L 9 KR 19/01

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 75 KR 737/99
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 19/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin abgeändert. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger 20.861,66 Euro nebst 4 v.H. Zinsen seit dem 19. April 2000 zu zahlen. Die Beklagte zu 1) hat dem Kläger ein Viertel seiner Kosten des Rechts- streits zu erstatten. Der Kläger hat der Beklagten zu 1) drei Viertel ihrer Kosten und den Beklagten zu 2) bis 15) die gesamten Kosten des Rechts- streits zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten noch über die Höhe der von der Beklagten zu 1) geschuldeten Vergütung für die von dem Kläger erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege an Versicherte der Beklagten zu 1).

Der Kläger betreibt ein Pflegeunternehmen, das u.a. Leistungen der häuslichen Krankenpflege an Versicherte der Beklagten erbringt. Dies geschah zunächst aufgrund einer Rahmenvereinbarung vom 24. Oktober 1994, die zum 31. Dezember 1996 gekündigt wurde. Nach Auslaufen dieser Vereinbarung entstand zwischen den Leistungserbringern und den Krankenkassen und ihren Verbänden Streit über den abzuschließenden Rahmenvertrag, der zu einigen Übergangsregelungen (vom 23. Dezember 1996 für die Zeit ab dem 1. Januar 1997 und vom 8. Januar 1998 für die Zeit ab dem 1. Januar 1998) führte. Die Mehrzahl der Krankenkassen schlossen mit den Leistungserbringern, u.a. auch dem Kläger, den Rahmenvertrag vom 5. Juli 1999 ab, der am 1. September 1999 in Kraft trat (im Folgenden Krankenkassen-Vertrag genannt). Der BKK-Landesverband Ost wurde von seinen Mitgliedern hingegen nicht bevollmächtigt, diesen Vertrag mit den Leistungserbringern abzuschließen. Die Betriebskrankenkassen erarbeiteten in der Folge ein Vertragsangebot, welches sich im Vergleich zum Krankenkassen-Vertrag insbesondere durch eine um etwa 20 v.H. abgesenkte Vergütung und abweichende qualitätssichernde Regelungen und Verfahrensweisen auszeichnete.

Einige Leistungserbringer schlossen am 31. August 1999 einen entsprechenden Vertrag (im Folgenden BKK-Vertrag genannt) ab. Der Kläger erklärte sich hierzu nicht bereit. Er schloss allerdings mit der Beklagten zu 1) am 1. Oktober 1999 vor dem Sozialgericht Berlin (Az.: S 75 KR 737/99 ER) einen Vergleich, mit dem u.a. die Versorgung ihrer Versicherten mit Leistungen der häuslichen Krankenpflege bis zum 31. März 2000 sichergestellt wurde. Die weiteren Beklagten wurden im Rahmen eines weiteren einstweiligen Rechtsschutzverfahrens verpflichtet, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Hauptsache den Kläger bei der Versorgung ihrer Versicherten mit häuslicher Krankenpflege so zu behandeln, wie die Leistungserbringer, mit denen sie am 31. August 1999 entsprechende Versorgungsverträge abgeschlossen hatte (Beschluss des Senats vom 20. April 2000 - L 9 B 17/00 KR ER -).

Am 19. April 2000 hat der Kläger dann vor dem Sozialgericht Berlin unter dem Aktenzeichen S 72 KR 1200/00 gegen die Beklagte zu 1) Klage erhoben, mit dem Ziel, diese zur Zahlung von 20.861,66 Euro (40.801,86 DM) nebst Zinsen zu verurteilen. Um diesen Betrag hatte die Beklagte zu 1) Rechnungen des Klägers für die in der Zeit vom 1. September 1999 bis zum 31. Dezember 1999 an ihre Versicherten erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege gekürzt. Der Kläger hatte diese Rechnungen auf der Basis der Vergütungssätze erstellt, die von den übrigen Krankenkassen in Berlin vom 1. September 1999 an aufgrund des Krankenkassen-Vertrages gezahlt wurden.

Bereits am 6. September 1999 hatte der Kläger gegen die Beklagten eine weitere Klage erhoben, im Kern mit dem Ziel, die Beklagten zu verpflichten, mit ihm einen Versorgungsvertrag über die Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege für die Zeit vom 1. September 1999 an zu den Konditionen des Krankenkassen-Vertrages abzuschließen.

Das Sozialgericht Berlin hat diese Klagen mit Beschluss vom 25. Oktober 2000 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und diese dann mit Urteil vom 4. Dezember 2000 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf den Abschluss eines Vertrages über die Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu den von ihm gewünschten Bedingungen habe. Die Zahlungsklage sei ebenfalls unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Vergütung zu den von ihm gewünschten Sätzen. Dem gesetzlichen Vertragsmodell sei das Prinzip der Verhandlungsparität der Vertragspartner immanent. Dieses Prinzip würde nachhaltig beeinträchtigt, wenn den Leistungsanbietern - bei Fehlen eines Versorgungsvertrages - auf Dauer ein Anspruch auf Vergütung zu bestimmten, mit anderen Krankenkassen vereinbarten Sätzen zustünde.

Im Berufungsverfahren hat der Kläger zunächst sein ursprüngliches Klageziel weiterverfolgt. Nachdem der Senat in einem Parallelverfahren mit rechtskräftigem Urteil vom 10. September 2003 (L 9 KR 33/01) einen Anspruch eines Leistungserbringers auf Abschluss eines Versorgungsvertrages über die Erbringung von häuslichen Krankenpflegeleistungen abgelehnt hatte, hat der Kläger seine Berufung auf die Zahlungsklage gegen die Beklagte zu 1) beschränkt und im Übrigen die Klage zurückgenommen. Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, dass seine Zahlungsklage aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung begründet sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. Dezember 2000 abzuändern und die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an ihn 20.861,66 Euro (40.801,86 DM) nebst 4 v.H. Zinsen seit dem 19. April 2000 zu zahlen.

Die Beklagte zu 1) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

die sie für unbegründet hält.

Die Beklagten zu 2) bis 15) haben keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und auf die Gerichtsakte des Sozialgerichts Berlin mit dem Aktenzeichen S 72 KR 1200/00 sowie auf die Gerichtsakte des Landessozialgerichts Berlin mit dem Aktenzeichen L 9 B 17/00 KR ER verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist, soweit sie nicht zurückgenommen worden ist, im tenorierten Umfang begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Zahlung von 20.861,66 Euro nebst 4 v.H. Zinsen seit dem 19. April 2000 für erbrachte Leistungen der häuslichen Krankenpflege. Das Urteil des Sozialgerichts Berlin war insoweit abzuändern.

Rechtsgrundlage des Anspruchs ist § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in Verbindung mit § 818 Abs. 2 BGB. Danach ist derjenige, der durch die Leistung eines anderen auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ihm zur Herausgabe verpflichtet. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Durch das Tätigwerden des Klägers ist die Beklagte zu 1) von ihrer gegenüber ihren Versicherten bestehenden Verpflichtung zur Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege befreit worden. Diese Leistungsansprüche sind durch die klägerische Leistungserbringung erfüllt und damit erloschen (§ 362 BGB), ohne dass hierfür ein Rechtsgrund - wie zuvor die entsprechenden Versorgungsverträge einschließlich der Übergangsregelungen - vorhanden ist. Deshalb wäre die Beklagte zu 1) zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet. Da dies wegen der Beschaffenheit des Erlangten nicht möglich ist, muss die Beklagte dem Kläger nach § 818 Abs. 2 BGB den Wert ersetzen (Urteil des BSG vom 13. Mai 2004 - B 3 KR 2/03 R -, zitiert nach juris). Für die Wertbestimmung im Sinne des § 818 Abs. 2 BGB ist der objektive Verkehrswert des Erlangten maßgeblich. Der objektive Gegenwert für die Befreiung von den Sachleistungsansprüchen der Versicherten wird durch den finanziellen Aufwand dargestellt, den die beklagte Krankenkasse ihrerseits erspart hat. Dies stellt die Werteinschätzung dar, welche die verkehrsbeteiligten Kreise einer solchen "Freistellung" entgegenbringen. Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Beklagte zu 1) dem Kläger für die von ihm erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege die Vergütungssätze zu zahlen, die während des hier streitigen Zeitraums üblicherweise von den anderen Krankenkassen im Land Berlin an Krankenpflegedienste gezahlt worden sind. Entsprechende Sätze hat der Kläger der Beklagten zu 1) - dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit - für die von ihm erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege in dem hier streitigen Zeitraum in Rechnung gestellt. Diese Beträge hat die Beklagte zu 1) zu Unrecht gekürzt. Denn nach generalisierender Betrachtungsweise (BSG, a.a.O.) hätte die Beklagte zu 1) diese Sätze aufwenden müssen, um Leistungen der ambulanten häuslichen Krankenpflege für ihre Versicherte im Regelfall zu finanzieren. Dafür spricht in erster Linie die Tatsache, dass nach Angaben der Beklagten zu 1) überhaupt nur 10 Pflegeunternehmen bereit waren, Leistungen zu den Bedingungen des BKK-Vertrages zu erbringen. Mit diesen Pflegeunternehmern konnte die Beklagte zu 1) auch lediglich von den im Januar 2000 - im unmittelbar an dem hier streitbefangenen Zeitraum anschließenden Monat - eingetretenen 1159 Leistungsfällen der häuslichen Krankenpflege 263 Leistungsfälle, also noch nicht einmal ein Viertel der Fälle, abdecken und entsprechende Leistungen erbringen. In den restlichen Fällen wurden die Leistungsansprüche entweder durch 37 Sozialstationen erfüllt (58 Leistungsfälle), mit denen die Beklagte noch Einzelverträge, im Wesentlichen zu den Bedingungen des Krankenkassenvertrages, geschlossen hatte, oder durch Pflegedienste, wie der Kläger, die nur bereit waren, zu den Bedingungen des Krankenkassen-Vertrages Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu erbringen.

Da die Beklagte zu 1) aber nur durch die Inanspruchnahme dieser anderen Pflegeunternehmen in der Lage war, die Ansprüche ihrer Versicherten auf Gewährung von Leistungen der ambulanten häuslichen Krankenpflege zu erfüllen, kann auch nicht von einer "aufgedrängten Bereicherung" die Rede sein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der hier noch anzuwendenden Fassung des bis zum 1. Januar 2002 geltenden Gesetzes.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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