L 16 RA 161/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 RA 1231/01 W02*14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 161/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. September 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Beklagte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für Beschäftigungszeiten des Klägers vom 29. November 1974 bis zum 30. Juni 1990 Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVTI) sowie die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen.

Der 1939 geborene Kläger war seit dem 29. November 1974 berechtigt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen (Urkunde der Ingenieurschule für M und E B). Er war seit dem 13. Dezember 1968 bei der D N D beschäftigt, und zwar bis 1. Februar 1970 als Abteilungsmonteur, dann bis 31. Dezember 1971 als Mechaniker und schließlich vom 1. Januar 1972 bis 30. Juni 1992 als Wartungsingenieur. Die D N D, ein Parteibetrieb der ehemaligen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), wurde mit Wirkung vom 1. Februar 1990 in "D B G Großbetrieb" umbenannt. Hieraus entstand mit Eintragung vom 27. September 1990 in das Handelsregister B-M die D F D- und V-GmbH B.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2001 lehnte die Beklagte die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zur AVTI ab mit der Begründung, dass der Kläger nicht in einem volkseigenen Produktionsbetrieb beschäftigt gewesen sei.

Mit der Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 29. November 1974 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat diese Klage mit Urteil vom 18. September 2003 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung der im Klageantrag genannten Daten. Er habe keine Beschäftigung bei einem volkseigenen Produktionsbetrieb oder einem gleichgestellten Betrieb innegehabt. Bei dem D F habe es sich schon deshalb nicht um einen Volkseigenen Betrieb (VEB) gehandelt, weil der Betrieb zum maßgeblichen Zeitpunkt am 30. Juni 1990 eine GmbH gewesen sei. Darüber hinaus habe es sich auch nicht um einen Betrieb der industriellen Produktion gehandelt. Dem betrieblichen Anwendungsbereich der AVTI hätten als Produktionsbetriebe nur VEB der Industrie und solche des Bauwesens unterlegen. Dem D F habe es aber als Druckhaus am Merkmal der industriellen Produktion gefehlt. Das D F sei auch keinem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens gleichgestellt gewesen.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor: Sein ehemaliger Betrieb sei zwar nicht ausdrücklich als VEB bezeichnet worden, doch habe er unzweifelhaft nicht in Privateigentum gestanden. Die Organisationsform habe einem VEB entsprochen. Bei der D N D habe es sich darüber hinaus um einen Betrieb der industriellen Produktion von Druckerzeugnissen gehandelt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. September 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 29. November 1974 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz gemäß Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Akte der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Das Gericht hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Kläger hat keinen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) durchsetzbaren Anspruch gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AAÜG auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG sowie gegebenenfalls der entsprechenden Arbeitsentgelte gemäß § 8 Abs. 2 AAÜG. Das AAÜG ist auf den Kläger schon deshalb nicht anwendbar, weil er am 1. August 1991, dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des AAÜG, keinen Versorgungsanspruch im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hatte. Denn der Versorgungsfall (des Alters oder der Invalidität) war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Der Kläger war aber auch am 1. August 1991 nicht Inhaber einer Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Denn er hatte - unstreitig - bis zum 30. Juni 1990 eine Versorgungszusage in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) nicht erhalten und ihm war auch nicht im Rahmen einer Einzelentscheidung eine Versorgung zugesagt worden.

§ 1 Abs. 1 AAÜG ist zwar im Wege verfassungskonformer Auslegung dahin auszulegen, dass den tatsächlich einbezogenen Personen diejenigen gleich zu stellen sind, die aus bundesrechtlicher Sicht auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage einen (fingierten) Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (ständige Rechtsprechung des BSG: vgl. z.B. Urteile vom 9. April 2002 -B 4 RA 31/01 R = SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 und -B 4 RA 3/02 R = SGb 2002, 379 sowie -B 4 RA 18/01 R- nicht veröffentlicht). Ein derartiger fingierter Anspruch ist nur dann zu bejahen, wenn eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, wegen der ihrer Art nach eine zusätzliche Altersversorgung in dem betreffenden Versorgungssystem vorgesehen war (ständige Rechtsprechung: vgl. z.B. BSG, Urteil vom 10. April 2002 -B 4 RA 32/01 R = SGb 2002, 380).

Der Kläger erfüllt indes für die Zeit vom 29. November 1974 bis zum 30. Juni 1990 nicht die Voraussetzungen für eine Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG. Allein maßgebend sind insoweit die Texte der Verordnung über die AVTI in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 (AVTI-VO; GBl. I S. 844) und der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) dazu vom 24. Mai 1951 (GBl. I S. 487). Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt ein fingierter Anspruch auf eine Versorgungszusage nach der AVTI-VO i.V.m. der 2. DB nur vor, wenn der Betreffende drei Voraussetzungen erfüllt: Er muss erstens eine bestimmte Berufsbezeichnung geführt haben, zweitens eine der Berufsbezeichnung entsprechende Beschäftigung oder Tätigkeit verrichtet haben und drittens die Beschäftigung oder die Tätigkeit in einem VEB im Bereich der Industrie oder des Bauwesens ausgeübt haben (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6; SozR 3-8570 § 1 Nr. 3).

Der Kläger hat in dem im Berufungsantrag bezeichneten Zeitraum keine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt, die ihrer Art nach vom Zusatzversorgungssystem der AVTI erfasst war. Er war zwar in der Zeit vom 29. November 1974 bis zum 30. Juni 1990 berechtigt, den Titel eines Ingenieurs zu führen. Er hat jedoch die betriebliche Voraussetzung für eine Zugehörigkeit zur AVTI nicht erfüllt. Denn er war weder in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens noch in einem der in § 1 Abs. 2 der 2. DB aufgeführten gleichgestellten Betriebe beschäftigt, sondern in einem Parteibetrieb und (erst) ab 1. Juli 1990 in einer GmbH. Bei der D N D handelte es sich um einen Parteibetrieb der ehemaligen SED, der als Organisationseigener Betrieb in das Register der volkseigenen Wirtschaft eingetragen worden war und mit Wirkung vom 1. Februar 1990 in "D B G Großbetrieb" umbenannt wurde (vgl. BT-Drucks. 13/11353).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), die der Senat seiner Entscheidung zu Grunde legt, kann aber eine Zugehörigkeit zur AVTI (fiktiv) nur dann festgestellt werden, wenn Tätigkeiten bzw. Beschäftigungen in einem volkseigenen Produktionsbetrieb der Industrie oder des Bauwesens oder in einem der in § 1 Abs. 2 der 2. DB genannten gleichgestellten Betriebe ausgeübt worden sind (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 5). Nicht ausreichend sind Tätigkeiten oder Beschäftigungen in irgend einem VEB und demgemäß auch nicht solche in einem Parteibetrieb (hier der D N D bzw. des D B G Großbetrieb; vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 18. Juni 2003 -B 4 RA 1/03 R- nicht veröffentlicht).

Dass es sich um eine Beschäftigung in einem volkseigenen Produktionsbetrieb gehandelt haben muss, folgt bereits aus § 1 Abs. 2 der 2. DB; die dort genannten Betriebe und Einrichtungen werden gerade (nur) den volkseigenen Produktionsbetrieben gleichgestellt. Dass diese Produktionsbetriebe solche der Industrie oder des Bauwesens sein mussten, entspricht nicht nur ihrer Bedeutung im Rahmen der Planwirtschaft (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6), sondern auch der historischen Entwicklung (vgl. hierzu BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 5). Bei dieser Sach- und Rechtslage kann dahinstehen, ob die D N D und das D B - wie der Kläger vorträgt - eine industrielle Produktionsweise aufwiesen. Denn es handelte sich bei diesen Betrieben jedenfalls nicht um VEB.

Andere Rechtsgrundlagen, auf die der Kläger sein Begehren stützen könnte, sind nicht ersichtlich. Insbesondere verstößt es nicht gegen Verfassungsrecht, dass der Bundesgesetzgeber an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung der Versorgungssysteme der DDR und deren Differenzierungen angeknüpft hat. Denn der Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikels 3 Grundgesetz gebietet es nicht, von den historischen Gegebenheiten in der DDR, aus denen sich Ungleichheiten ergeben könnten, abzusehen und sie rückwirkend zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen. Die Begünstigung der damals Einbezogenen hat der Bundesgesetzgeber als ein Teilergebnis der Verhandlungen im Einigungsvertrag angesichts der historischen Bedingungen hinnehmen dürfen (vgl. BVerfGE 100, 138, 190 = SozR 3-8570 § 7 Nr. 1). Zu einer "Totalrevision" des aus der DDR stammenden Versorgungsrechts war er über die mit der ständigen Rechtsprechung des BSG vorgenommene Modifikation von § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG hinaus nicht verpflichtet (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2; BSG, Urteil vom 18. Juni 2003 -B 4 RA 1/03 R-).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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