L 9 B 43/04 KR ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 88 KR 141/04 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 B 43/04 KR ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2004 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt in einem Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes die Versorgung mit dem den Wirkstoff Methylphenidat enthaltenen Medikament "Ritalin" im Rahmen des so genannten Off-Label-Use.

Der 1976 geborene Antragsteller leidet an einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die im Jahre 2002 bei ihm diagnostiziert wurde. Seitdem wurde er zunächst im Rahmen vertragsärztlicher Versorgung mit dem Medikament "Ritalin" versorgt. Dieses Medikament ist arzneimittelrechtlich lediglich zur Therapie des ADHS bei Kindern sowie zur Therapie von Narkolepsie bei Erwachsenen zugelassen.

Der den Antragsteller behandelnde Arzt J S verordnete ihm deshalb ab Juni 2003 "Ritalin" lediglich auf Privatrezept. Daraufhin beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Gewährung von "Ritalin" als Sachleistung. Nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK) lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 30. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Dezember 2003 die Versorgung des Antragstellers mit "Ritalin" ab. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei eine Kostenübernahme für die im Rahmen des Off-Label-Use erfolgende medikamentöse Behandlung hier nicht möglich. Es bestehe zudem eine zumutbare Behandlungsalternative mit dem zugelassenen Importpräparat "Strattera", einem in den USA zugelassenen Medikament zur Behandlung des ADHS-Syndroms im Erwachsenenalter.

Mit seinem am 21. Januar 2004 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Antrag hat der Antragsteller sinngemäß beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zur Entscheidung in der Hauptsache ihn mit dem Medikament "Ritalin" zu versorgen. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass in seinem Fall die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erfüllt seien. Es bestünde auch keine zumutbare Behandlungsalternative mit dem von der Antragsgegnerin vorgeschlagenen Medikament "Strattera". Bei Anwendung eines vergleichbaren Präparates sei es zu Unverträglichkeiten und einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen. Eine Umstellung der Medikation würde daher mit hoher Wahrscheinlichkeit zu schwerwiegenden Rückschlägen des erreichten relativ stabilen Gesundheitszustandes führen. Der ihn derzeit behandelnde Arzt lehne daher ein derartiges Experiment ab.

Mit Beschluss vom 20. Februar 2004 hat das Sozialgericht Berlin den Antrag zurückgewiesen. Die Versorgung des Antragstellers mit dem Medikament "Ritalin" im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache komme nicht in Betracht, weil bei summarischer Prüfung eine Klage in der Hauptsache keine Aussicht auf Erfolg haben könne. Die Voraussetzungen für die begehrte medikamentöse Versorgung im Rahmen eines Off-Label-Use lägen nicht vor. Das gewünschte Arzneimittel könne schon deshalb nicht zu Lasten der Krankenkasse verordnet werden, weil dessen Wirksamkeit bisher nicht in dem erforderlichen Umfang nachgewiesen worden sei. In der ärztlichen Fachwelt bestünde kein Konsens hinsichtlich der Behandlung des ADHS mit "Ritalin".

Mit seiner am 4. März 2004 eingelegten Beschwerde hat sich der Antragsteller gegen den ihm am 20. Februar 2004 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts gewandt. Er sei auf die Fortführung der Behandlung mit "Ritalin" weiterhin dringend angewiesen. Eine Versorgung mit dem Medikament "Strattera" stelle für ihn keine zumutbare Behandlungsalternative dar. Aufgrund seiner Vorerfahrungen mit dem chemisch und pharmakologisch eng verwandten Medikament "Edronax" sei eine entsprechende Anwendung gefährlich. Ein entsprechender Therapieversuch sei im Februar 2002 wegen starker Nebenwirkungen abgebrochen worden. Ohne eine Behandlung mit "Ritalin" drohe ihm ein "psychischer Absturz". Zudem habe ihm die Firma Novartis, der Hersteller des Medikamentes "Ritalin", mit Schreiben vom 25. März 2004 bestätigt, dass eine Zulassung dieses Medikamentes zur Behandlung von Erwachsenen angestrebt werde und dass die Forschung von Seiten der pharmazeutischen Industrie zum Einsatz des Medikamentes bei Erwachsenen durchaus aktiv sei.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2004 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihn mit dem Medikament "Ritalin" bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu versorgen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen,

die sie für unbegründet hält.

Das Gericht hat die Aufsätze von Martin Winkler "ADD bei Erwachsenen", von J. Fritze und M. Schmauß für den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN): "Off-Label-Use: Der Fall Methylphenidat" (erschienen in: Nervenarzt 73 (2002) 1210 ff.) sowie von D. Ebert, J. Krause und C. Roth-Sackenheim: "ADHS im Erwachsenenalter - Leitlinien auf der Basis eines Expertenkonsensus mit Unterstützung der DGPPN" (erschienen in: Der Nervenarzt 10/2003, 939 ff.), das Eckpunktepapier vom 28. und 29. Oktober 2002 des Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung sowie das Schreiben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 3. September 2002 an das Sozialgericht Berlin im Verfahren S KR den Beteiligten mit Schreiben vom 18. März 2004 übersandt und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf vorläufige Versorgung mit dem Medikament "Ritalin".

Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Die Sozialgerichte dürfen sich bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, in denen Leistungsansprüche eines Versicherten gegen eine gesetzliche Krankenkasse streitig sind, nicht schlechthin auf die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfes im Hauptsacheverfahren beschränken. Vielmehr verlangt Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG von den Sozialgerichten bei der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache immer dann, wenn Versicherten ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile drohen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, grundsätzlich eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage, die sich von der im Hauptsacheverfahren nicht unterscheidet (vgl. BVerfGE 79, 69 ff. (74); 94, 166 ff. (216), BVerfG NJW 2003,1236 f.). Sind die Sozialgerichte jedoch durch eine Vielzahl anhängiger entscheidungsreifer Rechtsstreitigkeiten belastet oder besteht die Gefahr, dass die dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu Grunde liegende Beeinträchtigung des Lebens, der Gesundheit oder der körperlichen Unversehrtheit des Versicherten sich jederzeit verwirklichen kann, verbieten sich zeitraubende Ermittlungen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren. In diesem Fall, der in der Regel vorliegen wird, hat sich die Entscheidung an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen zu orientieren (BVerfG NJW 2003, 1236 f.). Dabei ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 32 Bundesverfassungsgerichtsgesetz eine Folgenabwägung vorzunehmen, bei der die Erwägung, wie die Entscheidung in der Hauptsache ausfallen wird, regelmäßig außer Betracht zu bleiben hat. Abzuwägen sind stattdessen die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, obwohl dem Versicherten die streitbefangene Leistung zusteht, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung erlassen würde, obwohl er hierauf keinen Anspruch hat (vgl. hierzu Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Mitarbeiterkommentar und Handbuch, § 32 Rdnr. 177 mit umfassendem Nachweis zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. NZS 2000, 510 ff.). Hierbei ist insbesondere die in Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch den Verfassungsgeber getroffene objektive Wertentscheidung zu berücksichtigen. Danach haben alle staatlichen Organe die Pflicht, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter des Lebens, der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit zu stellen (vgl. BVerfGE 56, 54 ff. (73)). Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren vor den Sozialgerichten bedeutet dies, dass diese die Grundrechte der Versicherten auf Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit zur Geltung zu bringen haben, dabei aber die ebenfalls der Sicherung des Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG dienende Pflicht der gesetzlichen Krankenkassen (vgl. insbesondere aus §§ 1, 2 Abs. 1 und 4 SGB V), ihren Versicherten nur wirksame und hinsichtlich der Nebenwirkungen unbedenkliche Leistungen zur Verfügung zu stellen, sowie die verfassungsrechtlich besonders geschützte finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. BVerfGE 68, 193 ff. (218)) nicht aus den Augen verlieren dürfen. Besteht die Gefahr, dass der Versicherte ohne die Gewährung der umstrittenen Leistung vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens stirbt oder er schwere oder irreversible gesundheitliche Beeinträchtigungen erleidet, ist ihm die begehrte Leistung regelmäßig zu gewähren, wenn das Gericht nicht auf Grund eindeutiger Erkenntnisse davon überzeugt ist, dass die begehrte Leistung unwirksam oder medizinisch nicht indiziert ist oder ihr Einsatz mit dem Risiko behaftet ist, die abzuwendende Gefahr durch die Nebenwirkungen der Behandlung auf andere Weise zu verwirklichen. Besteht die Beeinträchtigung des Versicherten dagegen im Wesentlichen nur darin, dass er die begehrte Leistung zu einem späteren Zeitpunkt erhält, ohne dass sie dadurch für ihn grundsätzlich an Wert verliert, weil die Beeinträchtigung der in Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG genannten Rechtsgüter durch eine spätere Leistungsgewährung beseitigt werden kann, dürfen die Sozialgerichte die begehrte Leistung im Rahmen der Folgenabwägung versagen. Nur durch eine an diesen Grundsätzen orientierte Vorgehensweise bei der Folgenabwägung wird dem vom Gesetzgeber in allen Prozessordnungen vorgesehenen Vorrang des nachgehenden Rechtsschutzes vor dem vorläufigen Rechtsschutz sowie dem sich aus Artikel 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Grundsatz Rechnung getragen, dass die Leistungsgewährung vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Ausnahme und nicht die Regel sein soll.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht dem Antragsteller, ihm bei einer Folgenabwägung kein Anordnungsanspruch auf sofortige Bewilligung des von ihm begehrten Medikaments "Ritalin" zu.

Auch wenn man davon ausgeht, dass das ADHS überhaupt eine so schwerwiegende Erkrankung darstellt, dass eine einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme der Kosten zur Beschaffung eines methylphenidathaltigen Arzneimittels im Rahmen einer Folgenabwägung möglich wäre, obwohl zur Behandlung der Erkrankung abhängig vom Ausprägungsgrad, von den psychischen und sozialen Beeinträchtigungen sowie der Relevanz der Symptome im Kontext vorhandener Ressourcen unter Umständen keine oder eine andere Behandlung (durch Psychotherapien oder andere Medikamente) in Betracht käme (vgl. ADHS im Erwachsenenalter-Leitlinien auf der Basis eines Expertenkonsensus mit Unterstützung der DGPPN, Der Nervenarzt 2003, 939 ff.), führt die Versagung des genannten Medikamentes für die Antragstellerin nicht zu so schwerwiegenden und unzumutbaren Folgen, dass nur die vorläufige Kostenübernahme in Betracht käme. Der Antragsteller ist unstreitig nicht lebensbedrohlich erkrankt. Er leidet zudem nicht an einer bei ihm plötzlich aufgetretenen Erkrankung, sondern - wie er vorträgt - bereits seit Kindesalter an ADHS. Er hat bisher den Großteil seines Lebens ohne Versorgung mit dem Medikament "Ritalin" verbracht und es gleichwohl geschafft, sein Abitur abzulegen und eine Ausbildung zum Industriekaufmann erfolgreich abzuschließen. Die von ihm geschilderten Symptome beeinträchtigen ihn zweifelsohne in seiner Lebensführung, stellen jedoch keine schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigung dar. Es ist nach seiner und der Meinung seines ihn behandelnden Arztes zwar zu befürchten, dass sich ohne eine Behandlung mit dem Medikament "Ritalin" seine psychische Situation nachteilig verändert. Dass diese Folgen aber ein Ausmaß annehmen könnten, das es rechtfertigen würde, sie mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung, wie sie das Bundesverfassungsgericht gefordert hat, auf eine Stufe zu stellen, ist nicht ersichtlich. Weiter soll die Einnahme von "Ritalin" nach den Angaben des Antragstellers eine Besserung des Beschwerdebildes bewirkt haben. Es ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich, warum bei vorübergehender Nichtgewährung und möglicherweise erst infolge des Hauptsacheverfahrens wieder erfolgender Versorgung mit einem entsprechenden Medikament nicht ein vergleichbarer Effekt erreicht werden sollte. Dass dem Antragsteller damit schwere, ihm unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, vermag der Senat nicht zu erkennen.

Dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit obsiegt, ihm mithin voraussichtlich ein Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel "Ritalin" zugesprochen werden wird, vermag der Senat auch nach einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten seiner Klage derzeit nicht festzustellen. Im Gegenteil erscheint ein Obsiegen eher unwahrscheinlich. Unstreitig begehrt der Antragsteller eine Therapie mit einem für die bei ihm diagnostizierte Erkrankung - ein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom im Erwachsenenalter - arzneimittelrechtlich nicht zugelassenen Wirkstoff. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 19. März 2002 (B 1 KR 37/00 R - BSGE 89, 184 ff.) die Voraussetzungen, unter denen die Krankenkassen zur Versorgung der Versicherten mit Medikamenten im Rahmen des Off-Label-Use verpflichtet sind, klargestellt. Danach kommt die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet nur in Betracht, wenn es 1.) um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, 2.) keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3.) auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Damit letzteres angenommen werden kann, müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann.

Nach dem zur Zeit vorliegenden Prozessstoff ist zur Überzeugung des Senats jedenfalls die dritte der genannten Voraussetzungen nicht gegeben. Nach der Datenlage besteht nicht die begründete Aussicht, dass mit einem Medikament "Ritalin" der gewünschte Behandlungserfolg erzielt werden kann. Da die Erweiterung der Zulassung unstreitig nicht beantragt ist - insoweit ist es unerheblich, ob der Hersteller des Medikamentes "Ritalin" diese "anstrebt", wie der Antragsteller vorträgt - und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III nicht veröffentlicht sind, wäre dies nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur anzunehmen, wenn außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen besteht. Dies aber ist entgegen der Ansicht des Antragstellers - wie die vom Senat in das Verfahren eingeführten Unterlagen zeigen - gerade nicht der Fall. Der Aufsatz von J. Fritze & M. Schmauß von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (Nervenarzt 73 (2002) 1210-1212) ist zwar deutlich von dem Bestreben gekennzeichnet, die Vergabe von Methylphenidat enthaltenden Medikamenten an Erwachsene, die an ADHS leiden, zu rechtfertigen. Zugleich verweisen die Autoren jedoch ausdrücklich darauf, dass nur wenige Studien zur Anwendung dieser Mittel bei Erwachsenen vorliegen und diese durchweg an methodischen Mängeln leiden. Daran hat sich in der Folgezeit offenbar nichts entscheidend geändert. Denn auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte führt in seinem Schreiben vom 03. September 2003 an den Vorsitzenden der. Kammer des Sozialgerichts Berlin im Verfahren S KR ausdrücklich aus, dass für Methylphenidat zwar klinische Erfahrungen und auch diverse veröffentliche Berichte von klinischen Studien vorliegen, diese aber den regulatorischen Anforderungen nicht voll genügen. Weiter ist zu berücksichtigen, dass bislang vor allem keine publizierten Daten zu Effekten und Nebenwirkungen einer medikamentösen Langzeittherapie existieren (ADHS im Erwachsenenalter, Der Nervenarzt 2003, 939, 943). Vor diesem Hintergrund stellte sich die Behandlung des Antragstellers mit einem den Wirkstoff Methylphenidat enthaltenden Arzneimittel im jetzigen Stadium als individueller Heilversuch dar. Für diesen aber lässt das geltende Recht weder bei gänzlich fehlender arzneimittelrechtlicher Zulassung des Medikaments (vgl. BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 7, BVerfG NJW 1997, 3085) noch im Bereich der zwar grundsätzlich gegebenen, sich jedoch nicht auf das konkrete Krankheitsbild erstreckenden Zulassung, die Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenkasse zu (vgl. BSGE 89, 184 ff., 191).

Mangels Anordnungsanspruchs besteht vorliegend auch kein Anordnungsgrund. Dem Antragsteller kann zugemutet werden, seinen Anspruch im Klageverfahren geltend zu machen. Das Absehen von vorläufigem Rechtsschutz führt nicht zu wesentlichen Nachteilen in Bezug auf den Anspruch oder gar zu irreparablen Schäden. Wie bereits oben ausgeführt ist die gesundheitliche Situation des Antragstellers nicht dergestalt, dass ihm vorläufiger Rechtsschutz nur bei sicherer Aussichtslosigkeit seiner Klage verwehrt werden kann bzw. unabhängig von den Erfolgsaussichten der Hauptsache zu gewähren ist. Vielmehr ist der Grad der Erfolgsaussicht für die Interessenabwägung gerade von wesentlicher Bedeutung. Diese kann mangels günstiger Erfolgsprognose in Bezug auf das Hauptsacheverfahren jedoch nicht zu Gunsten des Antragstellers ausgehen. Dass die wirtschaftlichen Folgen für den Antragsgegner angesichts der verhältnismäßig geringen Kosten der methylphenidathaltigen Medikamente eher gering wären, ist vor diesem Hintergrund irrelevant.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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