L 16 AL 23/04*10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 53 AL 1878/03
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 AL 23/04*10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. Februar 2004 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit ab 1. März 2002 und die von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsforderung für die Zeit vom 1.März 2002 bis 1. Mai 2002.

Der 1944 geborene Kläger bezog von der Beklagten zuletzt für einen am 29. November 2001 beginnenden Bewilligungsabschnitt Alhi nach einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 305,00 Euro in Höhe von 124,53 Euro wöchentlich ab 1. Januar 2002. Wegen Arbeitsaufnahme stellte die Beklagte die Alhi-Zahlung ab 31. Mai 2002 ein.

Zum 1. März 2002 hatte die Ehefrau des Klägers M B H beim Gewerbeamt unter ihrem Namen das Unternehmen "G E und D" angemeldet. Sie schloss mit dem Kläger am 30. April 2002 einen Arbeitsvertrag, mit dem dieser ab 2. Mai 2002 für die Tätigkeit als "Verkaufsleiter" bei einem monatlichen Bruttogehalt von 1.800,00 Euro eingestellt wurde. Mit Bescheid vom 31. Mai 2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Trainingsmaßnahme bei dem Unternehmen seiner Ehefrau in der Zeit vom 21. April 2002 bis zum 6. Mai 2002. Die Beklagte gewährte der Ehefrau zudem mit Bescheid vom 27. Juni 2002 einen Eingliederungszuschuss anlässlich der Einstellung des Klägers für die Zeit vom 2. Mai 2002 bis zum 1. Mai 2003 in Höhe von 50 % (monatlich = 1.080,00 Euro).

Bereits am 22. April 2002 war der Kläger anlässlich einer Außenprüfung der Beklagten bei der Lüftungswartung im Restaurant "G" in B angetroffen worden. Ausweislich des bei dieser Prüfung erstellten Erfassungsbogens, den der Kläger selbst unterschrieb, war dieser als "Geschäftsführer" des Unternehmens seiner Ehefrau seit dem 1. März 2002 vollschichtig zu einem Monatslohn von 3.500,00 DM brutto beschäftigt. Die Frage nach einem Bezug von Sozialleistungen verneinte der Kläger.

Mit Bescheid vom 21. Juni 2002 hob die Beklagte die Bewilligung von Alhi zunächst für die Zeit ab 2. Mai 2002 und mit Bescheid vom 19. Februar 2003 unter Rücknahme des Bescheides vom 21. Juni 2002 für die Zeit ab 1. März 2002 auf mit der Begründung, dass der Kläger von diesem Zeitpunkt an nicht mehr arbeitslos gewesen sei, was er zumindest grob fahrlässig nicht angezeigt habe. Mit Bescheid vom 10. Oktober 2002 forderte die Beklagte die Erstattung der in der Zeit vom 1. März 2002 bis zum 31. Mai 2002 gezahlten Alhi in Höhe von 1.636,68 Euro. Der Widerspruch des Klägers sowohl gegen diesen Bescheid als auch gegen die Aufhebungsbescheide blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. März 2003).

Im Klageverfahren hat der Kläger vorgetragen, dass die auf dem Erfassungsbogen von ihm gemachten Angaben nicht den Tatsachen entsprechen würden. Er habe tatsächlich erst ab dem 2. Mai 2002 in der Firma seiner Frau gearbeitet. Am 22. April 2002 sei er lediglich im Rahmen der bewilligten Trainingsmaßnahme im Restaurant "G" tätig gewesen. Er sei auch erst ab 2. Mai 2002 zur Sozialversicherung angemeldet worden. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugin H; auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 3. Februar 2004 wird ebenso Bezug genommen wie auf das Vorbringen des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung.

Das SG hat die hinsichtlich des Zeitraums vom 1. März 2002 bis zum 1. Mai 2002 auf Aufhebung des Bescheides vom 10. Oktober 2002 sowie des Bescheides vom 19. Februar 2003, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2003, gerichtete Klage mit Urteil vom 3. Februar 2004 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, die Alhi-Bewilligung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. Nr. 4 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) und i.V.m. § 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) aufzuheben. Der Kläger sei ab dem 1. März 2002 nicht mehr arbeitslos gewesen, wobei dahinstehen könne, ob er tatsächlich in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe oder dies nur zum Schein konstruiert worden sei, um beispielsweise Fördermittel der Beklagten zu erlangen. Der Kläger habe selbst einen Erfassungsbogen unterschrieben, in dem detailliert die Aufnahme seiner Tätigkeit als Geschäftsführer ab dem 1. März 2002 beschrieben werde. Das Vorbringen des Klägers, wonach diese Angaben falsch seien und er den Bogen, ohne ihn durchzulesen, unterschrieben habe, entbehre jeder Glaubwürdigkeit. Auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Kläger von Beginn an als Geschäftsführer tätig gewesen sei und während des Bestehens der Firma seiner Frau "fast alles gemacht" habe. Die Aufnahme dieser Tätigkeit habe der Kläger mindestens grob fahrlässig, höchst wahrscheinlich sogar vorsätzlich verschwiegen. Dass der Anspruch auf Alhi bei Aufnahme einer Tätigkeit entfalle, habe ihm schließlich auch klar sein müssen. Die Erstattungsforderung folge aus § 50 SGB X.

Mit der - nicht begründeten - Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Aus seinem Vorbringen ergibt sich der Antrag,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 3. Februar 2004 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 10. Oktober 2002 und 19. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. März 2003 aufzuheben, soweit die Beklagte darin die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 1. März 2002 bis 1. Mai 2002 aufgehoben und deren Erstattung gefordert hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Leistungsakte der Beklagten (Band 2) und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückweisen können, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung des Klägers, mit der dieser bei verständiger Würdigung seines Begehrens (vgl. § 123 SGG) die erstinstanzlich erhobene und statthafte isolierte Anfechtungsklage im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG weiter verfolgt, ist nicht begründet.

Die Beklagte war gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X berechtigt, die Bewilligung von Alhi für die Zeit ab dem 1. März 2002 bis zum 1. Mai 2002 - nur gegen die Aufhebung der Alhi-Bewilligung für diesen Zeitraum wendet sich der Kläger - mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Der für die Zeit vom 1. März 2002 bis zum 31. Mai 2002 überzahlte Betrag in Höhe von 1.636,68 Euro ist vom Kläger gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten, wobei die Erstattungsforderung für die Zeit vom 2. Mai 2002 bis zum 31. Mai 2002 bereits für die Beteiligten und das Gericht bindend (vgl. § 77 SGG) festgestellt ist.

Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 19. Februar 2003, mit dem der Ausgangsbescheid vom 21. Juni 2002 zurückgenommen worden ist und der gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Ausgangsbescheid geworden ist, ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III. Hinsichtlich der Aufhebung gemäß § 48 SGB X hat die Beklagte die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten.

Die in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III genannten Voraussetzungen für die rückwirkende Aufhebung der Alhi-Bewilligung und die Rückforderung des überzahlten Betrages sind erfüllt. Denn der Kläger hatte jedenfalls ab dem 1. März 2002 keinen Anspruch mehr auf Alhi und er ist seiner Pflicht, die Aufnahme einer Beschäftigung zu diesem Zeitpunkt mitzuteilen, vorsätzlich nicht nachgekommen (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) bzw. er kannte den Wegfall seines Alhi-Anspruches zu diesem Zeitpunkt oder wusste nur deshalb nichts von dem Wegfall dieses Anspruches, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X).

Anspruch auf Alhi hat u.a. nur derjenige, der arbeitslos ist (vgl. § 198 Satz 2 SGB III i.V.m. den §§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 118 Abs. 1 SGB III). Nach dem Ergebnis der vom SG durchgeführten Beweisaufnahme und bei einer Gesamtwürdigung des Verfahrensergebnisses steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger ab 1. März 2002 nicht mehr arbeitslos war, sondern nicht nur vorübergehend in einem vollschichtigen Beschäftigungsverhältnis bei der "G E und D", einem Unternehmen seiner Ehefrau, der Zeugin H, stand. Dies ergibt sich zum einen schon aus der Aussage der Zeugin H selbst, die den Kläger als "Geschäftsführer" bezeichnet hat, und zwar von Beginn der Gewerbeanmeldung an, mithin ab 1. März 2002. Auch der Kläger selbst hat im Termin zur mündlichen Verhandlung bei dem SG erklärt, fast sämtliche geschäftlichen Erledigungen im Rahmen des Unternehmens seiner Ehefrau selbst ausgeführt zu haben. Die Gewerbeanmeldung auf den Namen seiner Frau erfolgte offensichtlich nur aus dem Grunde, weil der Kläger - wie er selbst angegeben hat - aus seiner früheren Zeit als Geschäftsführer noch Schulden hatte. Es besteht aber darüber hinaus auch kein vernünftiger Zweifel daran, dass die eigenen Angaben des Klägers in dem Erfassungsbogen der Beklagten vom 22. April 2002 den Tatsachen entsprechen. Danach hat der Kläger selbst ausdrücklich eingeräumt, seit dem 1. März 2002 als Geschäftsführer im Unternehmen seiner Ehefrau zu einem Monatslohn von 3.500,00 DM brutto vollschichtig beschäftigt gewesen zu sein. Die Frage nach dem Bezug von Leistungen u.a. der Beklagten hat der Kläger überdies wahrheitswidrig verneint.

Das Vorbringen des Klägers im Widerspruchs- und Klageverfahren, mit dem er seine Angaben in diesem Erfassungsbogen zu entkräften versucht hat, wertet der Senat als unglaubhafte Schutzbehauptungen. Auf die diesbezüglichen ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil (S. 5 Absatz 3 Zeile 1 bis S. 6 Absatz 2 letzte Zeile) wird gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen und insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen. Dass der Kläger sich in Ausfluss der bewilligten Trainingsmaßnahme am 22. April 2002 im Restaurant "G" befand, um einen Auftrag für das Unternehmen seiner Ehefrau auszuführen, kann schon deshalb nicht zutreffen, weil diese Trainingsmaßnahme dem Kläger erst mit Bescheid der Beklagten vom 26. April 2002 bewilligt wurde.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind auch nicht deshalb rechtswidrig, weil der Kläger nicht ordnungsgemäß angehört worden wäre. Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Vorschrift dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs und soll das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung stärken und den Bürger vor Überraschungsentscheidungen schützen (vgl. BSG SozR 3-1300 § 24 Nr. 14 m.w.N.). Der Betroffene soll Gelegenheit erhalten, durch sein Vorbringen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt die vorgesehene Entscheidung zu beeinflussen (vgl. BSG SozR 3-1300 § 24 Nr. 4). Zwar lässt sich den Verwaltungsakten nicht entnehmen, dass der Kläger vor Erteilung der Bescheide vom 10. Oktober 2002 und 19. Februar 2003 formal zur beabsichtigten Aufhebung und Rückforderung angehört worden wäre. Die Beklagte konnte aber von einer Anhörung absehen, weil sie die Angaben des Klägers über die Beschäftigung als Geschäftsführer ab 1. März 2002 im Erfassungsbogen vom 22. April 2002 zu Grunde gelegt und insoweit nicht zu Ungunsten des Klägers von diesen Angaben abgewichen ist (§ 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X). Ein möglicher Mangel der zunächst unterbliebenen Anhörung ist zudem jedenfalls dadurch geheilt worden, dass der Kläger im Widerspruchsverfahren und auch im Klageverfahren (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 SGB X) Gelegenheit hatte, Einwendungen vorzubringen (vgl. BSG, Urteil vom 5. Februar 2004 -B 11 AL 39/03 R = SozR 4-4300 § 128 Nr. 1 m.w.N.).

Die Beklagte war somit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 SGB X berechtigt und ohne Ausübung von Ermessen (vgl. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III) verpflichtet, die Alhi-Bewilligung rückwirkend ab 1. März 2002 aufzuheben. Die Pflicht zur Erstattung der überzahlten Alhi folgt aus § 50 Abs. 1 SGB X. Die Beklagte hat in dem Bescheid vom 10. Oktober 2002 die aufgelaufene Überzahlung in Höhe von 1.636,68 Euro für die Zeit vom 1. März 2002 bis zum 31. Mai 2002 gemäß § 50 Abs. 3 SGB X beanstandungsfrei geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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