L 4 RJ 14/03

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 23 RJ 673/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 4 RJ 14/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Neufeststellung seiner Altersrente unter voller Anrechnung von Beschäftigungszeiten in der Sowjetunion in den Jahren 1967 bis 1989.

Der am 10. September 1929 in Rheinwald/Wolga geborene Kläger besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit und ist als Vertriebener anerkannt. Er lebte bis Juni 1992 in der ehemaligen Sowjetunion, zuletzt in Alma-Ata/Kasachstan. Dort arbeitete er unter anderem vom 11. November 1967 bis zum 15. November 1989 als Kraftfahrer.

Im Juni 1993 stellte er bei der Beklagten einen Rentenantrag und legte dabei eine Übersetzung seines Arbeitsbuches vor. Mit Bescheid vom 29. März 1995 bewilligte die Beklagte Altersrente für langjährig Versicherte ab 1. Juni 1993 (Zahlbetrag ab Mai 1995: 1.528,48 DM). Dabei hatte sie unter anderem alle Beschäftigungszeiten vom 1. April 1947 bis zum 4. Dezember 1991 nur zu fünf Sechsteln angerechnet, da diese nur glaubhaft gemacht und nicht nachgewiesen seien. Den Widerspruch, der sich gegen die fünf-Sechstel-Anrechnung und die Einstufung in Qualifikationsgruppe 5 statt 4 richtete, wies die Beklagte mit Bescheid vom 17. Oktober 1995 u.a. mit der Begründung zurück, dass es dem Kläger trotz Vorlage verschiedener Bescheinigungen, wegen deren Inhalt auf Blatt 97 bis 103 des ersten Bandes der Rentenakten Bezug genommen wird, nicht gelungen sei, Beitragsnachweise zu erbringen. Die hiergegen erhobene Klage (S 23 RJ 1579/95) wies das Sozialgericht Berlin durch Gerichtsbescheid vom 7. Januar 1999 zurück. Auf die Berufung des Klägers (L 16 RJ 12/99) schlossen die Beteiligten vor dem Landessozialgericht Berlin, 16. Senat, in der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2000 folgenden verfahrensbeendenden Vergleich:

1. Die Beklagte verpflichtet sich, die Zeit vom 1. Dezember 1977 bis zum 15. November 1989 der Qualifikationsgruppe 4 der Anlage 13 zum SGB VI zuzuordnen und die Altersrente des Klägers ab 1. Juni 1993 neu festzustellen. 2. Weitergehende Ansprüche macht der Kläger nicht mehr geltend. 3. Kosten sind nicht zu erstatten.

Mit Bescheid vom 24. November 2000 führte die Beklagte diesen Vergleich aus und stellte die Altersrente des Klägers rückwirkend zum 1. Juni 1993 neu fest (Zahlbetrag ab Januar 2001: 1.595,65 DM; Nachzahlung: 50,38 DM).

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 4. Dezember 2000 Widerspruch ein, mit dem er geltend machte, die Einstufung bei Qualifikationsgruppe 4 sei zu gering und der Abzug von einem Sechstel sei fehlerhaft. Im Widerspruchsverfahren legte er Bescheinigungen der kasachischen Transportaktiengesellschaft "ER KERUEN” vom 20. November 2000 und 19. Dezember 2000 vor, wegen deren Inhalt auf Bl. W 12 und 13 des zweiten Bandes der Rentenakten Bezug genommen wird. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 16. Februar 2001 als unzulässig zurück, weil das Begehren des Klägers den Regelungsgehalt des bindend geschlossenen gerichtlichen Vergleichs betreffe. Auch lägen weder neue Tatsachen noch Nachweise vor, die eine Änderung der Sach- oder Rechtslage begründen könnten.

Mit seiner am 15. März 2001 erhobenen Klage verfolgt der Kläger (nur) das Ziel, die Anerkennung der Beschäftigungszeit vom 11. November 1967 bis zum 15. November 1989 ohne Kürzung auf fünf Sechstel zu erreichen. Die im Widerspruchsverfahren vorgelegten Bescheinigungen hätten neuen Beweiswert, so dass er nicht dem gerichtlichen Vergleich zuwider handele. Im Laufe des Verfahrens sind zwei "Archivinformationen” aus dem Zentralen Staatlichen Archiv Almaty vom 10. April 2001 und eine Übersetzung des Arbeitsbuchs des Klägers zu den Akten gelangt, wegen deren Inhalt auf Bl. 23 bis 25 der Gerichtsakte Bezug genommen wird.

Mit Gerichtsbescheid vom 24. Februar 2003 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung, wegen deren Einzelheiten auf die Gerichtsakte Bezug genommen wird, im Wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf volle Anrechnung seiner in der Sowjetunion zurückgelegten Beschäftigungszeiten. An einer Sachentscheidung sei das Gericht nicht gehindert, weil der Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2001 den Widerspruch aus materiellen Gründen zurückgewiesen habe. Für die Vergangenheit bleibe es bei dem am 6. Oktober 2000 vor dem Landessozialgericht wirksam erklärten Verzicht im Sinne von § 46 Abs. 1 SGB I. Soweit der Kläger aber im Dezember 2000 Widerspruch gegen den Ausführungsbescheid vom 24. November 2000 erhoben habe, liege hierin ein Widerruf seines Verzichts mit Wirkung für die Zukunft (§ 46 Abs. 1, 2. Halbs. SGB I). Es fehle aber noch immer an den Voraussetzungen für eine volle Anrechnung der fraglichen Beschäftigungszeiten, denn diese seien nach wie vor nur glaubhaft gemacht und nicht nachgewiesen. Zwar sei die Bescheinigung der Transportaktiengesellschaft "ER KERUEN” vom 19. Dezember 2000 nach Jahren gegliedert und weise aus, dass es von 1967 bis 1989 zu keinen krankheitsbedingten Fehltagen gekommen sei. Gegen den Wert dieser Bescheinigung bestünden jedoch Bedenken, weil es der Lebenserfahrung widerspreche, dass in 22 Jahren nicht ein einziger Krankheitstag vorgelegen haben solle. Die Bescheinigung besage auch nichts zu einer Unterbrechung aus anderen Gründen. Zudem stamme sie nicht vom ehemaligen Arbeitgeber selbst, sondern von dessen Rechtsnachfolger und sei elf Jahre nach Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis ausdrücklich zur Vorlage bei den Rentenstellen in Deutschland erstellt worden. Auf dieser Grundlage könne nicht zweifelsfrei angenommen werden, dass das Beschäftigungsverhältnis bei durchgehender Beitragsentrichtung ununterbrochen bestanden habe.

Gegen den ihm am 14. März 2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22. März 2003 Berufung eingelegt. Mit ihr begehrt er neben der vollen Anerkennung seiner Beschäftigungszeiten nun auch wieder die Einstufung in Qualifikationsgruppe 4 für den vollständigen Zeitraum vom 1. Juli 1967 bis zum 4. Dezember 1991. Neue Nachweise oder Bescheinigungen hinsichtlich der Beschäftigungszeiten sind im Berufungsverfahren nicht zu den Akten gelangt. Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger im Wesentlichen erklärt: Im fraglichen Zeitraum von 1967 bis 1989 habe es tatsächlich keine außergewöhnlichen Fehltage gegeben. Der Bescheinigung vom 19. Dezember 2000 lägen Personalunterlagen zugrunde, die 75 Jahre lang aufzubewahren seien.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2003 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2001 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, seine Altersrente unter voller Anrechnung des Beschäftigungszeitraums vom 11. November 1967 bis zum 4. Dezember 1991 neu zu berechnen und hierbei auch für die Zeit vom 1. Juli 1967 bis 30. November 1977 und vom 16. November 1989 bis 4. Dezember 1991 eine Einstufung in Qualifikationsgruppe 4 vorzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den mit der Berufung angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akte des Streitverfahrens S 23 RJ 1579/95 bzw. L 16 RJ 12/99 und der Rentenakte der Beklagten (zwei Bände) Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterungen der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nicht, wie vom Kläger in seinem Schriftsatz vom 23. April 2003 geltend gemacht, die Einstufung in Qualifikationsgruppe 4 für den vollständigen Zeitraum vom 1. Juli 1967 bis zum 4. Dezember 1991. Seine Klage vom 15. März 2001 hat er nämlich ausdrücklich nur auf die Frage der vollen Anrechnung seiner Beschäftigungszeiten gerichtet. Es steht dem Kläger nicht frei, den Gegenstand des Berufungsverfahrens nun wieder beliebig zu erweitern.

Im Übrigen ist die Berufung des Klägers zulässig, hat jedoch keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 24. Februar 2003 beurteilt die Sach- und Rechtslage zutreffend.

Es bleibt bei der im Prozessvergleich vom 6. Oktober 2000 getroffenen Regelung. Der darin enthaltene Verzicht auf die Geltendmachung weitergehender Ansprüche kann zwar grundsätzlich mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden (§ 46 Abs. 1 SGB I). Es sind jedoch keine erheblichen neuen Tatsachen bekannt geworden, die ein Abrücken vom Vergleich rechtfertigen würden. Die Bescheinigung der Transportaktiengesellschaft "ER KERUEN” vom 20. November 2000 gibt nichts her, weil sie sich nur auf die Beschäftigung des Klägers im hier nicht maßgeblichen Jahr 1990 bezieht. Die von derselben Stelle stammende Bescheinigung vom 19. Dezember 2000 hat auch keinen wesentlich neuen Inhalt, denn sie deckt sich mit der Bescheinigung der Aktiengesellschaft "Autokombinat Nr. 3” vom 11. Mai 1995, die eine nicht von Krankheitszeiten unterbrochene Beschäftigung des Klägers als Kraftfahrer erster Klasse vom 11. November 1967 bis 15. November 1989 bestätigt und auch für die deutschen Rentenstellen gefertigt wurde. Die beiden "Archivinformationen” aus dem Zentralen Staatlichen Archiv Almaty vom 10. April 2001 schließlich bestätigen lediglich die Beschäftigung des Klägers als Kraftfahrer im fraglichen Zeitraum, was schon aus dem bei Beantragung der Rente vorgelegten Arbeitsbuch hervorging. Entgegen der Auffassung des Klägers hat sich die Beweislage damit nach Abschluss des Vergleichs nicht wesentlich geändert.

Unabhängig davon kann der Senat in Würdigung des gesamten Akteninhalts keinen Anspruch auf Neufeststellung der Altersrente unter voller Anrechnung der Beschäftigungszeiten in der Sowjetunion in den Jahren 1967 bis 1989 erkennen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat hier Bezug auf die überzeugenden Darlegungen in den in dieser Sache ergangenen Gerichtsbescheiden des Sozialgerichts Berlin vom 7. Januar 1999 (S 23 RJ 1579/95, Abdruck Bl. 6 bis 8) und vom 24. Februar 2003 (S 23 RJ 673/01, Abdruck Bl. 7 bis 8). Ergänzend bleibt anzumerken: Nach § 16 Abs. 1 FRG stehen Beschäftigungszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland, für die Beiträge entrichtet sind, gleich. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 FRG werden dabei für Zeiten der unter anderem in § 16 FRG genannten Art Entgeltpunkte in Anwendung von § 256b SGB VI ermittelt. Allerdings gilt hierbei nach § 22 Abs. 3 FRG, dass für Beschäftigungszeiten, die nicht nachgewiesen sind, die ermittelten Entgeltpunkte um ein Sechstel gekürzt werden. Der Sinn dieser Regelung besteht darin, dass bei fehlendem Nachweis von Beschäftigungszeiten in diese Zeiten auch solche einer Arbeitsunfähigkeit oder einer sonstigen Arbeitsunterbrechung fallen können, für die der Arbeitgeber keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichten musste. Die Regelung geht von der Erfahrung aus, dass die Beschäftigungszeiten im Allgemeinen nur zu fünf Sechsteln mit Beiträgen belegt sind. Nachgewiesen können Beschäftigungszeiten dann sein, wenn das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass im Einzelfall eine höhere Beschäftigungsdichte erreicht worden ist. Diese Feststellung lässt sich dann treffen, wenn konkrete und glaubwürdige Angaben über den Umfang der Beschäftigungszeiten und die dazwischen liegenden Arbeitsunterbrechungen vorliegen und letztere nicht ein Sechstel erreichen. Nach dem Akteninhalt ist eine höhere Beschäftigungsdichte nicht nachgewiesen. Die persönlichen Beteuerungen des Klägers können grundsätzlich nicht über das Maß einer Glaubhaftmachung im Sinne von § 4 Abs. 1 FRG hinausgehen. Die zu den Akten gelangten Bescheinigungen der kasachischen Stellen lassen ebenfalls keine Überzeugung von höherer Beschäftigungsdichte zu. Das Arbeitsbuch und die Archivbescheinigungen vom 10. April 2001 geben nur den datenmäßigen Rahmen der Beschäftigung wieder (11. November 1967 bis 15. November 1989) und erlauben keinen Rückschluss auf die tatsächliche Beschäftigungsdichte; es bleibt offen, ob die Beschäftigung frei von versicherungsrechtlich bedeutsamer Unterbrechung war. Aber auch die Bescheinigungen des ehemaligen Arbeitgebers bzw. seines Rechtsnachfolgers vom 11. Mai 1995 und vom 19. Dezember 2000 lassen eine solche Überzeugung nicht entstehen. Das Sozialgericht hat insoweit zutreffend ausgeführt, es sei schlechthin undenkbar, dass es im Laufe von 22 Jahren bei elf Stunden Arbeitszeit an sechs Tagen der Woche zu keinerlei krankheitsbedingten Ausfällen gekommen sei. Dieser Wertung schließt der Senat sich an und sieht die genannten Bescheinigungen als fragwürdig an, zumal sie lange nach Ende der Beschäftigungszeit erstellt wurden und nur auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers zur Vorlage bei deutschen Rentenstellen. Weil Missverständnisse oder Manipulation hier nicht mit Gewissheit auszuschließen sind, eine von ernsthaften Zweifeln freie Überzeugung also nicht zu gewinnen ist, bleibt es dabei, dass die Beschäftigungszeit nur glaubhaft gemacht ist und daher nur eine fünf-Sechstel-Anrechnung erfolgen kann. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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