L 16 RA 124/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 1 RA 1204/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 124/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. September 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Feststellung von Daten nach dem Anwartschafts- und Anspruchsüberführungsgesetz (AAÜG), im Besonderen von Zeiten der Zugehörigkeit zur Zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech, Zusatzversorgungssystem nach Nr. 1 der Anlage 1 zum AAÜG.

Der Kläger ist 1935 geboren worden. Am 25. Juni 1960 erwarb er nach dem Besuch der Ingenieurschule für F D die Berechtigung, die Berufsbezeichnung eines Ingenieurs der Fachrichtung Triebwerkbau zu führen. Am 4. Juli 1973 erwarb er nach einem weiteren erfolgreichen Studium den akademischen Grad eines Diplomwirtschaftlers. In der DDR war der Kläger in der Zeit vom 1. Juli 1960 bis zum 31. Juli 1967 als Versuchsingenieur nacheinander beim VEB Entwicklungsbau Pirna, beim VEB G und Eg P und beim VEB Wissenschaftlich Technisches Zentrum (WTZ) K (KAB) P beschäftigt. Nachdem dieser Betrieb der VVB (später dem VEB Kombinat) KAB B zugeordnet worden war, war der Kläger dort in verschiedenen Betriebsteilen tätig und mit verschiedenen Funktionen betraut, und zwar bis zum 30. September 1970 als selbständiger wissenschaftlicher Mitarbeiter, bis zum 28. Februar 1975 als Gruppenleiter, bis zum 30. November 1977 als Abteilungsleiter Ökonomie, bis zum 30. November 1978 als ökonomischer Leiter, bis zum 31. Dezember 1987 als Hauptabteilungsleiter Ökonomie, vom 1. Januar bis 30. September 1988 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und schließlich ab 1. Oktober 1988 als Hauptabteilungsleiter Ökonomie Anlagenbau. Diese Position hatte der Kläger auch am 30. Juni 1990 inne. Zu DDR-Zeiten war ihm keine Versorgungszusage für ein zusätzliches Versorgungssystem erteilt worden. Seit 1. Mai 1995 bezieht der Kläger von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - Träger der Rentenversicherung - Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

Seinen "Antrag auf Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften" vom Dezember 2000 betreffend die Zeit vom 1. Juli 1960 bis zum 30. Juni 1990 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 1. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2003 ab. Die Voraussetzungen für die Überführung seien nicht erfüllt. Eine positive Versorgungszusage sei dem Kläger zu DDR-Zeiten nicht erteilt worden. Dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten habe der Kläger am 30. Juni 1990 nicht angehört, da er zwar berechtigt gewesen sei, entsprechend den Vorgaben der Versorgungsordnung den Titel eines Ingenieurs zu führen, er sei aber nicht als Ingenieur, sondern als Leiter Ökonomie beschäftigt gewesen.

Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er einen Anspruch auf Einbeziehung in die AVItech habe. Er sei berechtigt, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen und habe in einem Produktionsbetrieb gearbeitet. Wenn schon der Ingenieurökonom, welcher als Ökonom gearbeitet habe, nachträglich in die AVItech aufgenommen werden müsse, so müsse das auch - wie in seinem Fall - für den Ingenieur gelten, welcher als Ökonom gearbeitet habe.

Durch Urteil vom 4. September 2003 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung der geltend gemachten Zeit als Zeit der Zugehörigkeit zur AVItech und der in dieser Zeit tatsächlich erzielten Verdienste, weil das AAÜG auf ihn nicht anwendbar sei. Er habe zu DDR-Zeiten keine Versorgungszusage erhalten und bei In-Kraft-Treten des AAÜG am 1. August 1991 nicht rückschauend auf die bundesrechtlich am 30. Juni 1990 bestehende Rechtslage eine Versorgungsanwartschaft gehabt. Zwar sei der Kläger berechtigt gewesen, als Ingenieur eine der in § 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der 2. Durchführungs-Bestimmung (2. DB; vom 24. Mai 1951, DDR-GBl. S. 487) zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (VO-AVItech; vom 17. August 1950, DDR-GBl. I S. 844) genannten Berufsbezeichnungen zu führen. Er habe am 30. Juni 1990 aber nicht, wie für eine Einbeziehung erforderlich, eine seiner Qualifikation entsprechende Tätigkeit als technischer Ingenieur ausgeübt. Den Titel eines Ingenieurökonomen habe er dagegen nicht führen dürfen.

Mit der Berufung macht der Kläger geltend, dass er jedenfalls beim VEB E P eine seiner Qualifikation als Ingenieur entsprechende Tätigkeit ausgeübt habe. Damit habe er eine unverfallbare Anwartschaft auf die Einbeziehung erworben. Im Übrigen sei die Ausbildung als Ingenieur Grundlage für die im Fernstudium erworbene Qualifikation des Diplomwirtschaftlers gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. September 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 1. Juli 1960 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Gerichtsakte sowie die Akte der Beklagten und die Akte der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - Rentenversicherungsträger - haben dem Gericht bei seiner Entscheidung vorgelegen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

II.

Der Senat hat die Berufung nach durchgeführter Anhörung der Beteiligten durch Beschluss zurückweisen können, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat (§ 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Zustimmung der Beteiligten ist - im Gegensatz zur Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG - keine Voraussetzung für den Erlass des Beschlusses.

Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur AVItech, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat. Der Kläger fällt nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des AAÜG. Denn er hatte bei In-Kraft-Treten dieses Gesetzes am 1. August 1991 keinen Versorgungsanspruch gegen einen Versorgungsträger und keine Versorgungsanwartschaft.

Eine Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG zum 1. August 1991 hätte der Kläger nur gehabt, wenn sie einzelvertraglich vereinbart gewesen wäre oder ein nach Artikel 19 Satz 1 Einigungsvertrag (EV; vom 31. August 1990, BGBl. II S. 889) bindend gebliebener Verwaltungsakt einer Versorgungsstelle der DDR oder eine Versorgungsbewilligung eines Funktionsnachfolgers einer solchen Stelle oder ein Verwaltungsakt eines Versorgungsträgers im Sinne von § 8 Abs. 4 AAÜG oder eine sonstige bindende Entscheidung eines solchen Versorgungsträgers über das Bestehen einer derartigen Versorgung ("Status-Feststellung", siehe dazu etwa BSG, Urteil vom 18. Juni 2003 -B 4 RA 50/02 R-) vorliegen würde. Das Sozialgericht hat zutreffend festgestellt, dass keine dieser Alternativen erfüllt ist. Dem Kläger war eine Versorgung nicht einzelvertraglich zugesichert worden und auch ein Verwaltungsakt einer Versorgungsstelle der DDR, der nach Artikel 19 Satz 1 EV bindend geblieben wäre, war nicht ergangen.

Der Kläger hatte aber auch am 1. August 1991 keinen "Anspruch auf eine Versorgungszusage". § 1 Abs. 1 AAÜG ist zwar im Wege einer verfassungskonformen Erweiterung auch auf diejenigen zu erstrecken, die am 30. Juni 1990, dem Tag vor der Schließung der Zusatzversorgungssysteme der DDR, zwar nicht in ein Zusatzversorgungssystem einbezogen waren, aber aus bundesrechtlicher Sicht auf Grund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der bundesrechtlichen Rechtslage zum 1. August 1991 einen "Anspruch auf eine Versorgungszusage" im Hinblick auf die bundesrechtlich weiter geltenden leistungsrechtlichen Regeln der Versorgungssysteme gehabt hätten. Es kommt somit in erster Linie auf das Bundesrecht des AAÜG an sowie nachrangig und lückenfüllend kraft bundesrechtlichen Anwendungsbefehls (Artikel 9 Abs. 2 EV) auch auf die nach Maßgabe des Bundesrechts auszulegenden Versorgungsregeln im EV, der in Bundesrecht transformiert worden ist (ständige Rechtsprechung des BSG, s. etwa in SozR 3-8570 § 1 Nr. 2, 3 und 8 sowie das Urteil vom 18. Juni 2003 a.a.O.).

Nach den bundesrechtskonform auszulegenden Regeln der AVItech bestand aber am 1. August 1991 aus bundesrechtlicher Sicht zum Stichtag 30. Juni 1990 kein Recht, das die Beklagte im Sinne einer gebundenen Verwaltung verpflichtet hätte, den Kläger durch Einzelfallregelung in ein Versorgungssystem einzubeziehen. Er war am Stichtag kein obligatorisch Versorgungsberechtigter im Sprachgebrauch des § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB zur VO AVItech, so dass es jedenfalls an dieser unerlässlichen Voraussetzung für den Anspruch auf die gewünschte "Status-Feststellung" fehlt. Denn der Kläger war zwar nach der Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" (vom 12. April 1962, DDR-GBl. II S. 278) berechtigt, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen. Er hat am Stichtag jedoch keine Beschäftigung ausgeübt, welche seiner beruflichen Qualifikation als Diplom-Ingenieur für Triebwerksbau entsprochen hätte. An diesem Tag war er als Hauptabteilungsleiter Ökonomie tätig und hat somit, was er selbst auch nicht in Abrede stellt, keine ingenieurtechnische Tätigkeit ausgeübt. Ob der Kläger in der Zeit vom 1. Juli 1960 bis 31. Juli 1967 oder gar bis 28. Februar 1975 auf Grund der damals ausgeübten Beschäftigungen die Voraussetzungen für eine "obligatorische" Einbeziehung in die Versorgung erfüllt hätte, ist rechtlich unbeachtlich. Denn eine "fiktive Einbeziehung" kommt nur in Betracht, wenn diese Voraussetzungen am 30. Juni 1990 erfüllt sind. Ein Anspruch auf eine Versorgungszusage kann sich insoweit auch nicht aus § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ergeben. Danach gilt der Verlust von Anwartschaften als nicht eingetreten, soweit die Regelungen der Versorgungssysteme diesen Verlust bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen. Die Vorschrift ist nicht anwendbar, weil sie voraussetzt, dass zu DDR-Zeiten im Einzelfall eine Versorgungszusage tatsächlich erteilt war (s. BSG SozR 3-8570 § 5 Nr. 4; SozR 3-8570 § 1 Nr. 2). Das trifft indes auf den Kläger nicht zu. Denn für die Anwendbarkeit des AAÜG kommt es ausschließlich auf die am 30. Juni 1990 gegebene Sachlage an (s. zuletzt BSG, Urteil vom 18. Dezember 2003 -B 4 RA 18/03 R- zur Veröffentlichung vorgesehen).

Ob die vom Kläger am 30. Juni 1990 tatsächlich ausgeübte Tätigkeit der von ihm ebenfalls erworbenen Qualifikation als Diplomwirtschaftler entsprach, kann dahingestellt bleiben. Denn diese Berufsbezeichnung gehört nicht zu denjenigen, die den Zugang zur AVItech eröffnen können (BSG, Urteil vom 9. April 2002 -B 4 RA 39/01 R-). Im Gegensatz zur Berufsbezeichnung Ingenieurökonom (§ 1 Abs. 2 der Verordnung vom 12. April 1962 a.a.O.) ist sie den in § 1 Abs. 1 der 2. DB zur VO AVItech genannten Berufsbezeichnungen nicht gleichgestellt. Ob der Kläger gleich oder ähnlich einem Ingenieurökonomen tätig gewesen ist, hat rechtlich keine Bedeutung (s. BSG SozR 3-8570 § 5 Nr. 6; ferner etwa BSG, Urteil vom 31. Juli 2002 -B 4 RA 62/01 R-). Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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