Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 8 AS 19426/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 1672/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2013 aufgehoben. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 14. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2011 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 1. März 2011 bis 31. Oktober 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit ab 1. März 2011 bis zum 31. Oktober 2011.
Die 1978 geborene, an Epilepsie leidende Klägerin beantragte bei dem Beklagten am 28. Februar 2011 SGB II-Leistungen. Sie absolvierte zu diesem Zeitpunkt und auch während des streitbefangenen Zeitraums einen weiterbildenden Masterstudiengang Gesundheitswissenschaften/Public Health an der C-Universitätsmedizin B als Teilzeitstudium mit hälftiger Studienleistung. Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) lehnte das Studentenwerk B wegen einer Zweitausbildung nach § 7 Abs. 2 BAföG ab (Bescheid vom 11. Januar 2011). Während des in Rede stehenden Zeitraums bezog die Klägerin ein monatlich zufließendes Entgelt als studentische Hilfskraft iHv 395,28 EUR; ferner unterstützten sie ihre Eltern mit darlehensweise gewährten Zahlungen für Wohn-, Krankenversicherungs- und Medikamentenkosten. Die Kosten der von der Klägerin bewohnten Ein-Zimmer-Wohnung (29,56 m²) beliefen sich auf monatlich 325,- EUR (Nettokaltmiete = 250,- EUR zzgl Vorauszahlung für kalte Betriebskosten iHv 25,- EUR zzgl Vorauszahlung für Heizung und – zentral erzeugtes - Warmwasser iHv 50,- EUR).
Der Beklagte lehnte die Gewährung von SGB II-Leistungen mit Bescheid vom 14. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2011 ab mit der Begründung, dass das Studium, welches die Klägerin wegen ihrer Erkrankung voll in Anspruch nehme, dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG sei. Die Nichtgewährung von BAföG-Leistungen folge aus Gründen in der Person der Klägerin.
Die Klage auf SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1. März 2011 bis 31. Oktober 2011 blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts – SG – Berlin vom 20. Februar 2013). Das SG hat zur Begründung im Wesentlichen auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid des Beklagten Bezug genommen.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Ein Anspruch auf SGB II-Leistungen sei nicht nach § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen, weil die von ihr durchlaufene Ausbildung als Teilzeitstudium – anders als bei einem Vollzeitstudium - dem Grunde nach gerade nicht nach dem BAföG förderungsfähig sei.
Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin 20. Februar 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 14. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr für die Zeit ab 1. März 2011 bis 31. Oktober 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Verwaltungsakten des Beklagten (2 Bände) und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, mit der sie bei verständiger Würdigung (vgl § 123 SGG) ihren erstinstanzlich gestellten Antrag auf SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1. März 2011 bis 31. Oktober 2011 weiter verfolgt, ist begründet. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Leistungen nach den §§ 20, 22 SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin in dem in Rede stehenden Zeitraum vom 1. März 2011 bis 31. Oktober 2011. Insbesondere war sie trotz ihrer Epilepsieerkrankung erwerbsfähig iSv § 8 Abs. 1 SGB II, denn sie war nach der auch von den Beteiligen nicht in Zweifel gezogenen ärztlichen Einschätzung des V-Klinikums vom 19. Januar 2011 (Prof. Dr. S) in der Lage, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Bei dem Kriterium der Erwerbsfähigkeit kommt es allein auf eine medizinische Betrachtung des abstrakten Leistungsvermögens an. Unerheblich ist, ob die Klägerin aufgrund der zeitlichen Bindungen durch ihr (Teilzeit)Studium in der Lage war, neben dem Studium mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, denn im Rahmen von § 8 Abs. 1 SGB II besteht ein Leistungsausschluss nur für Personen, die aus medizinischen Gründen (wegen Krankheit oder Behinderung) auf absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Demgemäß werden auch Schüler, die keine nach dem BAföG förderungsfähige Erstausbildung zurücklegen (etwa weil sie zu Hause leben), grundsätzlich nach dem SGB II gefördert, selbst wenn diese Ausbildung ihre Arbeitskraft voll in Anspruch nimmt. Ob die Klägerin gegebenenfalls ihr Studium hätte abbrechen müssen, um einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit nachzugehen, ist keine Frage ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs. 1 SGB II, sondern richtet sich nach der Zumutbarkeit der Aufnahme einer Arbeit iSv § 10 SGB II. Da es sich bei dem von der Klägerin im streitigen Zeitraum absolvierten weiterbildenden Studium um eine weitere Ausbildung auch iSv § 7 Abs. 2 BAföG gehandelt haben dürfte (vgl Bescheid des Studentenwerks B vom 11. Januar 2011 im Verfahren auf Gewährung von Leistungen nach dem BAföG), dürfte diese Ausbildung als Zweitstudium keinen wichtigen Grund für die Unzumutbarkeit einer Arbeit darstellen. Leistungen nach dem SGB II können unter diesem Gesichtspunkt jedoch nur unter den Voraussetzungen der §§ 31 ff SGB II abgesenkt werden bzw ganz wegfallen. Dass die Klägerin neben ihrem Studium keine existenzsichernde Arbeit verrichtete und möglicherweise aus gesundheitlichen Gründen auch nicht verrichten konnte, steht jedoch nicht generell einem Leistungsanspruch entgegen. Eine Einstellung von Leistungen nach dem aus dem Recht des Sozialgesetzbuchs – Arbeitsförderung - (SGB III) entnommenen Gesichtspunkt der "fehlenden Verfügbarkeit" ist im SGB II nicht vorgesehen.
Die Klägerin war in der Zeit vom 1. März 2011 bis 31. Oktober 2011 auch hilfebedürftig. Denn ungeachtet in Ansatz zu bringender Freibeträge reichte ihr erzieltes monatliches Einkommen iHv 395,28 EUR aus ihrer Tätigkeit als studentische Hilfskraft jedenfalls nicht aus, um ihren Bedarf zu decken (Regelleistung iHv 364,- EUR monatlich zzgl angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung iHv 325,- EUR monatlich). Die von den Eltern der Klägerin als Darlehen gewährten Zahlungen für Wohnung und Krankenversicherung sind insoweit nicht als Einkommen zu berücksichtigen, weil sie mit einer Rückzahlungsverpflichtung behaftet waren (vgl BSG, Urteil vom 20. Dezember 2011 – B 4 AS 46/11 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 45). Bereits zum Bundessozialhilfegesetz war anerkannt, dass die Hilfe eines Dritten den Sozialhilfeanspruch dann nicht ausschließt, wenn der Dritte vorläufig - gleichsam anstelle des Sozialhilfeträgers und unter Vorbehalt des Erstattungsverlangens - nur deshalb einspringt, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat Dem sind der 14. und 4. Senat des BSG gefolgt (BSG vom 6. Oktober 2011 - B 14 AS 66/11 R - und 27. September 2011 - B 4 AS 202/10 R – sowie vom 22. November 2011 - B 4 AS 204/10 R – alle juris). Die Zuwendungen der Eltern der Klägerin erfüllen im streitigen Zeitraum diese Voraussetzungen, weil sie nach den in den Verwaltungsakten dokumentierten Erklärungen der Eltern in der Erwartung der Rückzahlung und im Vertrauen auf einen bestehenden, lediglich noch nicht erfüllten Alg II-Anspruch der Klägerin erfolgt sind (sog Substitution). Von dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II in der bis 31. März 2012 geltenden und hier anwendbaren Fassung wird die Klägerin nicht erfasst. Danach haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, bis auf die Leistungen nach dem mWv 1. April 2011 in Kraft getretenen § 27 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Das Teilzeitstudium der Klägerin war dem Grunde nach aber nicht förderungsfähig nach dem BAföG.
Der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 SGB II liegt die Erwägung zu Grunde, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder eine Förderung gemäß den §§ 60 bis 62 bzw – seit 1. April 2012 - den §§ 51, 57 und 58 SGB III auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und die Grundsicherung nach dem SGB II nicht dazu dienen soll, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung im SGB II soll die nachrangige Grundsicherung mithin davon befreien, eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen. Ob eine Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG ist, richtet sich allein nach abstrakten Kriterien; unbeachtlich sind in der Person des Auszubildenden liegende individuelle Versagens- oder Ausschlussgründe (vgl st Rspr des BSG; Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 102/11 R – juris; Urteil vom 27. September 2011 – B 4 AS 160/10 R = SozR 4-4200 § 26 Nr 2; Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 67/08 R – juris; Urteil vom 30. September 2008 – B 4 AS 28/07 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 9; Urteil vom 6. September 2007 – B 14/7b AS36/06 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 6), zB wegen der Staatsangehörigkeit (vgl § 8 BAföG) oder des Überschreitens der Regelaltersgrenze (vgl § 10 Abs. 3 BAföG). Die Prüfung, ob eine Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG ist, richtet sich nach § 2 BAföG (vgl dazu BSG, Urteil vom 19. August 2010 – B 14 AS 24/09 R – juris). § 2 BAföG regelt - von den Besonderheiten des Fernunterrichts (vgl § 3 BAföG) und der Ausbildungen im Ausland (§§ 5, 6 BAföG) abgesehen - den Bereich der (abstrakt) förderungsfähigen Ausbildungen abschließend (vgl BSG aaO). Demgegenüber umschreibt § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG den Grundanspruch auf Ausbildungsförderung und individualisiert (insbesondere durch die grundsätzliche Beschränkung der Förderung auf die erste - sei sie erfolgreich oder erfolglos beendete - Ausbildung) in dem durch § 2 BAföG abstrakt gezogenen Rahmen den Begriff der förderungsfähigen Ausbildung.
"Dem Grunde nach" förderungsfähig nach dem BAföG ist somit nur eine Ausbildung, wenn sie überhaupt – abstrakt – nach jenem Gesetz gefördert werden kann. Bei dem von der Klägerin durchlaufenden Teilzeitstudium ist dies nicht der Fall. Denn vollständig in Teilzeitform durchgeführte Ausbildungen unterfallen dem Leistungsausschluss nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG (vgl auch Thüringer LSG, Beschluss vom 15. Januar 2007 – L 7 AS 1130/06 ER – juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. November 2007 – L 14 B 1224/07 AS ER – juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Juni 2009 – L 13 ASA 39/09 B ER – juris – mwN; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 3. April 2008 – L 2 AS 71/06 – juris). Nach dieser Vorschrift kann nur eine solche Ausbildung durch Leistungen nach dem BAföG gefördert werden, für die die Auszubildenden im Allgemeinen ihre Arbeitskraft voll einsetzen müssen. Das von der Klägerin durchgeführte Teilzeitstudium mit einem Arbeitsaufwand von 20 Zeitstunden in der Woche (vgl Bestätigung der C Bl 14 Verwaltungsakte) entspricht diesen Anforderungen nicht. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin aus krankheitsbedingten Gründen möglicherweise mit einem Teilzeitstudium weitgehend oder voll ausgelastet war und sie individuell zu einem Vollzeitstudium gar nicht in der Lage war. Denn der Leistungsausschluss nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG betrifft – wie bereits dargelegt - nicht die Förderung im konkreten Falle, sondern die abstrakte Förderungsfähigkeit. Es kommt danach nicht darauf an, ob der einzelne Auszubildende nach seinen persönlichen Verhältnissen noch in der Lage ist, neben der Ausbildung seine Arbeitskraft für eine andere Tätigkeit einzusetzen, sondern allein darauf, ob die Ausbildung als solche in Vollzeitform durchgeführt wird. Insofern sieht das Gesetz eine objektive Betrachtung vor, zu der auch der Beklagte in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid eingeräumt hat, dass die Klägerin sich in einer dem Grunde nach nicht förderungsfähigen Ausbildung befand. Im Rahmen von § 7 Abs. 5 SGB II ist zudem unerheblich, dass die Klägerin neben den objektiven auch die subjektiven Voraussetzungen für eine Förderung nach dem BAföG nicht erfüllen dürfte, weil es sich um ein Zweitstudium handelte und sie überdies die Regelaltersgrenze überschritten hatte, denn der Leistungsausschluss nach dem SGB II bezieht sich nur auf Fälle einer dem Grunde nach BAföG-förderungsfähigen Ausbildung.
Da dem Grunde nach ein Leistungsanspruch besteht, konnte sich das Gericht auf ein Grundurteil iSv § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG beschränken. Der Beklagte wird nunmehr die konkreten Leistungsansprüche der Klägerin im Streitzeitraum festzusetzen haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit ab 1. März 2011 bis zum 31. Oktober 2011.
Die 1978 geborene, an Epilepsie leidende Klägerin beantragte bei dem Beklagten am 28. Februar 2011 SGB II-Leistungen. Sie absolvierte zu diesem Zeitpunkt und auch während des streitbefangenen Zeitraums einen weiterbildenden Masterstudiengang Gesundheitswissenschaften/Public Health an der C-Universitätsmedizin B als Teilzeitstudium mit hälftiger Studienleistung. Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) lehnte das Studentenwerk B wegen einer Zweitausbildung nach § 7 Abs. 2 BAföG ab (Bescheid vom 11. Januar 2011). Während des in Rede stehenden Zeitraums bezog die Klägerin ein monatlich zufließendes Entgelt als studentische Hilfskraft iHv 395,28 EUR; ferner unterstützten sie ihre Eltern mit darlehensweise gewährten Zahlungen für Wohn-, Krankenversicherungs- und Medikamentenkosten. Die Kosten der von der Klägerin bewohnten Ein-Zimmer-Wohnung (29,56 m²) beliefen sich auf monatlich 325,- EUR (Nettokaltmiete = 250,- EUR zzgl Vorauszahlung für kalte Betriebskosten iHv 25,- EUR zzgl Vorauszahlung für Heizung und – zentral erzeugtes - Warmwasser iHv 50,- EUR).
Der Beklagte lehnte die Gewährung von SGB II-Leistungen mit Bescheid vom 14. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2011 ab mit der Begründung, dass das Studium, welches die Klägerin wegen ihrer Erkrankung voll in Anspruch nehme, dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG sei. Die Nichtgewährung von BAföG-Leistungen folge aus Gründen in der Person der Klägerin.
Die Klage auf SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1. März 2011 bis 31. Oktober 2011 blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts – SG – Berlin vom 20. Februar 2013). Das SG hat zur Begründung im Wesentlichen auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid des Beklagten Bezug genommen.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor: Ein Anspruch auf SGB II-Leistungen sei nicht nach § 7 Abs. 5 SGB II ausgeschlossen, weil die von ihr durchlaufene Ausbildung als Teilzeitstudium – anders als bei einem Vollzeitstudium - dem Grunde nach gerade nicht nach dem BAföG förderungsfähig sei.
Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin 20. Februar 2013 und den Bescheid des Beklagten vom 14. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr für die Zeit ab 1. März 2011 bis 31. Oktober 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Verwaltungsakten des Beklagten (2 Bände) und die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, mit der sie bei verständiger Würdigung (vgl § 123 SGG) ihren erstinstanzlich gestellten Antrag auf SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1. März 2011 bis 31. Oktober 2011 weiter verfolgt, ist begründet. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Leistungen nach den §§ 20, 22 SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin in dem in Rede stehenden Zeitraum vom 1. März 2011 bis 31. Oktober 2011. Insbesondere war sie trotz ihrer Epilepsieerkrankung erwerbsfähig iSv § 8 Abs. 1 SGB II, denn sie war nach der auch von den Beteiligen nicht in Zweifel gezogenen ärztlichen Einschätzung des V-Klinikums vom 19. Januar 2011 (Prof. Dr. S) in der Lage, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Bei dem Kriterium der Erwerbsfähigkeit kommt es allein auf eine medizinische Betrachtung des abstrakten Leistungsvermögens an. Unerheblich ist, ob die Klägerin aufgrund der zeitlichen Bindungen durch ihr (Teilzeit)Studium in der Lage war, neben dem Studium mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, denn im Rahmen von § 8 Abs. 1 SGB II besteht ein Leistungsausschluss nur für Personen, die aus medizinischen Gründen (wegen Krankheit oder Behinderung) auf absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Demgemäß werden auch Schüler, die keine nach dem BAföG förderungsfähige Erstausbildung zurücklegen (etwa weil sie zu Hause leben), grundsätzlich nach dem SGB II gefördert, selbst wenn diese Ausbildung ihre Arbeitskraft voll in Anspruch nimmt. Ob die Klägerin gegebenenfalls ihr Studium hätte abbrechen müssen, um einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit nachzugehen, ist keine Frage ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs. 1 SGB II, sondern richtet sich nach der Zumutbarkeit der Aufnahme einer Arbeit iSv § 10 SGB II. Da es sich bei dem von der Klägerin im streitigen Zeitraum absolvierten weiterbildenden Studium um eine weitere Ausbildung auch iSv § 7 Abs. 2 BAföG gehandelt haben dürfte (vgl Bescheid des Studentenwerks B vom 11. Januar 2011 im Verfahren auf Gewährung von Leistungen nach dem BAföG), dürfte diese Ausbildung als Zweitstudium keinen wichtigen Grund für die Unzumutbarkeit einer Arbeit darstellen. Leistungen nach dem SGB II können unter diesem Gesichtspunkt jedoch nur unter den Voraussetzungen der §§ 31 ff SGB II abgesenkt werden bzw ganz wegfallen. Dass die Klägerin neben ihrem Studium keine existenzsichernde Arbeit verrichtete und möglicherweise aus gesundheitlichen Gründen auch nicht verrichten konnte, steht jedoch nicht generell einem Leistungsanspruch entgegen. Eine Einstellung von Leistungen nach dem aus dem Recht des Sozialgesetzbuchs – Arbeitsförderung - (SGB III) entnommenen Gesichtspunkt der "fehlenden Verfügbarkeit" ist im SGB II nicht vorgesehen.
Die Klägerin war in der Zeit vom 1. März 2011 bis 31. Oktober 2011 auch hilfebedürftig. Denn ungeachtet in Ansatz zu bringender Freibeträge reichte ihr erzieltes monatliches Einkommen iHv 395,28 EUR aus ihrer Tätigkeit als studentische Hilfskraft jedenfalls nicht aus, um ihren Bedarf zu decken (Regelleistung iHv 364,- EUR monatlich zzgl angemessene Kosten der Unterkunft und Heizung iHv 325,- EUR monatlich). Die von den Eltern der Klägerin als Darlehen gewährten Zahlungen für Wohnung und Krankenversicherung sind insoweit nicht als Einkommen zu berücksichtigen, weil sie mit einer Rückzahlungsverpflichtung behaftet waren (vgl BSG, Urteil vom 20. Dezember 2011 – B 4 AS 46/11 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 45). Bereits zum Bundessozialhilfegesetz war anerkannt, dass die Hilfe eines Dritten den Sozialhilfeanspruch dann nicht ausschließt, wenn der Dritte vorläufig - gleichsam anstelle des Sozialhilfeträgers und unter Vorbehalt des Erstattungsverlangens - nur deshalb einspringt, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat Dem sind der 14. und 4. Senat des BSG gefolgt (BSG vom 6. Oktober 2011 - B 14 AS 66/11 R - und 27. September 2011 - B 4 AS 202/10 R – sowie vom 22. November 2011 - B 4 AS 204/10 R – alle juris). Die Zuwendungen der Eltern der Klägerin erfüllen im streitigen Zeitraum diese Voraussetzungen, weil sie nach den in den Verwaltungsakten dokumentierten Erklärungen der Eltern in der Erwartung der Rückzahlung und im Vertrauen auf einen bestehenden, lediglich noch nicht erfüllten Alg II-Anspruch der Klägerin erfolgt sind (sog Substitution). Von dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II in der bis 31. März 2012 geltenden und hier anwendbaren Fassung wird die Klägerin nicht erfasst. Danach haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, bis auf die Leistungen nach dem mWv 1. April 2011 in Kraft getretenen § 27 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Das Teilzeitstudium der Klägerin war dem Grunde nach aber nicht förderungsfähig nach dem BAföG.
Der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 SGB II liegt die Erwägung zu Grunde, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder eine Förderung gemäß den §§ 60 bis 62 bzw – seit 1. April 2012 - den §§ 51, 57 und 58 SGB III auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und die Grundsicherung nach dem SGB II nicht dazu dienen soll, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung im SGB II soll die nachrangige Grundsicherung mithin davon befreien, eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen. Ob eine Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG ist, richtet sich allein nach abstrakten Kriterien; unbeachtlich sind in der Person des Auszubildenden liegende individuelle Versagens- oder Ausschlussgründe (vgl st Rspr des BSG; Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 102/11 R – juris; Urteil vom 27. September 2011 – B 4 AS 160/10 R = SozR 4-4200 § 26 Nr 2; Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 67/08 R – juris; Urteil vom 30. September 2008 – B 4 AS 28/07 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 9; Urteil vom 6. September 2007 – B 14/7b AS36/06 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 6), zB wegen der Staatsangehörigkeit (vgl § 8 BAföG) oder des Überschreitens der Regelaltersgrenze (vgl § 10 Abs. 3 BAföG). Die Prüfung, ob eine Ausbildung dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG ist, richtet sich nach § 2 BAföG (vgl dazu BSG, Urteil vom 19. August 2010 – B 14 AS 24/09 R – juris). § 2 BAföG regelt - von den Besonderheiten des Fernunterrichts (vgl § 3 BAföG) und der Ausbildungen im Ausland (§§ 5, 6 BAföG) abgesehen - den Bereich der (abstrakt) förderungsfähigen Ausbildungen abschließend (vgl BSG aaO). Demgegenüber umschreibt § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG den Grundanspruch auf Ausbildungsförderung und individualisiert (insbesondere durch die grundsätzliche Beschränkung der Förderung auf die erste - sei sie erfolgreich oder erfolglos beendete - Ausbildung) in dem durch § 2 BAföG abstrakt gezogenen Rahmen den Begriff der förderungsfähigen Ausbildung.
"Dem Grunde nach" förderungsfähig nach dem BAföG ist somit nur eine Ausbildung, wenn sie überhaupt – abstrakt – nach jenem Gesetz gefördert werden kann. Bei dem von der Klägerin durchlaufenden Teilzeitstudium ist dies nicht der Fall. Denn vollständig in Teilzeitform durchgeführte Ausbildungen unterfallen dem Leistungsausschluss nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG (vgl auch Thüringer LSG, Beschluss vom 15. Januar 2007 – L 7 AS 1130/06 ER – juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. November 2007 – L 14 B 1224/07 AS ER – juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9. Juni 2009 – L 13 ASA 39/09 B ER – juris – mwN; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 3. April 2008 – L 2 AS 71/06 – juris). Nach dieser Vorschrift kann nur eine solche Ausbildung durch Leistungen nach dem BAföG gefördert werden, für die die Auszubildenden im Allgemeinen ihre Arbeitskraft voll einsetzen müssen. Das von der Klägerin durchgeführte Teilzeitstudium mit einem Arbeitsaufwand von 20 Zeitstunden in der Woche (vgl Bestätigung der C Bl 14 Verwaltungsakte) entspricht diesen Anforderungen nicht. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin aus krankheitsbedingten Gründen möglicherweise mit einem Teilzeitstudium weitgehend oder voll ausgelastet war und sie individuell zu einem Vollzeitstudium gar nicht in der Lage war. Denn der Leistungsausschluss nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG betrifft – wie bereits dargelegt - nicht die Förderung im konkreten Falle, sondern die abstrakte Förderungsfähigkeit. Es kommt danach nicht darauf an, ob der einzelne Auszubildende nach seinen persönlichen Verhältnissen noch in der Lage ist, neben der Ausbildung seine Arbeitskraft für eine andere Tätigkeit einzusetzen, sondern allein darauf, ob die Ausbildung als solche in Vollzeitform durchgeführt wird. Insofern sieht das Gesetz eine objektive Betrachtung vor, zu der auch der Beklagte in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid eingeräumt hat, dass die Klägerin sich in einer dem Grunde nach nicht förderungsfähigen Ausbildung befand. Im Rahmen von § 7 Abs. 5 SGB II ist zudem unerheblich, dass die Klägerin neben den objektiven auch die subjektiven Voraussetzungen für eine Förderung nach dem BAföG nicht erfüllen dürfte, weil es sich um ein Zweitstudium handelte und sie überdies die Regelaltersgrenze überschritten hatte, denn der Leistungsausschluss nach dem SGB II bezieht sich nur auf Fälle einer dem Grunde nach BAföG-förderungsfähigen Ausbildung.
Da dem Grunde nach ein Leistungsanspruch besteht, konnte sich das Gericht auf ein Grundurteil iSv § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG beschränken. Der Beklagte wird nunmehr die konkreten Leistungsansprüche der Klägerin im Streitzeitraum festzusetzen haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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