L 16 RA 87/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 27 RA 701/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 RA 87/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. April 2003 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist die Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.

Der 1937 geborene, in Österreich lebende Kläger war zuletzt bis 30. Juni 1997 bei der F Gbau GmbH - Niederlassung S - in M versicherungspflichtig beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch arbeitgeberseitige Kündigung aus betriebsbedingten Gründen. Am 8. Juli 1997 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt (AA) M arbeitslos und stellte einen Antrag auf Leistungen, den er in der Folge zurückzog. Seit dem 20. Juli 1998 war er erneut arbeitslos gemeldet und "stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung" (Bescheinigung des AA M vom 17. Januar 2000). Seit dem 1. Februar 1998 bezieht der Kläger von der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vorzeitige Alterspension. Er war in der Zeit vom 1. Juli 1997 bis 31. Januar 1998 auch in Österreich als arbeitssuchend ohne Leistungsanspruch vorgemerkt (Bescheinigung des Arbeitsmarktservice L vom 26. Mai 1998). Spätestens seit August 1997 lebt der Kläger in St. N / St.

Seinen im Januar 1998 gestellten Antrag auf Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2000 ab mit der Begründung, dass der Kläger mangels Wohnsitzes im grenznahen Bereich zur Bundesrepublik Deutschland nicht arbeitslos im Sinne von § 38 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) in der bis 31. Dezember 1999 geltenden Fassung (alter Fassung -a.F.-) sei. Der Kläger sei nicht in der Lage gewesen, von seinem österreichischen Wohnsitz aus ein deutsches AA täglich ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen. Auch ein Beratungsfehler des AA sei nicht ersichtlich, weil dieses ihn hinsichtlich der Rentenansprüche auf eine Beratung durch den Rentenversicherungsträger verwiesen habe. Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens erteilte die Beklagte den Bescheid vom 11. April 2000 über die Gewährung von Altersrente für langjährig Versicherte für die Zeit ab 1. Mai 2000 (Zahlbetrag ab 1. Juni 2000 = monatlich 2.823,44 DM).

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit "ab Antragstellung" bzw. "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" gerichtete Klage mit Urteil vom 30. April 2003 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, weil er nicht arbeitslos im Sinne von § 38 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI a.F. gewesen sei. Es fehle am Tatbestand der objektiven Arbeitslosigkeit. Denn der Kläger sei auf Grund seines Wohnsitzes in Österreich nahe der slowenischen Grenze nicht in der Lage gewesen, ein deutsches AA täglich ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen. Nach § 3 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit zur Pflicht des Arbeitslosen, Vorschlägen des AA zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten zu können (Erreichbarkeits-Anordnung) vom 23. Oktober 1997 (Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit 1997 S. 1685, Ber. S. 1100) sei insoweit noch eine Pendelzeit von bis zu zwei Stunden hinnehmbar gewesen. Dies sei hier jedoch nicht der Fall gewesen. Der Kläger habe nämlich in weit größerer Entfernung zum AA M bzw. einem anderen AA der Bundesrepublik Deutschland gewohnt. Auch der vom Kläger in Bezug genommene Herstellungsanspruch führe zu keiner anderen Beurteilung. Bereits ein Beratungsfehler des AA M sei nicht feststellbar.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter; auf seine Schriftsätze vom 23. März 2004, 15. Juli 2004 und 21. Juli 2004 wird Bezug genommen.

Aus seinem Vorbringen ergibt sich der Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. April 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Dezember 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem "frühestmöglichen Zeitpunkt" Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Rentenakten der Beklagten und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Das Gericht hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitarbeit ab - wie zuletzt beantragt - dem "frühestmöglichen" Zeitpunkt, d.h. im Hinblick auf die Antragstellung im Januar 1998 für die Zeit ab 1. November 1997 (vgl. § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Denn er war und ist in dem zu prüfenden Zeitraum im Sinne von § 38 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI a.F. nicht arbeitslos.

Versicherte haben Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben, entweder bei Beginn der Rente arbeitslos sind und innerhalb der letzten eineinhalb Jahre vor Beginn der Rente insgesamt 52 Wochen arbeitslos waren oder 24 Kalendermonate Altersteilzeitarbeit ausgeübt haben, in den letzten zehn Jahren vor Beginn der Rente acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben, wobei sich der Zeitraum von zehn Jahren um Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, die nicht auch Pflichtbeitragszeiten auf Grund einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit sind, verlängert, und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben (§ 38 Satz 1 SGB VI in der bis 31. Dezember 1999 geltenden und vorliegend gemäß § 300 Abs. 2 SGB VI anwendbaren Fassung). Die tatbestandlichen Voraussetzungen der genannten Vorschrift waren und sind in der Person des Klägers bereits deshalb nicht erfüllt, weil es an einer Arbeitslosigkeit im Inland, d.h. im Geltungsbereich des SGB VI, fehlt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu der im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 1248 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO), die der Senat seiner Entscheidung zu Grunde legt, sind nur Zeiten der Arbeitslosigkeit in Deutschland geeignet, das für den Bezug von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit geforderte Tatbestandsmerkmal der Arbeitslosigkeit zu erfüllen (vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 35 und 49; BSG, Urteil vom 28. Juli 1992 - 5 RJ 62/91 = SozR 2200 § 1248 Nr. 6). Arbeitslos ist ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt. Ferner muss er der (deutschen) Arbeitsverwaltung zur Verfügung stehen. Diese Voraussetzung ist nur dann erfüllt, wenn der Betreffende eine zumutbare, die Beitragspflicht in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes ausüben kann und darf, das AA täglich aufsuchen kann und für das AA erreichbar ist. Diese Voraussetzungen lagen bei dem Kläger, der seit spätestens August 1997 sich ständig in Österreich aufhält und dort ohne Beschäftigung war, nicht vor. Es liegt auf der Hand, dass der Kläger von seinem nahe der Grenze Österreichs zu Slowenien gelegenen Wohnort ein AA in der Bundesrepublik Deutschland nicht täglich aufsuchen konnte und daher auch kein "Grenzgänger" war. Denn sein Wohnort befindet sich in einer Entfernung von über 250 km zur deutschen Grenze und von über 400 km (nach der Erklärung des Klägers beim SG München vom 14. Juli 2004 von 459 km) nach M. Bei dieser Sachlage ergibt sich auch aus der Bescheinigung des AA M vom 17. Januar 2000, nach der der Kläger seit dem 20. Juli 1998 arbeitslos gemeldet ist und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, keine andere Beurteilung. Diese Feststellungen des AA M sind weder für die Beklagte noch für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bindend. Gleiches gilt für das vom Kläger in Bezug genommene Anerkenntnis der Bundesagentur für Arbeit, ihm ab 20. Juli 1998 Arbeitslosengeld zu gewähren (vgl. Schriftsatz vom 15. Juli 2004). Vielmehr haben die Gerichte selbst zu prüfen und festzustellen, ob das geforderte Tatbestandsmerkmal der Arbeitslosigkeit im Sinne von § 38 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI a.F. objektiv vorliegt. Dies war hier ersichtlich nicht der Fall.

Diese Auslegung von § 38 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI a.F. verstößt auch nicht gegen supranationales Recht der Europäischen Union. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat bereits mit Urteil vom 9. Juli 1975 (-Rs 20/75 in EuGHE 1975, 891 = SozR 6050 Artikel 45 Nr. 1) die Frage verneint, ob die Vorgängervorschrift des § 1248 Abs. 2 RVO gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Auch ein Verstoß gegen Artikel 14 Grundgesetz (GG), den der Kläger in Bezug nimmt, ist nicht ersichtlich. Denn der Versicherungsschutz in der deutschen Arbeitslosenversicherung erstreckt sich gerade auf den Bedürfnisfall der inländischen Arbeitslosigkeit. Wie sich aus den Artikeln 69 und 71 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ergibt, hängt der Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosigkeit gerade davon ab, dass der Arbeitslose der Arbeitsverwaltung, bei der er gemeldet ist, zur Verfügung steht. Dies war aber im Hinblick auf die deutsche Arbeitsverwaltung in dem vorliegend in Rede stehenden Zeitraum ab 1. November 1997 gerade nicht der Fall.

Auch im Wege des so genannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruches kann der Kläger nicht so gestellt werden, als hätte nach Beendigung seines letzten versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses und nach seiner Übersiedlung nach Österreich noch eine Arbeitslosigkeit im Inland vorgelegen. Diesbezüglich ist bereits ein Beratungsfehler des AA M nicht ersichtlich. Denn ausweislich der in den Akten der Beklagten befindlichen Sachbearbeitervermerke dieses AA ist dem Kläger bei dem Beratungstermin am 8. Juli 1997 eine Übersicht über die Anspruchsvoraussetzungen für vorzeitige Altersrenten überreicht und der Kläger diesbezüglich auf eine Beratung durch den Rentenversicherungsträger verwiesen worden. Eine weitergehende Beratungspflicht über Rentenangelegenheiten oblag dem AA nicht. Ein entsprechendes Beratungsersuchen vor der Rentenantragstellung im Januar 1998 gegenüber der Beklagten ist jedoch nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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