Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 211 KR 1814/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 128/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Verwirkung des Klagerechts im Einzelfall trotz Einhaltung der Klagefrist nach § 87 Abs. 1 S. 1 SGG.
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2013 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Die Klägerin hat den Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist der Sache nach, ob der Beigeladene zu 1) (nachfolgend nur noch: "der Beigeladene") in seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) (nachfolgend nur noch: "die Beigeladene") in der Zeit vom 1. Oktober 2007 bis zum 30. April 2010 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlag.
Die Beigeladene ist eine offene Handelsgesellschaft. Ihre Gesellschafter sind der 1950 geborene A J L und die 1951 geborene I H, die Mutter des Beigeladenen. Dieser ist 1978 geboren und gelernter Automobilkaufmann. Er ist seit dem 1. März 2001 für die Beigeladene tätig. Vom 1. März 2001 bis zum 30. September 2007 war er Mitglied bei der Barmer Ersatzkasse. Vom 1. Oktober 2007 bis zum 29. Februar 2008 war er (freiwilliges) Mitglied der Beklagten, ab danach versicherte er sich privat. Der Beigeladene beantragte am 27. September 2007 bei der Beklagten die Feststellung, in seiner Beschäftigung nicht der Sozialversicherungspflicht zu unterliegen.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 1. Oktober 2007 fest, dass die vom Beigeladenen ausgeübte Tätigkeit nicht sozialversicherungspflichtig sei.
Die Beigeladene trat daraufhin als Arbeitgeberin mit Wirkung ab 1. November 2007 einer Unterstützungskasse bei und zahlt seither zu Gunsten des Beigeladenen Beiträge in Höhe von 402 EUR monatlich.
Einen entsprechenden Antrag stellte der Beigeladene am 4. Juli 2008 auch bei der Barmer Ersatzkasse für den vorangegangenen Zeitraum vom 1. März 2001 bis 30. September 2007.
Die Barmer Ersatzkasse schaltete mit Schreiben vom 17. Juli 2008 die Klägerin in ihr Verfahren ein (Eingang bei der Klägerin am 28. Juli 2008). Sie selbst sei zwar der Auffassung, dass abhängige Beschäftigung vorliege. Die ab Oktober 2007 gewählte Krankenkasse gehe jedoch von selbständiger Tätigkeit aus. Ihres – der Barmer- Erachtens – müssten für die Zeit ab 1. Oktober 2007 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nachgezahlt werden. Die Klägerin antwortete mit Schreiben vom 5. August 2008 als Clearingstelle unter dem Betreff "Statusfeststellungsverfahren nach § 7a ff" Sozialgesetzbuch Viertes Buch, keine gutachterliche Stellungnahme einreichen zu können. Die Barmer schrieb unter dem 4. September 2008 an die Beklagte, der Auffassung zu sein, dass abhängige Beschäftigung vorliege.
Die Beklagte ihrerseits meldete sich mit Schreiben vom 8. Dezember 2008 (Eingang 10. Dezember 2008) bei der Klägerin "im Rahmen des Abstimmungsverfahrens". Nach ihrer Auffassung sei der Beigeladene aufgrund familienhafter Mitarbeit ab 1. März 2001 nicht versicherungspflichtig tätig. Beigefügt war dem Schreiben ein Bescheid gleichen Datums für die Zeit ab 1. März 2001 adressiert an den Beigeladenen. Diesem allerdings wurde dieser "Bescheid" nicht übersandt. Im Verwaltungsvorgang der Beklagten ist das Adressfeld durchgestrichen. Dass es sich nur um einen Entwurf handelte, war der Anlage zum Schreiben vom 8. Dezember 2008 nicht zu entnehmen. Die Klägerin ging ausweislich eines Aktenvermerkes davon aus, dass ein Bescheid erteilt wurde.
Die Klägerin schrieb unter dem 27. Januar 2009 an die Beklagte, sich der Entscheidung der Barmer Ersatzkasse anzuschließen und den Beigeladenen ab 1. März 2001 als abhängig Beschäftigten bei der Beigeladenen einzustufen. Daraufhin nahm die Beklagte - nach vorangegangener Anhörung - mit Bescheid vom 24. März 2009 den Bescheid vom 1. Oktober 2007 zurück ("wir ziehen somit unseren Bescheid vom 1.10.2007 zurück").
Der Beigeladene erhob durch seine Bevollmächtigte am 24. April 2009 Widerspruch Mit Faxschreiben vom 15. Juni 2009 teilte die Beklagte daraufhin dem Beigeladenen mit, "dass wir Ihrem Widerspruch vom 24.04.09 abhelfen".
Die Barmer Ersatzkasse informierte die Klägerin mit Schreiben vom 10. September 2009, dass die Beklagte ihren Aufhebungsbescheid vom 24. März 2009 auf den Widerspruch hin wieder aufgehoben habe. Damit sei der Bescheid vom 1. Oktober 2007 bestandskräftig. Auf Nachfrage der Klägerin übersandte die Beklagte daraufhin an diese Abschriften des Bescheides vom 24. März 2009 und der Abhilfeentscheidung vom 15. Juni 2009 (Eingang bei der Klägerin: 1. Oktober 2009). Mit Faxschreiben vom 12. Oktober 2009 forderte die Klägerin ergänzend eine Kopie des Ausgangsbescheides vom 1. Oktober 2007 an. Dieser ging am 16. Oktober 2009 bei der Klägerin ein. Der Bescheid enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung, dass der Adressat ("Sie") innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erheben könne. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2009 fragte die Klägerin nochmals bei der Beklagten nach. U. a. wurde auf den Bescheid vom 8. Dezember 2008 hingewiesen. Die Beklagte antwortete mit Faxschreiben vom 29. Oktober 2009: Der Bescheid vom 1. Oktober 2007 habe weiterhin Gültigkeit. Mit Schreiben vom 15. Juni 2009 sei der Bescheid vom 24. März 2009 zurückgenommen worden. Der Bescheid vom 8. Dezember 2008 sei erstellt worden, aber nur an die Klägerin gesandt worden.
Am 11. November 2009 hat die Klägerin beim Sozialgericht Berlin (SG) Klage erhoben. Sie hat den Antrag angekündigt, den Bescheid vom 1. Oktober 2007 aufzuheben und festzustellen, dass der Beigeladene der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ab 1. Oktober 2007 unterliege.
Mit Vertrag vom 3. Mai 2010 haben die Beigeladenen vereinbart, dass der Beigeladene ab dem 1. Mai 2010 Geschäftsführer sei. Mit weiterem Vertrag vom 3. Mai 2010 haben der Beigeladene und seine Mutter vereinbart, dass diese die ihr in den Gesellschafterversammlungen zustehenden Stimmrechte nur einvernehmlich mit dem Beigeladenen ausübe. Die Klägerin hat (als Clearingstelle) mit Bescheid vom 15. März 2011 (in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25. Oktober 2011) festgestellt, dass der Beigeladene seine Tätigkeit "als Geschäftsführer der L OHG seit dem 01.05.2010 im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung" ausübe und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe. Die Klage hiergegen hat das Hessische LSG mit Urteil vom 15. Mai 2014 (Az. L 1 KR 400/12) unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung abgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision ist Beschwerde erhoben (Aktenzeichen BSG B 12 KR 72/14 B).
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2007 aufzuheben und festzustellen, dass der Versicherte D H der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vom 1. Oktober 2007 bis 30. April 2010 unterlag.
Der Beigeladene hat bereits in erster Instanz die Auffassung vertreten, dass die Klage bereits unzulässig sei. Sie sei außerhalb der Frist des § 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden. Der Klägerin sei es verwehrt, sich auf § 66 Abs. 2 SGG zu berufen. Sie verlange zudem Unmögliches. Der Bescheid vom 1. Oktober 2007 könne mit Rücksicht auf § 45 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht zurückgenommen werden. Auch habe es die Klägerin unter dem 5. August 2008 abgelehnt, vor Erteilung eines Bescheides eine gutachterliche Stellungnahme abzugeben oder auch nur ihre Meinung mit der Einzugsstelle abzustimmen.
Das SG hat mit Urteil vom 27. März 2013 den Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2007 aufgehoben. Es hat festgestellt, dass der Beigeladene aufgrund seiner für die Beigeladene ausgeübten Tätigkeit in der Zeit vom 1. Oktober 2007 bis zum 30. April 2010 der Rentenversicherungspflicht gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI unterlag.
Gegen das ihm am 8. April 2013 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Beigeladenen vom 6. Mai 2013.
Zur Berufungsbegründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Die Beklagte habe die zwischen den Spitzenverbänden vereinbarte "gemeinsame Verlautbarung zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger vom 29.03.2001" eingehalten, so dass sich auch die Klägerin daran halten müsse. Denn unter 5. heiße es dort:
"Die Fremdversicherungsträger verzichten auf die Anfechtung von (fehlerhaften) Beitragsbescheiden, die gegenüber dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer bereits bestandskräftig geworden sind und dem Versicherungsträger gemäß dieser Verlautbarung nicht zu übersenden waren. Dies gilt sowohl für die mit als auch die ohne Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Beitragsbescheide."
In dem sie sich auf die Jahresfrist berufe, verhalte sich die Klägerin besonders treuwidrig, da sie entscheidend an der gemeinsamen Verlautbarung mitgewirkt habe, wonach gegenüber dem Fremdversicherungsträger grundsätzlich keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werden soll. Er hat sich ergänzend auf das Urteil des BSG vom 3. Juli 2013 (B 12 KR 8/11 R) und das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22. Juli 2014 (L 11 KR 2105/12) berufen.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat vorgebracht, die Monatsfrist des § 87 Abs. 1 SGG eingehalten zu haben. Der Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2007 sei ihr erst am 16. Oktober 2009 zugegangen.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Unterlagen wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Es konnte entschieden werden, obgleich für die Klägerin in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist. Die Klägerin ist auf diese Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 SGG).
Die Berufung hat Erfolg.
Die Klage ist bereits unzulässig und muss deshalb abgewiesen werden.
Die Monatsfrist ist zwar rein formal eingehalten: Die Klagefrist beginnt nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG einen Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Eine Bekanntgabe im Rechtssinne liegt hier erst am 16. Oktober 2009 vor. Erst mit Schreiben vom 14. Oktober 2009 hat die Beklagte den Bescheid in Kopie übersandt. Dass der Klägerin die Existenz des Bescheides als solches bereits zu einem früheren Zeitpunkt bekannt war, ersetzt die förmliche Bekanntgabe nicht.
Das Wirksamwerden eines Verwaltungsaktes als Regelung mit Außenwirkung setzt die zielgerichtete Mitteilung der Behörde an die Adressaten oder Betroffenen voraus. Eine nur in den Akten vermerkte Regelung ist noch kein wirksamer Verwaltungsakt, auch wenn die Behörde ihre Entscheidung intern bereits abschließend bearbeitet hat (so KassKomm -Mutschler § 37 SGB X Rdnr. 10 mit Bezugnahme auf. BSG SozR 3 – 4150 Art. 1 § 2 Nr. 2). Deshalb ist der Verwaltungsakt nicht bekannt gegeben, wenn der Adressat oder Betroffene nur zufällig oder auf Grund eigener Bemühungen oder durch Dritte, nicht aber von der Behörde Kenntnis erlangt (Mutschler, a. a. O. mit weiteren Nachweisen).
Die Klägerin muss sich aber so stellen lassen, als ob ihr der Bescheid bereits spätestens am 28. Juli 2008 mit dem aktenkundigen Eingang des Schreibens der Barmer Ersatzkasse vom 17. Juli 2008 bekannt gewesen wäre. Die Klägerin hat das Klagerecht insoweit verwirkt.
Eine die Bestandskraft des Bescheides unterbrechende Anfechtungsklage hätte von ihr spätestens am 28. Juli 2009 erhoben werden müssen.
Die Barmer Ersatzkasse schildert nämlich in ihrem Schreiben vom 17. Juli 2008 genau, dass die Beklagte den Beigeladenen als Selbstständigen behandle und liefert den rechtlichen Schluss, dass für die Zeit ab 1. Oktober 2007 Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung nach zu zahlen seien. Auch wenn die Information fehlt, dass bereits ein Bescheid gegenüber den Beigeladenen ergangen sei, wurde die Klägerin exakt über die relevanten Konsequenzen eines solchen Bescheides informiert.
Es oblag der Klägerin bereits ab diesem Zeitpunkt, sich um die Wahrung ihrer rechtlichen Interessen zu kümmern. Dies gilt unabhängig davon, ob das Verhalten der Klägerin als einer der Sozialversicherungsträger, welche die "Gemeinsame Verlautbarung zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger vom 29.3.2001" abgeschlossen und das "Rundschreiben an die Leistungsabteilungen von März 2006" verfasst hat, dazu führt, dass sich die Klägerin nicht auf die ihr gegenüber unrichtige Rechtsmittelbelehrung des streitgegenständlichen Bescheides berufen kann (vgl. zur Verwirkung des Klagerechts ohne förmliche Bekanntgabe: BSG, Urt. v. 03.07.2013 -B 12 KR 8/11 R- Rdnr. 20).
Dass die Clearing Stelle der Klägerin diese Information offenbar nicht weitergeleitet hat, vermag die Klägerin nicht von dieser Obliegenheit zu entlasten. Es spricht viel für ein Organisationsdefizit. So hat die Klägerin etwa auf den Vorhalt des Senats, es müsse neben den zwei eingereichten Verwaltungsakten noch einen dritten Vorgang geben, nicht reagiert.
Die Klägerin war hiervon auch nicht deshalb befreit, weil die Beklagte selbst den Bescheid zwischenzeitlich aufgehoben hat. Sie war nämlich nicht Beteiligte am betreffenden Verwaltungsverfahren im Sinne des § 12 SGB X. Der Aufhebungsbescheid galt (vorübergehend) rechtlich bindend nur im Verhältnis Beklagte zu den Beigeladenen als Bescheidadressaten.
Auch der der angebliche "Bescheid" vom 8. Dezember 2008 war jedenfalls nicht geeignet, in der Klägerin Vertrauen zu wecken, dass bislang noch kein sie belastender Verwaltungsakt ergangen sei. Zum einen stellt nämlich der Tenor auf einen anderen Zeitraum ab (bereits ab 2001). Des Weiteren steht die Annahme, Versicherungspflicht scheide wegen lediglich familienhafter Mithilfe aus, auch im Widerspruch zu der Mitteilung der Barmer Ersatzkasse, die Beklagte behandle den Beigeladenen als Selbständigen. Zuletzt bekräftigt die Beklagte zum anderen jedenfalls die aus Sicht der Klägerin unzutreffende Rechtsposition, dass Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht bestehe. Allerspätestens nach einem Jahr nach dem "Kennen-Können" des Bescheides mussten die Beigeladenen als Betroffene des – aus ihrer Sicht begünstigenden – Verwaltungsaktes nicht mehr mit einer klageweisen Anfechtung rechnen.
Besondere Umstände, die eine Verwirkung auslösen, liegen vor, wenn der Verpflichtete (hier: die Beigeladenen) in Folge eines bestimmten Verhaltens (Verwirkungsverhalten) berechtigt vertrauen durfte, dass der Berechtigte (hier: die Klägerin) das Recht (hier: Klagerecht mit der möglichen Konsequenz im Falle eines obsiegenden Urteils, Beiträge behalten bzw. nachfordern zu können) nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) (=Zeit-/Umstandsmoment) und sich in Folge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (so ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. bereits Urteil des Senats vom 17. April 2008 - L 1 KR 356/06 - unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 29. Januar 1997 BSGE 80, 41, Juris-Rdnr. 18 mit weiteren Nachweisen der ständigen Rechtsprechung des BSG). Bloße Untätigkeit alleine reicht für ein Vertrauensverhalten an sich grundsätzlich nicht aus. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer die spätere Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben empfunden wird.
Bereits das BSG hat erwogen, hinsichtlich der Klagefrist nicht vom tatsächlichen Beginn aufgrund Bekanntgabe, sondern von einem früheren fiktiven Fristbeginn auszugehen (Urt. v. 03. Juli 2013 -B 12 KR 8/11 R- Rdnr. 22). Dies aufgreifend, hat das LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 22. Juli 2014 den Rechtssatz aufgestellt, dass immer dann, wenn der Beigeladene davon ausgehen habe können, dass die Einzugsstelle sich im Rahmen ihres Verwaltungsverfahrens gesetzeskonform verhalte, nämlich die Hinzuziehungsregelungen des § 12 SGB X sowie die Pflicht zur Erteilung einer allen Beteiligten und Betroffenen gegenüber inhaltlich zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung nach § 36 SGB X sowie die Pflicht zur Bekanntgabe des Verwaltungsaktes nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X beachte, nicht die tatsächliche Bekanntgabe, sondern die fiktive unter Unterstellung der Beachtung dieser Rechtspflichten greife.
Nach der Rechtsprechung des BSG (a. O. Rdnr. 41) dürfen die Adressaten des Bescheides der Krankenkasse auf dessen Bestandskraft bereits deshalb vertrauen, weil sie aufgrund der verstrichenen Zeit nicht mehr damit rechnen müssen, dass die Rentenversicherung ihn doch noch anfechten werde.
Im konkreten Fall hat sich zudem das Vertrauen in die Bestandskraft im zeitlichen Zusammenhang mit dem Bescheid vom 1. Oktober 2007 dadurch gezeigt, dass sich die Beigeladene als Arbeitgeberin zur Zahlung von 402 EUR ab 1. November 2007 an eine Unterstützungskasse verpflichtet hat und dieser Pflicht auch seither nachkommt.
Daran ändert sich durch die zwischenzeitliche Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 2007 nichts, weil diese nur von vorübergehender rechtlicher Wirkung geblieben ist.
Die Kostenentscheidung beruht für das Berufungsverfahren aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache. Sie folgt für das Klageverfahren auf § 197a SGG i. V. m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Im Streit ist der Sache nach, ob der Beigeladene zu 1) (nachfolgend nur noch: "der Beigeladene") in seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) (nachfolgend nur noch: "die Beigeladene") in der Zeit vom 1. Oktober 2007 bis zum 30. April 2010 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unterlag.
Die Beigeladene ist eine offene Handelsgesellschaft. Ihre Gesellschafter sind der 1950 geborene A J L und die 1951 geborene I H, die Mutter des Beigeladenen. Dieser ist 1978 geboren und gelernter Automobilkaufmann. Er ist seit dem 1. März 2001 für die Beigeladene tätig. Vom 1. März 2001 bis zum 30. September 2007 war er Mitglied bei der Barmer Ersatzkasse. Vom 1. Oktober 2007 bis zum 29. Februar 2008 war er (freiwilliges) Mitglied der Beklagten, ab danach versicherte er sich privat. Der Beigeladene beantragte am 27. September 2007 bei der Beklagten die Feststellung, in seiner Beschäftigung nicht der Sozialversicherungspflicht zu unterliegen.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 1. Oktober 2007 fest, dass die vom Beigeladenen ausgeübte Tätigkeit nicht sozialversicherungspflichtig sei.
Die Beigeladene trat daraufhin als Arbeitgeberin mit Wirkung ab 1. November 2007 einer Unterstützungskasse bei und zahlt seither zu Gunsten des Beigeladenen Beiträge in Höhe von 402 EUR monatlich.
Einen entsprechenden Antrag stellte der Beigeladene am 4. Juli 2008 auch bei der Barmer Ersatzkasse für den vorangegangenen Zeitraum vom 1. März 2001 bis 30. September 2007.
Die Barmer Ersatzkasse schaltete mit Schreiben vom 17. Juli 2008 die Klägerin in ihr Verfahren ein (Eingang bei der Klägerin am 28. Juli 2008). Sie selbst sei zwar der Auffassung, dass abhängige Beschäftigung vorliege. Die ab Oktober 2007 gewählte Krankenkasse gehe jedoch von selbständiger Tätigkeit aus. Ihres – der Barmer- Erachtens – müssten für die Zeit ab 1. Oktober 2007 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nachgezahlt werden. Die Klägerin antwortete mit Schreiben vom 5. August 2008 als Clearingstelle unter dem Betreff "Statusfeststellungsverfahren nach § 7a ff" Sozialgesetzbuch Viertes Buch, keine gutachterliche Stellungnahme einreichen zu können. Die Barmer schrieb unter dem 4. September 2008 an die Beklagte, der Auffassung zu sein, dass abhängige Beschäftigung vorliege.
Die Beklagte ihrerseits meldete sich mit Schreiben vom 8. Dezember 2008 (Eingang 10. Dezember 2008) bei der Klägerin "im Rahmen des Abstimmungsverfahrens". Nach ihrer Auffassung sei der Beigeladene aufgrund familienhafter Mitarbeit ab 1. März 2001 nicht versicherungspflichtig tätig. Beigefügt war dem Schreiben ein Bescheid gleichen Datums für die Zeit ab 1. März 2001 adressiert an den Beigeladenen. Diesem allerdings wurde dieser "Bescheid" nicht übersandt. Im Verwaltungsvorgang der Beklagten ist das Adressfeld durchgestrichen. Dass es sich nur um einen Entwurf handelte, war der Anlage zum Schreiben vom 8. Dezember 2008 nicht zu entnehmen. Die Klägerin ging ausweislich eines Aktenvermerkes davon aus, dass ein Bescheid erteilt wurde.
Die Klägerin schrieb unter dem 27. Januar 2009 an die Beklagte, sich der Entscheidung der Barmer Ersatzkasse anzuschließen und den Beigeladenen ab 1. März 2001 als abhängig Beschäftigten bei der Beigeladenen einzustufen. Daraufhin nahm die Beklagte - nach vorangegangener Anhörung - mit Bescheid vom 24. März 2009 den Bescheid vom 1. Oktober 2007 zurück ("wir ziehen somit unseren Bescheid vom 1.10.2007 zurück").
Der Beigeladene erhob durch seine Bevollmächtigte am 24. April 2009 Widerspruch Mit Faxschreiben vom 15. Juni 2009 teilte die Beklagte daraufhin dem Beigeladenen mit, "dass wir Ihrem Widerspruch vom 24.04.09 abhelfen".
Die Barmer Ersatzkasse informierte die Klägerin mit Schreiben vom 10. September 2009, dass die Beklagte ihren Aufhebungsbescheid vom 24. März 2009 auf den Widerspruch hin wieder aufgehoben habe. Damit sei der Bescheid vom 1. Oktober 2007 bestandskräftig. Auf Nachfrage der Klägerin übersandte die Beklagte daraufhin an diese Abschriften des Bescheides vom 24. März 2009 und der Abhilfeentscheidung vom 15. Juni 2009 (Eingang bei der Klägerin: 1. Oktober 2009). Mit Faxschreiben vom 12. Oktober 2009 forderte die Klägerin ergänzend eine Kopie des Ausgangsbescheides vom 1. Oktober 2007 an. Dieser ging am 16. Oktober 2009 bei der Klägerin ein. Der Bescheid enthielt die Rechtsbehelfsbelehrung, dass der Adressat ("Sie") innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Widerspruch erheben könne. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2009 fragte die Klägerin nochmals bei der Beklagten nach. U. a. wurde auf den Bescheid vom 8. Dezember 2008 hingewiesen. Die Beklagte antwortete mit Faxschreiben vom 29. Oktober 2009: Der Bescheid vom 1. Oktober 2007 habe weiterhin Gültigkeit. Mit Schreiben vom 15. Juni 2009 sei der Bescheid vom 24. März 2009 zurückgenommen worden. Der Bescheid vom 8. Dezember 2008 sei erstellt worden, aber nur an die Klägerin gesandt worden.
Am 11. November 2009 hat die Klägerin beim Sozialgericht Berlin (SG) Klage erhoben. Sie hat den Antrag angekündigt, den Bescheid vom 1. Oktober 2007 aufzuheben und festzustellen, dass der Beigeladene der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ab 1. Oktober 2007 unterliege.
Mit Vertrag vom 3. Mai 2010 haben die Beigeladenen vereinbart, dass der Beigeladene ab dem 1. Mai 2010 Geschäftsführer sei. Mit weiterem Vertrag vom 3. Mai 2010 haben der Beigeladene und seine Mutter vereinbart, dass diese die ihr in den Gesellschafterversammlungen zustehenden Stimmrechte nur einvernehmlich mit dem Beigeladenen ausübe. Die Klägerin hat (als Clearingstelle) mit Bescheid vom 15. März 2011 (in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25. Oktober 2011) festgestellt, dass der Beigeladene seine Tätigkeit "als Geschäftsführer der L OHG seit dem 01.05.2010 im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung" ausübe und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe. Die Klage hiergegen hat das Hessische LSG mit Urteil vom 15. Mai 2014 (Az. L 1 KR 400/12) unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung abgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision ist Beschwerde erhoben (Aktenzeichen BSG B 12 KR 72/14 B).
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2007 aufzuheben und festzustellen, dass der Versicherte D H der Rentenversicherungspflicht nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vom 1. Oktober 2007 bis 30. April 2010 unterlag.
Der Beigeladene hat bereits in erster Instanz die Auffassung vertreten, dass die Klage bereits unzulässig sei. Sie sei außerhalb der Frist des § 87 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden. Der Klägerin sei es verwehrt, sich auf § 66 Abs. 2 SGG zu berufen. Sie verlange zudem Unmögliches. Der Bescheid vom 1. Oktober 2007 könne mit Rücksicht auf § 45 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht zurückgenommen werden. Auch habe es die Klägerin unter dem 5. August 2008 abgelehnt, vor Erteilung eines Bescheides eine gutachterliche Stellungnahme abzugeben oder auch nur ihre Meinung mit der Einzugsstelle abzustimmen.
Das SG hat mit Urteil vom 27. März 2013 den Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2007 aufgehoben. Es hat festgestellt, dass der Beigeladene aufgrund seiner für die Beigeladene ausgeübten Tätigkeit in der Zeit vom 1. Oktober 2007 bis zum 30. April 2010 der Rentenversicherungspflicht gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI unterlag.
Gegen das ihm am 8. April 2013 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Beigeladenen vom 6. Mai 2013.
Zur Berufungsbegründung hat er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Die Beklagte habe die zwischen den Spitzenverbänden vereinbarte "gemeinsame Verlautbarung zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger vom 29.03.2001" eingehalten, so dass sich auch die Klägerin daran halten müsse. Denn unter 5. heiße es dort:
"Die Fremdversicherungsträger verzichten auf die Anfechtung von (fehlerhaften) Beitragsbescheiden, die gegenüber dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer bereits bestandskräftig geworden sind und dem Versicherungsträger gemäß dieser Verlautbarung nicht zu übersenden waren. Dies gilt sowohl für die mit als auch die ohne Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Beitragsbescheide."
In dem sie sich auf die Jahresfrist berufe, verhalte sich die Klägerin besonders treuwidrig, da sie entscheidend an der gemeinsamen Verlautbarung mitgewirkt habe, wonach gegenüber dem Fremdversicherungsträger grundsätzlich keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werden soll. Er hat sich ergänzend auf das Urteil des BSG vom 3. Juli 2013 (B 12 KR 8/11 R) und das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22. Juli 2014 (L 11 KR 2105/12) berufen.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. März 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat vorgebracht, die Monatsfrist des § 87 Abs. 1 SGG eingehalten zu haben. Der Bescheid der Beklagten vom 1. Oktober 2007 sei ihr erst am 16. Oktober 2009 zugegangen.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Unterlagen wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Es konnte entschieden werden, obgleich für die Klägerin in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist. Die Klägerin ist auf diese Möglichkeit in der Ladung hingewiesen worden (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 SGG).
Die Berufung hat Erfolg.
Die Klage ist bereits unzulässig und muss deshalb abgewiesen werden.
Die Monatsfrist ist zwar rein formal eingehalten: Die Klagefrist beginnt nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGG einen Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Eine Bekanntgabe im Rechtssinne liegt hier erst am 16. Oktober 2009 vor. Erst mit Schreiben vom 14. Oktober 2009 hat die Beklagte den Bescheid in Kopie übersandt. Dass der Klägerin die Existenz des Bescheides als solches bereits zu einem früheren Zeitpunkt bekannt war, ersetzt die förmliche Bekanntgabe nicht.
Das Wirksamwerden eines Verwaltungsaktes als Regelung mit Außenwirkung setzt die zielgerichtete Mitteilung der Behörde an die Adressaten oder Betroffenen voraus. Eine nur in den Akten vermerkte Regelung ist noch kein wirksamer Verwaltungsakt, auch wenn die Behörde ihre Entscheidung intern bereits abschließend bearbeitet hat (so KassKomm -Mutschler § 37 SGB X Rdnr. 10 mit Bezugnahme auf. BSG SozR 3 – 4150 Art. 1 § 2 Nr. 2). Deshalb ist der Verwaltungsakt nicht bekannt gegeben, wenn der Adressat oder Betroffene nur zufällig oder auf Grund eigener Bemühungen oder durch Dritte, nicht aber von der Behörde Kenntnis erlangt (Mutschler, a. a. O. mit weiteren Nachweisen).
Die Klägerin muss sich aber so stellen lassen, als ob ihr der Bescheid bereits spätestens am 28. Juli 2008 mit dem aktenkundigen Eingang des Schreibens der Barmer Ersatzkasse vom 17. Juli 2008 bekannt gewesen wäre. Die Klägerin hat das Klagerecht insoweit verwirkt.
Eine die Bestandskraft des Bescheides unterbrechende Anfechtungsklage hätte von ihr spätestens am 28. Juli 2009 erhoben werden müssen.
Die Barmer Ersatzkasse schildert nämlich in ihrem Schreiben vom 17. Juli 2008 genau, dass die Beklagte den Beigeladenen als Selbstständigen behandle und liefert den rechtlichen Schluss, dass für die Zeit ab 1. Oktober 2007 Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung nach zu zahlen seien. Auch wenn die Information fehlt, dass bereits ein Bescheid gegenüber den Beigeladenen ergangen sei, wurde die Klägerin exakt über die relevanten Konsequenzen eines solchen Bescheides informiert.
Es oblag der Klägerin bereits ab diesem Zeitpunkt, sich um die Wahrung ihrer rechtlichen Interessen zu kümmern. Dies gilt unabhängig davon, ob das Verhalten der Klägerin als einer der Sozialversicherungsträger, welche die "Gemeinsame Verlautbarung zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger vom 29.3.2001" abgeschlossen und das "Rundschreiben an die Leistungsabteilungen von März 2006" verfasst hat, dazu führt, dass sich die Klägerin nicht auf die ihr gegenüber unrichtige Rechtsmittelbelehrung des streitgegenständlichen Bescheides berufen kann (vgl. zur Verwirkung des Klagerechts ohne förmliche Bekanntgabe: BSG, Urt. v. 03.07.2013 -B 12 KR 8/11 R- Rdnr. 20).
Dass die Clearing Stelle der Klägerin diese Information offenbar nicht weitergeleitet hat, vermag die Klägerin nicht von dieser Obliegenheit zu entlasten. Es spricht viel für ein Organisationsdefizit. So hat die Klägerin etwa auf den Vorhalt des Senats, es müsse neben den zwei eingereichten Verwaltungsakten noch einen dritten Vorgang geben, nicht reagiert.
Die Klägerin war hiervon auch nicht deshalb befreit, weil die Beklagte selbst den Bescheid zwischenzeitlich aufgehoben hat. Sie war nämlich nicht Beteiligte am betreffenden Verwaltungsverfahren im Sinne des § 12 SGB X. Der Aufhebungsbescheid galt (vorübergehend) rechtlich bindend nur im Verhältnis Beklagte zu den Beigeladenen als Bescheidadressaten.
Auch der der angebliche "Bescheid" vom 8. Dezember 2008 war jedenfalls nicht geeignet, in der Klägerin Vertrauen zu wecken, dass bislang noch kein sie belastender Verwaltungsakt ergangen sei. Zum einen stellt nämlich der Tenor auf einen anderen Zeitraum ab (bereits ab 2001). Des Weiteren steht die Annahme, Versicherungspflicht scheide wegen lediglich familienhafter Mithilfe aus, auch im Widerspruch zu der Mitteilung der Barmer Ersatzkasse, die Beklagte behandle den Beigeladenen als Selbständigen. Zuletzt bekräftigt die Beklagte zum anderen jedenfalls die aus Sicht der Klägerin unzutreffende Rechtsposition, dass Versicherungspflicht aufgrund abhängiger Beschäftigung in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht bestehe. Allerspätestens nach einem Jahr nach dem "Kennen-Können" des Bescheides mussten die Beigeladenen als Betroffene des – aus ihrer Sicht begünstigenden – Verwaltungsaktes nicht mehr mit einer klageweisen Anfechtung rechnen.
Besondere Umstände, die eine Verwirkung auslösen, liegen vor, wenn der Verpflichtete (hier: die Beigeladenen) in Folge eines bestimmten Verhaltens (Verwirkungsverhalten) berechtigt vertrauen durfte, dass der Berechtigte (hier: die Klägerin) das Recht (hier: Klagerecht mit der möglichen Konsequenz im Falle eines obsiegenden Urteils, Beiträge behalten bzw. nachfordern zu können) nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) (=Zeit-/Umstandsmoment) und sich in Folge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (so ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. bereits Urteil des Senats vom 17. April 2008 - L 1 KR 356/06 - unter Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 29. Januar 1997 BSGE 80, 41, Juris-Rdnr. 18 mit weiteren Nachweisen der ständigen Rechtsprechung des BSG). Bloße Untätigkeit alleine reicht für ein Vertrauensverhalten an sich grundsätzlich nicht aus. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer die spätere Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben empfunden wird.
Bereits das BSG hat erwogen, hinsichtlich der Klagefrist nicht vom tatsächlichen Beginn aufgrund Bekanntgabe, sondern von einem früheren fiktiven Fristbeginn auszugehen (Urt. v. 03. Juli 2013 -B 12 KR 8/11 R- Rdnr. 22). Dies aufgreifend, hat das LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 22. Juli 2014 den Rechtssatz aufgestellt, dass immer dann, wenn der Beigeladene davon ausgehen habe können, dass die Einzugsstelle sich im Rahmen ihres Verwaltungsverfahrens gesetzeskonform verhalte, nämlich die Hinzuziehungsregelungen des § 12 SGB X sowie die Pflicht zur Erteilung einer allen Beteiligten und Betroffenen gegenüber inhaltlich zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung nach § 36 SGB X sowie die Pflicht zur Bekanntgabe des Verwaltungsaktes nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X beachte, nicht die tatsächliche Bekanntgabe, sondern die fiktive unter Unterstellung der Beachtung dieser Rechtspflichten greife.
Nach der Rechtsprechung des BSG (a. O. Rdnr. 41) dürfen die Adressaten des Bescheides der Krankenkasse auf dessen Bestandskraft bereits deshalb vertrauen, weil sie aufgrund der verstrichenen Zeit nicht mehr damit rechnen müssen, dass die Rentenversicherung ihn doch noch anfechten werde.
Im konkreten Fall hat sich zudem das Vertrauen in die Bestandskraft im zeitlichen Zusammenhang mit dem Bescheid vom 1. Oktober 2007 dadurch gezeigt, dass sich die Beigeladene als Arbeitgeberin zur Zahlung von 402 EUR ab 1. November 2007 an eine Unterstützungskasse verpflichtet hat und dieser Pflicht auch seither nachkommt.
Daran ändert sich durch die zwischenzeitliche Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 2007 nichts, weil diese nur von vorübergehender rechtlicher Wirkung geblieben ist.
Die Kostenentscheidung beruht für das Berufungsverfahren aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache. Sie folgt für das Klageverfahren auf § 197a SGG i. V. m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG liegen nicht vor.
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