom 17. Juni 1992 (Beilage zum Bundesanzeiger 1992 Nr. 183) zuletzt geändert am 06. Februar 2001 (Bundesanzeiger 2001 Nr. 102). Nach deren Nr. 8 können Hilfsmittel zu Lasten der Krankenkassen nur verordnet werden, sofern sie von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst und im Hilfsmittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen aufgeführt sind. Daraus folgt jedoch keine Auswirkung auf den Leistungsanspruch des Versicherten gegen den Krankenversicherungsträger, denn die ärztliche Verordnung ist nicht Voraussetzung für die Versorgung mit einem Hilfsmittel. Der Arztvorbehalt des § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V gilt, auch wenn nach § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V die vertragsärztliche Versorgung auch die Verordnung u. a. von Hilfsmitteln umfasst, nach § 15 Abs. 3 SGB V nicht. Nach letztgenannter Vorschrift stellt die Krankenkasse für die Inanspruchnahme anderer Leistungen (außer Hilfeleistungen anderer Personen; § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V) den Versicherten Berechtigungsscheine aus, soweit es zweckmäßig ist. Dem steht nicht entgegen, dass eine solche Verordnung auch durch den Vertragsarzt nach § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V erfolgen kann (vgl. BSG Urteil vom 29. September 1997 - 8 RKn 27/96 in SozR 3-2500 § 33 Nr. 25 und Urteil vom 06. Juni 2002 - B 3 KR 68/01 R in SozR 3-2500 § 33 Nr. 44).

Die Berufung der Beklagten muss somit erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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