L 20 AS 3422/13 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 77 AS 30417/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 AS 3422/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2013 aufgehoben und der Antrag zurückgewiesen, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 11. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. November 2013 und der Widersprüche gegen die Sanktionsbescheide vom 18. November 2013 anzuordnen. Außergerichtliche Kosten sind für das einstweilige Rechtsschutzverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Antragsteller bezieht vom Antragsgegner laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II - ALG II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zur Bedarfsgemeinschaft gehören neben dem Antragsteller seine Ehefrau und zwei minderjährige Töchter.

Mit Bescheid vom 23. September 2013 wurde das ALG II des Antragstellers wegen der Nichtwahrnehmung eines Meldetermins am 20. August 2013 für die Monate Oktober, November und Dezember 2013 i.H.v. 34,50 EUR monatlich gemindert. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20. November 2013 zurückgewiesen.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 2013 minderte der Antragsgegner des ALG II des Antragstellers für die Zeit vom 1. November 2013 bis 31. Januar 2014 i.H.v. 103,50 EUR monatlich mit der Begründung, der Antragsgegner habe ein ihm am 20. August 2013 angebotenes Beschäftigungsverhältnis als Helfer/Reinigung bei der Firma c & c S nicht angenommen. Mit weiterem Bescheid vom 2. Oktober 2013 minderte der Antragsgegner das ALG II des Antragstellers für denselben Zeitraum um monatlich 10 % i.H.v. 34,50 EUR aufgrund der Nichtwahrnehmung eines Meldetermins am 13. September 2013. Mit Bescheid vom 11. Oktober 2013 verfügte der Antragsgegner für die Zeit vom 1. November 2013 bis 31. Januar 2014 eine Minderung des ALG II des Antragstellers um 30 % des maßgebenden Regelbedarfs, i.H.v. 103,50 EUR monatlich, weil der Antragsteller ein ihm am 30. August 2013 angebotenes Beschäftigungsverhältnis als Helfer-Reinigung bei der Firma J P GmbH nicht angenommen hatte. Der mit Bescheid vom 2. Oktober 2013 festgestellte Minderungsbetrag trete für den Zeitraum 1. November 2013 bis 31. Januar 2014 hinzu.

Den hiergegen am 21. Oktober 2013 erhobenen Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2013 EUR zurück. Hiergegen hat der Antragsteller am 16. Dezember 2013 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben.

Mit drei Bescheiden vom 18. November 2013 minderte der Beklagte das ALG II des Antragstellers um jeweils 10 % i.H.v. 34,50 EUR monatlich für die Zeit vom 1. Dezember 2013 bis 28. Februar 2014 wegen der Nichtwahrnehmung von Meldeterminen ohne wichtigen Grund am 23. September 2013, 15. Oktober 2013 und 24. Oktober 2013. Mit einem weiteren Bescheid vom 18. November 2013 minderte der Antragsgegner des ALG II des Antragstellers i.H.v. 207,00 EUR monatlich für die Zeit vom 1. Dezember 2013 bis 28. Februar 2014, weil der Antragsteller ein ihm am 11. Oktober 2013 angebotenes Beschäftigungsverhältnis als Reinigungshelfer bei der Firma M GmbH nicht aufgenommen habe. Die Bescheide tragen jeweils den Zusatz "mit dem Anhörungsschreiben vom wurden Sie darüber informiert, dass Ihnen ergänzende Sachleistungen (Gutscheine) und geldwerte Leistungen gewährt werden können. Sie haben die Gewährung von Gutscheinen bisher nicht beantragt. Daher werden Ihnen zunächst keine ergänzenden Sachleistungen gewährt. Ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen können Ihnen auf Antrag noch während des gesamten oben genannten Minderungszeitraums erbracht werden, wenn sie darauf angewiesen sind. In diesem Fall wenden Sie sich bitte an das Jobcenter". Gegen diese Bescheide erhob der Antragsteller am 2. Dezember 2013 Widersprüche, die mit Widerspruchsbescheiden vom 07. und 09. Januar 2014 zurückgewiesen wurden. Gegen diese ist nach Auskunft der Prozessbevollmächtigten unter dem 13. Januar 2014 Klage erhoben worden.

Dem Antragsteller wurden am 25. November 2013 Lebensmittelgutscheine im Wert von 105 EUR ausgehändigt. Am 3. Dezember 2013 wurden der Ehefrau des Antragstellers für den Antragsteller und für den Monat Dezember 2013 Lebensmittelgutscheine i.H.v. 141,50 EUR ausgehändigt. Die Mieten für die Monate November und Dezember 2013 wurden in voller Höhe direkt an den Vermieter überwiesen. Im Januar 2014 war keine Kürzung bei den Kosten der Unterkunft verfügt worden.

Am 16. Dezember 2013 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 11. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2013 sowie der Widersprüche vom 2. Dezember 2013 gegen die Sanktionsbescheide vom 18. November 2013. Ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen seien nach § 31a Abs. 3 S. 2 SGB II zwingend und ohne gesonderten Antrag zu erbringen, wenn ein oder mehrere Kinder im Haushalt des sanktionierten Leistungsberechtigten lebten. Der Antragsgegner hätte bereits im Bescheid vom 11. Oktober 2013 die Erbringung von Sachleistungen anordnen müssen, da für November 2003 bereits ein Minderungsbetrag i.H.v. 138 EUR aufgelaufen gewesen sein. Der Leistungsträger müsse gewährleisten, dass die Ergänzungsleistungen das Existenzminimum sicherstellten und dem verfolgten Ziel, minderjährige Kinder nicht in Mitleidenschaft zu ziehen, gerecht würden. Dem genügten die der Ehefrau des Antragstellers ausgehändigten Lebensmittelgutscheine i.H.v. 141,50 EUR nicht. Die Gutscheine erreichten nicht einmal die für Ernährung, für Gesundheitspflege und für Hygiene und Körperpflege vorgesehenen Anteile im Regelbedarf eines Monats i.H.v. 176 EUR. Der Antragsgegner habe es versäumt, in den angefochtenen Bescheiden bzw. zeitgleich in einem gesonderten Bescheid eine Entscheidung über ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen zu treffen. Als Teil einer einheitlichen Entscheidung sei die Entscheidung über ergänzende Leistungen Bedingungen für eine insgesamt rechtmäßige Sanktionsentscheidung.

Mit Beschluss vom 19. Dezember 2013 hat das Sozialgericht Berlin die aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Antragstellers vom 2. Dezember 2013 gegen die Sanktionsbescheide vom 18. November 2013 und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 16. Dezember 2013 gegen den Widerspruchsbescheid vom 22. November 2013 angeordnet. Die Sanktionsbescheide seien wegen Verstoßes gegen § 31a Abs. 3 S. 2 SGB II rechtswidrig, weil nicht zeitgleich mit der Sanktion über die Gewährung von Sachleistungen entschieden worden sei. Eine spätere oder nachträgliche Gewährung könne den Zweck der Vorschrift nicht mehr erreichen. Dies gelte auch dann, wenn der Leistungsempfänger in der Anhörung zur Sanktion auf die Möglichkeit der Beantragung von Sachleistungen hingewiesen worden und solche Leistungen nicht beantragt habe.

Der Antragsgegner hat gegen den ihm am 20. Dezember 2013 per Fax zugestellten Beschluss am selben Tag Beschwerde erhoben, mit der er geltend macht, dass der Antragsteller bereits mit Anhörungsschreiben vom 11. Oktober 2013 darüber informiert worden sei, dass ergänzende Sachleistungen und geldwerte Leistungen auf Antrag gewährt werden könnten. Im Sanktionsbescheid sei er erneut darauf hingewiesen worden, dass diese Leistungen auf Antrag noch während des gesamten Minderungszeitraums gewährt werden könnten. Dies sei auch geschehen, Lebensmittelgutscheine seien gewährt worden, die Kosten für Unterkunft und Heizung seien ohnehin in voller Höhe an den Vermieter angewiesen worden. Der Sanktionsbescheid sei nicht allein dadurch rechtswidrig geworden, weil zunächst die Gewährung von Sachleistungen abgelehnt worden sei. Die Ablehnung habe sich darauf gestützt, dass der Antragsteller trotz Hinweises auf die Möglichkeit einen entsprechenden Antrag nicht gestellt habe. Diese Verfahrensweise sei nicht rechtswidrig, sondern sinnvoll. Die Entscheidungen über Sanktion und Gewährung von Lebensmittelgutscheinen seien grundsätzlich zwei Entscheidungen, die nicht zwingend miteinander verknüpft seien. Eine nachträgliche Entscheidung könne erfolgen. Der Antragsteller sei auch bei einer Sanktionierung von über 60 % in der Entscheidung frei, ob er die zweifellos auch im öffentlichen Leben stigmatisierenden Lebensmittelgutscheine in Anspruch nehmen wolle oder nicht. Die Entscheidung, eine Gewährung von Lebensmittelgutscheinen abzulehnen, wenn ein entsprechender Wille trotz Hinweises auf das Antragserfordernis im Anhörungsverfahren zur Sanktion nicht geäußert wurde, sei nicht rechtswidrig, wenn zeitgleich darauf hingewiesen werde, dass tatsächlich die Möglichkeit der Gewährung von Lebensmittelgutscheinen für den gesamten Minderungszeitraum noch bestehe und sich die sanktionierte Person hierfür an das Jobcenter wenden solle. Selbst wenn die Entscheidung über ergänzende Sachleistungen fehlerhaft gewesen sein sollte, führe dies nicht automatisch zu einer Rechtswidrigkeit der Entscheidung über die Sanktion. Es handele sich um zwei getrennte und trennbare Entscheidungen, die lediglich zeitgleich erfolgten. Die Sanktionierung selbst sei nach §§ 31a und 32 SGB II nicht zu beanstanden.

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss vom 19. Dezember 2013 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers vertritt die Auffassung, dass die Entscheidung über ergänzende Leistungen Bedingung für eine insgesamt rechtmäßige Sanktionsentscheidung sei. Die Verpflichtung des Grundsicherungsträgers bestehe nach dem Gesetz sogar unabhängig davon, ob der Bedarf minderjähriger Kinder auf andere Weise gedeckt werden könne. Ein Hinweis im Anhörungsschreiben auf die Möglichkeit, ergänzende Leistungen zu beantragen, reiche nicht aus, um den Schutz minderjähriger Kinder vor einem Zugriff auf die ihnen zur Verfügung stehenden Leistungen zu gewährleisten. Diese Formulierung lasse weder eine Zusage noch den bestehenden Rechtsanspruch auf antragsunabhängige Leistungen erkennen. Ergänzende Sachleistungen seien auch dann zu gewähren, wenn die zu sanktionierende Person diese auch nach Hinweisen in der Anhörung nicht ausdrücklich begehre. Die Statuierung eines Antragserfordernisses würde dem mit der Regelung verfolgten Ziel, minderjährige Kinder vor einem Zugriff auf die ihnen zur Verfügung stehenden Leistungen zu schützen, zuwiderlaufen. Ihr Schutz und die Deckung ihrer Bedarfe hänge dann vom Wohlwollen des sanktionierten Haushaltsangehörigen ab. Dies lasse sich mit dem verfassungsrechtlich verankerten staatlichen Wächteramt nicht vereinbaren. Nach der Einschätzung des Gesetzgebers stehe der Bedarf bereits dann fest, wenn minderjährige Kinder dem Haushalt angehörten. Eine zeitlich versetzte Entscheidung würde die Gefahr erhöhen, dass minderjährige Kinder unter den Folgen einer Leistungskürzung infolge einer Pflichtverletzung leiden, ohne dies verschuldet zu haben. Die durch den Antragsgegner praktizierte Gewährung ab Antragstellung könne die bis dahin entstandenen Belastungen für die mitbetroffenen Kinder rückwirkend nicht mehr heilen. Auch habe der Antragsgegner neben den Lebensmittelgutscheinen keine weiteren ergänzenden Leistungen gewährt, obwohl die Prozessbevollmächtigte mehrfach darauf hingewiesen habe, dass Lebensmittelgutscheine allein die Fehlbeträge nicht kompensieren könnten. Diese Schwierigkeiten belegten gerade die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung über die Sanktion und deren Kompensation.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, der vorlag und Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung war.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht – der Sache nach - die aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Antragstellers gegen die Sanktionsbescheide vom 11. Oktober und 18. November 2013 angeordnet. Hierbei ist über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche des Antragstellers zu entscheiden, da grundsätzlich deren aufschiebende Wirkung anzuordnen ist, auch wenn bereits – wie hier - ein Widerspruchsbescheid ergangen und Anfechtungsklage erhoben worden ist. Einer Umstellung des Antrages bedurfte es insoweit nicht.

Der vorliegende Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig. Die Widersprüche des Antragstellers gegen die Sanktionsbescheide vom 11. Oktober und 18. November 2013 haben keine aufschiebende Wirkung; der Senat verweist insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Antrag jedoch unbegründet. Die vom Sozialgericht für eine Anordnung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zutreffend angeführten Voraussetzungen, auf die der Senat verweist, liegen hier nicht vor. Zutreffend führt das Sozialgericht an, dass in den Fällen, in denen kraft Gesetzes die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs nicht eintritt, hiervon durch nachträgliche gerichtliche Anordnung nur abgewichen werden kann, wenn dies ausnahmsweise durch gewichtige Argumente zu begründen ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 86b, Rn. 12c). Eine Anordnung kommt dann in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidung bestehen und diese im Hauptsacheverfahren keinen Bestand haben wird. In einem solchen Fall fehlt es an dem vom Gesetzgeber beim Ausschluss der aufschiebenden Wirkung unterstellten vorrangigen Vollzugsinteresse der Verwaltung.

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Es bestehen jedenfalls nicht solche ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Sanktionsbescheide vom 11. Oktober und 18. November 2013, die hier ausnahmsweise eine Abkehr von dem gesetzlichen Regelfall der sofortigen Vollziehbarkeit der Verwaltungsentscheidung rechtfertigen.

Insbesondere sind die Sanktionsbescheide vom 11. Oktober 2013 und 18. November 2013 nicht allein deswegen rechtswidrig, weil der Antragsgegner in diesen Bescheiden nicht zugleich ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen gemäß § 31a Abs. 3 S. 1 SGB II gewährt hat.

Das Sozialgericht stützt sich zwar in der angefochtenen Entscheidung auf die insoweit überwiegende Rechtsauffassung in der Kommentarliteratur und Rechtsprechung (Sonnhoff in jurisPK-SGB II, § 31a Rn 49; Berlit in LPK-SGB II, 5. Aufl. § 31a Rn 42 m.w.N.; LSG NRW, Beschlüsse v. 22. August 2011 – L 19 AS 1299/11 B ER und vom 20. Oktober 2011 – L 19 AS 1652/11 B ER - juris; SG Berlin, Urteil vom 13. November 2012 – S 63 AS 2351/12 - juris).

Diese Auffassung findet jedoch keine Stütze im Gesetz.

Bereits zu § 31 SGB II in der bis zum 31. März 2011 geltenden Fassung (a.F.) wurde in der Rechtsprechung überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Nichtentscheidung über die Bewilligung von Sachleistungen bei einer Minderung von 100 % des Regelbedarfs - auch wenn ausschließlich volljährige Leistungsempfänger betroffen waren – unmittelbar zu einer Rechtswidrigkeit des Sanktionsbescheides führe (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, 5.1.2011 - L 2 AS 428/10 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen 21.4.2010 - L 13 AS 100/10 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen 9.9.2009 - L 7 B 211/09 AS ER; LSG Berlin-Brandenburg, 16.12.2008 - L 10 B 2154/08 AS ER; veröffentlicht jeweils in Juris; ebenso Berlit in LPK-SGB II, § 31 Rn. 146). Dieser Rechtsprechung ist der Gesetzgeber mit den Änderungen im Sanktionsrecht des SGB II zum 1. April 2011 durch die Einfügung des Antragserfordernisses in § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II entgegengetreten (BT-Drs. 17/4032, 15,17/4095,41; vgl. Berlit in info also 2011, S. 53,57; Valgolio in Hauck/Noftz, K § 31a Rn 54 mwN). Zusätzlich hat der Gesetzgeber in Satz 2 der Vorschrift geregelt, dass die nach § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II im Ermessen des Leistungsträgers stehenden ergänzenden Leistungen zwingend zu erbringen sind, wenn der Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Hierdurch soll verhindert werden, dass minderjährige Kinder durch die Minderung übermäßig belastet werden. Diese zunächst als Sollvorschrift ausgestaltete Regelung ist mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 453 ff.) als Mussvorschrift ausgestaltet worden. Aus dem Verweis auf § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II in Satz 2 der Vorschrift ergibt sich allerdings, dass die Leistungen ebenfalls nur auf Antrag des Leistungsberechtigten zu erbringen sind (ebenso Loose in GK-SGB II VI-1 § 31a Rn. 38; wohl auch Valgolio, a.a.O. Rn 54). Dafür dass in dem Fall, in dem Kinder im Haushalt leben, die unbedingte Pflicht zur Sachleistung auch das in Satz 1 enthaltene Antragserfordernis überlagert und Satz 2 nicht nur die Reduktion des in Satz 1 eingeräumten Ermessens bewirkt (so aber Berlit a.a.O.; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl., 2013, § 31a Rn 41; Sonnhoff a.a.O.; LSG NRW a.a.O.), findet sich im Gesetz keine Stütze. Hätte der Gesetzgeber insoweit von dem ausdrücklich und erstmals in die Regelung eingefügten Antragserfordernis abweichen wollen, hätte er dies ausdrücklich klarstellen müssen. Mit der Regelung in § 31a Abs. 3 S. 2 SGB II wird aber ausschließlich die Ermessensentscheidung über das "Ob" der Leistungserbringung durch eine gebundene Entscheidung des Leistungsträgers ersetzt. Es wird weder von der Voraussetzung abgewichen, dass eine Minderung des Arbeitslosengeldes II um mehr als 30 % des maßgebenden Regelbedarfs gegeben sein muss, noch von dem Antragserfordernis, noch von der Voraussetzung, dass ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen in "angemessenem Umfang" zu erbringen sind. Ein Hinweis im Sanktionsbescheid auf die Möglichkeit der Erbringung ergänzender Sach- bzw. geldwerter Leistungen "auf Antrag" ist damit ausreichend, insbesondere wenn dieser Hinweis wie im vorliegenden Fall bereits zuvor in den Anhörungsschreiben erteilt worden ist und ausreichend Zeit verblieben wäre, um sicherzustellen, dass diese Leistungen bereits zu Beginn der Absenkungszeiträum hätten zur Verfügung stehen können.

Soweit in den Handlungsempfehlungen der BA zu § 31a Abs. 3 S. 2 SGB II davon ausgegangen wird, dass für den Fall, dass der erwerbsfähige Leistungsberechtigte mit minderjährigen Kindern in einem Haushalt lebt, ergänzende Sachleistungen auch dann zu gewähren sind, wenn die zu sanktionierende Person diese, auch nach Hinweisen in der Anhörung, nicht ausdrücklich begehrt, bindet diese Rechtsauffassung das Gericht nicht. Auch der Beklagte kann von diesen "Empfehlungen" nicht angehalten werden, zwingende rechtliche Vorgaben zu umgehen.

Auch der Sinn und Zweck gebietet keine vom Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung. Eine übermäßige Belastung der mit dem sanktionierten Leistungsempfänger zusammenlebenden minderjährigen Kinder wird bereits verhindert, wenn der Betroffene im Absenkungsbescheid – im vorliegenden Fall bereits in den Anhörungsschreiben - darauf hingewiesen wird, dass ihm während des gesamten Absenkungszeitraum auf Antrag ergänzende Leistungen gewährt werden und – wie hier - noch genügend Zeit besteht, diese Leistungen bereits zu Beginn des Absenkungszeitraumes zu erbringen.

Gegen eine zwingende Verknüpfung der Sachleistungsgewährung mit der Absenkungsentscheidung spricht im Übrigen auch, dass zur ergänzenden Leistungsgewährung weitere Ermittlungen erforderlich sein können, die eine abschließende Entscheidung über Art und Umfang dieser Leistungen im Zeitpunkt der Entscheidung über die Absenkung unter Umständen noch nicht erlauben (vgl. insoweit bereits Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 30. September 2011 – L 7 AS 614/10 B ER –, juris). Es handelt sich bei der Entscheidung über die Sachleistungsgewährung und der Entscheidung über die Sanktion schon aus diesem Grund nicht um eine "einheitliche Entscheidung", sondern um zwei Entscheidungen, die lediglich sinnvollerweise in einem Bescheid verknüpft werden sollten.

Der Senat hat auch im Übrigen keine im Rahmen des Antragsverfahrens nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG zu beachtenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Regelungen. Der Antragsgegner stützt die getroffenen Regelungen hinsichtlich der Absenkung des Arbeitslosengeld II um 30 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs aufgrund Nichtbewerbung auf zumutbare Arbeitsstellen rechtmäßig auf § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II bzw. hinsichtlich der Absenkung aufgrund der Meldeversäumnisse um 10 Prozent des Regelsatzes auf § 32 Abs. 1 SGB II. Nach § 31a Abs. 1 Satz 2 SGB II mindert sich das Arbeitslosengeld II bei einer wiederholten Pflichtverletzung im Sinne des § 31 SGB II um 60 v.H des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Eine wiederholte Pflichtverletzung im Sinne des § 31a SGB II liegt dabei nur dann vor, wenn – wie im vorliegenden Fall - eine Pflichtverletzung bereits festgestellt wurde (§ 31a Abs. 1 Satz 4 SGB II). Die Minderung nach § 32 Abs. 1 SGB II tritt gemäß Absatz 2 dieser Vorschrift zu einer Minderung nach § 31a hinzu.

Diese Voraussetzungen sind hier nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchzuführenden Prüfung gegeben.

Der Antragsteller hat trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen und in Kenntnis der Rechtsfolgen sich geweigert, sich auf die ihm angebotene und ihm zumutbare Arbeitsstelle als Helfer im Bereich der Reinigung für Schienenfahrzeuge und Bahnhöfe in Berlin bei der Firma M GmbH zu bewerben. Bereits zuvor hatte er sich ohne zureichenden Grund nicht auf das ihm am 30. August 2013 angebotene Beschäftigungsverhältnis als Helfer-Reinigung bei der Firma J P GmbH beworben (Sanktionsbescheid vom 11. Oktober 2013). Er hat auch ohne zureichende Gründe die Meldetermine beim Antragsgegner nicht wahrgenommen. Die Einwände des Antragstellers im Widerspruchsverfahren, er befände sich in Elternzeit und die Bewerbungen auf die Vermittlungsangebote bzw. die Wahrnehmung der Meldetermine sei ihm aufgrund der Betreuung eines Kindes unter drei Jahren nicht zumutbar, kann aufgrund der Aktenlage, der zufolge sich nicht der Antragsteller sondern dessen Ehefrau in Elternzeit befunden hatte, nicht nachvollzogen werden. Hinsichtlich der Nichteinhaltung von Meldeterminen wird zudem auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2014 und die Ausführungen des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren Bezug genommen, denen der Senat folgt und denen der Antragsteller nicht entgegen getreten ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved