L 6 RA 46/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 RA 5673/00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 RA 46/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juni 2001 wird insoweit aufgehoben, als eine Erziehungsrente und eine Unterhaltsrente abgelehnt wird. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung ihres 1970 verstorbenen geschiedenen Ehemannes G T (Versicherter).

Die 1929 geborene Klägerin war und ist im Beitrittsgebiet wohnhaft. Ihre 1951 im Beitrittsgebiet geschlossene Ehe mit dem ebenfalls im Beitrittsgebiet wohnhaft gewesenen Versicherten wurde durch rechtskräftiges Urteil des Stadtbezirksgerichts Treptow vom 12. August 1966 nach dem Recht der DDR geschieden. Das Erziehungsrecht für die aus der Ehe hervorgegangene Tochter S (geboren 1952) wurde der Klägerin zugesprochen; der Versicherte wurde allein zu Unterhaltszahlungen für die Tochter Stephanie verurteilt. Eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Klägerin wurde auch später weder gerichtlich festgesetzt noch vertraglich vereinbart. Die Klägerin war vor, während und nach der Scheidung berufstätig. Eine neue Ehe ging die Klägerin - ebenso wie der Versicherte, der auch noch zuletzt im Beitrittsgebiet als Lehrer sozialversicherungspflichtig tätig war - nicht mehr ein. Sie bezieht derzeit eine Altersrente aus eigener Versicherung, deren Bruttobetrag sich auf der Basis von 38,4778 persönlichen Entgeltpunkten (Ost) zum 1. Juli 2000 auf 1.612,25 DM belief.

Ihren im Juni 2000 gestellten Antrag, ihr aus Anlass des Todes des Versicherten, eine Witwenrente aus dessen Versicherung zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. August 2000 unter Hinweis darauf ab, dass die den Anspruch auf eine Witwenrente nach dem geschiedenen Ehemann regelnde Vorschrift des § 243 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) in ihrem Falle gemäß § 243 a SGB VI keine Anwendung finde, weil sich ihr Unterhaltsanspruch nach dem Recht bestimme, das im Beitrittsgebiet gegolten habe. Widerspruch und Klage sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 28. November 2000; Urteil des Sozialgerichts -SG- Berlin vom 12. Juni 2001). Das SG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der angefochtene Bescheid vom 3. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2000 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Ihr stehe aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf eine (Geschiedenen-)Witwenrente zu. § 243 SGB VI greife zu ihren Gunsten nicht ein. Andere Anspruchsgrundlagen, nach denen sie einen Anspruch aus der Versicherung ihres geschiedenen, verstorbenen Ehemannes haben könnte, seien nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen für eine Erziehungsrente gemäß §§ 243 a Satz 2, 47 SGB VI gegeben seien, seien nicht erkennbar. Gleiches gelte hinsichtlich eines Anspruchs nach Artikel 2 § 14 des Rentenüberleitungsgesetz (RÜG). Unabhängig davon, ob die Klägerin zu dem nach dem Gesetz anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre (vgl. Artikel 2 § 1 RÜG), erfülle sie auch nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des Artikel 2 § 14 RÜG, weil sie zu keinem Zeitpunkt einen gegen ihren geschiedenen Ehemann gerichteten - gerichtlichen - Unterhaltstitel erlangt habe. Schließlich habe sie auch keinen Anspruch auf die Gewährung einer Witwenrente nach § 243 SGB VI. Denn die Anwendung dieser Vorschrift werde durch § 243 a SGB VI ausgeschlossen. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 21. Juni 1995 (5 RJ 60/94, SozR 3-2600 § 243 a Nr. 1) zutreffend ausgeführt habe, sei für die Anwendung dieser Vorschrift allein ausschlaggebend, dass sich der Anspruch der Klägerin gegen den Versicherten nach dem Recht des Beitrittsgebiets gerichtet habe. Unerheblich sei insoweit, ob nach dem Recht des Beitrittsgebiets tatsächlich ein Unterhaltsanspruch bestanden habe, oder ob vom geschiedenen Ehegatten tatsächlich Unterhalt geleistet worden sei. Dies habe der Gesetzgeber bewusst so entschieden. Hierdurch würden Zufallsergebnisse vermieden, zu denen es ohne den Ausschluss kommen würde, weil nach dem Recht des Beitrittsgebiets in nur wenigen Ausnahmefällen Unterhaltsansprüche vorgesehen gewesen seien. § 243 a SGB VI verstoße auch nicht gegen Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), wie das BSG in seinem Urteil vom 29. August 1996 (4 RA 73/95, unveröffentlicht) entschieden habe. Danach sei die unterschiedliche Behandlung der vor dem 1. Juli 1977 geschiedenen Hinterbliebenen, auf die § 243 SGB VI Anwendung findet, einerseits und des von § 243 a SGB VI erfassten Personenkreises andererseits wegen der unterschiedlichen Entwicklung des Scheidungs- und Scheidungsfolgenrechts der DDR und der Bundesrepublik Deutschland gerechtfertigt.

Während des Berufungsverfahrens hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) durch Beschluss vom 2. Juni 2003 (1 BvR 789/96, NJ 2003, 551 - 533) eine Verfassungsbeschwerde mit der Begründung nicht zur Entscheidung angenommen, der Ausschluss der Gewährung von (Geschiedenen-) Witwenrente der in der DDR Geschiedenen gemäß § 243 a SGB VI sei mit Artikel 3 Abs. 1 GG vereinbar.

Die Klägerin hält in Kenntnis dieser Entscheidung an ihrem Begehren fest und sieht dieses als noch nicht endgültig gescheitert an. Es sei noch eine Klage des Vereins der in der DDR geschiedenen Frauen, dessen Mitglied sie sei, anhängig. Dieser Verein erwäge außerdem den Europäischen Gerichtshof zu bemühen. Außerdem habe sie sich an den Präsidenten des Deutschen Bundestages mit einer Eingabe gewandt, die an den Petitionsausschuss weitergeleitet worden sei. Von diesem habe sie Unterlagen erhalten, denen sie entnehme, dass "das Verfahren zur Regelung dieser Angelegenheit noch nicht endgültig abgeschlossen" sei. Sie bitte das Ruhen des Verfahrens "bis zur gesetzlichen, sozialrechtlichen Entscheidung" anzuordnen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juni 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 3. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. November 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem frühest möglichen Zeitpunkt eine Witwenrente aus der Versicherung ihres geschiedenen verstorbenen Ehemanns G T zu gewähren, hilfsweise, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet, soweit sie einen Anspruch auf die Gewährung einer Witwenrente geltend macht. Hingegen ist das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als das SG auch einen Anspruch auf Erziehungsrente nach § 46 SGB VI und auf Unterhaltsrente nach Artikel 2 § 14 RÜG abgelehnt hat. Insoweit beruht das Urteil des SG auf einer Verkennung des Streitgegenstandes (§ 123 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), weil die Klägerin solche Ansprüche zu keiner Zeit prozessual geltend gemacht hat. Darüber hat der Senat auch ohne Rüge von Amts wegen zu entscheiden, weil es sich um eine Verletzung materiellen Rechts handelt. Die Klägerin hat - schon seit Beginn des Verwaltungsverfahrens - ausschließlich einen Witwenrentenanspruch aus der Versicherung ihres verstorbenen geschiedenen

Ehemanns beansprucht. Die vom Senat aufgehobenen Entscheidungen des SG hinsichtlich der Erziehungs- und Unterhaltsrente erwachsen mithin nicht in Rechtskraft (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 123 Rdnr. 6, BSG SozR 3-1300 § 104 Nr. 15 und SozR 3-4100 § 119 Nr. 23).

Soweit die Klägerin einen Witwenrentenanspruch aus der Versicherung ihres verstorbenen geschiedenen Ehemannes geltend macht, ist der Anspruch nicht begründet.

Wie das SG insoweit zu Recht entschieden hat, ist die von der Klägerin insoweit erhobene Klage zulässig, aber unbegründet.

Maßgebliche Bestimmung für den Anspruch auf Gewährung einer solchen Rente ist § 243 SGB VI. Diese Bestimmung, die sich auf vor dem 1. Juli 1977 geschiedene Ehegatten bezieht, ist nach § 243 a Satz 1 SGB VI jedoch nicht anzuwenden, wenn sich der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nach dem Recht bestimmt, das im Beitrittsgebiet gegolten hat. Das ist hier indes der Fall. Denn die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten ist 1966 im Beitrittsgebiet nach dem Recht der DDR geschieden worden. Dieses Recht ist auch für die Regelung des nachehelichen Unterhalts maßgeblich gewesen und gilt nach Artikel 234 § 5 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) bis heute fort. Damit kommt ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Witwenrente nach § 243 SGB VI nicht in Betracht.

Dass § 243 a Satz 1 SGB VI verfassungswidrig sein könnte, hat das SG zutreffend unter Bezugnahme auf die Motive des Gesetzgebers verneint. Insbesondere liegt ein Verstoß gegen den in Artikel 3 Abs. 1 GG postulierten allgemeinen Gleichheitssatz nicht vor, weil die unterschiedliche Behandlung der vor dem 1. Juli 1977 geschiedenen Hinterbliebenen in § 243 SGB VI einerseits und § 243 a SGB VI andererseits wegen der unterschiedlichen Entwicklung im Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht der DDR und der Bundesrepublik Deutschland gerechtfertigt ist. Zur weiteren Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nach § 153 Abs. 2 SGG auf die diesen Punkt betreffenden Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des Urteils Bezug und sieht insoweit von einer eigenen Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Diese Ausführungen schließen an die zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 243 a SGB VI bereits ergangenen Urteile des BSG vom 21. Juni 1995 (a.a.O.) und vom 29. August 1996 (a.a.O.) an und geben die dortigen Erwägungen zutreffend wieder. Dass die Regelung des § 243 a SGB VI verfassungsgemäß ist, insbesondere gerade auch in den Fällen, in denen der geschiedene überlebende Ehegatte aufgrund einer eigenen Alterssicherung weniger schutzbedürftig ist, was auch auf die Klägerin des vorliegenden Verfahrens zutrifft, hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 2. Juni 2003 (a.a.O.) nunmehr ebenfalls bestätigt. Anlass, eine mögliche Ungleichbehandlung auch neu zu prüfen, hat das BVerfG überdies nur für die Fallgruppe der nach DDR-Recht geschiedenen Witwen gesehen, die (ausnahmsweise) nach dem Scheidungsfolgenrecht des Beitrittsgebiets einen Unterhaltsanspruch hatten. Zu diesem Personenkreis gehört die Klägerin nicht. Zur Vermeidung von Wiederholungen bezieht sich der Senat auch auf die diesbezüglichen Ausführungen der Entscheidung des BVerfG, die den Beteiligten bekannt ist.

Dem Antrag, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, war schon deshalb nicht zu entsprechen, weil dies gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 251 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung einen auf dasselbe Ziel gerichteten Antrag der Gegenseite vorausgesetzt hätte, den die Beklagte hier gerade nicht gestellt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved