Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 44/11 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Im Rahmen des Beanstandungsverfahrens nach § 94 Abs. 1 SGB V sind Anforderungen des Bundesministeriums für Gesundheit und Antworten des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), die offenkundig nicht einer sachlichen, auf einen zügigen Abschluss gerichteten Verfahrensweise, sondern sachfremden Zielen dienen, für die Fristberechnung bedeutungslos.
2. Die Anwendung allgemeiner Aufsichtsmaßnahmen nach § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 Abs. 1 SGB IV wird dann nicht durch die für Richtlinien des GBA geltenden Spezialregelungen in § 94 Abs. 1 SGB V verdrängt, wenn eine vor Ablauf der Beanstandungsfrist von zwei Monaten nicht absehbare Zäsur tatsächlicher oder rechtlicher Art eintritt.
3. Es ist einer Behörde nicht gestattet, eine Entscheidung aus sachfremden Gründen bis zum In-Kraft-Treten einer für den Normadressaten ungünstigeren Rechtsänderung hinauszuschieben.
4. Eine im Zeitpunkt ihres Erlasses auf gesetzlicher Grundlage ergangene untergesetzliche Rechtsnorm wird grundsätzlich nicht durch den Fortfall der Ermächtigungsvorschrift in ihrer Gültigkeit berührt (Anschluss an BVerfG).
5. Die Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses als Sachurteilsvoraussetzung ist in der Regel nicht der Ort, schwierige, bislang ungeklärte materiellrechtliche Fragen einer Antwort zuzuführen.
6. Das Rechtsschutzbedürfnis einer Behörde für die Klage gegen eine Entscheidung der Aufsichtsbehörde entfällt nicht allein dadurch, dass die Behörde vorsorglich alternative Maßnahmen vorbereitet.
2. Die Anwendung allgemeiner Aufsichtsmaßnahmen nach § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 Abs. 1 SGB IV wird dann nicht durch die für Richtlinien des GBA geltenden Spezialregelungen in § 94 Abs. 1 SGB V verdrängt, wenn eine vor Ablauf der Beanstandungsfrist von zwei Monaten nicht absehbare Zäsur tatsächlicher oder rechtlicher Art eintritt.
3. Es ist einer Behörde nicht gestattet, eine Entscheidung aus sachfremden Gründen bis zum In-Kraft-Treten einer für den Normadressaten ungünstigeren Rechtsänderung hinauszuschieben.
4. Eine im Zeitpunkt ihres Erlasses auf gesetzlicher Grundlage ergangene untergesetzliche Rechtsnorm wird grundsätzlich nicht durch den Fortfall der Ermächtigungsvorschrift in ihrer Gültigkeit berührt (Anschluss an BVerfG).
5. Die Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses als Sachurteilsvoraussetzung ist in der Regel nicht der Ort, schwierige, bislang ungeklärte materiellrechtliche Fragen einer Antwort zuzuführen.
6. Das Rechtsschutzbedürfnis einer Behörde für die Klage gegen eine Entscheidung der Aufsichtsbehörde entfällt nicht allein dadurch, dass die Behörde vorsorglich alternative Maßnahmen vorbereitet.
Der Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2011 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der klagende Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) wendet sich gegen eine Beanstandungsverfügung des die beklagte Bundesrepublik Deutschland vertretenden Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vom 21. Februar 2011, mit dem dieses den Beschluss des GBA vom 17. Juni 2010 zur Verordnungseinschränkung von Gliniden zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 beanstandete.
Die Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten steht im (zeitlichen) Zusammenhang mit einer Änderung von § 92 Abs. 1 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) durch das mit Wirkung zum 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG – vom 22. Dezember 2010, BGBl. I, 2262). Diese Vorschrift lautete in der bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Fassung:
"Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; dabei ist den besonderen Erfordernissen der Versorgung behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und psychisch Kranker Rechnung zu tragen, vor allem bei den Leistungen zur Belastungserprobung und Arbeitstherapie; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen einschließlich Arzneimitteln oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind sowie wenn insbesondere ein Arzneimittel unzweckmäßig oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist."
Seit dem 1. Januar 2011 lautet diese Vorschrift (Hervorhebung der Unterschiede jeweils durch den Senat):
"Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; dabei ist den besonderen Erfordernissen der Versorgung behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und psychisch Kranker Rechnung zu tragen, vor allem bei den Leistungen zur Belastungserprobung und Arbeitstherapie; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind; er kann die Verordnung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist."
Diese Gesetzesänderung war im ursprünglichen Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom 6. Juli 2010 (BT-Drs. 17/2413) noch nicht vorgesehen, sondern erstmals während des Gesetzgebungsverfahrens (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit vom 10. November 2010, BT-Drs. 17/3698, S. 19) erwähnt. Zur Begründung heißt es hierzu: (a.a.O., S. 52):
"Der Gemeinsame Bundesausschuss kann die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln nur dann ausschließen, wenn deren Unzweckmäßigkeit erwiesen ist, oder wenn es wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeiten gibt. Ein Verordnungsausschluss wegen fehlenden Nutzennachweises ist ausgeschlossen, weil bei Arzneimitteln – im Unterschied zu anderen medizinischen Methoden oder Produkten – die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bereits bei der arzneimittelrechtlichen Zulassung von den zuständigen Zulassungsbehörden geprüft werden. Diese Kriterien darf der Gemeinsame Bundesausschuss unter dem Aspekt des medizinischen Nutzens eines Arzneimittels nicht abweichend von der Beurteilung der Zulassungsbehörde bewerten. Im Unterschied zu anderen medizinischen Methoden oder Produkten stellt bei Arzneimitteln die arzneimittelrechtliche Zulassung sicher, dass Arzneimittel grundsätzlich für die Behandlung der zugelassenen Indikationen geeignet sind. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann darüber hinaus den Zusatznutzen gegenüber Therapiealternativen bewerten. Dieser Aspekt wird bei der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht geprüft. Lässt sich nicht nachweisen, dass ein Arzneimittel einen Zusatznutzen hat, es jedoch höhere Kosten verursacht, kann der Gemeinsame Bundesausschuss die Verordnungsfähigkeit einschränken oder ausschließen. Das gilt auch, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss nachweisen kann, dass ein Arzneimittel unzweckmäßig ist. Der Nachweis der Unzweckmäßigkeit muss dabei mit hoher Sicherheit erbracht sein. Für den Nachweis gelten die in § 35 Absatz 1b Satz 4 und 5 genannten Anforderungen entsprechend. Bei unsicherer Datenlage ist ein Verordnungsausschluss nicht verhältnismäßig. In diesem Fall kann der Gemeinsame Bundesausschuss einen Therapiehinweis nach Absatz 2 beschließen. Hinsichtlich der Bewertung von anderen Leistungen als Arzneimitteln durch den G-BA ergeben sich keine Änderungen."
Die maßgeblichen Beratungen (einschließlich der Anhörung von Verbänden und Experten) im zuständigen Bundestagsausschuss für Gesundheit fanden am 29. September und 6. Oktober 2010 statt (a.a.O., S. 47).
Der Kläger hatte bereits im Jahr 2005 das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge¬sundheitswesen (IQWIG) mit der Nutzenbewertung verschiedener in Deutschland zu¬gelassener oraler Antidiabetika zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2, u.a. der Glinide, beauftragt (vorläufiger Berichtsplan des IQWiG, veröffentlicht unter https://www.iqwig.de, Pfad "Projekte und Ergebnisse", "Projekte", Stichtwort "Diabetes", A05-05C"). Das IQWiG zerlegte diesen Auftrag in kleinere Einzelaufträge und veröffentlichte seine Ergebnisse schrittweise. Den Glinide betreffenden Abschlussbericht (Version 1.0) übermittelte das IQWiG dem Kläger am 6. April 2009 und veröffentlichte ihn am 2. Juni 2009. Zu dieser Arzneimittelgruppe gehörten die beiden damals noch unter Patentschutz stehenden Arzneimittel N (Wirkstoff: Repaglinid; Zulassungsinhaber: No GmbH) und S (Wirkstoff: Nateglinid; Zulassungsinhaberin: No GmbH).
Der Verfahrensablauf beim Kläger gestaltete sich wie folgt:
Sitzung Datum Beratungsgegenstand AG ,,Nutzenbewertung" 10. Juni 2009 Annahme des Abschlussberichts zur Nutzenbewertung von Gliniden zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 (Version 1.0 vom 06.04.2009; Auftrag A05-05C) und Erarbeitung eines Richtlinienentwurfs 11. Sitzung des Unterausschusses "Arzneimittel” 11. August 2009 Beratung und Konsentierung der Beschlussvorlage über die Einleitung eines Stellungnahmeverfahrens zur Änderung der AM-RL 15. Sitzung des Plenums 17. Septem-ber 2009 Beschluss über die Einleitung des Stellungnahmeverfahrens zur Änderung der AM-RL in Anlage III 19. Sitzung des Unterausschusses "Arzneimittel” 6. April 2010 Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen 20. Sitzung des Unterausschusses "Arzneimittel” 11. Mai 2010 Beratung und Konsentierung der Beschlussvorlage zur Änderung der AM-RL
21. Sitzung des Unterausschusses "Arzneimittel” 8. Juni 2010 Beratung und Konsentierung der Beschlussvorlage zur Änderung der AM-RL
Vertreterinnen des BMG nahmen an sämtlichen Sitzungen des Unterausschusses Arzneimittel teil.
Parallel hierzu kam es zu zwei Treffen des die NoGmbH beratenden Rechtsanwalts Prof. Dr. Dr. E mit dem damaligen parlamentarischen Staatssekretär im BMG B am 8. Dezember 2009 sowie dem Leiter der Abteilung 2 des BMG (Gesundheit, Versorgung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung), Dr. O am 11. Januar 2010. Im Vorfeld des ersten Treffens fertigte eine Mitarbeiterin des BMG unter dem 4. Dezember 2009 einen internen Vermerk, wonach "ausreichend Zeit für die Prüfung der Bedenken von Prof. E" bestehe, er "sicher sein [könne], dass das BMG als Rechtsaufsicht – wie bei allen Verfahren des GBA – darauf achten wird, dass das Verfahren rechtmäßig abläuft" und "der Verordnungsausschluss der Glinide allein [ ] die Versorgung von Typ-2-Diabetikern zwar beeinflussen, diese jedoch nicht wesentlich erschweren" würde. Mit jeweils im unmittelbaren Anschluss an die Treffen verfassten Schreiben bedankte sich Rechtsanwalt E bei den jeweiligen Vertretern des BMG für das Gespräch, im Schreiben vom 8. Dezember 2009 ferner für die Bereitschaft, mit diesen "im Falle einer entsprechenden Entscheidung seitens des G-BA [ ] unter Beteiligung der zuständigen Fachabteilung in einen konstruktiven Dialog treten zu dürfen." Das Schreiben vom 12. Januar 2010 enthält den Hinweis, dass die Mitarbeiter des BMG Rechtsanwalt E und seiner Mandantin "mit ihren Hinweisen und Anregungen sehr geholfen" hätten.
Am 17. Juni 2010 beschloss der Kläger, Anlage III der AM-RL ("Übersicht der Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse") um folgende Nr. 50 zu ergänzen:
Arzneimittel Rechtliche Grundlagen und Hinweise 50. Glinide zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. Hierzu zählen:
- Nateglinid - Repaglinid
Ausgenommen ist die Behandlung von niereninsuffizienten Patienten mit einer Kreatinin-Clearance ( 25 ml / min mit Repaglinid, soweit keine anderen oralen Antidiabetika in Frage kommen und eine Insulintherapie nicht angezeigt ist. Verordnungseinschränkung verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach dieser Richtlinie. [4]
Diese Änderung sollte mit dem 1. des übernächsten Quartals nach ihrer Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft treten (Ziffer III. des Beschlusses).
Der Kläger begründete seine Entscheidung damit, dass der therapeutische Nutzen der Glinide nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht nachgewiesen und die Behandlung mit Gliniden daher medizinisch nicht notwendig sei. Die Begriffe "therapeutische Wirksamkeit", "Unbedenklichkeit" und "Qualität" (§ 1 Arzneimittelgesetz - AMG) einerseits und "therapeutischer Nutzen" (§ 12 i.V.m. § 35b Abs. 1 Satz 4, § 92 Abs. 1 Satz 1, 3. Hs. SGB V) andererseits seien nicht deckungsgleich. Aus der arzneimittelrechtlichen Zulassung folge nicht zugleich ein sozialrechtlich relevanter Krankenbehandlungserfolg für den Patienten (Nutzen). Die Bewertung durch das IQWiG habe für die Glinide keinen Beleg für einen Nutzen der Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 ergeben, da für die vorab definierten Zielgrößen bzw. patientenrelevanten Endpunkte keine relevanten Studien vorgelegen hätten oder die Datenlage unzureichend gewesen sei. Der Hinweis auf das Fehlen aussagekräftiger, wissenschaftlich einwandfrei geführter klinischer Endpunktstudien stelle keine unzumutbaren Anforderungen an die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln nach dem SGB V, weil zwischen der Markteinführung der Glinide in den Jahren 1998 bzw. 2001 und dem hiesigen Beschluss ein Zeitraum von neun bis zwölf Jahren verstrichen sei, in dem die erforderlichen Studien hätten durchgeführt werden können. Wegen des fehlenden Nutzenbelegs sei die Behandlung mit Gliniden auch nicht medizinisch notwendig. Eine Ausnahme ergebe sich nur bei der Behandlung niereninsuffizienter Patienten. Als mildere Mittel kämen weder ein Therapiehinweis noch die Bildung einer Festbetragsgruppe nach § 35 Abs. 1 SGB V in Betracht. Therapiehinweise seien gegenüber dem für alle Versicherten und Vertragsärzte geltenden Leistungsausschluss weniger wirksam, weil bei ihnen dem Vertragsarzt ein gewisser Beurteilungsspielraum bei der Auswahl der Therapie bleibe. Ein seit April 2000 bestehender Therapiehinweis zum Wirkstoff Repaglinid habe an der Wirtschaftlichkeit der Verordnung bislang nichts geändert. Die Bildung einer Festbetragsgruppe scheide ebenfalls aus, weil andernfalls auch neue Mittel, die mangels therapeutischen Nutzens als unwirtschaftlich anzusehen seien, verordnungsfähig blieben.
Dieser Beschluss lag dem BMG spätestens am 25. Juni 2010 vor (Rückschluss aus dem Vermerk des BMG vom 10. August 2010, wonach die Zweimonatsfrist am 25. August 2010 ende). In einem ersten hierzu gefertigten internen Vermerk des BMG vom 15. Juli 2010 heißt es u.a.:
"Zusammenfassend wäre folgender Grundsatz für Arzneimittelbewertungen durch den G-BA sinnvoll – auch wenn die aktuelle Rechtslage das nicht unmittelbar hergibt: [ ] Der G-BA kann einem Arzneimittel aufgrund der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht den Nutzen an sich absprechen. Er kann lediglich den Zusatznutzen gegenüber anderen Arzneimitteln bewerten. [ ] Will der G-BA ein Arzneimittel wegen Unzweckmäßigkeit ausschließen, liegt die Beweislast beim G-BA. Er muss nachweisen, dass das Arzneimittel gegenüber der Vergleichstherapie schlechter ist. [ ] Die derzeitige Rechtslage gibt eine derartige Betrachtung allerdings nicht her, denn der Wortlaut von § 92 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB V ermöglicht dem G-BA ausdrücklich den Ausschluss von Arzneimitteln wenn der "therapeutische Nutzen ( ) nicht nachgewiesen" ist. Ohne entsprechenden Nachweis kann der G-BA also ein Arzneimittel mangels diagnostischen oder therapeutischen Nutzen ausschließen."
Mit Schreiben vom 12. August 2010 (beim Kläger eingegangen am 13. August 2010) bat das BMG um zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen sowie insbesondere die Beantwortung zahlreicher Fragen, u.a. wie der Kläger auch vor dem Hintergrund des Versorgungsanteils der Glinide zur Einschätzung komme, der bestehende Therapiehinweis zu Repaglinid habe an der Wirtschaftlichkeit der Versorgung nichts geändert, und in welcher Höhe der Kläger durch seinen Beschluss Einsparungen für die GKV erwarte.
Hierauf reagierte der Kläger mit seiner Stellungnahme vom 13. Oktober 2010, beim BMG eingegangen am 15. Oktober 2010. Darin verweist der Kläger auf seine Rechtsauffassung, wonach er nicht die materielle Beweislast dafür trage, dass der Nutzen eines Arzneimittels nicht hinreichend belegt sei und das Arzneimittel deshalb nicht, noch nicht oder nicht mehr dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche.
Nach einem internen Vermerk des BMG vom 21. Oktober 2010 spiegele diese Antwort des Klägers den Dissens zwischen ihm und dem BMG bezüglich der Auslegung des derzeit gültigen § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Der Kläger sei nicht berechtigt, Arzneimittel von der Verordnungsfähigkeit auszuschließen, wenn der Hersteller einige Jahre nach Markteinführung "keinen Nutzennachweis" im Sinne einer Endzeitstudie erbracht habe. Denn bereits die arzneimittelrechtliche Zulassungsstelle sichere, dass ein Arzneimittel grundsätzlich zur Behandlung der jeweiligen Erkrankung geeignet sei. Dem dürfe der Kläger nicht widersprechen. Sobald die (o.g.) Änderung von § 92 SGB V in Kraft trete, sei klargestellt, dass allein die Auslegung des BMG zulässig sei. Der Kläger solle daher auf die Rechtsauffassung des BMG hingewiesen werden. Vorteil einer weiteren ergänzenden Nachfrage sei Zeitgewinn. Sobald das AMNOG mit der vorgesehenen Änderung von § 92 SGB V in Kraft trete, sei eine Beanstandung rechtssicher möglich bzw. die neue Rechtslage würde jedenfalls einem Wirksamwerden des Beschlusses grundsätzlich entgegenstehen.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2010 (Eingang beim Kläger unbekannt) teilte das BMG dem Kläger daraufhin mit, dass die o.g. Frage zur Erfolglosigkeit des Therapiehinweises zu Repaglinid und zu den vom Kläger durch seinen Beschluss erwarteten Einsparungen noch nicht beantwortet sei. Ferner werde um zusätzliche Information und ergänzende Stellungnahmen gebeten. Darüber hinaus werde der Kläger gebeten, vor dem Hintergrund der ihm bekannten Rechtsauffassung des BMG zu seiner Befugnis zu Verordnungseinschränkungen und -ausschlüssen zu prüfen, ob Belege für die Unzweckmäßigkeit der Glinide gegenüber den therapeutischen Alternativen vorlägen, die einen Verordnungsausschluss rechtfertigten. Zur Erläuterung vertrat das BMG den Standpunkt, dass die arzneimittelrechtliche Zulassung nur erteilt werde, wenn das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Arzneimittels positiv sei, was eine Bewertung der positiven therapeutischen Wirkung des Arzneimittels im Verhältnis zu seinem Risiko umfasse. Es sei daher nicht möglich, dass für ein zugelassenes Arzneimittel keine hinreichenden Nachweise für den Nutzen nach anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse vorlägen, weil sonst die Zulassung nicht hätte erteilt werden dürfen. Behauptungen, es bestehe kein Zusammenhang zwischen arzneimittelrechtlicher Zulassung und patientenrelevantem Nutzen seien somit falsch. Die arzneimittelrechtliche Zulassung sage weder etwas über die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels aus, noch treffe sie Aussagen zur Zweckmäßigkeit des Arzneimittels, die sich aus dem Vergleich eines Arzneimittels mit anderen Arzneimitteln und Behandlungsformen im Therapiegebiet ergebe.
Der Kläger erwiderte (Schreiben vom 5. November 2010, beim BMG am selben Tag eingegangen), er sei nach wie vor der Auffassung, dass grundsätzlich jede Verordnung eines Arzneimittels ohne patientenrelevanten Nutzen unwirtschaftlich sei. Der Arzneiverordnungs-Report 2010 sehe bei der Verordnung von Gliniden unverändert hohe Einsparpotentiale von 39 Millionen Euro. Er gehe in Übereinstimmung mit dem Arzneiverordnungs-Report davon aus, das ein ganz überwiegender Anteil der jetzt mit Gliniden behandelten Patienten mit besser evidenzbasierten Therapiealternativen (wie Sulfonylharnstoffen oder Metformin) behandelt und nicht auf andere, ebenfalls nicht ausreichend evidenzbasierte orale Antidiabetika, wie Gliptine oder Inkretinmimetika, umgestellt würden; diese seien keine Erstlinientherapeutika. In den Therapienhinweisen zu den neueren oralen Antidiabetika habe er deutlich und wiederholt darauf hingewiesen, dass Studien zu patientenrelevanten Endpunkten auch für diese Wirkstoffe noch weitgehend fehlten. Er werde daher in einer angemessenen Frist auch für die neueren Wirkstoffgruppen umfassende Nutzenbewertungen durchführen. Im konkreten Fall der Glinide sei Grundlage für die zum Zeitpunkt der Zulassung getroffene Feststellung einer Eignung zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 nicht die positive Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte, wie insbesondere Morbidität, Mortalität oder gesundheitsbezogene Lebensqualität, sondern allein die Beeinflussung von nicht patientenrelevanten Surrogatparametern des Diabetes mellitus Typ 2. Im Rahmen eines Vergleichs mit besser belegten Therapiealternativen schließe er aus dem fehlenden Beleg für patientenrelevante Endpunkte bei Gliniden daher, dass diese insoweit therapierelevant unterlegen und demzufolge im Rahmen der GKV keine zweckmäßige Therapieoption darstellten sowie unwirtschaftlich seien.
Hierauf teilte das BMG mit, dass der Kläger die erbetenen Belege für die Unzweckmäßigkeit der Glinide nicht übermittelt habe (Schreiben vom 15. November 2010, beim Kläger eingegangen am 17. November 2010).
In seiner Antwort (Schreiben vom 2. Dezember 2010, Eingang beim BMG noch am selben Tag) begründete der Kläger nochmals ausführlich seine Rechtsauffassung, wonach § 92 Abs. 1 Satz 1, 3. Hs. SGB V nicht den Nachweis einer "negativen" Tatsache (d.h. des fehlenden Nutzens) verlange. Die Vorlage weiterer Unterlagen für die Prüfung durch das BMG werde daher rechtlich nicht als erforderlich angesehen.
Das BMG bemängelte daraufhin mit Schreiben vom 10. Dezember 2010 (Eingang beim Kläger unbekannt) erneut, dass die mit Schreiben vom 25. Oktober 2010 und 15. November 2010 erbetenen Belege nach wie vor nicht übermittelt worden seien und die Frist zur Prüfung des o.g. Beschlusses weiterhin solange unterbrochen sei, bis die vorgenannten Informationen bei ihm eingingen.
Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 1. Februar 2011 bekräftigt hatte, die Rechtsauffassung des BMG nicht zu teilen und hierzu mit Scheiben vom 2. Dezember 2010 abschließend Stellung genommen zu haben, beanstandete das BMG unter dem 21. Februar 2011 den Beschluss des Klägers vom 17. Juni 2010, weil dieser für die vergleichende Bewertung der Unzweckmäßigkeit oder Unwirtschaftlichkeit der Glinide gegenüber Therapiealternativen keine hinreichenden Belege ermittelt habe. Bewertungen der Zulassungsbehörde dürfe der Beschluss unter dem Aspekt des medizinischen Nutzens nicht widersprechen. Die bloße Tatsache, dass es für einzelne Therapiealternativen der Glinide Belege zu den vom Kläger geforderten Endpunkten gebe, genüge für den Nachweis der Unzweckmäßigkeit der Glinide nicht. Wenn Studien zu bestimmten Endpunkten fehlten, sage das nichts über die Effekte eines Arzneimittels hinsichtlich dieser Endpunkte aus. Für eine vergleichende Bewertung verschiedener Arzneimittel hinsichtlich dieser bestimmten Endpunkte reiche die Datenlage in diesem Fall nicht aus. Insoweit sei ein Verordnungsausschuss auch unverhältnismäßig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 17. März 2011 erhobene Klage.
Während des Rechtsstreits erließ der Kläger am 11. Dezember 2012 (BAnz AT 31.01.2013 B1) einen Beschluss. Mit diesem forderte er gemäß § 92 Abs. 2a Satz 1 SGB V von den pharmazeutischen Unternehmern, die Inhaber einer Zulassung für Arzneimittel mit den Wirkstoffen Repaglinid oder Nateglinid (Glinide) sind oder die Arzneimittel mit diesen Wirkstoffen in Verkehr bringen, zur Bewertung der Zweckmäßigkeit der Glinide Studien nach näherer Maßgabe durchzuführen.
Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor: Ein Arzneimittel, dessen Nutzen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht entspreche, weil dafür keine hinreichenden Nachweise vorlägen bzw. vorgelegt werden könnten, dürfe von der Versorgung ausgeschlossen werden. Der Beanstandungsbescheid sei aber auch rechtswidrig, weil er außerhalb der gesetzlichen vorgesehenen Frist von zwei Monaten ergangen sei. Diese werde zwar um die Dauer des Auskunftsverfahrens verlängert. Spätestens jedoch mit dem Zugang des Antwortschreibens vom 2. Dezember 2010 sei die Fristunterbrechung aufgehoben worden, weil er ¬– der Kläger – darin endgültig erklärt habe, er werde keine weiteren Informationen zur Verfügung stellen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für zutreffend und führt ergänzend aus: Die Klage sei unzulässig, weil es dem Kläger bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die zwischen den Beteiligten streitige Rechtsfrage, ob eine Verordnungseinschränkung eines Arzneimittels sich auf einen fehlenden Nutzennachweis im Sinne von fehlenden Endpunktstudien stützen könne, lasse sich durch das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene AMNOG eindeutig beantworten. Auch der Kläger gehe offensichtlich davon aus, dass der seinerzeit getroffene Verordnungsausschluss keine Gültigkeit mehr beanspruchen könne. Denn er habe bereits ein Verfahren nach § 92 Abs. 2a SGB V eingeleitet, um in Zukunft einen Verordnungsausschluss der Glinide im Einklang mit der nunmehr gültigen Rechtslage beschließen zu können. Dieses Verfahren habe der Kläger bereits am 21. Juni 2012 initiiert und mit Beschluss vom 11. Dezember 2012 ein Stellungnahmeverfahren eingeleitet, in dem die betreffenden pharmazeutischen Unternehmer mit Frist bis zum 28. Februar 2013 aufgefordert wurden, zur Forderung nach Ergänzung versorgungsrelevanter Studien Stellung zu nehmen. Der Beschluss des Klägers vom 17. Juni 2010 habe sich damit inhaltlich erledigt. Die Klage sei auch unbegründet. Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels dürfe der Kläger unter dem Aspekt des medizinischen Nutzens nicht abweichend von der Zulassungsbehörde beurteilen. Der Beschluss des GBA sei aber auch nach der bis 31. Dezember 2010 gültigen Rechtslage rechtswidrig. Die Fristunterbrechungsschreiben und die darin gestellten Fragen seien notwendig gewesen. Bei Anforderung der ergänzenden Stellungnahmen im zweiten Halbjahr 2010 habe sich die klarstellende Änderung von § 92 Abs. 1 SGB V bereits abgezeichnet. Aus Gründen der Gesetzesbindung habe der Kläger darlegen müssen, dass sein erst 2011 in Kraft tretender Beschluss mit der dann geltenden Rechtslage übereinstimme. Es sei auch nicht absehbar gewesen, dass der Kläger an seiner Auffassung zu den rechtlichen Konsequenzen einer "non-liquet"-Situation festhalte. Es habe geklärt werden müssen, ob der Kläger den positiven Beweis würde erbringen können. Die angefochtene Entscheidung lasse sich jedenfalls auf § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 Abs. 1 Sozialgesetzbuch / Viertes Buch (SGB IV) stützen. Dahinstehen könne, ob es sich um einen zulässigen Fall des Nachschiebens von Gründen oder um die Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes handele. § 94 SGB V entfalte keine Sperrwirkung gegenüber den allgemeinen aufsichtsrechtlichen Befugnissen, sondern bewirke ggf. nur, dass die Rechtsfolge "Verhindern des Wirksamwerdens" nicht mehr unmittelbar herbeigeführt werden könne. Auch nach dem In-Kraft-Treten von Richtlinienbeschlüssen des Klägers müsse ihn das BMG nachträglich zur Behebung von Rechtsverletzungen verpflichten können. Die Anforderungen von § 89 Abs. 1 SGB IV seien erfüllt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Normsetzungsdokumentation des Klägers und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Beanstandungsverfügung des BMG vom 21. Februar 2011 ist rechtswidrig, weil sie außerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Monaten ergangen ist.
I. Die Klage ist zulässig.
1. Gemäß § 54 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, dass die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite. Diese sog. Aufsichtsklage als Sonderform der Anfechtungsklage (Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht [BeckOK SozR] / Lowe SGG § 54 Rn. 8) berechtigt auch den gemäß § 91 Abs. 1 Satz 2 SGB V rechtsfähigen GBA als Anstalt des öffentlichen Rechts (BSG, Urteil vom 20. März 1996 – 6 RKa 62/94 – "Methadon-Substitution", juris), Maßnahmen des BMG als zuständiger Aufsichtsbehörde (§ 91 Abs. 8 SGB V) gerichtlich überprüfen zu lassen (vgl. BSG, Urteile vom 11. Mai 2011 – B 6 KA 25/10 R – und vom 06. Mai 2009 – B 6 A 1/08 R –, juris). Mit seinem Vorbringen, die Beanstandungsverfügung vom 21. Februar 2011 sei außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist ergangen, behauptet der Kläger eine Überschreitung des Aufsichtsrechts.
2. Dem Kläger fehlt nicht das für jede Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
a. Die Auffassung der Beklagten, dem Kläger fehle es an einem Rechtsschutzbedürfnis, weil sich sein Beschluss vom 17. Juni 2010 erledigt habe, nachdem er ein Verfahren nach § 92 Abs. 2a SGB V eingeleitet habe, geht fehl.
aa. Der Senat teilt schon nicht die Ansicht der Beklagten, die Erledigung eines Verwaltungsaktes oder einer Norm lasse immer das Rechtsschutzbedürfnis einer hierauf bezogenen Klage entfallen. Ob sich ein Verwaltungsakt erledigt hat (vgl. hierzu § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch – SGB X), kann auch eine Frage des materiellen Rechts und daher im Rahmen der Begründetheit zu prüfen sein. Für Normen gilt insoweit nichts anderes.
bb. Doch selbst wenn die Rechtsauffassung der Beklagten in diesem Punkt zuträfe, wäre das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht entfallen. Die Einleitung eines Verfahrens nach § 92 Abs. 2a SGB V führt weder zur Erledigung des Beschlusses vom 17. Juni 2010 noch zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses.
(1) Die ebenfalls durch das AMNOG mit Wirkung zum 1. Januar 2011 eingeführte Vorschrift des § 92 Abs. 2a SGB V lautet:
"Der Gemeinsame Bundesausschuss kann im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft vom pharmazeutischen Unternehmer im Benehmen mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder dem Paul-Ehrlich-Institut innerhalb einer angemessenen Frist ergänzende versorgungsrelevante Studien zur Bewertung der Zweckmäßigkeit eines Arzneimittels fordern. Absatz 3a gilt für die Forderung nach Satz 1 entsprechend. Das Nähere zu den Voraussetzungen, zu der Forderung ergänzender Studien, zu Fristen sowie zu den Anforderungen an die Studien regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung. Werden die Studien nach Satz 1 nicht oder nicht rechtzeitig vorgelegt, kann der Gemeinsame Bundesausschuss das Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 von der Verordnungsfähigkeit ausschließen. Eine gesonderte Klage gegen die Forderung ergänzender Studien ist ausgeschlossen."
Zur Begründung hat der Gesetzgeber hierzu u.a. angegeben (Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsausschusses für Gesundheit, BT-Drs. 17/3698, S. 52):
"Die Datenlage für neue Wirkstoffe (insbesondere in der Onkologie) wird von Experten als unbefriedigend bezeichnet. Die Aussagekraft der für die Zulassung durchgeführten klinischen Studien über die in der Praxis auftretenden Anforderungen an ein Arzneimittel und auch zu patientenrelevanten Endpunkten sind nach Ansicht der Experten gering. Gefordert werden daher mehr versorgungsrelevante Studien. Die Datenlage nach der Zulassung ist folgendem Dilemma der Zulassungsbehörden geschuldet: Einerseits darf der Zugang zu neuen Wirkstoffen gegen schwere Erkrankungen nicht unnötig verzögert werden, andererseits ist eine gründliche Bewertung notwendig. Besonders bei schwerwiegenden Erkrankungen (wie z. B. Krebs) ist die Zulassungsbehörde häufig gezwungen, einen Markteintritt trotz bestehender Unsicherheiten (d.h. nicht optimaler Datenlage) zu ermöglich. Um auf lange Sicht eine qualitativ hochwertige Versorgung zu sichern, kann es erforderlich sein, dass ergänzende Studien durchgeführt werden. Das darf aber nicht dazu führen, dass den Patientinnen und Patienten in der Zwischenzeit – das heißt bis die Studien vorliegen – das Arzneimittel vorenthalten wird. Deshalb wird der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt, vom pharmazeutischen Unternehmer innerhalb einer angemessenen Frist bestimmte Studien nachzufordern. Wird die Forderung seitens der Industrie nicht erfüllt, hat der Gemeinsame Bundesausschuss das Recht, das Arzneimittel von der Verordnungsfähigkeit auszuschließen."
Hieraus wird deutlich, dass § 92 Abs. 2a SGB V in engem Zusammenhang mit der o.g. Änderung von § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V steht: Soll nach der Neuregelung ein Verordnungsausschluss von Arzneimitteln wegen Unzweckmäßigkeit von wissenschaftlichen Belegen hierfür abhängen, musste dem Kläger ein Instrument an die Hand gegeben werden, mit dessen Hilfe er die Durchführung entsprechender Studien verlangen und deren Ausbleiben ggf. sanktionieren kann (aber nicht muss).
(2) Soll somit durch § 92 Abs. 2a SGB V dem Kläger lediglich auf Basis der neuen Rechtslage eine Handlungsoption (nicht -pflicht) zur Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 2 Abs. 4, § 12, § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V) eröffnet werden, bleibt deren Wahrnehmung ohne Auswirkungen auf bereits in Gang gesetzte Verfahren, zumal wenn diese – wie im hiesigen Fall – noch unter Geltung der bisherigen Rechtslage eingeleitet wurden. Weder dem Wortlaut des AMNOG noch seiner Begründung ist in irgendeiner Form zu entnehmen, dass solche Verfahren mit dem In-Kraft-Treten des neuen Gesetzes beendet sein sollen. Es ist daher nicht zu beanstanden und bleibt ohne Einfluss auf den vorliegenden Rechtsstreit, dass der Kläger parallel zu diesem – quasi hilfsweise für den Fall des Unterliegens – von den durch die Gesetzesänderung eingeräumten rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch macht. Das eingeleitete Verfahren nach § 92 Abs. 2a SGB V dürfte der Kläger nach einem Obsiegen im hiesigen Rechtsstreit jederzeit einstellen.
b. Dem Kläger fehlt aber auch nicht etwa deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil er auch im Falle eines Obsiegens im hiesigen Rechtsstreit seinen Beschluss vom 17. Juni 2010 nicht (mehr) bekanntmachen dürfte.
Allerdings steht der Zulässigkeit einer Aufsichtsklage entgegen, dass das mit ihr verfolgte primäre Ziel nach Abschluss des Rechtsstreits nicht mehr umgesetzt werden kann (BSG, Urteil vom 13. Juli 1978 - 8/3 RK 6/77 -, juris). In einem solchen Fall besteht kein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung der Aufsichtsmaßnahme. Im vorliegenden Fall ist es zur "Umsetzung" des Beschlusses vom 17. Juni 2010 erforderlich, dass ihn der Kläger im Bundesanzeiger bekannt macht (§ 94 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Denn erst ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung können Beschlüsse des Klägers Rechtswirkungen entfalten (BSG, Urteil vom 19. Februar 2002 – B 1 KR 16/00 R –, juris). Wäre eine Bekanntmachung des Beschlusses nach Abschluss dieses Rechtsstreits unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt und unzweifelhaft ausgeschlossen, fehlte dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis. Eine solche Feststellung ist derzeit jedoch nicht möglich.
aa. Ob – wie von der Beklagten vertreten – der Beschluss vom 17. Juni 2010 unter der ab dem 1. Januar 2011 geltenden Rechtslage noch rechtmäßig (und somit bekanntmachungsfähig) ist, ist zwischen den Beteiligten umstritten. Der Kläger ist dem nach den Ausführungen der Beklagten im Prozess scheinbar eindeutigen Ergebnis, dass nach der Änderung von § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V durch das AMNOG ohne (positiven) Beleg ein Verordnungsausschluss wegen Unzweckmäßigkeit nicht mehr zulässig sei, mit nicht von vornherein von der Hand zu weisenden Argumenten (u.a. mit einem Hinweis auf Rechtsprechung des BSG zur neuen Rechtslage) entgegen getreten. Die Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses als Sachurteilsvoraussetzung ist indes nicht der Ort, schwierige, bislang ungeklärte materiellrechtliche Fragen einer Antwort zuzuführen.
bb. Selbst wenn man der Rechtsauffassung der Beklagten folgen würde, wäre die Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 17. Juni 2010 nicht ausgeschlossen. Denkbar wäre nämlich, dass bis zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des Beschlusses Belege – in Gestalt neuer Studienergebnisse – für die Unzweckmäßigkeit der Glinide vorliegen. Dann wäre der Beschluss vom 17. Juni 2010 unabhängig von den widerstreitenden Rechtsauffassungen zur Auslegung von § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V nF, aber auch losgelöst von den nach § 94 Abs. 2 SGB V veröffentlichten tragenden Gründen rechtmäßig. Denn als Normgeber unterliegt der Kläger grundsätzlich keiner Begründungspflicht (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2012 – B 1 KR 34/12 R –, juris, m.w.N.), sodass die Wirksamkeit seiner Entscheidungen nicht von einer Begründung abhängt. Es wäre daher auch unschädlich, wenn eine Entscheidung des Klägers aus von ihm nicht erwogenen oder ihm nicht einmal bekannten Umständen, quasi nur "zufällig" rechtmäßig wäre (vgl. Roters, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 94 SGB V, Rd. 7).
cc. Bei alledem ist ferner zu beachten, dass bislang auf Grundlage des § 92 Abs. 1 SGB V a.F. geregelte rechtmäßige Verordnungsausschlüsse von Arzneimitteln durch den Beklagten auch nach Inkrafttreten des AMNOG bestehen bleiben (vgl. Hauck, GesR 2011,70). Die Änderung oder der Wegfall der Ermächtigungsgrundlage einer untergesetzlichen Norm berühren nämlich nicht per se deren Rechtswirksamkeit (vgl. BSG, Urteil vom 1. März 2011 – B 1 KR 10/10 R – ["Sortis"], Senat, Urteil vom 15. Mai 2013 – L 7 KA 113/10 KL – ["Otobacid"], jeweils juris, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG und des BVerfG). So hat das BVerfG in seiner ständigen Rechtsprechung (Entscheidungen vom 3. Dezember 1958 – 1 BvR 488/57 – und vom 25. Juli 1962 – 2 BvL 4/62 –; Beschluss vom 10. Mai 1988 – 1 BvR 482/84 – u.a., jeweils juris) festgehalten, es sei allgemein anerkannt, dass eine im Zeitpunkt ihres Erlasses auf gesetzlicher Grundlage ergangene untergesetzliche Rechtsnorm (betroffen waren Rechtsverordnungen) nicht durch den Fortfall der Ermächtigungsvorschrift in ihrer Gültigkeit berührt werde; ebenso wie die nachträgliche Änderung einer Ermächtigung sei auch deren nachträgliches Erlöschen ohne Einfluss auf den Rechtsbestand der vor der Änderung/dem Erlöschen ordnungsgemäß zustande gekommenen untergesetzlichen Rechtsnorm. Dieser Auffassung ist auch der 2. Senat des BSG (Urteil vom 24. Februar 1982 – 2 RU 59/81 –, juris) beigetreten. Ausnahmen vom Fortgelten untergesetzlicher Rechtsvorschriften bei Aufhebung ihrer Ermächtigungsgrundlagen werden durch diese Rechtsprechung nicht bestimmt. Daher werden auch die Detailregelungen der Arzneimittel-Richtlinien nicht durch jede Korrektur des Gesetzgebers am Wortlaut der Ermächtigungsnorm gegen¬standslos. Dies widerspräche dem Grundsatz der Normenkontinuität.
II. Die Klage ist auch begründet. Die Beanstandungsverfügung des BMG vom 21. Februar 2011 verstößt gegen die gesetzlichen Vorgaben von § 94 Abs. 1 SGB V und ist daher rechtswidrig.
1. Das aufsichtsrechtliche Verfahren im Hinblick auf Entscheidungen des GBA ist durch § 94 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB V wie folgt ausgestaltet:
"Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenen Richtlinien sind dem Bundesministerium für Gesundheit vorzulegen. Es kann sie innerhalb von zwei Monaten beanstanden; bei Beschlüssen nach § 35 Abs. 1 innerhalb von vier Wochen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann im Rahmen der Richtlinienprüfung vom Gemeinsamen Bundesausschuss zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern; bis zum Eingang der Auskünfte ist der Lauf der Frist nach Satz 2 unterbrochen. Die Nichtbeanstandung einer Richtlinie kann vom Bundesministerium für Gesundheit mit Auflagen verbunden werden; das Bundesministerium für Gesundheit kann zur Erfüllung einer Auflage eine angemessene Frist setzen."
a. Um in Kraft treten zu können, ist für Entscheidungen des GBA demnach nicht in jedem Fall eine Mitwirkung der Aufsichtsbehörde in Form eines positiven Votums erforderlich. Die Rechtswirkungen solcher Entscheidungen können jedoch durch ein negatives Votum (Beanstandung) innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von zwei Monaten gehindert werden (zur parallelen Struktur in anderen Bereichen des SGB V vgl. § 71 Abs. 4, § 73b Abs. 9, § 87 Abs. 6, § 89 Abs. 5, § 90 Abs. 6, § 99 Abs. 1, § 106 Abs. 2b, § 106a Abs. 6, § 290 Abs. 2, § 291b Abs. 4). Zu einem solchen Eingreifen ist die Aufsichtsbehörde jedoch nur innerhalb von zwei Monaten seit Vorlage der Entscheidung berechtigt. Zu einer außerhalb dieser Frist vorgenommenen Beanstandung fehlt dem BMG die Ermächtigung. Eine solche Beanstandung ist rechtswidrig und zieht dieselben Rechtsfolgen nach sich wie eine Untätigkeit der Aufsichtsbehörde.
b. Hinsichtlich des Inhalts der Anforderungen lässt sich dem Gesetzeswortlaut entnehmen, dass das BMG sowohl die Mitteilung weiterer Tatsachen ("zusätzliche Informationen") als auch erläuternde bzw. vertiefende rechtliche Ausführungen ("ergänzende Stellungnahmen"), z.B. zur Begründung einer Entscheidung, aber auch einer abweichenden Rechtsauffassung, verlangen kann.
c. Soweit durch die Anforderung zusätzlicher Informationen und ergänzender Stellungnahmen die Frist von zwei Monaten nach § 94 Abs. 1 Satz 3, 2. Hs. SGB V unterbrochen ist, sind beide Beteiligten übereinstimmend und zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Sprachgebrauch des SGB V (vgl. die parallelen Regelungen in § 73b Abs. 9, § 87 Abs. 6, § 90 Abs. 6 SGB V) nicht mit dem des außer Kraft getretenen zivilrechtlichen Verjährungsrechts (§ 217 Bürgerliches Gesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung) deckt und somit die Frist nach dem Ende der Unterbrechung gerade nicht von Neuem beginnt, sondern lediglich der Zeitraum der Unterbrechung nicht in die Frist einberechnet wird (Roters, a.a.O., Rd. 3; Hellkötter, in: Hänlein/Kru¬se/ Schu¬ler, Sozialgesetzbuch V – Lehr- und Praxiskommentar, 4.A., § 94 Rd. 3; Sproll, in: Krauskopf/Baier, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 94 SGB V, Rd. 5). Die Fristberechnung folgt im Übrigen den allgemeinen Regeln, d.h. § 26 SBG X i.V.m. § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2, § 193 BGB (Roters, a.a.O.; Hellkötter, a.a.O.).
d. Bislang ungeklärt ist, ob jegliche Anforderung seitens der Aufsichtsbehörde zur Fristunterbrechung und jedwede Antwort des GBA zu deren Ende führt. Der Wortlaut allein ließe eine Bejahung dieser Frage zu. Dies wird indes Sinn und Zweck des Anforderungsrechts und der damit verbundenen Unterbrechungswirkung nicht gerecht. Verfolgt das Recht des BMG, zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anzufordern, das Ziel, seine Informationsbasis und somit seine Entscheidungsgrundlage zu verbreitern, soll die Unterbrechungswirkung der Anforderung zum einen vermeiden, dass der GBA die Zwei-Monats-Frist dadurch unterläuft, dass er erst kurz vor oder gar nach deren Ablauf antwortet, zum anderen aber auch, dass das BMG vorsorglich allein deshalb eine Beanstandung ausspricht, weil es innerhalb der Frist keine (ausreichenden) Antworten erhalten hat oder ihm nicht genügend Zeit zu einer gut durchdachten und wohl abgewogenen Entscheidungsfindung verblieben ist (Hellkötter, a.a.O.). Den Aspekt der Missbrauchsabwehr aufgreifend und mit Blick auf den auch im gesamten Sozialrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben ist aus Sicht des Senats daher eine einschränkende Auslegung von § 94 Abs. 1 Satz 3, 2. Hs. SGB V geboten. Anforderungen des BMG und Antworten des GBA, die offenkundig nicht einer sachlichen, auf einen zügigen Abschluss gerichteten Verfahrensweise, sondern sachfremden Zielen dienen, sind für die Fristberechnung bedeutungslos. Nur hierdurch lässt sich verhindern, dass entweder das BMG durch überflüssige bzw. in sonstiger Weise sachwidrige Anforderungen oder der GBA durch gehaltlose Antworten das aufsichtsrechtliche Verfahren rechtsmissbräuchlich verzögern können, z.B. um hierdurch einen für sie günstigeren Zeitpunkt des Verfahrensabschlusses zu erreichen. Ob Anforderungen des BMG fristunterbrechende und Antworten des GBA unterbrechungsbeendende Wirkung haben, unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung. Die abschließenden Hinweise des BMG in seinen o.g. Schreiben vom 25. Oktober 2010, 15. November 2010 und 10. Dezember 2010, die Frist sei "weiterhin unterbrochen", bis der GBA vollständig geantwortet habe, sind demnach irrelevant.
2. Diesen Anforderungen wird das Verhalten des BMG nicht gerecht.
a. Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass die Zwei-Monats-Frist mit der Vorlage, d.h. dem Eingang, seines Beschlusses vom 17. Juni 2010 beim BMG am 25. Juni 2010 in Gang gesetzt wurde. Gemäß § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Satz 1 BGB begann der Fristlauf am darauffolgenden Tag und endete – falls keine Unterbrechung eintrat – am 25. August 2010, d.h. 61 Tage später. Hiervon waren bis zum Eingang der ersten Anforderung (Schreiben des BMG vom 12. August 2010) beim GBA am 13. August 2010 bereits 49 Tage verstrichen.
b. Der Senat kann offenlassen, ob den Antworten des Klägers vom 13. Oktober 2010 und 5. November 2010 unterbrechungsbeendende bzw. den erneuten Anforderungen des BMG vom 25. Oktober 2010 und 15. November 2010 fristunterbrechende Wirkung zukam. Denn jedenfalls das Antwortschreiben des Klägers vom 2. Dezember 2010 hatte (zunächst) ein Ende der Fristunterbrechung zur Folge; das Anforderungsschreiben des BMG unterbrach die Frist nicht erneut. Dies beruht auf folgenden Überlegungen:
aa. Die Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und der Beklagten wurzelt in den o.g. unterschiedlichen Rechtsauffassungen zur Frage, ob allein das Fehlen eines Nutzennachweises den Verordnungsausschluss eines Arzneimittels wegen Unzweckmäßigkeit nach der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Rechtslage rechtfertigen konnte. Alle vier o.g. Schreiben des BMG gehen davon aus, dass hierfür ein positiver Beleg (i.S.v. die Unzweckmäßigkeit bestätigender Studienergebnisse) erforderlich war, und forderten auf dieser Grundlage weitere Informationen und Stellungnahmen des Klägers an. Dieses ist zunächst nicht grundsätzlich zu beanstanden, da im Rahmen einer Rechtsaufsicht – hierauf beschränkt sich die Aufgabe des BMG nach § 94 SGB V (BSG, Urteil vom 06. Mai 2009 - B 6 A 1/08 R -, juris) – unterschiedliche Rechtspositionen von beaufsichtigter und beaufsichtigender Behörde vorausgesetzt werden und das aufsichtsrechtliche Verfahren gerade auch zum Austausch rechtlicher Argumente genutzt werden kann. Bringt der GBA indes – wie in seiner Antwort vom 2. Dezember 2010 – unmissverständlich zum Ausdruck, dass er an seiner Rechtsauffassung festhalte und auf deren Grundlage keine weiteren Informationen erforderlich seien, ist eine erneute Anforderung des BMG auf der Basis seiner abweichenden Rechtsauffassung nicht mehr sachgerecht (Schreiben vom 10. Dezember 2010).
bb. Weitere Umstände belegen, dass die Vorgehensweise des BMG darüber hinaus rechtsmissbräuchlich war. So hat das BMG zum einen frühzeitig (vgl. den o.g. Vermerk vom 15. Juli 2010) erkannt, dass die von ihm vertretene Rechtsposition mit der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung von § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V unvereinbar ist, aber gleichwohl mit Nachdruck – möglicherweise im Interesse des im Vorfeld intervenierenden pharmazeutischen Unternehmens – daran festgehalten. Zum anderen war Triebfeder des Anforderungsschreibens vom 25. Oktober 2010, wie der interne Vermerk vom 21. Oktober 2010 belegt, offenkundig nur das Ziel, das Beanstandungsverfahren zu verzögern und weitere Zeit zu gewinnen, um den Abschluss des aufsichtsrechtlichen Verfahrens bis zum damals bereits absehbaren In-Kraft-Treten des AMNOG zum 1. Januar 2011 hinauszuzögern. Angesichts dessen muss nicht erörtert werden, welche Rolle eventuell darüber hinaus die Berücksichtigung von Partikularinteressen der beiden betroffenen pharmazeutischen Hersteller durch das BMG gespielt hat.
cc. Beendete demnach das Schreiben des Klägers vom 2. Dezember 2010, welches beim BMG noch am selben Tag einging, die Fristunterbrechung, blieben diesem noch weitere (61 – 49 =) 12 Tage, d.h. bis zum 14. Dezember 2010 (Dienstag), für eine Beanstandungsverfügung. Die erst am 21. Februar 2011 ergangene streitgegenständliche Beanstandung wahrte diese Frist nicht und ist daher rechtswidrig.
3. Dieser Mangel ist auch nicht unbeachtlich.
Die Voraussetzungen von § 42 Abs. 1 SGB X liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob § 94 Abs. 1 Satz 2, 1. Hs. SGB V zu den Vorschriften über das Verfahren oder die Form zählt. Denn es ist jedenfalls gerade nicht offensichtlich, dass ohne die Verletzung dieser Vorschrift, d.h. bei einer Beanstandung spätestens bis zum 14. Dezember 2010, die (gerichtliche) Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst worden wäre. Es ist schon ungewiss, ob das BMG bei Fortgeltung der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Rechtslage überhaupt den Beschluss des Klägers vom 17. Juni 2010 beanstandet hätte. Denn es war sich von Anfang an bewusst, dass seine Rechtsauffassung mit der damaligen Rechtslage nicht in Einklang zu bringen war. Hätte es gleichwohl die Beanstandungsverfügung vom 21. Februar 2011 bereits vor dem 14. Dezember 2010 erlassen, wäre diese bereits nach seiner (insoweit zutreffenden) eigenen Rechtsauffassung rechtlich nicht zu halten gewesen.
4. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2011 stellt sich auch nicht auf einer anderen Rechtsgrundlage als rechtmäßig dar, insbesondere nicht gemäß § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 Abs. 1 SGB IV.
a. Nach § 91 Abs. 8 SGB V gilt für die vom Bundesministerium für Gesundheit geführten Aufsicht über den GBA u.a. § 89 SGB IV entsprechend. Die hier allein relevanten Regelungen von § 89 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IV sehen vor:
"Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt, soll die Aufsichtsbehörde zunächst beratend darauf hinwirken, dass der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde den Versicherungsträger verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben."
Diese Vorschriften sind im vorliegenden Fall nicht neben oder anstelle von § 94 Abs. 1 SGB V anwendbar.
b. Allerdings stellt § 94 Abs. 1 SGB V zunächst lediglich eine Ausprägung (BSG, Urteil vom 06. Mai 2009 – B 6 A 1/08 R –, juris) bzw. eine Modifikation (BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R – ["Lorenzos Öl"], juris) der allgemeinen Regeln in § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 SGB IV über die Staatsaufsicht gegenüber dem GBA dar. Der Gesetzgeber geht für die Prüfung der Richtlinien des GBA von einer Spezialregelung gegenüber der allgemeinen Staatsaufsicht nach §§ 88, 89 SGB IV aus (Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, BT-Drs. 15/1525, S. 107). Es spricht daher einerseits viel dafür, dass § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 Abs. 1 SGB IV wegen des eigenständigen Verfahrens nach § 94 Abs. 1 SGB V (Beier, in: JurisPraxiskommentar-SGB V, § 91 Rd. 60) grundsätzlich nicht auf die rechtssetzende Tätigkeit des GBA durch Richtlinien (so Harney, in: Berchtold/Hus-ter/ Kaltenborn, Gesundheitsrecht, § 91 SGB V Rd. 73) oder Mitwirkungshandlungen der Aufsichtsbehörde (Meydam, in: Gleitze/Krause/von Maydell Gemeinschaftskommentar zur Sozialversicherung, § 89 SGB IV Rd. 3) anwendbar ist. Andererseits weist die Beklagte mit Recht darauf hin, dass durchaus ein Bedürfnis für ein aufsichtsrechtliches Einschreiten bei Richtlinien des GBA bestehen kann, etwa wenn gravierende Änderungen der Sachlage eine Richtlinienänderung erzwingen. Hierfür steht als Rechtsgrundlage – unabhängig von der Frage nach ihrem präventiven Charakter (hierzu Engelhard, in: Juris Praxiskommentar-SGB IV, 2.A., § 89 Rd. 35 m.w.N.) – einzig § 89 SGB IV zur Verfügung (vgl. auch Breitkreuz, in: Winkler, Lehr- und Praxiskommentar SGB IV, § 89 Rd. 3). Der Senat muss indes das Verhältnis von § 94 Abs. 1 SGB V zu § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 SGB IV nicht abschließend klären. Denn es besteht jedenfalls – hiervon scheint allerdings die Beklagte auszugehen – kein Wahlrecht des BMG, entweder innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V eine Beanstandung auszusprechen oder – alternativ und gleichrangig – unmittelbar nach Ablauf dieser Frist das durch § 89 SGB IV zur Verfügung gestellte Instrumentarium einzusetzen. Bestünde ein solches Wahlrecht, hätte es der gesetzlichen angeordneten Zwei-Monats-Frist nicht bedurft; sie liefe dann leer. Sofern ein Anwendungsbereich von § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 Abs. 1 SGB IV im Bereich der vom GBA erlassenen Richtlinien neben § 94 Abs. 1 SGB V überhaupt in Betracht kommt, setzt dies eine vor Ablauf der Zwei-Monats-Frist nicht absehbare Zäsur tatsächlicher oder rechtlicher Art voraus.
Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Insbesondere stellt die durch das AMNOG vorgenommene Änderung von § 92 Abs. 1 SGB V keine solche Zäsur dar. Denn sie war bereits bei Ablauf der Zwei-Monats-Frist im Dezember 2010 absehbar. Das Verhalten der Beklagten, in Kenntnis der eine weitere Informationsübermittlung ablehnenden Rechtsauffassung des Klägers und somit sehenden Auges die Frist des § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V verstreichen zu lassen, um nach dem schon damals absehbaren In-Kraft-Treten des AMNOG zum 1. Januar 2011 und der damit einhergehenden Änderung der Beweislast (Senat, Urteile vom 15. Mai 2013 – L 7 KA 113/10 KL – und vom 27. Mai 2015 – L 7 KA 33/12 KL WA –, juris; Hauck, GesR 2011, 70ff) nunmehr den Beschluss vom 17. Juni 2010 zu beanstanden, erweist sich daher als Gesetzesumgehung. Der Einwand der Beklagten, sie habe sicherstellen müssen, dass der Beschluss vom 17. Juni 2010 auch der ab dem 1. Januar 2011 geltenden Rechtslage entspreche, überzeugt nicht. Das BMG war vielmehr verpflichtet, zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, d.h. bis zum Ablauf der Zwei-Monats-Frist, das damals geltende Recht und somit § 92 Abs. 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung anzuwenden. Denn eine gesetzlich gerechtfertigte Befugnis, die Entscheidung zurückzustellen oder auszusetzen, wie sie etwa § 15 Baugesetzbuch vorsieht, steht dem BMG nicht zu. Wenn es einer Behörde untersagt ist, die Entscheidung über einen entscheidungsreifen Antrag mit Verweis auf eine bevorstehende Rechtsänderung zurückzustellen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23. Juni 2005 – 1 BvR 235/00 –, juris), kann es ihr ebenso wenig gestattet sein, die Entscheidungsreife bis zum In-Kraft-Treten der Neuregelung durch rechtsmissbräuchliche Maßnahmen hinauszuzögern. Das nachvollziehbare Anliegen einer Behörde, sich nicht in Widerspruch zu einer bevorstehenden Entscheidung des Normgebers zu setzen, kann nicht von der durch Art. 20 Abs. 3 GG begründeten Verpflichtung befreien, das geltende Recht anzuwenden (BVerfG a.a.O.).
c. Die Beanstandung des Beklagten vom 21. Februar 2011 lässt sich auch nicht in eine aufsichtsrechtliche Maßnahme nach § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 Abs. 1 SGB IV – die Anwendbarkeit dieser Normen insoweit unterstellt – umdeuten.
aa. Gemäß § 43 Abs. 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. In Betracht käme insoweit allenfalls, eine Beanstandung i.S.v. § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V in einen Verpflichtungsbescheid nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV mit dem Inhalt, die durch den Beschluss des Klägers vom 17. Juni 2010 vermeintlich eingetretene Rechtsverletzung zu beheben, umzudeuten. Die Voraussetzungen für eine Umdeutung liegen jedoch nicht vor.
bb. Für den Erlass eines Verpflichtungsbescheids ist der Aufsichtsbehörde durch § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sowohl ein Entschließungs- als auch ein Auswahlermessen eröffnet (Engelhard a.a.O., Rd. 60ff; Breitkreuz a.a.O., Rd. 4; Kluth GewA 2006, 446ff; Schütte-Gefers, in: Kreikebohm SGB IV, § 89 Rd. 11). Die aus Sicht der Behörde maßgeblichen Ermessenserwägungen müssen – entsprechend der allgemeinen Anordnung durch § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X – der Begründung des Verpflichtungsbescheids zu entnehmen sein (Engelhard a.a.O., Rd. 68; Breitkreuz a.a.O., Rd. 7; Kluth a.a.O.). Sind sie dies nicht oder lässt der Verwaltungsakt nicht erkennen, dass sich die Behörde des Bestehens eines Ermessensspielraums bewusst war, ist er allein deshalb rechtswidrig und aufzuheben (Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8.A., § 35 Rd. 7 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BSG). Dem Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2011 ist weder zu entnehmen, dass sich das BMG über das Bestehen eines Ermessensspielraums bewusst war, noch ist eine Abwägung der für und gegen die "Beanstandung" – im Sinne von § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV verstanden als Verpflichtung zur Aufhebung des Beschlusses vom 17. Juni 2010 – sprechenden Ermessensgesichtspunkte zu erkennen. Allein dies schließt eine Umdeutung gemäß § 43 Abs. 1 SGB X aus.
Eine Ermessensreduktion auf Null, d.h. der Einengung des Ermessensspielraums auf nur eine mögliche Entscheidung, ist nicht gegeben. Unabhängig von der umstrittenen Frage, ob die Behörde – anders als die Beklagte im hiesigen Verfahren – in der Begründung des Verwaltungsaktes nicht zu erkennen geben muss, dass sie von einer solchen Ermessensreduktion ausgegangen ist (so BSG, Urteil vom 18. April 2000 – B 2 U 19/99 R –, juris; a.A. Engelmann a.a.O., Rd. 10), würde letztere im Rahmen von § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV erheblich finanzielle Schäden oder schwere Rechtsverletzungen zu Lasten der Versicherten voraussetzen (Kluth a.a.O.; Engelhard a.a.O., Rd. 64 m.w.N.). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall weder dargetan noch anderweitig ersichtlich.
cc. Ein Beanstandungsbescheid nach § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V ist aber auch nicht auf dasselbe Ziel gerichtet i.S.v. § 43 Abs. 1 SGB X wie ein Verpflichtungsbescheid nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Zwar müssen der ursprüngliche und der neue Verwaltungsakt nicht identischen Inhalts sein; ausreichend ist bereits, dass beide Verwaltungsakte "gleiche materiell-rechtliche Tragweite" aufweisen (vgl. BT-Drucks 7/910, S 67 zu § 43 (47) VwVfG unter Verweis auf BVerwG v 11.11.1960 – IV C 277.59) bzw. dass keine wesentlichen Unterschiede bestehen (Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht/Steinwedel, § 43 SGB X Rd. 12). Beanstandungsbescheide nach § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V und Verpflichtungsbescheide nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV wohnt jedoch ein grundlegend unterschiedlicher Charakter inne. Während eine Beanstandung ein Wirksamkeitshindernis im Rahmen einer Normsetzung bildet, ist ein Verpflichtungsbescheid eingebettet in ein mehrstufiges System (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation im Rahmen der Grundsicherung: Landessozialgericht für das Saarland, Beschluss vom 02. Mai 2011 – L 9 AS 9/11 B ER –, Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Februar 2009 – L 5 B 376/08 AS ER –, jeweils juris), welches, orientiert am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Engelhard a.a.O., Rd. 10; Breitkreuz a.a.O. Rd. 2), auf einer Beratung in Gestalt eines partnerschaftlich-kooperativen Dialogs (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2003 – B 10 A 1/02 R –, juris, m.w.N.) aufbaut und erst im Konfliktfall über eine Fristsetzung zu hoheitlichem Zwang in Form des Verpflichtungsbescheids führt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.
Tatbestand:
Der klagende Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) wendet sich gegen eine Beanstandungsverfügung des die beklagte Bundesrepublik Deutschland vertretenden Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vom 21. Februar 2011, mit dem dieses den Beschluss des GBA vom 17. Juni 2010 zur Verordnungseinschränkung von Gliniden zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 beanstandete.
Die Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten steht im (zeitlichen) Zusammenhang mit einer Änderung von § 92 Abs. 1 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) durch das mit Wirkung zum 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung (Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz – AMNOG – vom 22. Dezember 2010, BGBl. I, 2262). Diese Vorschrift lautete in der bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Fassung:
"Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; dabei ist den besonderen Erfordernissen der Versorgung behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und psychisch Kranker Rechnung zu tragen, vor allem bei den Leistungen zur Belastungserprobung und Arbeitstherapie; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen einschließlich Arzneimitteln oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind sowie wenn insbesondere ein Arzneimittel unzweckmäßig oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist."
Seit dem 1. Januar 2011 lautet diese Vorschrift (Hervorhebung der Unterschiede jeweils durch den Senat):
"Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; dabei ist den besonderen Erfordernissen der Versorgung behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und psychisch Kranker Rechnung zu tragen, vor allem bei den Leistungen zur Belastungserprobung und Arbeitstherapie; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind; er kann die Verordnung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn die Unzweckmäßigkeit erwiesen oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist."
Diese Gesetzesänderung war im ursprünglichen Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom 6. Juli 2010 (BT-Drs. 17/2413) noch nicht vorgesehen, sondern erstmals während des Gesetzgebungsverfahrens (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit vom 10. November 2010, BT-Drs. 17/3698, S. 19) erwähnt. Zur Begründung heißt es hierzu: (a.a.O., S. 52):
"Der Gemeinsame Bundesausschuss kann die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln nur dann ausschließen, wenn deren Unzweckmäßigkeit erwiesen ist, oder wenn es wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeiten gibt. Ein Verordnungsausschluss wegen fehlenden Nutzennachweises ist ausgeschlossen, weil bei Arzneimitteln – im Unterschied zu anderen medizinischen Methoden oder Produkten – die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bereits bei der arzneimittelrechtlichen Zulassung von den zuständigen Zulassungsbehörden geprüft werden. Diese Kriterien darf der Gemeinsame Bundesausschuss unter dem Aspekt des medizinischen Nutzens eines Arzneimittels nicht abweichend von der Beurteilung der Zulassungsbehörde bewerten. Im Unterschied zu anderen medizinischen Methoden oder Produkten stellt bei Arzneimitteln die arzneimittelrechtliche Zulassung sicher, dass Arzneimittel grundsätzlich für die Behandlung der zugelassenen Indikationen geeignet sind. Der Gemeinsame Bundesausschuss kann darüber hinaus den Zusatznutzen gegenüber Therapiealternativen bewerten. Dieser Aspekt wird bei der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht geprüft. Lässt sich nicht nachweisen, dass ein Arzneimittel einen Zusatznutzen hat, es jedoch höhere Kosten verursacht, kann der Gemeinsame Bundesausschuss die Verordnungsfähigkeit einschränken oder ausschließen. Das gilt auch, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss nachweisen kann, dass ein Arzneimittel unzweckmäßig ist. Der Nachweis der Unzweckmäßigkeit muss dabei mit hoher Sicherheit erbracht sein. Für den Nachweis gelten die in § 35 Absatz 1b Satz 4 und 5 genannten Anforderungen entsprechend. Bei unsicherer Datenlage ist ein Verordnungsausschluss nicht verhältnismäßig. In diesem Fall kann der Gemeinsame Bundesausschuss einen Therapiehinweis nach Absatz 2 beschließen. Hinsichtlich der Bewertung von anderen Leistungen als Arzneimitteln durch den G-BA ergeben sich keine Änderungen."
Die maßgeblichen Beratungen (einschließlich der Anhörung von Verbänden und Experten) im zuständigen Bundestagsausschuss für Gesundheit fanden am 29. September und 6. Oktober 2010 statt (a.a.O., S. 47).
Der Kläger hatte bereits im Jahr 2005 das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge¬sundheitswesen (IQWIG) mit der Nutzenbewertung verschiedener in Deutschland zu¬gelassener oraler Antidiabetika zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2, u.a. der Glinide, beauftragt (vorläufiger Berichtsplan des IQWiG, veröffentlicht unter https://www.iqwig.de, Pfad "Projekte und Ergebnisse", "Projekte", Stichtwort "Diabetes", A05-05C"). Das IQWiG zerlegte diesen Auftrag in kleinere Einzelaufträge und veröffentlichte seine Ergebnisse schrittweise. Den Glinide betreffenden Abschlussbericht (Version 1.0) übermittelte das IQWiG dem Kläger am 6. April 2009 und veröffentlichte ihn am 2. Juni 2009. Zu dieser Arzneimittelgruppe gehörten die beiden damals noch unter Patentschutz stehenden Arzneimittel N (Wirkstoff: Repaglinid; Zulassungsinhaber: No GmbH) und S (Wirkstoff: Nateglinid; Zulassungsinhaberin: No GmbH).
Der Verfahrensablauf beim Kläger gestaltete sich wie folgt:
Sitzung Datum Beratungsgegenstand AG ,,Nutzenbewertung" 10. Juni 2009 Annahme des Abschlussberichts zur Nutzenbewertung von Gliniden zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 (Version 1.0 vom 06.04.2009; Auftrag A05-05C) und Erarbeitung eines Richtlinienentwurfs 11. Sitzung des Unterausschusses "Arzneimittel” 11. August 2009 Beratung und Konsentierung der Beschlussvorlage über die Einleitung eines Stellungnahmeverfahrens zur Änderung der AM-RL 15. Sitzung des Plenums 17. Septem-ber 2009 Beschluss über die Einleitung des Stellungnahmeverfahrens zur Änderung der AM-RL in Anlage III 19. Sitzung des Unterausschusses "Arzneimittel” 6. April 2010 Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen 20. Sitzung des Unterausschusses "Arzneimittel” 11. Mai 2010 Beratung und Konsentierung der Beschlussvorlage zur Änderung der AM-RL
21. Sitzung des Unterausschusses "Arzneimittel” 8. Juni 2010 Beratung und Konsentierung der Beschlussvorlage zur Änderung der AM-RL
Vertreterinnen des BMG nahmen an sämtlichen Sitzungen des Unterausschusses Arzneimittel teil.
Parallel hierzu kam es zu zwei Treffen des die NoGmbH beratenden Rechtsanwalts Prof. Dr. Dr. E mit dem damaligen parlamentarischen Staatssekretär im BMG B am 8. Dezember 2009 sowie dem Leiter der Abteilung 2 des BMG (Gesundheit, Versorgung, Krankenversicherung und Pflegeversicherung), Dr. O am 11. Januar 2010. Im Vorfeld des ersten Treffens fertigte eine Mitarbeiterin des BMG unter dem 4. Dezember 2009 einen internen Vermerk, wonach "ausreichend Zeit für die Prüfung der Bedenken von Prof. E" bestehe, er "sicher sein [könne], dass das BMG als Rechtsaufsicht – wie bei allen Verfahren des GBA – darauf achten wird, dass das Verfahren rechtmäßig abläuft" und "der Verordnungsausschluss der Glinide allein [ ] die Versorgung von Typ-2-Diabetikern zwar beeinflussen, diese jedoch nicht wesentlich erschweren" würde. Mit jeweils im unmittelbaren Anschluss an die Treffen verfassten Schreiben bedankte sich Rechtsanwalt E bei den jeweiligen Vertretern des BMG für das Gespräch, im Schreiben vom 8. Dezember 2009 ferner für die Bereitschaft, mit diesen "im Falle einer entsprechenden Entscheidung seitens des G-BA [ ] unter Beteiligung der zuständigen Fachabteilung in einen konstruktiven Dialog treten zu dürfen." Das Schreiben vom 12. Januar 2010 enthält den Hinweis, dass die Mitarbeiter des BMG Rechtsanwalt E und seiner Mandantin "mit ihren Hinweisen und Anregungen sehr geholfen" hätten.
Am 17. Juni 2010 beschloss der Kläger, Anlage III der AM-RL ("Übersicht der Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse") um folgende Nr. 50 zu ergänzen:
Arzneimittel Rechtliche Grundlagen und Hinweise 50. Glinide zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. Hierzu zählen:
- Nateglinid - Repaglinid
Ausgenommen ist die Behandlung von niereninsuffizienten Patienten mit einer Kreatinin-Clearance ( 25 ml / min mit Repaglinid, soweit keine anderen oralen Antidiabetika in Frage kommen und eine Insulintherapie nicht angezeigt ist. Verordnungseinschränkung verschreibungspflichtiger Arzneimittel nach dieser Richtlinie. [4]
Diese Änderung sollte mit dem 1. des übernächsten Quartals nach ihrer Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft treten (Ziffer III. des Beschlusses).
Der Kläger begründete seine Entscheidung damit, dass der therapeutische Nutzen der Glinide nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht nachgewiesen und die Behandlung mit Gliniden daher medizinisch nicht notwendig sei. Die Begriffe "therapeutische Wirksamkeit", "Unbedenklichkeit" und "Qualität" (§ 1 Arzneimittelgesetz - AMG) einerseits und "therapeutischer Nutzen" (§ 12 i.V.m. § 35b Abs. 1 Satz 4, § 92 Abs. 1 Satz 1, 3. Hs. SGB V) andererseits seien nicht deckungsgleich. Aus der arzneimittelrechtlichen Zulassung folge nicht zugleich ein sozialrechtlich relevanter Krankenbehandlungserfolg für den Patienten (Nutzen). Die Bewertung durch das IQWiG habe für die Glinide keinen Beleg für einen Nutzen der Behandlung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 ergeben, da für die vorab definierten Zielgrößen bzw. patientenrelevanten Endpunkte keine relevanten Studien vorgelegen hätten oder die Datenlage unzureichend gewesen sei. Der Hinweis auf das Fehlen aussagekräftiger, wissenschaftlich einwandfrei geführter klinischer Endpunktstudien stelle keine unzumutbaren Anforderungen an die Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln nach dem SGB V, weil zwischen der Markteinführung der Glinide in den Jahren 1998 bzw. 2001 und dem hiesigen Beschluss ein Zeitraum von neun bis zwölf Jahren verstrichen sei, in dem die erforderlichen Studien hätten durchgeführt werden können. Wegen des fehlenden Nutzenbelegs sei die Behandlung mit Gliniden auch nicht medizinisch notwendig. Eine Ausnahme ergebe sich nur bei der Behandlung niereninsuffizienter Patienten. Als mildere Mittel kämen weder ein Therapiehinweis noch die Bildung einer Festbetragsgruppe nach § 35 Abs. 1 SGB V in Betracht. Therapiehinweise seien gegenüber dem für alle Versicherten und Vertragsärzte geltenden Leistungsausschluss weniger wirksam, weil bei ihnen dem Vertragsarzt ein gewisser Beurteilungsspielraum bei der Auswahl der Therapie bleibe. Ein seit April 2000 bestehender Therapiehinweis zum Wirkstoff Repaglinid habe an der Wirtschaftlichkeit der Verordnung bislang nichts geändert. Die Bildung einer Festbetragsgruppe scheide ebenfalls aus, weil andernfalls auch neue Mittel, die mangels therapeutischen Nutzens als unwirtschaftlich anzusehen seien, verordnungsfähig blieben.
Dieser Beschluss lag dem BMG spätestens am 25. Juni 2010 vor (Rückschluss aus dem Vermerk des BMG vom 10. August 2010, wonach die Zweimonatsfrist am 25. August 2010 ende). In einem ersten hierzu gefertigten internen Vermerk des BMG vom 15. Juli 2010 heißt es u.a.:
"Zusammenfassend wäre folgender Grundsatz für Arzneimittelbewertungen durch den G-BA sinnvoll – auch wenn die aktuelle Rechtslage das nicht unmittelbar hergibt: [ ] Der G-BA kann einem Arzneimittel aufgrund der arzneimittelrechtlichen Zulassung nicht den Nutzen an sich absprechen. Er kann lediglich den Zusatznutzen gegenüber anderen Arzneimitteln bewerten. [ ] Will der G-BA ein Arzneimittel wegen Unzweckmäßigkeit ausschließen, liegt die Beweislast beim G-BA. Er muss nachweisen, dass das Arzneimittel gegenüber der Vergleichstherapie schlechter ist. [ ] Die derzeitige Rechtslage gibt eine derartige Betrachtung allerdings nicht her, denn der Wortlaut von § 92 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB V ermöglicht dem G-BA ausdrücklich den Ausschluss von Arzneimitteln wenn der "therapeutische Nutzen ( ) nicht nachgewiesen" ist. Ohne entsprechenden Nachweis kann der G-BA also ein Arzneimittel mangels diagnostischen oder therapeutischen Nutzen ausschließen."
Mit Schreiben vom 12. August 2010 (beim Kläger eingegangen am 13. August 2010) bat das BMG um zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen sowie insbesondere die Beantwortung zahlreicher Fragen, u.a. wie der Kläger auch vor dem Hintergrund des Versorgungsanteils der Glinide zur Einschätzung komme, der bestehende Therapiehinweis zu Repaglinid habe an der Wirtschaftlichkeit der Versorgung nichts geändert, und in welcher Höhe der Kläger durch seinen Beschluss Einsparungen für die GKV erwarte.
Hierauf reagierte der Kläger mit seiner Stellungnahme vom 13. Oktober 2010, beim BMG eingegangen am 15. Oktober 2010. Darin verweist der Kläger auf seine Rechtsauffassung, wonach er nicht die materielle Beweislast dafür trage, dass der Nutzen eines Arzneimittels nicht hinreichend belegt sei und das Arzneimittel deshalb nicht, noch nicht oder nicht mehr dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche.
Nach einem internen Vermerk des BMG vom 21. Oktober 2010 spiegele diese Antwort des Klägers den Dissens zwischen ihm und dem BMG bezüglich der Auslegung des derzeit gültigen § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Der Kläger sei nicht berechtigt, Arzneimittel von der Verordnungsfähigkeit auszuschließen, wenn der Hersteller einige Jahre nach Markteinführung "keinen Nutzennachweis" im Sinne einer Endzeitstudie erbracht habe. Denn bereits die arzneimittelrechtliche Zulassungsstelle sichere, dass ein Arzneimittel grundsätzlich zur Behandlung der jeweiligen Erkrankung geeignet sei. Dem dürfe der Kläger nicht widersprechen. Sobald die (o.g.) Änderung von § 92 SGB V in Kraft trete, sei klargestellt, dass allein die Auslegung des BMG zulässig sei. Der Kläger solle daher auf die Rechtsauffassung des BMG hingewiesen werden. Vorteil einer weiteren ergänzenden Nachfrage sei Zeitgewinn. Sobald das AMNOG mit der vorgesehenen Änderung von § 92 SGB V in Kraft trete, sei eine Beanstandung rechtssicher möglich bzw. die neue Rechtslage würde jedenfalls einem Wirksamwerden des Beschlusses grundsätzlich entgegenstehen.
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2010 (Eingang beim Kläger unbekannt) teilte das BMG dem Kläger daraufhin mit, dass die o.g. Frage zur Erfolglosigkeit des Therapiehinweises zu Repaglinid und zu den vom Kläger durch seinen Beschluss erwarteten Einsparungen noch nicht beantwortet sei. Ferner werde um zusätzliche Information und ergänzende Stellungnahmen gebeten. Darüber hinaus werde der Kläger gebeten, vor dem Hintergrund der ihm bekannten Rechtsauffassung des BMG zu seiner Befugnis zu Verordnungseinschränkungen und -ausschlüssen zu prüfen, ob Belege für die Unzweckmäßigkeit der Glinide gegenüber den therapeutischen Alternativen vorlägen, die einen Verordnungsausschluss rechtfertigten. Zur Erläuterung vertrat das BMG den Standpunkt, dass die arzneimittelrechtliche Zulassung nur erteilt werde, wenn das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Arzneimittels positiv sei, was eine Bewertung der positiven therapeutischen Wirkung des Arzneimittels im Verhältnis zu seinem Risiko umfasse. Es sei daher nicht möglich, dass für ein zugelassenes Arzneimittel keine hinreichenden Nachweise für den Nutzen nach anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse vorlägen, weil sonst die Zulassung nicht hätte erteilt werden dürfen. Behauptungen, es bestehe kein Zusammenhang zwischen arzneimittelrechtlicher Zulassung und patientenrelevantem Nutzen seien somit falsch. Die arzneimittelrechtliche Zulassung sage weder etwas über die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels aus, noch treffe sie Aussagen zur Zweckmäßigkeit des Arzneimittels, die sich aus dem Vergleich eines Arzneimittels mit anderen Arzneimitteln und Behandlungsformen im Therapiegebiet ergebe.
Der Kläger erwiderte (Schreiben vom 5. November 2010, beim BMG am selben Tag eingegangen), er sei nach wie vor der Auffassung, dass grundsätzlich jede Verordnung eines Arzneimittels ohne patientenrelevanten Nutzen unwirtschaftlich sei. Der Arzneiverordnungs-Report 2010 sehe bei der Verordnung von Gliniden unverändert hohe Einsparpotentiale von 39 Millionen Euro. Er gehe in Übereinstimmung mit dem Arzneiverordnungs-Report davon aus, das ein ganz überwiegender Anteil der jetzt mit Gliniden behandelten Patienten mit besser evidenzbasierten Therapiealternativen (wie Sulfonylharnstoffen oder Metformin) behandelt und nicht auf andere, ebenfalls nicht ausreichend evidenzbasierte orale Antidiabetika, wie Gliptine oder Inkretinmimetika, umgestellt würden; diese seien keine Erstlinientherapeutika. In den Therapienhinweisen zu den neueren oralen Antidiabetika habe er deutlich und wiederholt darauf hingewiesen, dass Studien zu patientenrelevanten Endpunkten auch für diese Wirkstoffe noch weitgehend fehlten. Er werde daher in einer angemessenen Frist auch für die neueren Wirkstoffgruppen umfassende Nutzenbewertungen durchführen. Im konkreten Fall der Glinide sei Grundlage für die zum Zeitpunkt der Zulassung getroffene Feststellung einer Eignung zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 nicht die positive Beeinflussung patientenrelevanter Endpunkte, wie insbesondere Morbidität, Mortalität oder gesundheitsbezogene Lebensqualität, sondern allein die Beeinflussung von nicht patientenrelevanten Surrogatparametern des Diabetes mellitus Typ 2. Im Rahmen eines Vergleichs mit besser belegten Therapiealternativen schließe er aus dem fehlenden Beleg für patientenrelevante Endpunkte bei Gliniden daher, dass diese insoweit therapierelevant unterlegen und demzufolge im Rahmen der GKV keine zweckmäßige Therapieoption darstellten sowie unwirtschaftlich seien.
Hierauf teilte das BMG mit, dass der Kläger die erbetenen Belege für die Unzweckmäßigkeit der Glinide nicht übermittelt habe (Schreiben vom 15. November 2010, beim Kläger eingegangen am 17. November 2010).
In seiner Antwort (Schreiben vom 2. Dezember 2010, Eingang beim BMG noch am selben Tag) begründete der Kläger nochmals ausführlich seine Rechtsauffassung, wonach § 92 Abs. 1 Satz 1, 3. Hs. SGB V nicht den Nachweis einer "negativen" Tatsache (d.h. des fehlenden Nutzens) verlange. Die Vorlage weiterer Unterlagen für die Prüfung durch das BMG werde daher rechtlich nicht als erforderlich angesehen.
Das BMG bemängelte daraufhin mit Schreiben vom 10. Dezember 2010 (Eingang beim Kläger unbekannt) erneut, dass die mit Schreiben vom 25. Oktober 2010 und 15. November 2010 erbetenen Belege nach wie vor nicht übermittelt worden seien und die Frist zur Prüfung des o.g. Beschlusses weiterhin solange unterbrochen sei, bis die vorgenannten Informationen bei ihm eingingen.
Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 1. Februar 2011 bekräftigt hatte, die Rechtsauffassung des BMG nicht zu teilen und hierzu mit Scheiben vom 2. Dezember 2010 abschließend Stellung genommen zu haben, beanstandete das BMG unter dem 21. Februar 2011 den Beschluss des Klägers vom 17. Juni 2010, weil dieser für die vergleichende Bewertung der Unzweckmäßigkeit oder Unwirtschaftlichkeit der Glinide gegenüber Therapiealternativen keine hinreichenden Belege ermittelt habe. Bewertungen der Zulassungsbehörde dürfe der Beschluss unter dem Aspekt des medizinischen Nutzens nicht widersprechen. Die bloße Tatsache, dass es für einzelne Therapiealternativen der Glinide Belege zu den vom Kläger geforderten Endpunkten gebe, genüge für den Nachweis der Unzweckmäßigkeit der Glinide nicht. Wenn Studien zu bestimmten Endpunkten fehlten, sage das nichts über die Effekte eines Arzneimittels hinsichtlich dieser Endpunkte aus. Für eine vergleichende Bewertung verschiedener Arzneimittel hinsichtlich dieser bestimmten Endpunkte reiche die Datenlage in diesem Fall nicht aus. Insoweit sei ein Verordnungsausschuss auch unverhältnismäßig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 17. März 2011 erhobene Klage.
Während des Rechtsstreits erließ der Kläger am 11. Dezember 2012 (BAnz AT 31.01.2013 B1) einen Beschluss. Mit diesem forderte er gemäß § 92 Abs. 2a Satz 1 SGB V von den pharmazeutischen Unternehmern, die Inhaber einer Zulassung für Arzneimittel mit den Wirkstoffen Repaglinid oder Nateglinid (Glinide) sind oder die Arzneimittel mit diesen Wirkstoffen in Verkehr bringen, zur Bewertung der Zweckmäßigkeit der Glinide Studien nach näherer Maßgabe durchzuführen.
Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor: Ein Arzneimittel, dessen Nutzen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse nicht entspreche, weil dafür keine hinreichenden Nachweise vorlägen bzw. vorgelegt werden könnten, dürfe von der Versorgung ausgeschlossen werden. Der Beanstandungsbescheid sei aber auch rechtswidrig, weil er außerhalb der gesetzlichen vorgesehenen Frist von zwei Monaten ergangen sei. Diese werde zwar um die Dauer des Auskunftsverfahrens verlängert. Spätestens jedoch mit dem Zugang des Antwortschreibens vom 2. Dezember 2010 sei die Fristunterbrechung aufgehoben worden, weil er ¬– der Kläger – darin endgültig erklärt habe, er werde keine weiteren Informationen zur Verfügung stellen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Bescheid für zutreffend und führt ergänzend aus: Die Klage sei unzulässig, weil es dem Kläger bereits an einem Rechtsschutzbedürfnis fehle. Die zwischen den Beteiligten streitige Rechtsfrage, ob eine Verordnungseinschränkung eines Arzneimittels sich auf einen fehlenden Nutzennachweis im Sinne von fehlenden Endpunktstudien stützen könne, lasse sich durch das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene AMNOG eindeutig beantworten. Auch der Kläger gehe offensichtlich davon aus, dass der seinerzeit getroffene Verordnungsausschluss keine Gültigkeit mehr beanspruchen könne. Denn er habe bereits ein Verfahren nach § 92 Abs. 2a SGB V eingeleitet, um in Zukunft einen Verordnungsausschluss der Glinide im Einklang mit der nunmehr gültigen Rechtslage beschließen zu können. Dieses Verfahren habe der Kläger bereits am 21. Juni 2012 initiiert und mit Beschluss vom 11. Dezember 2012 ein Stellungnahmeverfahren eingeleitet, in dem die betreffenden pharmazeutischen Unternehmer mit Frist bis zum 28. Februar 2013 aufgefordert wurden, zur Forderung nach Ergänzung versorgungsrelevanter Studien Stellung zu nehmen. Der Beschluss des Klägers vom 17. Juni 2010 habe sich damit inhaltlich erledigt. Die Klage sei auch unbegründet. Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels dürfe der Kläger unter dem Aspekt des medizinischen Nutzens nicht abweichend von der Zulassungsbehörde beurteilen. Der Beschluss des GBA sei aber auch nach der bis 31. Dezember 2010 gültigen Rechtslage rechtswidrig. Die Fristunterbrechungsschreiben und die darin gestellten Fragen seien notwendig gewesen. Bei Anforderung der ergänzenden Stellungnahmen im zweiten Halbjahr 2010 habe sich die klarstellende Änderung von § 92 Abs. 1 SGB V bereits abgezeichnet. Aus Gründen der Gesetzesbindung habe der Kläger darlegen müssen, dass sein erst 2011 in Kraft tretender Beschluss mit der dann geltenden Rechtslage übereinstimme. Es sei auch nicht absehbar gewesen, dass der Kläger an seiner Auffassung zu den rechtlichen Konsequenzen einer "non-liquet"-Situation festhalte. Es habe geklärt werden müssen, ob der Kläger den positiven Beweis würde erbringen können. Die angefochtene Entscheidung lasse sich jedenfalls auf § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 Abs. 1 Sozialgesetzbuch / Viertes Buch (SGB IV) stützen. Dahinstehen könne, ob es sich um einen zulässigen Fall des Nachschiebens von Gründen oder um die Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes handele. § 94 SGB V entfalte keine Sperrwirkung gegenüber den allgemeinen aufsichtsrechtlichen Befugnissen, sondern bewirke ggf. nur, dass die Rechtsfolge "Verhindern des Wirksamwerdens" nicht mehr unmittelbar herbeigeführt werden könne. Auch nach dem In-Kraft-Treten von Richtlinienbeschlüssen des Klägers müsse ihn das BMG nachträglich zur Behebung von Rechtsverletzungen verpflichten können. Die Anforderungen von § 89 Abs. 1 SGB IV seien erfüllt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Normsetzungsdokumentation des Klägers und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Beanstandungsverfügung des BMG vom 21. Februar 2011 ist rechtswidrig, weil sie außerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Monaten ergangen ist.
I. Die Klage ist zulässig.
1. Gemäß § 54 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, dass die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite. Diese sog. Aufsichtsklage als Sonderform der Anfechtungsklage (Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht [BeckOK SozR] / Lowe SGG § 54 Rn. 8) berechtigt auch den gemäß § 91 Abs. 1 Satz 2 SGB V rechtsfähigen GBA als Anstalt des öffentlichen Rechts (BSG, Urteil vom 20. März 1996 – 6 RKa 62/94 – "Methadon-Substitution", juris), Maßnahmen des BMG als zuständiger Aufsichtsbehörde (§ 91 Abs. 8 SGB V) gerichtlich überprüfen zu lassen (vgl. BSG, Urteile vom 11. Mai 2011 – B 6 KA 25/10 R – und vom 06. Mai 2009 – B 6 A 1/08 R –, juris). Mit seinem Vorbringen, die Beanstandungsverfügung vom 21. Februar 2011 sei außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist ergangen, behauptet der Kläger eine Überschreitung des Aufsichtsrechts.
2. Dem Kläger fehlt nicht das für jede Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
a. Die Auffassung der Beklagten, dem Kläger fehle es an einem Rechtsschutzbedürfnis, weil sich sein Beschluss vom 17. Juni 2010 erledigt habe, nachdem er ein Verfahren nach § 92 Abs. 2a SGB V eingeleitet habe, geht fehl.
aa. Der Senat teilt schon nicht die Ansicht der Beklagten, die Erledigung eines Verwaltungsaktes oder einer Norm lasse immer das Rechtsschutzbedürfnis einer hierauf bezogenen Klage entfallen. Ob sich ein Verwaltungsakt erledigt hat (vgl. hierzu § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch – SGB X), kann auch eine Frage des materiellen Rechts und daher im Rahmen der Begründetheit zu prüfen sein. Für Normen gilt insoweit nichts anderes.
bb. Doch selbst wenn die Rechtsauffassung der Beklagten in diesem Punkt zuträfe, wäre das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht entfallen. Die Einleitung eines Verfahrens nach § 92 Abs. 2a SGB V führt weder zur Erledigung des Beschlusses vom 17. Juni 2010 noch zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses.
(1) Die ebenfalls durch das AMNOG mit Wirkung zum 1. Januar 2011 eingeführte Vorschrift des § 92 Abs. 2a SGB V lautet:
"Der Gemeinsame Bundesausschuss kann im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft vom pharmazeutischen Unternehmer im Benehmen mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte oder dem Paul-Ehrlich-Institut innerhalb einer angemessenen Frist ergänzende versorgungsrelevante Studien zur Bewertung der Zweckmäßigkeit eines Arzneimittels fordern. Absatz 3a gilt für die Forderung nach Satz 1 entsprechend. Das Nähere zu den Voraussetzungen, zu der Forderung ergänzender Studien, zu Fristen sowie zu den Anforderungen an die Studien regelt der Gemeinsame Bundesausschuss in seiner Verfahrensordnung. Werden die Studien nach Satz 1 nicht oder nicht rechtzeitig vorgelegt, kann der Gemeinsame Bundesausschuss das Arzneimittel abweichend von Absatz 1 Satz 1 von der Verordnungsfähigkeit ausschließen. Eine gesonderte Klage gegen die Forderung ergänzender Studien ist ausgeschlossen."
Zur Begründung hat der Gesetzgeber hierzu u.a. angegeben (Beschlussempfehlung und Bericht des Bundestagsausschusses für Gesundheit, BT-Drs. 17/3698, S. 52):
"Die Datenlage für neue Wirkstoffe (insbesondere in der Onkologie) wird von Experten als unbefriedigend bezeichnet. Die Aussagekraft der für die Zulassung durchgeführten klinischen Studien über die in der Praxis auftretenden Anforderungen an ein Arzneimittel und auch zu patientenrelevanten Endpunkten sind nach Ansicht der Experten gering. Gefordert werden daher mehr versorgungsrelevante Studien. Die Datenlage nach der Zulassung ist folgendem Dilemma der Zulassungsbehörden geschuldet: Einerseits darf der Zugang zu neuen Wirkstoffen gegen schwere Erkrankungen nicht unnötig verzögert werden, andererseits ist eine gründliche Bewertung notwendig. Besonders bei schwerwiegenden Erkrankungen (wie z. B. Krebs) ist die Zulassungsbehörde häufig gezwungen, einen Markteintritt trotz bestehender Unsicherheiten (d.h. nicht optimaler Datenlage) zu ermöglich. Um auf lange Sicht eine qualitativ hochwertige Versorgung zu sichern, kann es erforderlich sein, dass ergänzende Studien durchgeführt werden. Das darf aber nicht dazu führen, dass den Patientinnen und Patienten in der Zwischenzeit – das heißt bis die Studien vorliegen – das Arzneimittel vorenthalten wird. Deshalb wird der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt, vom pharmazeutischen Unternehmer innerhalb einer angemessenen Frist bestimmte Studien nachzufordern. Wird die Forderung seitens der Industrie nicht erfüllt, hat der Gemeinsame Bundesausschuss das Recht, das Arzneimittel von der Verordnungsfähigkeit auszuschließen."
Hieraus wird deutlich, dass § 92 Abs. 2a SGB V in engem Zusammenhang mit der o.g. Änderung von § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V steht: Soll nach der Neuregelung ein Verordnungsausschluss von Arzneimitteln wegen Unzweckmäßigkeit von wissenschaftlichen Belegen hierfür abhängen, musste dem Kläger ein Instrument an die Hand gegeben werden, mit dessen Hilfe er die Durchführung entsprechender Studien verlangen und deren Ausbleiben ggf. sanktionieren kann (aber nicht muss).
(2) Soll somit durch § 92 Abs. 2a SGB V dem Kläger lediglich auf Basis der neuen Rechtslage eine Handlungsoption (nicht -pflicht) zur Durchsetzung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 2 Abs. 4, § 12, § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V) eröffnet werden, bleibt deren Wahrnehmung ohne Auswirkungen auf bereits in Gang gesetzte Verfahren, zumal wenn diese – wie im hiesigen Fall – noch unter Geltung der bisherigen Rechtslage eingeleitet wurden. Weder dem Wortlaut des AMNOG noch seiner Begründung ist in irgendeiner Form zu entnehmen, dass solche Verfahren mit dem In-Kraft-Treten des neuen Gesetzes beendet sein sollen. Es ist daher nicht zu beanstanden und bleibt ohne Einfluss auf den vorliegenden Rechtsstreit, dass der Kläger parallel zu diesem – quasi hilfsweise für den Fall des Unterliegens – von den durch die Gesetzesänderung eingeräumten rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch macht. Das eingeleitete Verfahren nach § 92 Abs. 2a SGB V dürfte der Kläger nach einem Obsiegen im hiesigen Rechtsstreit jederzeit einstellen.
b. Dem Kläger fehlt aber auch nicht etwa deshalb das Rechtsschutzbedürfnis, weil er auch im Falle eines Obsiegens im hiesigen Rechtsstreit seinen Beschluss vom 17. Juni 2010 nicht (mehr) bekanntmachen dürfte.
Allerdings steht der Zulässigkeit einer Aufsichtsklage entgegen, dass das mit ihr verfolgte primäre Ziel nach Abschluss des Rechtsstreits nicht mehr umgesetzt werden kann (BSG, Urteil vom 13. Juli 1978 - 8/3 RK 6/77 -, juris). In einem solchen Fall besteht kein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung der Aufsichtsmaßnahme. Im vorliegenden Fall ist es zur "Umsetzung" des Beschlusses vom 17. Juni 2010 erforderlich, dass ihn der Kläger im Bundesanzeiger bekannt macht (§ 94 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Denn erst ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung können Beschlüsse des Klägers Rechtswirkungen entfalten (BSG, Urteil vom 19. Februar 2002 – B 1 KR 16/00 R –, juris). Wäre eine Bekanntmachung des Beschlusses nach Abschluss dieses Rechtsstreits unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt und unzweifelhaft ausgeschlossen, fehlte dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis. Eine solche Feststellung ist derzeit jedoch nicht möglich.
aa. Ob – wie von der Beklagten vertreten – der Beschluss vom 17. Juni 2010 unter der ab dem 1. Januar 2011 geltenden Rechtslage noch rechtmäßig (und somit bekanntmachungsfähig) ist, ist zwischen den Beteiligten umstritten. Der Kläger ist dem nach den Ausführungen der Beklagten im Prozess scheinbar eindeutigen Ergebnis, dass nach der Änderung von § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V durch das AMNOG ohne (positiven) Beleg ein Verordnungsausschluss wegen Unzweckmäßigkeit nicht mehr zulässig sei, mit nicht von vornherein von der Hand zu weisenden Argumenten (u.a. mit einem Hinweis auf Rechtsprechung des BSG zur neuen Rechtslage) entgegen getreten. Die Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses als Sachurteilsvoraussetzung ist indes nicht der Ort, schwierige, bislang ungeklärte materiellrechtliche Fragen einer Antwort zuzuführen.
bb. Selbst wenn man der Rechtsauffassung der Beklagten folgen würde, wäre die Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 17. Juni 2010 nicht ausgeschlossen. Denkbar wäre nämlich, dass bis zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des Beschlusses Belege – in Gestalt neuer Studienergebnisse – für die Unzweckmäßigkeit der Glinide vorliegen. Dann wäre der Beschluss vom 17. Juni 2010 unabhängig von den widerstreitenden Rechtsauffassungen zur Auslegung von § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V nF, aber auch losgelöst von den nach § 94 Abs. 2 SGB V veröffentlichten tragenden Gründen rechtmäßig. Denn als Normgeber unterliegt der Kläger grundsätzlich keiner Begründungspflicht (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2012 – B 1 KR 34/12 R –, juris, m.w.N.), sodass die Wirksamkeit seiner Entscheidungen nicht von einer Begründung abhängt. Es wäre daher auch unschädlich, wenn eine Entscheidung des Klägers aus von ihm nicht erwogenen oder ihm nicht einmal bekannten Umständen, quasi nur "zufällig" rechtmäßig wäre (vgl. Roters, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 94 SGB V, Rd. 7).
cc. Bei alledem ist ferner zu beachten, dass bislang auf Grundlage des § 92 Abs. 1 SGB V a.F. geregelte rechtmäßige Verordnungsausschlüsse von Arzneimitteln durch den Beklagten auch nach Inkrafttreten des AMNOG bestehen bleiben (vgl. Hauck, GesR 2011,70). Die Änderung oder der Wegfall der Ermächtigungsgrundlage einer untergesetzlichen Norm berühren nämlich nicht per se deren Rechtswirksamkeit (vgl. BSG, Urteil vom 1. März 2011 – B 1 KR 10/10 R – ["Sortis"], Senat, Urteil vom 15. Mai 2013 – L 7 KA 113/10 KL – ["Otobacid"], jeweils juris, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG und des BVerfG). So hat das BVerfG in seiner ständigen Rechtsprechung (Entscheidungen vom 3. Dezember 1958 – 1 BvR 488/57 – und vom 25. Juli 1962 – 2 BvL 4/62 –; Beschluss vom 10. Mai 1988 – 1 BvR 482/84 – u.a., jeweils juris) festgehalten, es sei allgemein anerkannt, dass eine im Zeitpunkt ihres Erlasses auf gesetzlicher Grundlage ergangene untergesetzliche Rechtsnorm (betroffen waren Rechtsverordnungen) nicht durch den Fortfall der Ermächtigungsvorschrift in ihrer Gültigkeit berührt werde; ebenso wie die nachträgliche Änderung einer Ermächtigung sei auch deren nachträgliches Erlöschen ohne Einfluss auf den Rechtsbestand der vor der Änderung/dem Erlöschen ordnungsgemäß zustande gekommenen untergesetzlichen Rechtsnorm. Dieser Auffassung ist auch der 2. Senat des BSG (Urteil vom 24. Februar 1982 – 2 RU 59/81 –, juris) beigetreten. Ausnahmen vom Fortgelten untergesetzlicher Rechtsvorschriften bei Aufhebung ihrer Ermächtigungsgrundlagen werden durch diese Rechtsprechung nicht bestimmt. Daher werden auch die Detailregelungen der Arzneimittel-Richtlinien nicht durch jede Korrektur des Gesetzgebers am Wortlaut der Ermächtigungsnorm gegen¬standslos. Dies widerspräche dem Grundsatz der Normenkontinuität.
II. Die Klage ist auch begründet. Die Beanstandungsverfügung des BMG vom 21. Februar 2011 verstößt gegen die gesetzlichen Vorgaben von § 94 Abs. 1 SGB V und ist daher rechtswidrig.
1. Das aufsichtsrechtliche Verfahren im Hinblick auf Entscheidungen des GBA ist durch § 94 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB V wie folgt ausgestaltet:
"Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenen Richtlinien sind dem Bundesministerium für Gesundheit vorzulegen. Es kann sie innerhalb von zwei Monaten beanstanden; bei Beschlüssen nach § 35 Abs. 1 innerhalb von vier Wochen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann im Rahmen der Richtlinienprüfung vom Gemeinsamen Bundesausschuss zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern; bis zum Eingang der Auskünfte ist der Lauf der Frist nach Satz 2 unterbrochen. Die Nichtbeanstandung einer Richtlinie kann vom Bundesministerium für Gesundheit mit Auflagen verbunden werden; das Bundesministerium für Gesundheit kann zur Erfüllung einer Auflage eine angemessene Frist setzen."
a. Um in Kraft treten zu können, ist für Entscheidungen des GBA demnach nicht in jedem Fall eine Mitwirkung der Aufsichtsbehörde in Form eines positiven Votums erforderlich. Die Rechtswirkungen solcher Entscheidungen können jedoch durch ein negatives Votum (Beanstandung) innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von zwei Monaten gehindert werden (zur parallelen Struktur in anderen Bereichen des SGB V vgl. § 71 Abs. 4, § 73b Abs. 9, § 87 Abs. 6, § 89 Abs. 5, § 90 Abs. 6, § 99 Abs. 1, § 106 Abs. 2b, § 106a Abs. 6, § 290 Abs. 2, § 291b Abs. 4). Zu einem solchen Eingreifen ist die Aufsichtsbehörde jedoch nur innerhalb von zwei Monaten seit Vorlage der Entscheidung berechtigt. Zu einer außerhalb dieser Frist vorgenommenen Beanstandung fehlt dem BMG die Ermächtigung. Eine solche Beanstandung ist rechtswidrig und zieht dieselben Rechtsfolgen nach sich wie eine Untätigkeit der Aufsichtsbehörde.
b. Hinsichtlich des Inhalts der Anforderungen lässt sich dem Gesetzeswortlaut entnehmen, dass das BMG sowohl die Mitteilung weiterer Tatsachen ("zusätzliche Informationen") als auch erläuternde bzw. vertiefende rechtliche Ausführungen ("ergänzende Stellungnahmen"), z.B. zur Begründung einer Entscheidung, aber auch einer abweichenden Rechtsauffassung, verlangen kann.
c. Soweit durch die Anforderung zusätzlicher Informationen und ergänzender Stellungnahmen die Frist von zwei Monaten nach § 94 Abs. 1 Satz 3, 2. Hs. SGB V unterbrochen ist, sind beide Beteiligten übereinstimmend und zu Recht davon ausgegangen, dass sich der Sprachgebrauch des SGB V (vgl. die parallelen Regelungen in § 73b Abs. 9, § 87 Abs. 6, § 90 Abs. 6 SGB V) nicht mit dem des außer Kraft getretenen zivilrechtlichen Verjährungsrechts (§ 217 Bürgerliches Gesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung) deckt und somit die Frist nach dem Ende der Unterbrechung gerade nicht von Neuem beginnt, sondern lediglich der Zeitraum der Unterbrechung nicht in die Frist einberechnet wird (Roters, a.a.O., Rd. 3; Hellkötter, in: Hänlein/Kru¬se/ Schu¬ler, Sozialgesetzbuch V – Lehr- und Praxiskommentar, 4.A., § 94 Rd. 3; Sproll, in: Krauskopf/Baier, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, § 94 SGB V, Rd. 5). Die Fristberechnung folgt im Übrigen den allgemeinen Regeln, d.h. § 26 SBG X i.V.m. § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2, § 193 BGB (Roters, a.a.O.; Hellkötter, a.a.O.).
d. Bislang ungeklärt ist, ob jegliche Anforderung seitens der Aufsichtsbehörde zur Fristunterbrechung und jedwede Antwort des GBA zu deren Ende führt. Der Wortlaut allein ließe eine Bejahung dieser Frage zu. Dies wird indes Sinn und Zweck des Anforderungsrechts und der damit verbundenen Unterbrechungswirkung nicht gerecht. Verfolgt das Recht des BMG, zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anzufordern, das Ziel, seine Informationsbasis und somit seine Entscheidungsgrundlage zu verbreitern, soll die Unterbrechungswirkung der Anforderung zum einen vermeiden, dass der GBA die Zwei-Monats-Frist dadurch unterläuft, dass er erst kurz vor oder gar nach deren Ablauf antwortet, zum anderen aber auch, dass das BMG vorsorglich allein deshalb eine Beanstandung ausspricht, weil es innerhalb der Frist keine (ausreichenden) Antworten erhalten hat oder ihm nicht genügend Zeit zu einer gut durchdachten und wohl abgewogenen Entscheidungsfindung verblieben ist (Hellkötter, a.a.O.). Den Aspekt der Missbrauchsabwehr aufgreifend und mit Blick auf den auch im gesamten Sozialrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben ist aus Sicht des Senats daher eine einschränkende Auslegung von § 94 Abs. 1 Satz 3, 2. Hs. SGB V geboten. Anforderungen des BMG und Antworten des GBA, die offenkundig nicht einer sachlichen, auf einen zügigen Abschluss gerichteten Verfahrensweise, sondern sachfremden Zielen dienen, sind für die Fristberechnung bedeutungslos. Nur hierdurch lässt sich verhindern, dass entweder das BMG durch überflüssige bzw. in sonstiger Weise sachwidrige Anforderungen oder der GBA durch gehaltlose Antworten das aufsichtsrechtliche Verfahren rechtsmissbräuchlich verzögern können, z.B. um hierdurch einen für sie günstigeren Zeitpunkt des Verfahrensabschlusses zu erreichen. Ob Anforderungen des BMG fristunterbrechende und Antworten des GBA unterbrechungsbeendende Wirkung haben, unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung. Die abschließenden Hinweise des BMG in seinen o.g. Schreiben vom 25. Oktober 2010, 15. November 2010 und 10. Dezember 2010, die Frist sei "weiterhin unterbrochen", bis der GBA vollständig geantwortet habe, sind demnach irrelevant.
2. Diesen Anforderungen wird das Verhalten des BMG nicht gerecht.
a. Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass die Zwei-Monats-Frist mit der Vorlage, d.h. dem Eingang, seines Beschlusses vom 17. Juni 2010 beim BMG am 25. Juni 2010 in Gang gesetzt wurde. Gemäß § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Satz 1 BGB begann der Fristlauf am darauffolgenden Tag und endete – falls keine Unterbrechung eintrat – am 25. August 2010, d.h. 61 Tage später. Hiervon waren bis zum Eingang der ersten Anforderung (Schreiben des BMG vom 12. August 2010) beim GBA am 13. August 2010 bereits 49 Tage verstrichen.
b. Der Senat kann offenlassen, ob den Antworten des Klägers vom 13. Oktober 2010 und 5. November 2010 unterbrechungsbeendende bzw. den erneuten Anforderungen des BMG vom 25. Oktober 2010 und 15. November 2010 fristunterbrechende Wirkung zukam. Denn jedenfalls das Antwortschreiben des Klägers vom 2. Dezember 2010 hatte (zunächst) ein Ende der Fristunterbrechung zur Folge; das Anforderungsschreiben des BMG unterbrach die Frist nicht erneut. Dies beruht auf folgenden Überlegungen:
aa. Die Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und der Beklagten wurzelt in den o.g. unterschiedlichen Rechtsauffassungen zur Frage, ob allein das Fehlen eines Nutzennachweises den Verordnungsausschluss eines Arzneimittels wegen Unzweckmäßigkeit nach der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Rechtslage rechtfertigen konnte. Alle vier o.g. Schreiben des BMG gehen davon aus, dass hierfür ein positiver Beleg (i.S.v. die Unzweckmäßigkeit bestätigender Studienergebnisse) erforderlich war, und forderten auf dieser Grundlage weitere Informationen und Stellungnahmen des Klägers an. Dieses ist zunächst nicht grundsätzlich zu beanstanden, da im Rahmen einer Rechtsaufsicht – hierauf beschränkt sich die Aufgabe des BMG nach § 94 SGB V (BSG, Urteil vom 06. Mai 2009 - B 6 A 1/08 R -, juris) – unterschiedliche Rechtspositionen von beaufsichtigter und beaufsichtigender Behörde vorausgesetzt werden und das aufsichtsrechtliche Verfahren gerade auch zum Austausch rechtlicher Argumente genutzt werden kann. Bringt der GBA indes – wie in seiner Antwort vom 2. Dezember 2010 – unmissverständlich zum Ausdruck, dass er an seiner Rechtsauffassung festhalte und auf deren Grundlage keine weiteren Informationen erforderlich seien, ist eine erneute Anforderung des BMG auf der Basis seiner abweichenden Rechtsauffassung nicht mehr sachgerecht (Schreiben vom 10. Dezember 2010).
bb. Weitere Umstände belegen, dass die Vorgehensweise des BMG darüber hinaus rechtsmissbräuchlich war. So hat das BMG zum einen frühzeitig (vgl. den o.g. Vermerk vom 15. Juli 2010) erkannt, dass die von ihm vertretene Rechtsposition mit der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung von § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V unvereinbar ist, aber gleichwohl mit Nachdruck – möglicherweise im Interesse des im Vorfeld intervenierenden pharmazeutischen Unternehmens – daran festgehalten. Zum anderen war Triebfeder des Anforderungsschreibens vom 25. Oktober 2010, wie der interne Vermerk vom 21. Oktober 2010 belegt, offenkundig nur das Ziel, das Beanstandungsverfahren zu verzögern und weitere Zeit zu gewinnen, um den Abschluss des aufsichtsrechtlichen Verfahrens bis zum damals bereits absehbaren In-Kraft-Treten des AMNOG zum 1. Januar 2011 hinauszuzögern. Angesichts dessen muss nicht erörtert werden, welche Rolle eventuell darüber hinaus die Berücksichtigung von Partikularinteressen der beiden betroffenen pharmazeutischen Hersteller durch das BMG gespielt hat.
cc. Beendete demnach das Schreiben des Klägers vom 2. Dezember 2010, welches beim BMG noch am selben Tag einging, die Fristunterbrechung, blieben diesem noch weitere (61 – 49 =) 12 Tage, d.h. bis zum 14. Dezember 2010 (Dienstag), für eine Beanstandungsverfügung. Die erst am 21. Februar 2011 ergangene streitgegenständliche Beanstandung wahrte diese Frist nicht und ist daher rechtswidrig.
3. Dieser Mangel ist auch nicht unbeachtlich.
Die Voraussetzungen von § 42 Abs. 1 SGB X liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob § 94 Abs. 1 Satz 2, 1. Hs. SGB V zu den Vorschriften über das Verfahren oder die Form zählt. Denn es ist jedenfalls gerade nicht offensichtlich, dass ohne die Verletzung dieser Vorschrift, d.h. bei einer Beanstandung spätestens bis zum 14. Dezember 2010, die (gerichtliche) Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst worden wäre. Es ist schon ungewiss, ob das BMG bei Fortgeltung der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Rechtslage überhaupt den Beschluss des Klägers vom 17. Juni 2010 beanstandet hätte. Denn es war sich von Anfang an bewusst, dass seine Rechtsauffassung mit der damaligen Rechtslage nicht in Einklang zu bringen war. Hätte es gleichwohl die Beanstandungsverfügung vom 21. Februar 2011 bereits vor dem 14. Dezember 2010 erlassen, wäre diese bereits nach seiner (insoweit zutreffenden) eigenen Rechtsauffassung rechtlich nicht zu halten gewesen.
4. Der Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2011 stellt sich auch nicht auf einer anderen Rechtsgrundlage als rechtmäßig dar, insbesondere nicht gemäß § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 Abs. 1 SGB IV.
a. Nach § 91 Abs. 8 SGB V gilt für die vom Bundesministerium für Gesundheit geführten Aufsicht über den GBA u.a. § 89 SGB IV entsprechend. Die hier allein relevanten Regelungen von § 89 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IV sehen vor:
"Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt, soll die Aufsichtsbehörde zunächst beratend darauf hinwirken, dass der Versicherungsträger die Rechtsverletzung behebt. Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde den Versicherungsträger verpflichten, die Rechtsverletzung zu beheben."
Diese Vorschriften sind im vorliegenden Fall nicht neben oder anstelle von § 94 Abs. 1 SGB V anwendbar.
b. Allerdings stellt § 94 Abs. 1 SGB V zunächst lediglich eine Ausprägung (BSG, Urteil vom 06. Mai 2009 – B 6 A 1/08 R –, juris) bzw. eine Modifikation (BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R – ["Lorenzos Öl"], juris) der allgemeinen Regeln in § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 SGB IV über die Staatsaufsicht gegenüber dem GBA dar. Der Gesetzgeber geht für die Prüfung der Richtlinien des GBA von einer Spezialregelung gegenüber der allgemeinen Staatsaufsicht nach §§ 88, 89 SGB IV aus (Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, BT-Drs. 15/1525, S. 107). Es spricht daher einerseits viel dafür, dass § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 Abs. 1 SGB IV wegen des eigenständigen Verfahrens nach § 94 Abs. 1 SGB V (Beier, in: JurisPraxiskommentar-SGB V, § 91 Rd. 60) grundsätzlich nicht auf die rechtssetzende Tätigkeit des GBA durch Richtlinien (so Harney, in: Berchtold/Hus-ter/ Kaltenborn, Gesundheitsrecht, § 91 SGB V Rd. 73) oder Mitwirkungshandlungen der Aufsichtsbehörde (Meydam, in: Gleitze/Krause/von Maydell Gemeinschaftskommentar zur Sozialversicherung, § 89 SGB IV Rd. 3) anwendbar ist. Andererseits weist die Beklagte mit Recht darauf hin, dass durchaus ein Bedürfnis für ein aufsichtsrechtliches Einschreiten bei Richtlinien des GBA bestehen kann, etwa wenn gravierende Änderungen der Sachlage eine Richtlinienänderung erzwingen. Hierfür steht als Rechtsgrundlage – unabhängig von der Frage nach ihrem präventiven Charakter (hierzu Engelhard, in: Juris Praxiskommentar-SGB IV, 2.A., § 89 Rd. 35 m.w.N.) – einzig § 89 SGB IV zur Verfügung (vgl. auch Breitkreuz, in: Winkler, Lehr- und Praxiskommentar SGB IV, § 89 Rd. 3). Der Senat muss indes das Verhältnis von § 94 Abs. 1 SGB V zu § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 SGB IV nicht abschließend klären. Denn es besteht jedenfalls – hiervon scheint allerdings die Beklagte auszugehen – kein Wahlrecht des BMG, entweder innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V eine Beanstandung auszusprechen oder – alternativ und gleichrangig – unmittelbar nach Ablauf dieser Frist das durch § 89 SGB IV zur Verfügung gestellte Instrumentarium einzusetzen. Bestünde ein solches Wahlrecht, hätte es der gesetzlichen angeordneten Zwei-Monats-Frist nicht bedurft; sie liefe dann leer. Sofern ein Anwendungsbereich von § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 Abs. 1 SGB IV im Bereich der vom GBA erlassenen Richtlinien neben § 94 Abs. 1 SGB V überhaupt in Betracht kommt, setzt dies eine vor Ablauf der Zwei-Monats-Frist nicht absehbare Zäsur tatsächlicher oder rechtlicher Art voraus.
Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Insbesondere stellt die durch das AMNOG vorgenommene Änderung von § 92 Abs. 1 SGB V keine solche Zäsur dar. Denn sie war bereits bei Ablauf der Zwei-Monats-Frist im Dezember 2010 absehbar. Das Verhalten der Beklagten, in Kenntnis der eine weitere Informationsübermittlung ablehnenden Rechtsauffassung des Klägers und somit sehenden Auges die Frist des § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V verstreichen zu lassen, um nach dem schon damals absehbaren In-Kraft-Treten des AMNOG zum 1. Januar 2011 und der damit einhergehenden Änderung der Beweislast (Senat, Urteile vom 15. Mai 2013 – L 7 KA 113/10 KL – und vom 27. Mai 2015 – L 7 KA 33/12 KL WA –, juris; Hauck, GesR 2011, 70ff) nunmehr den Beschluss vom 17. Juni 2010 zu beanstanden, erweist sich daher als Gesetzesumgehung. Der Einwand der Beklagten, sie habe sicherstellen müssen, dass der Beschluss vom 17. Juni 2010 auch der ab dem 1. Januar 2011 geltenden Rechtslage entspreche, überzeugt nicht. Das BMG war vielmehr verpflichtet, zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, d.h. bis zum Ablauf der Zwei-Monats-Frist, das damals geltende Recht und somit § 92 Abs. 1 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung anzuwenden. Denn eine gesetzlich gerechtfertigte Befugnis, die Entscheidung zurückzustellen oder auszusetzen, wie sie etwa § 15 Baugesetzbuch vorsieht, steht dem BMG nicht zu. Wenn es einer Behörde untersagt ist, die Entscheidung über einen entscheidungsreifen Antrag mit Verweis auf eine bevorstehende Rechtsänderung zurückzustellen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 23. Juni 2005 – 1 BvR 235/00 –, juris), kann es ihr ebenso wenig gestattet sein, die Entscheidungsreife bis zum In-Kraft-Treten der Neuregelung durch rechtsmissbräuchliche Maßnahmen hinauszuzögern. Das nachvollziehbare Anliegen einer Behörde, sich nicht in Widerspruch zu einer bevorstehenden Entscheidung des Normgebers zu setzen, kann nicht von der durch Art. 20 Abs. 3 GG begründeten Verpflichtung befreien, das geltende Recht anzuwenden (BVerfG a.a.O.).
c. Die Beanstandung des Beklagten vom 21. Februar 2011 lässt sich auch nicht in eine aufsichtsrechtliche Maßnahme nach § 91 Abs. 8 SGB V i.V.m. § 89 Abs. 1 SGB IV – die Anwendbarkeit dieser Normen insoweit unterstellt – umdeuten.
aa. Gemäß § 43 Abs. 1 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. In Betracht käme insoweit allenfalls, eine Beanstandung i.S.v. § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V in einen Verpflichtungsbescheid nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV mit dem Inhalt, die durch den Beschluss des Klägers vom 17. Juni 2010 vermeintlich eingetretene Rechtsverletzung zu beheben, umzudeuten. Die Voraussetzungen für eine Umdeutung liegen jedoch nicht vor.
bb. Für den Erlass eines Verpflichtungsbescheids ist der Aufsichtsbehörde durch § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sowohl ein Entschließungs- als auch ein Auswahlermessen eröffnet (Engelhard a.a.O., Rd. 60ff; Breitkreuz a.a.O., Rd. 4; Kluth GewA 2006, 446ff; Schütte-Gefers, in: Kreikebohm SGB IV, § 89 Rd. 11). Die aus Sicht der Behörde maßgeblichen Ermessenserwägungen müssen – entsprechend der allgemeinen Anordnung durch § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X – der Begründung des Verpflichtungsbescheids zu entnehmen sein (Engelhard a.a.O., Rd. 68; Breitkreuz a.a.O., Rd. 7; Kluth a.a.O.). Sind sie dies nicht oder lässt der Verwaltungsakt nicht erkennen, dass sich die Behörde des Bestehens eines Ermessensspielraums bewusst war, ist er allein deshalb rechtswidrig und aufzuheben (Engelmann, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8.A., § 35 Rd. 7 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BSG). Dem Bescheid der Beklagten vom 21. Februar 2011 ist weder zu entnehmen, dass sich das BMG über das Bestehen eines Ermessensspielraums bewusst war, noch ist eine Abwägung der für und gegen die "Beanstandung" – im Sinne von § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV verstanden als Verpflichtung zur Aufhebung des Beschlusses vom 17. Juni 2010 – sprechenden Ermessensgesichtspunkte zu erkennen. Allein dies schließt eine Umdeutung gemäß § 43 Abs. 1 SGB X aus.
Eine Ermessensreduktion auf Null, d.h. der Einengung des Ermessensspielraums auf nur eine mögliche Entscheidung, ist nicht gegeben. Unabhängig von der umstrittenen Frage, ob die Behörde – anders als die Beklagte im hiesigen Verfahren – in der Begründung des Verwaltungsaktes nicht zu erkennen geben muss, dass sie von einer solchen Ermessensreduktion ausgegangen ist (so BSG, Urteil vom 18. April 2000 – B 2 U 19/99 R –, juris; a.A. Engelmann a.a.O., Rd. 10), würde letztere im Rahmen von § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV erheblich finanzielle Schäden oder schwere Rechtsverletzungen zu Lasten der Versicherten voraussetzen (Kluth a.a.O.; Engelhard a.a.O., Rd. 64 m.w.N.). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall weder dargetan noch anderweitig ersichtlich.
cc. Ein Beanstandungsbescheid nach § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V ist aber auch nicht auf dasselbe Ziel gerichtet i.S.v. § 43 Abs. 1 SGB X wie ein Verpflichtungsbescheid nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Zwar müssen der ursprüngliche und der neue Verwaltungsakt nicht identischen Inhalts sein; ausreichend ist bereits, dass beide Verwaltungsakte "gleiche materiell-rechtliche Tragweite" aufweisen (vgl. BT-Drucks 7/910, S 67 zu § 43 (47) VwVfG unter Verweis auf BVerwG v 11.11.1960 – IV C 277.59) bzw. dass keine wesentlichen Unterschiede bestehen (Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht/Steinwedel, § 43 SGB X Rd. 12). Beanstandungsbescheide nach § 94 Abs. 1 Satz 2 SGB V und Verpflichtungsbescheide nach § 89 Abs. 1 Satz 2 SGB IV wohnt jedoch ein grundlegend unterschiedlicher Charakter inne. Während eine Beanstandung ein Wirksamkeitshindernis im Rahmen einer Normsetzung bildet, ist ein Verpflichtungsbescheid eingebettet in ein mehrstufiges System (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation im Rahmen der Grundsicherung: Landessozialgericht für das Saarland, Beschluss vom 02. Mai 2011 – L 9 AS 9/11 B ER –, Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Februar 2009 – L 5 B 376/08 AS ER –, jeweils juris), welches, orientiert am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Engelhard a.a.O., Rd. 10; Breitkreuz a.a.O. Rd. 2), auf einer Beratung in Gestalt eines partnerschaftlich-kooperativen Dialogs (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2003 – B 10 A 1/02 R –, juris, m.w.N.) aufbaut und erst im Konfliktfall über eine Fristsetzung zu hoheitlichem Zwang in Form des Verpflichtungsbescheids führt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.
Rechtskraft
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