L 10 AL 189/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 8 AL 563/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AL 189/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 01. Oktober 2002 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Insolvenzgeld für die Zeit vom 01. Februar 2000 bis 30. April 2000.

Die 1964 geborene Klägerin war als kaufmännische Angestellte/Sekretärin bei D. J. (fortan: D. J.), der eine Fahrschule in P. betrieb, tätig. Sie kündigte ihr Arbeitsverhältnis zum 30. April 2000, weil sie für die Monate Februar bis April 2000 keinen Lohn erhalten hatte.

Die Klägerin erhob am 23. Februar 2000 bei dem Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel die unter dem Az. 1 Ca 377/00 registrierte Klage, mit der sie gegenüber D. J. zunächst rückständigen Lohn für die Monate November 1999, Dezember 1999, Januar 2000 sowie eine Gewinnbeteiligung für das Jahr 1999 geltend machte. Am 04. Mai 2000 erhob die Klägerin dann, wiederum bei dem Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel, die unter dem Az. 2 Ca 968/00 registrierte Klage, mit der sie Lohnrückstände für März und April 2000 gegenüber D. J. geltend machte. In beiden arbeitsgerichtlichen Verfahren wurde die Klägerin von denselben Prozessbevollmächtigten wie im vorliegenden Verfahren vertreten.

Am 21. März 2000 schloss die Klägerin mit D. J. einen gerichtlichen Vergleich vor dem Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel (Geschäftsnummer: 1 Ca 377/00) folgenden Inhalts:

"Vergleich:

1. Der Beklagte zahlt an Klägerin als rückständigen Lohn für Januar und Februar 2000 einen Betrag in Höhe von 3.512,78 DM netto. Dieser Betrag ist zahlbar in drei Monatsraten á 1.170,93 DM. Die erste Rate ist am 01.04.2000 fällig, jede weitere am Ersten des Folgemonats.

Gerät der Beklagte mit der Zahlung bis zum fünften Werktag des jeweiligen Monats in Verzug, so ist der gesamte Betrag sofort fällig.

2. Der Beklagte zahlt ferner an die Klägerin 686,07 DM brutto Gewinnbeteiligung für das Jahr 1999."

Mit Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 30. Mai 2000 (Geschäftsnummer: 2 Ca 968/00) wurde D. J. rechtskräftig verurteilt, an die Klägerin 2.500 DM brutto (für den Monat März 2000) nebst 8 Prozent Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettolohn seit dem 16. April 2000 bzw. weitere 2.500 DM brutto (für den Monat April 2000) nebst 8 Prozent Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettolohn seit dem 11. Mai 2000 zu zahlen.

Am 08. August 2000 ging bei dem Amtsgericht Potsdam - Insolvenzgericht - ein Antrag der Kaufmännischen Krankenkasse (fortan: KKH) auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des D. J. ein. Nach dem Gutachten des in dem Insolvenzverfahren bestellten Sachverständigen, Rechtsanwalt B., vom 16. März 2001 wurde die Betriebstätigkeit der Fahrschule des D. J. am 31. August 2000 vollständig eingestellt und das Gewerbe abgemeldet. Durch Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 19. März 2001 wurde über das Vermögen des D. J. wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet.

Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin unterrichteten sie mit Schreiben vom 05. April 2001 von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des D. J. Im Juni 2001 erhielt die Klägerin von Rechtsanwalt B., Insolvenzverwalter, durch Schreiben vom 08. Juni 2001 Kenntnis, sie könne Insolvenzgeld für Lohnansprüche der letzten drei Monate rückwirkend ab Kündigung beim Arbeitsamt beantragen. Sie habe ihm bislang nur eine Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet. In diesem Zusammenhang weise er (Rechtsanwalt B.) darauf hin, dass diesem Antrag eine Begründung für die verspätete Antragstellung beigefügt werden sollte, da die Anmeldefrist ("19.05.2001") bereits verstrichen sei.

In einem Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 11. Juni 2001 erklärten sie in Kenntnis des Schreibens des Rechtsanwalts B. vom 08. Juni 2001, sie seien davon ausgegangen, sie (Klägerin) würde einen Insolvenzgeldantrag stellen. Sie (Prozessbevollmächtigte) sähen aber ein, dass sie von falschen Voraussetzungen ausgegangen seien und sie (Klägerin) hätten informieren müssen. Sie rieten ihr daher, den Antrag auf Insolvenzgeld umgehend beim Arbeitsamt zu stellen und das Verstreichen der Frist damit zu erklären, dass sie (Klägerin) von ihnen, die sie mit ihrer arbeitsrechtlichen Angelegenheit beauftragt gehabt habe, hierauf nicht hingewiesen worden sei. Das Verstreichen der Frist sei damit auf keinen Fall der Klägerin zuzurechnen.

Die Klägerin beantragte am 14. Juni 2001 beim Arbeitsamt Neuruppin - Geschäftsstelle Rathenow - Insolvenzgeld für den entgangenen Lohn der Monate Februar bis April 2000; im Einzelnen wird hierzu auf Blatt 2 der Insolvenzakten der Beklagten verwiesen.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 04. Juli 2001 – ausgehend von einem Insolvenzereignis am 19. März 2001 – wegen Versäumnis der bis zum 19. Mai 2001 laufenden zweimonatigen Ausschlussfrist ab. Ihre Prozessbevollmächtigten hätten ihr mit Schreiben vom 05. April 2001 innerhalb der zweimonatigen Ausschlussfrist unter anderem Kenntnis über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des D. J. verschafft. Am 07. April 2001 habe sie ihrem Prozessbevollmächtigten Vollmacht erteilt, ihre Forderungen zur Insolvenztabelle anzumelden. Sie sei nicht gehindert gewesen, den Antrag innerhalb der Ausschlussfrist einzureichen, eine Nachfrist könne daher nicht eingeräumt werden. Die Versäumung der Ausschlussfrist sei von der Klägerin zu vertreten.

Die Klägerin legte hiergegen am 11. Juli 2001 Widerspruch ein. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin führten zur Begründung u. a. aus:

"Anfang April 2001 erfuhren wir dann, dass am 19.03.01 über das Vermögen des Herrn J. das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Wir haben dies unserer Mandantin mit Schreiben vom 05.04.01 mitgeteilt, allerdings ohne den Hinweis, dass innerhalb der 2-Monats-Frist des § 324 Abs. 3 SGB III das Insolvenzgeld beim Arbeitsamt beantragt werden kann bzw. muss. Frau J. hatte uns vollumfänglich mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen aus dem Arbeitsverhältnis beauftragt. Ihr ging es ersichtlich vornehmlich darum, dass ihre Lohnansprüche gesichert werden und sie den ihr zustehenden Lohn erhält. Dieser uns erteilte Auftrag umfasste daher auch die Verpflichtung, Frau J. über das Wesen des Insolvenzgeldes zu informieren und ihr insbesondere mitzuteilen, dass die Beantragung nur innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen kann.

Diese Unterrichtung haben wir von hier aus nicht vorgenommen, so dass Frau J. über die Frist des § 324 Abs. III SGB nicht informiert war. Dieses unser Versäumnis kann Frau J. nicht zur Last gelegt werden. Frau J. hat sich dadurch, dass sie uns beauftragt hat, darauf verlassen dürfen, dass wir einerseits ihre Interessen gegenüber Herrn J. wahrnehmen und sie andererseits auch über Antragsfristen informieren. Ihr ging es nämlich allein darum, ihren Lohn zu erhalten."

Durch Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2001 wurde der Widerspruch zurückgewiesen; wegen der Einzelheiten des Widerspruchsbescheids wird auf Bl. 70 bis 72 der Insolvenzakten der Beklagten verwiesen.

Mit der am 22. August 2001 vor dem Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter geltend gemacht.

Das Sozialgericht Potsdam hat durch Urteil vom 01. Oktober 2002 die Klage abgewiesen, weil die Antragsfrist für das Insolvenzgeld verstrichen sei; wegen der Einzelheiten des Urteils wird auf Bl. 37 bis 41 der Insolvenzakten der Beklagten verwiesen.

Gegen das den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 18. Oktober 2002 zugestellte Urteil haben sie am 12. November 2002 Berufung eingelegt: Sie (Klägerin) habe die Prozessbevollmächtigten nicht ausdrücklich bevollmächtigt, Insolvenzgeld zu beantragen. Dem Auftrag an die Prozessbevollmächtigten habe allein der Wunsch von ihr zugrunde gelegen, den ihr vorenthaltenen Lohn zu erhalten, entweder durch den Arbeitgeber D. J. selbst, durch den Insolvenzverwalter oder in Form von Insolvenzgeld. Sie habe alles zur Realisierung dieser Ansprüche Mögliche getan. Aus der Kommentierung bei Niesel, SGB III zu § 324 Rdnr. 25 gehe zwar hervor, dass ein Rechtsanwalt, der allgemein mit der Verfolgung der Ansprüche des Arbeitnehmers beauftragt sei, sich auch um Insolvenzgeld bemühen müsse. Dieses Bemühen beinhalte, dass er dem Arbeitnehmer die Voraussetzungen für die Beantragung von Insolvenzgeld darlege und ihm auch die Antragsfrist nenne. Dieser Auftragsumfang sei jedoch weder ausdrücklich normiert noch ausdrücklich in den der Anwaltskanzlei erteilten Vollmachten zur Geltendmachung von Lohnansprüchen oder zur Anmeldung im Insolvenzverfahren enthalten. Eine spezielle Bevollmächtigung zum Zwecke der Verfolgung von Insolvenzgeldansprüchen habe die Klägerin nicht erteilt. Zwar könne die versehentlich unterlassene Information von ihr über die Antragsfrist ein fahrlässiges Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten darstellen. Aus einem fahrlässigen Verhalten der Prozessbevollmächtigten folge aber nicht ohne Weiteres ein fahrlässiges Verhalten von ihr.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 01. Oktober 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Insolvenzgeld für die Zeit vom 01. Februar 2000 bis 30. April 2000 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit den Beteiligten hat am 25. Februar 2004 ein Erörterungstermin stattgefunden. Darin hat die Klägerin u. a. erklärt, bereits Anfang 2000 beim Arbeitsamt Rathenow um Rat gesucht zu haben, wie sie sich wegen der ausstehenden Lohnrückstände seit November 1999 bis Dezember 1999 verhalten solle. D. J. habe für sie Fördermittel bezogen.

Im Nachgang zu dem Erörterungstermin hat die Klägerin geltend gemacht, zwei Mitarbeiter der Beklagten (R. B. und S. N.) hätten Kenntnis von offenen Lohnforderungen der Klägerin gehabt.

Auf Anfrage des Gerichts hat die Mitarbeiterin N. mit Schreiben vom 16. April 2004 u. a. erklärt, sie könne sich wegen des weit zurückliegenden Zeitraums an den Einzelfall bezüglich der Klägerin nicht mehr erinnern. Der Mitarbeiter R. B. hat mit Schreiben vom 07. April 2004 u. a. erklärt, er könne sich an Zahlungsschwierigkeiten der Fahrschule D.J. gegenüber der Klägerin erinnern, jedoch nicht, aufgrund des länger zurückliegenden Zeitraums, an etwaige Beratungsgespräche sowie deren Inhalt.

In der mündlichen Verhandlung vom 03. September 2004 sind die Mitarbeiter der Beklagten R. B. und S. N. zum Beweisthema: "Inhalt des Gesprächs mit der Klägerin Anfang 2000" gehört worden. Wegen der Aussage des Zeugen R. B. wird auf Bl. 102 der Gerichtsakten und wegen der der Zeugin S. N. auf Bl. 103 der Gerichtsakten verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Beteiligten und wegen des Verfahrens wird auf die Gerichtsakten, die Insolvenzakten der Beklagten (Insg.-Nr ...), die Gerichtsakten des Amtsgerichts Potsdam (35 IN 189/01) sowie die Gerichtsakten des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel (Geschäftsnummern: 1 Ca 377/00 und 2 Ca 968/00) ebenfalls verwiesen. Die Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist ohne weitere Zulassung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 500 Euro übersteigt.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für den streitbefangenen Zeitraum.

Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie bei

1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers,

2. Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder

3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt,

(Insolvenzereignis) für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben.

Maßgeblicher Insolvenzzeitpunkt ist vorliegend nach § 183 Abs. 1 Nr. 1 SGB III der 19. März 2001 gewesen; Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des D. J. durch Beschluss des AG Potsdam vom 19. März 2001. Ein Insolvenzereignis iSd § 183 Abs. 1 Nr. 3 SGB III liegt nicht vor, weil zum Zeitpunkt der Einstellung des Betriebes der Fahrschule des D.J. (31. August 2000) bereits der Insolvenzantrag der KKH gestellt worden war (08. August 2000). Mithin ausgehend vom Insolvenzereignis 19. März 2001 hat die Klägerin keinen Anspruch auf Insolvenzgeld für den geltend gemachten Zeitraum, weil sie die Antragsfrist versäumt hat.

Gemäß § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist das Insolvenzgeld beim zuständigen Arbeitsamt innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen.

Die zweimonatige Ausschlussfrist begann am 19. März 2001, dem Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das Amtsgericht Potsdam und endete angesichts der Tatsache, dass der 19. Mai 2001 ein Sonnabend und der 20. Mai 2001 ein Sonntag gewesen ist, mit Ablauf des 21. Mai 2001 (§ 26 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - SGB X - i. V. m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 1 und 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB - , § 26 Abs. 3 SGB X); hiervon ist die Beklagte - jedenfalls mit Schriftsatz vom 16. November 2001 - zutreffend ausgegangen.

Für den Fristbeginn ist der Tag der Kenntnisnahme vom Beschluss des Amtsgerichtes Potsdam unmaßgeblich. Die zweimonatige Ausschlussfrist beginnt bei allen rechtserheblichen Insolvenzereignissen mit deren Eintritt ohne Rücksicht darauf, ob dem Arbeitnehmer, hier der Klägerin, diese Ereignisse bekannt sind oder nicht (BSG SozR 4100 § 141 Nr. 8 m.w.N.; BSG - Urteil vom 04. März 1999 - B 11/10 AL 3/98 R; in USK 9908 sowie DBlR 4524, AFG/§ 141 e). Eine wirksame Antragstellung bei der Beklagten auf Gewährung von Insolvenzgeld bis zum Ende dieser Ausschlussfrist am 21. Mai 2001 ist nicht erfolgt.

Da die Klägerin mit ihrem Antrag vom 14. Juni 2001 die Frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III versäumt hat, hätte ihr die weitere Frist des § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III nur zur Verfügung gestanden, wenn sie die erste Frist aus Gründen, die von ihr nicht zu vertreten sind, versäumt hat. Der Arbeitnehmer hat die Versäumung der Frist zu vertreten, wenn er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat (§ 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III).

Zu vertreten hat der Arbeitnehmer die Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt, also auch jede Fahrlässigkeit (§ 276 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB ). Eine auf Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis der rechtserheblichen Umstände schließt daher den Insolvenzgeldanspruch nach zwei Monaten aus (vgl. BSG Urteil vom 26. August 1983, Aktenzeichen 10 RAr 1/82, SozR 4100 § 141 e Nr. 5). War die Unkenntnis nicht fahrlässig verursacht, beginnt die weitere Zweimonatsfrist nach Wegfall des Hindernisses, das heißt in dem Zeitpunkt, zu dem der Arbeitnehmer, ohne fahrlässig zu handeln, von den entscheidenden Sachverhalten hätte Kenntnis haben können. Wer also die nach den Umständen erforderliche und ihm nach seiner Persönlichkeit zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt und deshalb das den Insolvenzgeldanspruch auslösende Insolvenzereignis nicht kennt, ist mit seinem Insolvenzgeldanspruch jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn er den Antrag nicht spätestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt stellt, zu dem er die genannten Umstände hätte kennen können (BSG, Urteil vom 26. August 1983, a.a.O.). Hinsichtlich der Sorgfaltspflicht gilt ein objektiver Verschuldensmaßstab, der sich an den Erkenntnismöglichkeiten und Fähigkeiten des Antragstellers orientiert. Zu vertreten hat danach der Antragsteller die Nichtbeachtung einer ihm nach seinen Verhältnissen zumutbaren Sorgfalt, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles zur gewissenhaften Prozessführung nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise erforderlich ist (vgl. Peters-Lange in Gagel, Arbeitsförderungsgesetz - Kommentar, § 141 e Rz. 13).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war der Klägerin eine Nachfrist nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III nicht einzuräumen, weil sie sich zum einen ein Fehlverhalten ihrer Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss, und zum andern sie die Frist nach § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III aus Gründen versäumt hat, die von ihr selbst zu vertreten sind.

Für die Zurechenbarkeit eines Fehlverhaltens eines Prozessbevollmächtigten kommt es darauf an, ob dieser im Rahmen des ihm für die Geltendmachung rückständiger Lohnansprüche erteilten Auftrags auch zur Stellung eines Antrages auf Insolvenzgeld befugt war, oder, wenn nicht, ob ihm hieraus eine Informationspflicht oblag, der er nicht nachgekommen ist (BSG SozR 3-4100 § 141 e Nr. 2). Von einer derartigen Verpflichtung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist vorliegend aber nach deren eigenem Vortrag auszugehen, denn diese haben in ihrer Widerspruchsbegründung selbst erklärt, der Auftrag der Klägerin im Rahmen der Geltendmachung rückständiger Lohnansprüche gegenüber D. J. habe auch die Verpflichtung umfasst, die Klägerin über das Wesen des Insolvenzgeldes zu informieren und ihr insbesondere mitzuteilen, dass die Beantragung nur innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen könne. Diese Unterrichtung haben die Prozessbevollmächtigten nicht vorgenommen, wie sie selbst weiter erklären. Dieses Fehlverhalten der Prozessbevollmächtigten muss sich die Klägerin zurechnen lassen.

Auch die Klägerin selbst hat die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt, denn sie wusste bereits aufgrund des Schreibens ihrer Prozessbevollmächtigten vom 05. April 2001, dass über das Vermögen des D. J. das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Ausgehend hiervon stand ihr ausreichende Zeit zur Verfügung (bis 21. Mai 2001), sich über die Bedeutung der Insolvenz hinsichtlich ihrer Lohnansprüche bei der Beklagten, ihren Prozessbevollmächtigten oder dem Insolvenzverwalter zu informieren und – hätte sie dies getan – einen rechtzeitigen Antrag auf Insolvenzgeld zu stellen. Die Klägerin ist aber erst nach dem Schreiben des Rechtsanwalts B. vom 08. Juni 2001 – nach Ablauf der zweimonatigen Antragsfrist - tätig geworden und hat erst nach diesem Zeitpunkt im Hinblick auf ihre ausstehenden Lohnforderungen Insolvenzgeld bei der Beklagten am 14. Juni 2001 beantragt. Allein schon aus dem zeitlichen Ablauf wird deutlich, dass sich die Klägerin erst nach Fristablauf (21. Mai 2001) weitergehend um die Lohnersatzleistung (Insolvenzgeld) gekümmert hat. Ihre Sorgfaltspflichtverletzung besteht schon allein darin, dass sie nicht nach dem Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 05. April 2001 tätig geworden ist.

Ein der Klägerin günstigeres Ergebnis lässt sich nicht aus dem so genannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten. Er hat zur Voraussetzung, dass der Sozialleistungsträger eine ihm auf Grund Gesetzes oder bestehenden Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 15, 14 Sozialgesetzbuch 1. Buch - SGB I), verletzt hat (BSG Urteil vom 25. März 2003, Az.: B 7 AL 106/01 R, in: SozR 4-4300 § 434c Nr. 1). Eine derartige Pflichtverletzung auf Seiten der Beklagten insbesondere im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin, bereits Anfang 2000 beim Arbeitsamt Rathenow wegen offener Lohnforderungen um Rat gesucht zu haben, wird zu Gunsten der Klägerin unterstellt, da die Aussagen der Zeugen erhebliche Unkenntnis zum Recht des Insolvenzgeldes aufweisen. Die Aussage der Zeugin Susan Nettelbeck offenbart hinlänglich, wie mangelhaft die Auskünfte von dieser Mitarbeiterin der Beklagten sind. Ratsuchende werden bei offenen Lohnforderungen von ihr nicht auf die Möglichkeit einer Insolvenzgeld-Antragstellung hingewiesen, weil dies "nicht üblich" sei. Die sich für diese Mitarbeiterin aus §§ 13, 14, 15 SGB I ergebenden Pflichten scheint sie nicht zu kennen. Nichts anderes kann der Aussage des Zeugin Ronald Börs entnommen werden. Er berät zwar zum Konkursausfallgeld/Insolvenzgeld, allerdings sind ihm weder die Antragsfristen bekannt noch für welchen Zeitraum überhaupt diese Leistung zu beanspruchen ist: " für die letzten 3 Monate der ausstehenden Lohnzahlungen ".

Diese Pflichtverletzungen durch Mitarbeiter der Beklagten ändern jedoch nichts daran, dass die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben kann, weil sie sich – wie bereits ausgeführt - das Fehlverhalten ihrer Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss und sie außerdem selbst auf Grund ihrer Untätigkeit nach Erhalt des Schreibens ihrer Prozessbevollmächtigten vom 05. April 2001 die ihr obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt hat (vgl. o.). Bei wertender Betrachtung gelangte der Senat daher zum Ergebnis, dass die - von ihm unterstellte - Pflichtverletzung durch Mitarbeiter der Beklagten weniger schwer wiegt als das zeitlich nachfolgende Fehlverhalten der Klägerin und ihrer Prozessbevollmächtigten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved