L 1 RA 52/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 18 RA 7160/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 RA 52/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger in der DDR in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) hätte einbezogen werden müssen und ihm deshalb Rechte nach dem Anspruchs? und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) zustehen.

Der 1942 geborene Kläger erwarb im Juli 1974 das Recht, die Berufsbezeichnung Ingenieur zu führen. Vom 1. September 1974 bis 31. Dezember 1976 war er beim volkseigenen Betrieb (VEB) D als Offizier für Elektroanlagen beschäftigt. Vom 1. Januar 1977 an arbeitete er bei der Aufbauleitung als Elektroingenieur, die ab Ende 1983 den Namen B des Ministeriums für Bauwesen führte. Ab 1986 weist der Sozialversicherungsausweis des Klägers die Tätigkeitsbezeichnung "Leitung Elektro" aus. Ab 1. Juli 1990 war er Objektbauleiter. Im Laufe der zweiten Jahreshälfte 1990 wurde der Betrieb in eine GmbH umgewandelt und führte seitdem den Namen B GmbH. Dieser Arbeitgeber bescheinigte Jahresbruttoverdienste zwischen 14.520,? M (1977) und 19.584,55 M (1989). Der Freiwilligen Zusatzrentenversicherung (FZR) gehörte der Kläger erst seit Februar 1985 an und versicherte in ihr Arbeitsentgelte in gleicher Höhe wie in der Sozialpflichtversicherung, also in der Regel 600,? M monatlich.

Durch Bescheid vom 2. August 2002 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers (vom 16. August 2000) auf Feststellung der Beschäftigungszeit vom 1. September 1974 bis 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem der Anlage 1 zum AAÜG mangels Erfüllung der Voraussetzungen ab. Im bestätigenden Widerspruchsbescheid vom 12. November 2002 führte die Beklagte näher aus, dass der Kläger bei In-Kraft-Treten des AAÜG am 1. August 1991 nur dann eine Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 dieses Gesetzes gehabt hätte, wenn er entweder bei Schließung der Zusatzversorgungssysteme am 30. Juni 1990 in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen wäre oder nach Maßgabe besonderer gesetzlicher Vorschriften eine solche Einbeziehung nachträglich erlangt hätte oder schließlich aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage aus bundesrechtlicher Sicht einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte. Der Kläger sei weder in ein Versorgungssystem einbezogen gewesen (auch nicht nachträglich einbezogen worden) noch habe er einen Anspruch auf eine Versorgungszusage gehabt. Letzteres hätte eine Beschäftigung des Klägers (am 30. Juni 1990) in einem volkseigenen Produktionsbetrieb (Industrie oder Bau) oder in einem im Sinne des § 1 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung (2. DB) vom 24. Mai 1951 zur Verordnung über die AVItech gleichgestellten Betrieb vorausgesetzt. Daran habe es beim Kläger gefehlt.

Das dagegen angerufene Sozialgericht (SG) Berlin wies die auf Feststellung von Zusatzversicherungszeiten und entsprechenden Arbeitsentgelten für die Zeit von September 1974 bis Juni 1990 gerichtete Klage durch Urteil vom 26. Mai 2003 ab. Der Kläger habe am 30. Juni 1990 nicht bei einem VEB gearbeitet. Er sei auch in keinem gleichgestellten Betrieb tätig gewesen. Zu diesen gehörten zwar die Ministerien. Der Kläger sei aber nicht bei einem Ministerium, sondern bei einer untergeordneten eigenständigen Einrichtung eines Ministeriums beschäftigt gewesen. Dem vorgelegten Arbeitsvertrag sei klar zu entnehmen, dass sein Arbeitgeber nicht das Ministerium für Bauwesen gewesen sei. Dies finde seine Bestätigung im Übrigen in der vom Kläger weiter vorgelegten Ordnung über das Gehaltsregulativ für Generaldirektoren und Kombinatsdirektoren. Danach sei die B nicht vom Minister, sondern von einem Generaldirektor geleitet worden.

Mit der Berufung macht der Kläger geltend, die B habe die Kriterien eines VEB erfüllt. Dies folge aus der Anweisung des Ministers für Bauwesen über die Gründung der Aufbauleitung vom 2. Januar 1973. Nach § 2 der Anweisung habe die Aufbauleitung vom Charakter und von den Aufgaben her die Stellung eines VEB eingenommen. Nach § 3 Abs. 1 sei die Entlohnung der Beschäftigten der Aufbauleitung nach dem Rahmenkollektivvertrag für die bezirks? und kreisgeleitete volkseigene Bauindustrie erfolgt und nach § 3 Abs. 2 habe die Aufbauleitung einen Prämienfonds und einen Kultur? und Sozialfonds auf der Grundlage der für VEB geltenden Rechtsvorschriften gebildet. Die B sei wie ein VEB nach der Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe ein von einem Direktor geleitetes Unternehmen gewesen, welches sich durch Baumaßnahmen für die zentralen Bauten der Hauptstadt der DDR ausgezeichnet habe. Im Statistischen Betriebsregister der DDR sei die B unter dem Schlüssel 11 der Eigentumsformen (volkseigene Betriebe und Kombinate sowie deren Organe und Einrichtungen) sowie unter dem Schlüssel 69910 der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR ?SVWZ? (sonstige produzierende Betriebe) eingeordnet gewesen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Mai 2003 sowie den Bescheid vom 2. August 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für ihn für die Zeit vom 1. September 1974 bis 30. Juni 1990 Zusatzversorgungszeiten und die entsprechenden Arbeitsentgelte nach den Vorschriften des AAÜG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG ? S 18 RA 7160/02 ?) und Beklagtenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das SG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger die begehrte Feststellung (nach § 8 AAÜG) nicht zusteht, weil das AAÜG auf ihn keine Anwendung findet.

Nach § 1 Abs. 1 AAÜG gilt dieses Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Zusatz? und Sonderversorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind (Satz 1). Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaften bei einem Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (Satz 2). Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen ist die Vorschrift im Hinblick auf deren Satz 2 darüber hinaus verfassungskonform ausdehnend dahin auszulegen, dass die Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nicht nur durch die tatsächliche Einbeziehung zu DDR-Zeiten bis zur Schließung der Versorgungssysteme (am 30. Juni 1990) bzw. danach aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften (Rehabilitierungsentscheidung) begründet wird, sondern auch dadurch, dass jemand aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen Sachlage nach der am 1. August 1991 gegebenen Rechtslage einen "Anspruch auf Versorgungszusage" nach den bundesrechtlich fortgeltenden leistungsrechtlichen Regelungen der Versorgungssysteme gehabt hätte (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts [BSG] vom 9. April 2002 ? B 4 RA 31/01 R ? = SozR 3?8570 § 1 Nr. 2 S. 12/13 und ? B 4 RA 3/02 R ? = SozR 3 a.a.O. Nr. 7 S. 54, ständige Rechtsprechung). Zu den in diesem Sinne fortgeltenden leistungsrechtlichen Regelungen gehört die ? für den Kläger allein in Betracht kommende ? Vorschrift des § 1 der Verordnung über die AVItech vom 17. August 1950 (vgl. Anlage 1 Nr. 1 zum AAÜG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 AAÜG) in der Bedeutung, die sie durch § 1 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 der 2. DB gefunden hat (vgl. BSG a.a.O. Nr. 2 S. 13).

Voraussetzung für den Anspruch auf Versorgungszusage war danach außer der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen ? u.a. die des Ingenieurs ? (persönliche Voraussetzung), und der tatsächlichen Ausübung der entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung), dass es sich bei dieser Tätigkeit um eine solche in einem volkseigenen oder diesem gleichgestellten Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens handelte ? betriebliche Voraussetzung ? (vgl. BSG-Urteile vom 9. April 2002 ? B 4 RA 41/01 R ? = SozR 3 a.a.O. Nr. 6 S. 40 und SozR 3 a.a.O. Nr. 7 S. 60).

Der Kläger erfüllte zwar die persönliche, möglicherweise auch die sachliche, nicht aber die betriebliche Voraussetzung, und zwar jedenfalls deshalb, weil er am 30. Juni 1990 in keinem VEB und auch in keinem gleichgestellten Betrieb nach § 1 Abs. 2 der 2. DB beschäftigt war.

Die Baudirektion war kein VEB. Sie war eine dem Ministerium für Bauwesen unterstellte juristische Person und Haushaltsorganisation eigener Art, die zwar "vom Charakter und von den Aufgaben her die Stellung" eines VEB einnahm (§ 2 der Anweisung vom 2. Januar 1973) und auf die bestimmte für VEB geltende Rechtsvorschriften Anwendung fanden (§ 3 Abs. 2 der Anweisung). Gerade diese ? wenn auch weitgehende, so doch letztlich begrenzte ? Bezugnahme auf das für VEB geltende Recht in der Gründungsanweisung macht aber deutlich, dass es sich bei der Baudirektion um keinen VEB im Sinne der Verordnung über die volkseigenen Kombinate, Kombinatsbetriebe und volkseigenen Betriebe vom 8. November 1979 handelte. Anderenfalls hätte die Baudirektion einen Namen geführt, der die Bezeichnung "VEB" enthielt, und wäre im Rechtsverkehr unter diesem Namen aufgetreten (§ 31 Abs. 3 der Verordnung vom 8. November 1979). Das für VEB maßgebliche Recht hätte ohne weiteres auf sie Anwendung gefunden und es hätte keiner besonderen Verweisung bedurft.

Im Übrigen wurde die Baudirektion entgegen der Darstellung des Klägers ? anders als VEB ? nicht von einem Direktor, sondern ? wie das SG bereits zutreffend festgestellt hatte ? (Kombinaten gleich) von einem Generaldirektor geleitet. Die Baudirektion nahm eben "nur" vom "Charakter" und von den Aufgaben her die Stellung eines VEB ein.

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Baudirektion wirtschaftsrechtlich einem VEB gleichgestellt gewesen sein mag, wie dem Statistischen Betriebsregister der DDR entnommen werden könnte. Jedenfalls fehlt es an einem Anhalt dafür, dass von der Verordnung über die AVItech ? also versorgungsrechtlich ? auch juristische Personen erfasst sein sollten, die keine VEB im Sinne der Verordnung vom 8. November 1979 waren. Hiervon ist der Kläger in seiner Klageschrift vom 2. Mai 2003 (S. 4) im Übrigen noch selbst ausgegangen.

Angesichts dessen ist nicht weiter darauf einzugehen, dass die Einordnung der Baudirektion in der Systematik der Volkswirtschaftszweige der DDR unter die "sonstigen produzierenden Betriebe" und nicht unter den Wirtschaftszweig "Bauwirtschaft" (mit der Ordnungszahl 2 beginnender fünfstelliger Schlüssel) eher dagegen spricht, dass der Baudirektion ihre eigene Bautätigkeit das Gepräge gegeben hat (vgl. BSG-Urteil vom 18. Dezember 2003 ? B 4 RA 18/03 R ? = SozR 4?8570 § 1 Nr. 1).

Die Baudirektion war schließlich auch kein gleichgestellter Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 2. DB. Das hat das SG zutreffend dargelegt. Darauf wird Bezug genommen. Die Aufzählung der gleichgestellten Betriebe ist abschließend. Sie duldet wegen des Neueinbeziehungsverbotes keine Erweiterung (vgl. BSG SozR 3 a.a.O. Nr. 6 S. 50).

Die Kostenentscheidung nach § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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