Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 58 AL 1407/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 AL 142/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. März 2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Bescheid der Beklagten vom 29. August 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05. März 2009 geändert wird. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosengeld.
Die 1969 geborene Klägerin, die die griechische Staatsangehörigkeit besitzt, ist von Beruf Schauspielerin. Sie hat ihre Hauptwohnung in B und bezog in der Vergangenheit von der Beklagten mehrfach Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Ihre Berufstätigkeit übt sie regelmäßig außerhalb ihres Wohnortes, jedoch in der Regel in Deutschland aus.
Ein am 6. Oktober 2005 mit Wirkung zum selben Tag gestellter Antrag auf Arbeitslosengeld führte zu einer Bewilligung für eine Anspruchsdauer von längstens 180 Tagen.
Am 14. Mai 2007 meldete sich die Klägerin erneut arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Hierzu legte sie Arbeitsbescheinigungen aus der Zeit vom 15. Juni 2006 bis 30. März 2007 vor. Die Beklagte bewilligte der Klägerin die beantragte Leistung der Sache nach aus dem am 6. Oktober 2005 entstandenen Anspruch für die Restdauer von neun Tagen; hierbei berücksichtigte sie die Minderung der Anspruchsdauer um sieben Tage wegen Versäumung der Pflicht zur rechtzeitigen Arbeitslosmeldung ("Sperrzeitbescheid" vom 6. Juni 2007).
Am 10. Juni 2008 meldete sich die Klägerin nach Zwischenbeschäftigungen erneut mit Wirkung ab 7. Juli 2008 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Soweit sie die Zeit nach dem 6. Oktober 2005 betrafen, lagen zu diesem Zeitpunkt Bescheinigungen über Beschäftigungen aus der Zeit vom 15. Juni 2006 bis zum 6. Juli 2008 vor. Hierunter befand sich auch das von der Kantonalen Arbeitslosenkasse S G (SG) ausgestellte Formular "E 301", ausweislich dessen die Klägerin nach Schweizer Recht Versicherungszeiten vom 30. Januar bis 11. März 2008 und vom 26. bis zum 29. März 2008 zurückgelegt und im Bezugszeitraum einen Verdienst von 21.000,- CHF inkl. Zulagen und Überzeit (Überstunden) im Beschäftigungszweig Theater als Opernsängerin erzielt hatte. Danach erzielte die Klägerin bis Juni 2008 Entgelte aus einem im November 2007 begonnenen Beschäftigungsverhältnis mit einem Theater in C; der Vertrag endete wegen Befristung am 6. Juli 2008 (beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt im Mai 2008 1.400,- EUR, im Juni 1.400,- EUR). Die letzte, ebenfalls bis zum 6. Juli 2008 befristete Beschäftigung vor der Arbeitslosmeldung nahm die Klägerin am 1. Mai 2008 bei einem Theater in D auf (beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt im Mai und Juni 2008 jeweils 5.300,- EUR, im Juli 2008 1.060,- EUR).
Die Beklagte berechnete darauf hin ein Bemessungsentgelt von 99,79 EUR am Tag aus den ab 12. November 2007 abgerechneten Zeiträumen (berücksichtigt wurden 194 Tage im einjährigen Bemessungsrahmen bei 19.360,- EUR Gesamtverdienst), jedoch ohne Arbeitstage oder -entgelte aus dem Beschäftigungsverhältnis in der Schweiz zu berücksichtigen und unter Begrenzung der im Zeitraum 1. Mai bis 30. Juni 2008 erzielten Entgelte auf die Beitragsbemessungsgrenze (jeweils 5.300,- EUR monatlich statt 6.700,- EUR bzw. 6.000,- EUR). Weil das Bemessungsentgelt von 122,91 EUR je Tag aus der vorangegangenen Leistungsbewilligung nach der Berechnung der Beklagten somit darüber lag, gewährte sie der Klägerin durch Bescheid vom 29. August 2008 Arbeitslosengeld ab dem 14. Juli 2008 für eine Anspruchsdauer von längstens 233 Kalendertagen nach dem erhöhten Leistungssatz, ausgehend von der Steuerklasse I. Hierbei berücksichtigte sie eine durch Bescheid vom 28. August 2008 festgestellte Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitslosmeldung von einer Woche Dauer, beginnend am 7. Juli 2008. Der "Sperrzeitbescheid" wurde nach erfolglosem Widerspruchsbescheid durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Sozialgerichts Berlin aufgehoben (Az. S 58 AL 1408/09).
Mit dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 29. August 2008 machte die Klägerin betreffend die Höhe des Arbeitslosengeldes geltend, dass im Zeitraum 30. März bis 6. Juli 2008 zwei Arbeitsverhältnisse - in C und D - bestanden hätten. Entgegen der Auffassung der Beklagten dürften für diesen Zeitraum nicht nur die Arbeitsentgelte bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt werden, wenn die Entgelte in anderen Monaten deutlich unter der Beitragsbemessungsgrenze blieben. Nicht ersichtlich sei darüber hinaus, aus welchem Grund die in der Schweiz erzielten Entgelte unberücksichtigt blieben. Ausgehend von einem Wechselkurs von 1,59 CHF für 1,- EUR ergebe sich ein Arbeitsentgelt von 13.207,55 EUR. Bei einem somit zu berücksichtigenden Verdienst von 34.667,55 EUR an 194 Tagen folge daraus ein Bemessungsentgelt von 178,70 EUR.
Durch Widerspruchsbescheid vom 5. März 2009 wies die Beklagte den Widerspruch betreffend die Höhe des Arbeitslosengeldes zurück. Da die Klägerin im Bemessungsrahmen Inlandsbeschäftigungen von mindestens vier Wochen ausgeübt habe, sei Einkommen, das im Ausland erzielt worden sei, nicht zu berücksichtigen. Entgegen ihrer Auffassung beziehe sich die Höhe des Bemessungsentgelts auch auf den Monat, nicht auf das Jahr.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin weiter die Auffassung vertreten, dass das Bemessungsentgelt höher sei, als von der Beklagten der Leistungsgewährung zugrunde gelegt. Nach dem von der Beklagten herangezogenen Art. 68 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 bestimme überhaupt nur das zuletzt vor der Arbeitslosigkeit in Deutschland erzielte Entgelt die Leistungshöhe. Im Zeitraum 1. Mai bis 6. Juli 2008 habe sie - ohne Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze - Einkünfte von 13.760,- EUR brutto erzielt. Zuletzt hat sie den Antrag gestellt, ihr unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide Arbeitslosengeld ab 7. Juli 2008 "in gesetzlich zustehender Höhe" zu gewähren.
Seit 18. Oktober 2008 stand die Klägerin erneut in Arbeitsverhältnissen.
Durch Urteil vom 26. März 2010 hat das Sozialgericht den Bescheid vom "28." August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2008 geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 7. Juli 2008 Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von 171,67 EUR zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei während ihrer Beschäftigung in der Schweiz als echte, jedenfalls aber als unechte Grenzgängerin anzusehen gewesen. Daher richte sich die Bemessung des Arbeitslosengeldes ausschließlich nach den im Inland zurückgelegten Beschäftigungszeiten. Weil dort Beschäftigungen von mehr als vier Wochen zurückgelegt worden seien, sei keine fiktive Bemessung vorzunehmen. Vielmehr seien die ab dem 1. April 2008 bis zum 6. Juli 2008 erzielten Entgelte, jedoch begrenzt auf die Beitragsbemessungsgrenze, heranzuziehen, wobei es für die Berechnung der Beschäftigungszeiten sachgerecht sei, die gesamte Vertragsdauer und nicht nur die einzelnen Probe- und Vorstellungstage zu berücksichtigen. Das ergebe Verdienste in Höhe von 16.652,28 EUR, die an 97 Tagen erarbeitet worden seien. Hieraus errechne sich das Bemessungsentgelt von 171,67 EUR.
Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, dass Arbeitslosengeld in zutreffender Höhe bewilligt worden sei. Das Europarecht beseitige nicht die Anwendbarkeit der deutschen Bemessungsvorschriften, selbst wenn sich dies nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Art. 68 VO (EWG) 1408/71 ergebe. Dem Sozialgericht, das sich im Übrigen auch nicht streng an den Wortlaut dieser Vorschrift halte, sei zwar grundsätzlich darin recht zu geben, dass der Bemessungszeitraum anders zu bilden sei, um 150 Tage umfassen zu können. Würden die dafür erforderlichen Entgeltabrechnungszeiträume berücksichtigt, so reiche er vom 1. Dezember 2007 bis zum 6. Juli 2008 (entsprechend 175 abgerechneten Tagen in Arbeitsverhältnissen), was bei einem in dieser Zeit - unter Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze - im Inland erzielten Bruttoverdienst von 18.776,- EUR ein Bemessungsentgelt von 107,29 EUR je Tag ergebe. Dieses liege aber weiterhin unter dem Bemessungsentgelt des vorangegangenen Anspruchs.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. März 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil jedenfalls im Ergebnis für zutreffend.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Lediglich aus redaktionellen Gründen war der Urteilsausspruch teilweise neu zu fassen; zu ändern war offenkundig der Bewilligungsbescheid vom 29. August 2008, nicht der nicht den Gegenstand dieses Rechtsstreits bildende "Sperrzeitbescheid" vom 28. August 2008.
Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von 171,67 EUR beanspruchen kann.
Gemäß § 129 Nr. 1 SGB III in der im Zeitpunkt des Anspruchsbeginns geltenden Fassung beträgt das Arbeitslosengeld für Arbeitslose, die - wie die Klägerin - mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).
Gemäß § 130 Abs. 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs. Aus § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III ergibt sich darüber hinaus, dass der Bemessungszeitraum mindestens 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten muss, anderenfalls er sich auf zwei Jahre verlängert.
Bemessungsentgelt ist gemäß § 131 Abs. 1 SGB III das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind.
Nach diesen Regelungen des nationalen Rechts bliebe das von der Klägerin in der Schweiz erzielte Einkommen bereits deshalb außer Betracht, weil es nicht in der Arbeitsförderung nach dem SGB III beitragspflichtig war. Sie stand mit einem in der Schweiz ansässigen Arbeitgeber in einem Arbeitsverhältnis und der Arbeitsort lag in der Schweiz. Die Voraussetzungen für eine Aus- oder Einstrahlung im Sinne der §§ 4, 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch lagen deshalb nicht vor.
Nichts anderes ergibt sich aus den Vorschriften der VO (EWG) 1408/71, die auch im Verhältnis zur Schweiz als Nicht-EU-Land galt (Art. 8 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eid¬ge¬nossen¬schaft einerseits und der Europäischen Gemein¬schaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Frei¬zügig¬keit; zur Frage, ob stattdessen die mittlerweile in Kraft getretene VO (EG) 883/2004 anwendbar sein kann LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. März 2013 - L 8 AL 1225/11, rechtskräftig).
Die Klägerin gehört von vornherein nicht zu den Personen, die im Sinne des Art. 71 VO (EWG) 1408/71 als echte oder unechte Grenzgängerin gelten, weil sie ihre letzte Beschäftigung vor dem Beginn der geltend gemachten Leistung in dem Staat ausübte, der zugleich der "zuständige" Staat für die Leistungsgewährung ist (Deutschland).
In diesem Fall gilt nach Art. 68 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71, dass der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften bei der Berechnung der Leistungen die Höhe des früheren Entgelts zugrunde zu legen ist, ausschließlich das Entgelt berücksichtigt, das der Arbeitslose während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet dieses Staates erhalten hat (Satz 1). Hat jedoch seine letzte Beschäftigung dort weniger als vier Wochen gedauert, so werden die Leistungen auf Grundlage des Entgelts berechnet, das am Wohnort oder Aufenthaltsort des Arbeitslosen für eine Beschäftigung üblich ist, die der Beschäftigung, die er zuletzt im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausgeübt hat, gleichwertig oder mit ihr gleichartig ist (Satz 2).
Aus dieser Vorschrift ergibt sich zunächst, dass das im Ausland erzielte Arbeitsentgelt in jedem Fall für die Leistungsbemessung außer acht bleibt (s. Kretschmer in Niesel/Brand, SGB III, 5. Auflage 2010, Anh. A Art. 68 Rn. 4). Außerdem ergibt sich aus ihr, dass das aus der letzten Beschäftigung erzielte Arbeitsentgelt maßgeblich ist, sofern diese Beschäftigung nur mindestens vier Wochen gedauert hat. Der Zeitraum, für den Entgelt zu berücksichtigen ist, ist insoweit nicht auf vier Wochen zu beschränken. Ein entsprechender Umkehrschluss aus Art. 68 Abs. 1 Satz 2 VO (EWG) 1408/71 kann nicht gezogen werden (so aber Kretschmer a.a.O.). Vielmehr dient die Vierwochengrenze lediglich als Abgrenzungskriterium zu der ansonsten vorzunehmenden fiktiven Bemessung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 2 VO (EWG) Nr. 1408/71.
Eine über den Vierwochenzeitraum hinausreichende zeitliche Höchstgrenze für die zu berücksichtigenden Arbeitsverhältnisse kann wiederum nur das nationale Recht setzen. Im vorliegenden Fall liegt das am 1. Mai 2008 begonnene letzte Arbeitsverhältnis der Klägerin vor der Arbeitslosmeldung jedoch in dem durch § 130 Abs. 1 SGB III umschriebenen Bemessungsrahmen wie dem Bemessungszeitraum. Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Dauer weiterer Arbeitsverhältnisse nicht heranzuziehen, im Besonderen nicht, um 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt zu erhalten. Insoweit gilt der europarechtliche Vorrang des Art. 68 Abs. 1 Satz 2 VO (EWG) 1408/71, der ausschließlich auf das letzte Arbeitsverhältnis abstellt. Dem Vorrang steht dagegen nicht entgegen, dass auch die Entgelte aus dem zeitgleich weiterbestehenden, aber vorher begonnenen Arbeitsverhältnis mit dem Theater in Chemnitz berücksichtigt werden. Bereits nach dem Wortlaut des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 VO (EWG) 1408/71 ist maßgeblich, dass das Entgelt "während", nicht aber dass es "aus" der letzten Beschäftigung erzielt worden ist.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosengeld.
Die 1969 geborene Klägerin, die die griechische Staatsangehörigkeit besitzt, ist von Beruf Schauspielerin. Sie hat ihre Hauptwohnung in B und bezog in der Vergangenheit von der Beklagten mehrfach Leistungen wegen Arbeitslosigkeit. Ihre Berufstätigkeit übt sie regelmäßig außerhalb ihres Wohnortes, jedoch in der Regel in Deutschland aus.
Ein am 6. Oktober 2005 mit Wirkung zum selben Tag gestellter Antrag auf Arbeitslosengeld führte zu einer Bewilligung für eine Anspruchsdauer von längstens 180 Tagen.
Am 14. Mai 2007 meldete sich die Klägerin erneut arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Hierzu legte sie Arbeitsbescheinigungen aus der Zeit vom 15. Juni 2006 bis 30. März 2007 vor. Die Beklagte bewilligte der Klägerin die beantragte Leistung der Sache nach aus dem am 6. Oktober 2005 entstandenen Anspruch für die Restdauer von neun Tagen; hierbei berücksichtigte sie die Minderung der Anspruchsdauer um sieben Tage wegen Versäumung der Pflicht zur rechtzeitigen Arbeitslosmeldung ("Sperrzeitbescheid" vom 6. Juni 2007).
Am 10. Juni 2008 meldete sich die Klägerin nach Zwischenbeschäftigungen erneut mit Wirkung ab 7. Juli 2008 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Soweit sie die Zeit nach dem 6. Oktober 2005 betrafen, lagen zu diesem Zeitpunkt Bescheinigungen über Beschäftigungen aus der Zeit vom 15. Juni 2006 bis zum 6. Juli 2008 vor. Hierunter befand sich auch das von der Kantonalen Arbeitslosenkasse S G (SG) ausgestellte Formular "E 301", ausweislich dessen die Klägerin nach Schweizer Recht Versicherungszeiten vom 30. Januar bis 11. März 2008 und vom 26. bis zum 29. März 2008 zurückgelegt und im Bezugszeitraum einen Verdienst von 21.000,- CHF inkl. Zulagen und Überzeit (Überstunden) im Beschäftigungszweig Theater als Opernsängerin erzielt hatte. Danach erzielte die Klägerin bis Juni 2008 Entgelte aus einem im November 2007 begonnenen Beschäftigungsverhältnis mit einem Theater in C; der Vertrag endete wegen Befristung am 6. Juli 2008 (beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt im Mai 2008 1.400,- EUR, im Juni 1.400,- EUR). Die letzte, ebenfalls bis zum 6. Juli 2008 befristete Beschäftigung vor der Arbeitslosmeldung nahm die Klägerin am 1. Mai 2008 bei einem Theater in D auf (beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt im Mai und Juni 2008 jeweils 5.300,- EUR, im Juli 2008 1.060,- EUR).
Die Beklagte berechnete darauf hin ein Bemessungsentgelt von 99,79 EUR am Tag aus den ab 12. November 2007 abgerechneten Zeiträumen (berücksichtigt wurden 194 Tage im einjährigen Bemessungsrahmen bei 19.360,- EUR Gesamtverdienst), jedoch ohne Arbeitstage oder -entgelte aus dem Beschäftigungsverhältnis in der Schweiz zu berücksichtigen und unter Begrenzung der im Zeitraum 1. Mai bis 30. Juni 2008 erzielten Entgelte auf die Beitragsbemessungsgrenze (jeweils 5.300,- EUR monatlich statt 6.700,- EUR bzw. 6.000,- EUR). Weil das Bemessungsentgelt von 122,91 EUR je Tag aus der vorangegangenen Leistungsbewilligung nach der Berechnung der Beklagten somit darüber lag, gewährte sie der Klägerin durch Bescheid vom 29. August 2008 Arbeitslosengeld ab dem 14. Juli 2008 für eine Anspruchsdauer von längstens 233 Kalendertagen nach dem erhöhten Leistungssatz, ausgehend von der Steuerklasse I. Hierbei berücksichtigte sie eine durch Bescheid vom 28. August 2008 festgestellte Sperrzeit wegen verspäteter Arbeitslosmeldung von einer Woche Dauer, beginnend am 7. Juli 2008. Der "Sperrzeitbescheid" wurde nach erfolglosem Widerspruchsbescheid durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Sozialgerichts Berlin aufgehoben (Az. S 58 AL 1408/09).
Mit dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 29. August 2008 machte die Klägerin betreffend die Höhe des Arbeitslosengeldes geltend, dass im Zeitraum 30. März bis 6. Juli 2008 zwei Arbeitsverhältnisse - in C und D - bestanden hätten. Entgegen der Auffassung der Beklagten dürften für diesen Zeitraum nicht nur die Arbeitsentgelte bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt werden, wenn die Entgelte in anderen Monaten deutlich unter der Beitragsbemessungsgrenze blieben. Nicht ersichtlich sei darüber hinaus, aus welchem Grund die in der Schweiz erzielten Entgelte unberücksichtigt blieben. Ausgehend von einem Wechselkurs von 1,59 CHF für 1,- EUR ergebe sich ein Arbeitsentgelt von 13.207,55 EUR. Bei einem somit zu berücksichtigenden Verdienst von 34.667,55 EUR an 194 Tagen folge daraus ein Bemessungsentgelt von 178,70 EUR.
Durch Widerspruchsbescheid vom 5. März 2009 wies die Beklagte den Widerspruch betreffend die Höhe des Arbeitslosengeldes zurück. Da die Klägerin im Bemessungsrahmen Inlandsbeschäftigungen von mindestens vier Wochen ausgeübt habe, sei Einkommen, das im Ausland erzielt worden sei, nicht zu berücksichtigen. Entgegen ihrer Auffassung beziehe sich die Höhe des Bemessungsentgelts auch auf den Monat, nicht auf das Jahr.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin weiter die Auffassung vertreten, dass das Bemessungsentgelt höher sei, als von der Beklagten der Leistungsgewährung zugrunde gelegt. Nach dem von der Beklagten herangezogenen Art. 68 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71 bestimme überhaupt nur das zuletzt vor der Arbeitslosigkeit in Deutschland erzielte Entgelt die Leistungshöhe. Im Zeitraum 1. Mai bis 6. Juli 2008 habe sie - ohne Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze - Einkünfte von 13.760,- EUR brutto erzielt. Zuletzt hat sie den Antrag gestellt, ihr unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide Arbeitslosengeld ab 7. Juli 2008 "in gesetzlich zustehender Höhe" zu gewähren.
Seit 18. Oktober 2008 stand die Klägerin erneut in Arbeitsverhältnissen.
Durch Urteil vom 26. März 2010 hat das Sozialgericht den Bescheid vom "28." August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2008 geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 7. Juli 2008 Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von 171,67 EUR zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei während ihrer Beschäftigung in der Schweiz als echte, jedenfalls aber als unechte Grenzgängerin anzusehen gewesen. Daher richte sich die Bemessung des Arbeitslosengeldes ausschließlich nach den im Inland zurückgelegten Beschäftigungszeiten. Weil dort Beschäftigungen von mehr als vier Wochen zurückgelegt worden seien, sei keine fiktive Bemessung vorzunehmen. Vielmehr seien die ab dem 1. April 2008 bis zum 6. Juli 2008 erzielten Entgelte, jedoch begrenzt auf die Beitragsbemessungsgrenze, heranzuziehen, wobei es für die Berechnung der Beschäftigungszeiten sachgerecht sei, die gesamte Vertragsdauer und nicht nur die einzelnen Probe- und Vorstellungstage zu berücksichtigen. Das ergebe Verdienste in Höhe von 16.652,28 EUR, die an 97 Tagen erarbeitet worden seien. Hieraus errechne sich das Bemessungsentgelt von 171,67 EUR.
Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, dass Arbeitslosengeld in zutreffender Höhe bewilligt worden sei. Das Europarecht beseitige nicht die Anwendbarkeit der deutschen Bemessungsvorschriften, selbst wenn sich dies nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des Art. 68 VO (EWG) 1408/71 ergebe. Dem Sozialgericht, das sich im Übrigen auch nicht streng an den Wortlaut dieser Vorschrift halte, sei zwar grundsätzlich darin recht zu geben, dass der Bemessungszeitraum anders zu bilden sei, um 150 Tage umfassen zu können. Würden die dafür erforderlichen Entgeltabrechnungszeiträume berücksichtigt, so reiche er vom 1. Dezember 2007 bis zum 6. Juli 2008 (entsprechend 175 abgerechneten Tagen in Arbeitsverhältnissen), was bei einem in dieser Zeit - unter Anwendung der Beitragsbemessungsgrenze - im Inland erzielten Bruttoverdienst von 18.776,- EUR ein Bemessungsentgelt von 107,29 EUR je Tag ergebe. Dieses liege aber weiterhin unter dem Bemessungsentgelt des vorangegangenen Anspruchs.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. März 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil jedenfalls im Ergebnis für zutreffend.
Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Lediglich aus redaktionellen Gründen war der Urteilsausspruch teilweise neu zu fassen; zu ändern war offenkundig der Bewilligungsbescheid vom 29. August 2008, nicht der nicht den Gegenstand dieses Rechtsstreits bildende "Sperrzeitbescheid" vom 28. August 2008.
Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin Arbeitslosengeld nach einem Bemessungsentgelt von 171,67 EUR beanspruchen kann.
Gemäß § 129 Nr. 1 SGB III in der im Zeitpunkt des Anspruchsbeginns geltenden Fassung beträgt das Arbeitslosengeld für Arbeitslose, die - wie die Klägerin - mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).
Gemäß § 130 Abs. 1 SGB III umfasst der Bemessungszeitraum die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs. Aus § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB III ergibt sich darüber hinaus, dass der Bemessungszeitraum mindestens 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthalten muss, anderenfalls er sich auf zwei Jahre verlängert.
Bemessungsentgelt ist gemäß § 131 Abs. 1 SGB III das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. Arbeitsentgelte, auf die der Arbeitslose beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis Anspruch hatte, gelten als erzielt, wenn sie zugeflossen oder nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen sind.
Nach diesen Regelungen des nationalen Rechts bliebe das von der Klägerin in der Schweiz erzielte Einkommen bereits deshalb außer Betracht, weil es nicht in der Arbeitsförderung nach dem SGB III beitragspflichtig war. Sie stand mit einem in der Schweiz ansässigen Arbeitgeber in einem Arbeitsverhältnis und der Arbeitsort lag in der Schweiz. Die Voraussetzungen für eine Aus- oder Einstrahlung im Sinne der §§ 4, 5 Sozialgesetzbuch Viertes Buch lagen deshalb nicht vor.
Nichts anderes ergibt sich aus den Vorschriften der VO (EWG) 1408/71, die auch im Verhältnis zur Schweiz als Nicht-EU-Land galt (Art. 8 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eid¬ge¬nossen¬schaft einerseits und der Europäischen Gemein¬schaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Frei¬zügig¬keit; zur Frage, ob stattdessen die mittlerweile in Kraft getretene VO (EG) 883/2004 anwendbar sein kann LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. März 2013 - L 8 AL 1225/11, rechtskräftig).
Die Klägerin gehört von vornherein nicht zu den Personen, die im Sinne des Art. 71 VO (EWG) 1408/71 als echte oder unechte Grenzgängerin gelten, weil sie ihre letzte Beschäftigung vor dem Beginn der geltend gemachten Leistung in dem Staat ausübte, der zugleich der "zuständige" Staat für die Leistungsgewährung ist (Deutschland).
In diesem Fall gilt nach Art. 68 Abs. 1 VO (EWG) 1408/71, dass der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften bei der Berechnung der Leistungen die Höhe des früheren Entgelts zugrunde zu legen ist, ausschließlich das Entgelt berücksichtigt, das der Arbeitslose während seiner letzten Beschäftigung im Gebiet dieses Staates erhalten hat (Satz 1). Hat jedoch seine letzte Beschäftigung dort weniger als vier Wochen gedauert, so werden die Leistungen auf Grundlage des Entgelts berechnet, das am Wohnort oder Aufenthaltsort des Arbeitslosen für eine Beschäftigung üblich ist, die der Beschäftigung, die er zuletzt im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats ausgeübt hat, gleichwertig oder mit ihr gleichartig ist (Satz 2).
Aus dieser Vorschrift ergibt sich zunächst, dass das im Ausland erzielte Arbeitsentgelt in jedem Fall für die Leistungsbemessung außer acht bleibt (s. Kretschmer in Niesel/Brand, SGB III, 5. Auflage 2010, Anh. A Art. 68 Rn. 4). Außerdem ergibt sich aus ihr, dass das aus der letzten Beschäftigung erzielte Arbeitsentgelt maßgeblich ist, sofern diese Beschäftigung nur mindestens vier Wochen gedauert hat. Der Zeitraum, für den Entgelt zu berücksichtigen ist, ist insoweit nicht auf vier Wochen zu beschränken. Ein entsprechender Umkehrschluss aus Art. 68 Abs. 1 Satz 2 VO (EWG) 1408/71 kann nicht gezogen werden (so aber Kretschmer a.a.O.). Vielmehr dient die Vierwochengrenze lediglich als Abgrenzungskriterium zu der ansonsten vorzunehmenden fiktiven Bemessung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 2 VO (EWG) Nr. 1408/71.
Eine über den Vierwochenzeitraum hinausreichende zeitliche Höchstgrenze für die zu berücksichtigenden Arbeitsverhältnisse kann wiederum nur das nationale Recht setzen. Im vorliegenden Fall liegt das am 1. Mai 2008 begonnene letzte Arbeitsverhältnis der Klägerin vor der Arbeitslosmeldung jedoch in dem durch § 130 Abs. 1 SGB III umschriebenen Bemessungsrahmen wie dem Bemessungszeitraum. Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Dauer weiterer Arbeitsverhältnisse nicht heranzuziehen, im Besonderen nicht, um 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt zu erhalten. Insoweit gilt der europarechtliche Vorrang des Art. 68 Abs. 1 Satz 2 VO (EWG) 1408/71, der ausschließlich auf das letzte Arbeitsverhältnis abstellt. Dem Vorrang steht dagegen nicht entgegen, dass auch die Entgelte aus dem zeitgleich weiterbestehenden, aber vorher begonnenen Arbeitsverhältnis mit dem Theater in Chemnitz berücksichtigt werden. Bereits nach dem Wortlaut des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 VO (EWG) 1408/71 ist maßgeblich, dass das Entgelt "während", nicht aber dass es "aus" der letzten Beschäftigung erzielt worden ist.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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