L 6 RA 76/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 3 RA 1419/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 6 RA 76/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. August 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) für die Zeit vom 17. März 1958 bis zum 31. Dezember 1989 sowie der während dieses Zeitraums erzielten tatsächlichen Arbeitsverdienste.

Er ist im Jahre 1934 geboren und erwarb nach dem Studium an der Staatlichen Ingenieurschule für Bauwesen B und der Ingenieurprüfung in der Fachrichtung Hochbau die Befähigung zum Ingenieur (Urkunde vom 6. Februar 1958). Im streitigen Zeitraum war er sozialversicherungspflichtig tätig, zuletzt beim Volkseigenen Betrieb (VEB) Kombinat T B. Vom 1. März 1971 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraums gehörte er (jedenfalls) auch der freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) an. Am 1. Januar 1990 machte er sich selbständig. Eine Versorgungszusage für die AVItech wurde ihm zu keinem Zeitpunkt erteilt. Seit dem 1. September 1997 erhält er eine Altersrente.

Seinen Antrag, für den streitigen Zeitraum Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech festzustellen, lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, er habe am 1. August 1991 keine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) innegehabt (Bescheid vom 15. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. März 2003).

Der Kläger hat daraufhin das Sozialgericht (SG) Berlin angerufen und beantragt, unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidung die Beklagte zu verpflichten, den streitigen Zeitraum als Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18. August 2003 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das AAÜG auf den Kläger keine Anwendung finde. Insbesondere sei er auch nicht über eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG den in das Versorgungssystem Einbezogenen gleichzustellen. Eine solche Gleichstellung habe nur zu erfolgen, wenn aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage am 1. August 1991 ein Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage bestanden habe. Dies sei aber nicht der Fall, da er seit dem 1. Januar 1990 und damit auch am "Stichtag" 30. Juni 1990 selbständig tätig gewesen sei und nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis mit einem volkseigenen Produktionsbetrieb (Industrie, Bauwesen) oder einem gleichgestellten Betrieb gestanden habe.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und rügt, dass das Abstellen auf die am 30. Juni 1990 gegebene Sachlage gegen Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstoße.

Der Kläger beantragt,

das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, hilfsweise, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. August 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. März 2003 zu verpflichten, die Zeit seiner Beschäftigung vom 17. März 1958 bis zum 31. Dezember 1989 als Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech (Anla- ge 1 Nr. 1 zum AAÜG) und die entsprechenden Arbeitsverdienste fest- zustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem vom Kläger im Hinblick auf die beim 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) anhängigen Revisionsverfahren (B 4 RA 55/03 R und B 4 RA 56/03 R) gestellten Ruhensantrag, bei denen es ebenfalls um die hier entscheidungserhebliche Frage gehe, werde nicht zugestimmt, da diese Frage durch die Rechtsprechung dieses Senats bereits abschließend geklärt sei. Im Übrigen hält die Beklagte die angefochtene Entscheidung des SG für richtig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, und die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Ein Ruhen des Verfahrens nach § 251 Satz 1 Zivilprozessordnung i.V.m. § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) war bereits deshalb nicht anzuordnen, weil es an der dafür erforderlichen übereinstimmenden Antragstellung der Beteiligten mangelt.

Die zulässige Berufung des Klägers ist nach einstimmiger Auffassung des Senats nicht begründet und eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich. Das Rechtsmittel ist daher durch Beschluss zurückzuweisen, nachdem die Beteiligten dazu gehört worden sind (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs.1 SGG) durchsetzbaren Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech im streitgegenständlichen Zeitraum (17. März 1958 bis 31. Dezember 1989) sowie auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte (§ 8 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 und 2 AAÜG) hat. Die Klage ist jedenfalls auch insoweit zulässig, als der Kläger die Feststellung der im strittigen Zeitraum tatsächlich erzielten Verdienste beansprucht. Dies war zwar nicht ausdrücklich Gegenstand seines Antrags im Verwaltungsverfahren, und die Beklagte hat hierüber im angefochtenen Bescheid (in Gestalt des Widerspruchsbescheides) auch nicht ausdrücklich - negativ - entschieden. Sie hat aber die für dieses Begehren entscheidende Vorfrage des Vorliegens von "Zugehörigkeitszeiten" abschlägig beschieden und damit auch die abhängigen Ansprüche auf kalenderjährliche Feststellung von Arbeitsverdiensten abgelehnt. Daher durfte der Kläger auch hiergegen sowie auf die Verpflichtung der Beklagten zur Vornahme dieser Feststellungen klagen (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 6). Der von ihm zuletzt ausdrücklich vor dem SG gestellte Antrag entsprach somit auch dem Begehren (§ 123 SGG), das er von Anfang an vor dem SG verfolgt hat.

Die Klage hat aber schon deshalb keinen Erfolg, weil der Kläger nicht vom persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG erfasst wird, denn er hatte bei In-Kraft-Treten dieses Gesetzes am 1. August 1991 keinen Versorgungsanspruch gegen einen Versorgungsträger und keine Versorgungsanwartschaft. Er hatte auch nicht früher einmal nach den Regeln der Versorgungssysteme eine Versorgungsanwartschaft erlangt, die er durch das Ausscheiden aus dem Versorgungssystem verloren hatte (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG).

Eine Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG zum 1. August 1991 hätte der Kläger nur gehabt, wenn sie einzelvertraglich vereinbart gewesen wäre oder eine nach Artikel 19 Einigungsvertrag (EV, vom 31. August 1990, BGBl II 889) bindend gebliebener Verwaltungsakt einer Versorgungsstelle der DDR oder eine Versorgungsbewilligung eines Funktionsnachfolgers einer solchen Stelle oder eines Verwaltungsaktes eines Versorgungsträgers im Sinne von § 8 Abs. 4 AAÜG oder eine sonstige bindende Entscheidung eines solchen Versorgungsträgers über das Bestehen einer derartigen Versorgungsanwartschaft (so genannte "Status-Feststellung", vgl. hierzu etwa BSG, Urteil vom 18. Juni 2003, B 4 RA 50/02 R, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen) vorliegen würde. Keine dieser Alternativen ist, was zwischen den Beteiligten zu Recht nicht umstritten ist und deswegen auch keiner weiteren Vertiefung bedarf, erfüllt. Der Kläger hatte aber auch am 1. August 1991 aus bundesrechtlicher Sicht zum 30. Juni 1990 keinen "Anspruch auf eine Versorgungszusage". § 1 Abs. 1 AAÜG ist im Wege einer verfassungskonformen Erweiterung auch auf diejenigen zu erstrecken, die am 30. Juni 1990 (dem Tag vor der Schließung der Zusatzversorgungssysteme der DDR) zwar nicht in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, aber aus bundesrechtlicher Sicht aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der bundesrechtlichen Rechtslage zum 1. August 1991 einen "Anspruch auf Versorgungszusage" im Hinblick auf die bundesrechtlich weiter geltenden leistungsrechtlichen Regeln der Versorgungssysteme gehabt hätten (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 12 f., Nr. 3 S. 20, Nr. 4 S. 26 f., Nr. 5 S. 32, Nr. 6 S. 39, Nr. 7 S. 51 f., Nr. 8 S. 73 und BSG, Urteil vom 18. Juni 2003, a.a.O.). Dieser fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Zusage im Bereich der AVItech hängt gemäß § 1 der VO-AVItech vom 17. August 1950 (GBl 844) und § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung zur VO-AVItech vom 24. Mai 1951 (GBl 487) von drei Voraussetzungen ab (vgl. BSG SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 S. 14, Nr. 5 S. 33, Nr. 6 S. 40, Nr. 7 S. 60, Nr. 8 S. 74): Generell war dieses System eingerichtet für:

(1) Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und

(2) die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar

(3) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bau- wesens (§ 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB) oder einen durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung).

Zwar gehörte der Kläger als Ingenieur zu dem Teil der Angehörigen der technischen Intelligenz, der nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB "obligatorisch" versorgungsberechtigt war. Es kann jedoch offen bleiben, ob der Kläger während des streitigen Zeitraums durchgängig oder nur zum Teil eine im Wesentlichen vom Berufsbild des Ingenieurs geprägte Berufstätigkeit in einem VEB der Industrie oder des Bauwesens oder einem gleichgestellten Betrieb ausgeübt hat. Denn jedenfalls tat er dies nicht am erforderlichen Stichtag, dem 30. Juni 1990.

Dass es bei der verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG auf diesen Stichtag ankommt, ist entgegen der Auffassung des Klägers eindeutig der Entscheidung des BSG zu entnehmen, die in SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 veröffentlicht worden ist. Dieses Stichtagserfordernis ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich. Der EV hat nur die Übernahme bestehender Versorgungsansprüche und Versorgungsanwartschaften von Einbezogenen in das Bundesrecht versprochen und Neueinbeziehungen ausdrücklich verboten (§ 22 Abs. 1 Rentenangleichungsgesetz der DDR und Nr. 9 Buchst. a EV). Diese Vorschriften sind in sich verfassungsgemäß, weil der Bundesgesetzgeber selbst an die im Zeitpunkt der Wiedervereinigung vorgefundene Ausgestaltung dieser Versorgungssysteme in der DDR ohne Willkürverstoß anknüpfen konnte. Artikel 3 Abs. 1 und 3 GG gebietet nicht, von jenen historischen Fakten, aus denen sich die vorgetragenen Ungleichheiten ergeben, abzusehen und "rückwirkend" zu Lasten der heutigen Beitrags- und Steuerzahler für einen Ausgleich zu sorgn. Die Begünstigung der damals Einbezogenen hat der bundesdeutsche Gesetzgeber als ein Teilergebnis der Verhandlungen im EV angesichts der historischen Bedingungen hinnehmen dürfen. Er hat in § 1 Abs. 1 AAÜG in begrenztem Umfang DDR-Willkür ausgeschaltet. Zu einer Totalrevision des mit Beginn des 31. Dezember 1991 in das Rentenversicherungsrecht des Beitrittsgebiets überführten aus der DDR stammenden Versorgungsrechts war er nicht verpflichtet, weil er diesen gesamten Rechtsbereich ab 1. Januar 1992 dem SGB VI unterstellt hat. Deswegen tritt auch keine Willkür im Rentenversicherungsrecht ein, weil die vom Kläger in der Sozialpflichtversicherung der DDR und in der FZR versicherten Arbeitsentgelte auch ohne Anwendung von § 6 Abs. 1 AAÜG in voller Höhe und aufgewertet auf "West-Niveau" bis zur allgemeinen bundesrechtlichen Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt werden (vgl. §§ 248 Abs. 3, 256 a Abs. 1 und 3 und 260 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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