L 20 AS 1297/15 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 43 AS 8213/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 AS 1297/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerden der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Mai 2015 abgeändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab dem 01. Juli 2015 bis zum 30. September 2015, längstens bis zur Entscheidung des Antragsgegners über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. Januar 2015, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 634,20 Euro zu leisten. Im Übrigen wird die Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens in Höhe von 80 v.H. zu erstatten. Der Antragstellerin wird auch für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt I S, Hstraße, B, beigeordnet.

Gründe:

Die zulässigen Beschwerden sind teilweise begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Antragsteller müssen glaubhaft machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO), dass ihnen ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für sie mit unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund).

Dabei scheitert der Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegend entgegen der Auffassung des Sozialgerichts in der angefochtenen Entscheidung für Zeiträume ab Juni 2015 nicht bereits daran, dass die Antragstellerin nach Aktenlage zuletzt im Dezember 2014 einen Leistungsantrag gestellt hat, den der Antragsgegner mit Bescheid vom 19. Januar 2015 abschlägig beschieden hat. Zwar sollen nach § 41 Abs. 1 Satz 4 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts jeweils nur für sechs Monate bewilligt werden. Daraus folgt jedoch nicht, dass nach vollständiger und endgültiger Ablehnung eines Leistungsantrages durch den Antragsgegner eine gerichtliche Verpflichtung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur für Zeiträume innerhalb von sechs Monaten ab Antragstellung zulässig wäre. Die Zulässigkeit eines Antrages nach § 86b Abs. 2 SGG setzt die Befassung des Leistungsträgers mit dem Antrag des Betroffenen voraus (vgl. Wahrendorf in: Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 86 b, Rn. 172; Lowe in: Hintz/Lowe, SGG, 2012, § 86b, Rn. 107), was vorliegend erfüllt ist. Streitgegenstand eines Hauptsacheverfahrens ist der Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ab dem Antragsmonat bis zum Zeitpunkt einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren; dieser Anspruch kann daher grundsätzlich auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zulässigerweise gesichert werden. Eine Begrenzung des Streitgegenstandes im Hauptsacheverfahren bei einer Leistungsablehnung (und damit auch eine Begrenzung der Zulässigkeit einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG) tritt erst durch eine weitere Antragstellung und Bescheidung der Behörde ein (vgl. Bundessozialgericht - BSG - v. 02.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - juris, Rn. 9; v. 02.02. 2010 - B 8 SO 21/08 R - juris, Rn. 9), wofür vorliegend jedoch nichts erkennbar ist. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie hat glaubhaft gemacht, einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - zu haben. Die Antragstellerin, die im September 2011 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Berlin genommen hat, ist erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II. Sie ist nach ihren glaubhaften Angaben derzeit hilfebedürftig, da sie nicht über Einkommen oder Vermögen verfügt, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (§ 9 Abs. 1 SGB II). Damit sind die Voraussetzungen für einen Leistungsbezug nach §§ 7 Abs. 1, 19 ff. SGB II gegeben. Die Antragstellerin ist als spanische Staatsbürgerin auch nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug des SGB II ausgeschlossen. In Betracht kommt hier allein, da sich die Antragstellerin bereits länger als drei Monate in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Danach sind von Leistungsansprüchen nach dem SGB II ausgeschlossen Ausländerinnen und Ausländer und deren Familienangehörige, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II steht einem Leistungsanspruch der Antragstellerin jedoch nicht entgegen, weil sich ihr Aufenthaltsrecht nicht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Die Antragstellerin hat vielmehr aufgrund ihres fortwirkenden Status als "Arbeitnehmerin" ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 FreizügG/EU i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU bis Ende Dezember 2015. Danach bleibt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung das Recht aus Absatz 1 - hier das Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmerin aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt 1 FreizügG/EU - während der Dauer von sechs Monaten unberührt.

Die Antragstellerin hat im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes glaubhaft gemacht, dass sie bereits von Mai 2012 bis Mai 2015 eine Tätigkeit als Fremdsprachenlehrerin (Spanisch) fünf Stunden wöchentlich zu einem Bruttoentgelt von 200,00 EUR ausgeübt hat. Die Ausübung der Tätigkeit hat die Antragstellerin durch Vorlage eines befristeten Arbeitsvertrages mit C S vom 10. Mai 2012 und durch Vorlage von Quittungen über den Erhalt der verabredeten Entlohnung für den Sprachunterricht glaubhaft gemacht. Aus den auch nach Ablauf der Befristung datierenden Quittungen folgt, dass der Arbeitsvertrag über die angegebene Befristung bis 13. Mai 2013 hinaus fortgeführt worden ist und nach Angabe der Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren erst im Mai 2015 geendet hat. Soweit die von der Antragstellerin im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten weiteren Arbeitsverträge hinsichtlich der jeweiligen Vertragslaufzeiten und Abschlussdaten nicht leserlich sind, ergibt sich das fortbestehende Arbeitsverhältnis bereits aus dem glaubhaften Vortrag der Antragstellerin und den eingereichten Quittungen über die erhaltenen Vergütungen von der bezeichneten Arbeitgeberin (C S). Die Auszahlung des Gehalts in bar ist auch nicht lebensfremd.

Die von der Antragstellerin ausgeübte Tätigkeit als Sprachlehrerin war auch nicht völlig untergeordnet oder unwesentlich.

Arbeitnehmer im Sinne des Freizügigkeitsrechts ist auch derjenige, der nur über ein geringfügiges, das Existenzminimum nicht deckendes, Einkommen verfügt. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art 39 EG fällt jeder Arbeitnehmer, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt - mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt - unter die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl. u.a. EuGH, C-139/85 [Kempf], Slg 1986, 1741 [Rz 9 ff]; C-53/81 [Levin], Slg 1982, 1035 [Rz 17]; C-213/05 [Geven], Slg 2007, I-6347 [Rz 16] - sowie jeweils juris; so auch Ziffer 2.2.1.1. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des BMI zum FreizügG/EU; vgl. zum gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausführlich Epe in GK-AufenthG, § 2 FreizügG/EU Rn. 31 ff m.w.N.). Auch Teilzeitbeschäftigungen sind geeignet, eine Arbeitnehmereigenschaft zu begründen (vgl. Dienelt in: Bergmann/Dienelt/Röseler, Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU, Rn. 38 m.w.N.), wobei es jeweils von den Umständen des Einzelfalls abhängt, wann eine Teilzeittätigkeit sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt.

Das BSG hat insoweit eine Wochenarbeitszeit von 7,5 Stunden und einen Lohn von 100 EUR (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R, juris), das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat eine Wochenarbeitszeit von 5,5 Stunden und einen Lohn von 175 EUR (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. März 2011 - OVG 12 B 15.10, juris) als (gerade noch) ausreichend angesehen. Der Senat hat bei einer arbeitsvertraglichen Verpflichtung zur Leistung von sechs Arbeitsstunden wöchentlich gegen eine Entlohnung von 165 EUR noch kein Indiz dafür gesehen, dass es sich bei der Tätigkeit nur um eine völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit handelt (Beschluss des Senats v. 09.12.2014 - L 20 AS 3002/14 B ER). Die Kriterien für eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV - im Rahmen des Sozialversicherungsrechts der Bundesrepublik Deutschland sind nicht für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft im Freizügigkeitsrecht heranzuziehen, da es im Rahmen des § 2 FreizügG/EU nicht um den sozialversicherungsrechtlichen Status der betroffenen Person geht, sondern um sein Aufenthaltsrecht als Unionsbürger. Hier kann im Hinblick auf den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff und die Mindestanforderungen "nicht völlig unwesentlich und untergeordnet" nicht eine Grenze aus dem Sozialversicherungsrecht herangezogen werden. Im Hinblick darauf, dass auch nach bundesdeutschem Sozialversicherungsrecht Tätigkeiten mit einer Entlohnung unter 450,00 EUR monatlich als "Beschäftigung" anerkannt sind und mehrere solcher Beschäftigungen bei der Prüfung der Geringfügigkeitsgrenze nach § 8 Abs. 1 SGB IV herangezogen werden müssen, kann unter Beachtung dieser Regelung eine Tätigkeit in einem Umfang von 5 Stunden wöchentlich bei einer Entlohnung von 200,00 EUR nicht als "unwesentlich" angesehen werden. Soweit bei der Beurteilung der "Wesentlichkeit" einer Tätigkeit im Rahmen des § 2 FreizügG/EU eine Orientierung an dem Grad der Deckung des Bedarfs nach dem SGB II vorgenommen wird, kann dies nach Auffassung des Senats im Rahmen des § 2 FreizügG/EU bei der Beurteilung einer Arbeitnehmereigenschaft nicht von Bedeutung sein (vgl. aber LSG Berlin-Brandenburg v. 04.06.2015 - L 29 AS 1128/15 B ER - juris, Rn. 28), denn die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU ist gerade nicht an die Bedingung geknüpft, durch eine Erwerbstätigkeit (als Arbeitnehmer oder Selbständiger) den notwendigen Lebensunterhalt vollständig oder zu einem Teil decken zu können. Die Ausübung einer Tätigkeit, die - wie vorliegend - auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages mit einem 8,50 Euro übersteigenden Stundenlohn vergütet wird, kann nicht als unwesentlich und untergeordnet angesehen werden, da mit ihr keine untergeordneten finanziellen Mittel erwirtschaftet werden und am Arbeitsleben teilgenommen wird. Das Beschäftigungsverhältnis der Antragstellerin wurde seit Mai 2012 und damit mit einer gewissen Regelmäßigkeit und Dauerhaftigkeit ausgeübt, die Antragstellerin war nicht nur kurzfristig, nur unbedeutend ohne erkennbaren wirtschaftlichen Wert für den Arbeitgeber (etwa nur zur Einarbeitung, lediglich im Rahmen eines kurzzeitigen Praktikums) beschäftigt (vgl. zur "Dauerhaftigkeit": Brinkmann in: Huber, AufenthG, § 2 FreizügG/EU, Rn. 11). Anhaltspunkte dafür, dass das Arbeitsverhältnis nicht wirklich auf die Tätigkeit als Fremdsprachenlehrerin ausgerichtet war, sondern zur Erlangung von Sozialleistungen begründet wurde, sind nicht erkennbar (vgl. hierzu Dienelt, a.a.O., Rn. 47).

Die Antragstellerin war nach allem in der Tätigkeit als Fremdsprachenlehrerin Arbeitnehmerin im Sinne des § 2 FreizügG/EU.

Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU bleibt der Antragstellerin ihre Erwerbstätigeneigenschaft und damit ihr Freizügigkeitsrecht "als Arbeitnehmerin" für die Dauer von sechs Monaten nach Auslaufen der befristeten Verträge Mitte Mai 2015, d.h. bis Ende November 2015, erhalten.

Im Übrigen ist die Antragstellerin als spanische Staatsbürgerin nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug des SGB II ausgeschlossen. Der Senat hat insoweit in ständiger Rechtsprechung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren entschieden, dass die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf Staatsangehörige eines Vertragsstaates des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11. Dezember 1953 - EFA - nicht anzuwenden ist, weil Art. 1 EFA dies völkerrechtlich ausschließt. Mit Art. 1 EFA hat sich die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat verpflichtet, Staatsangehörigen anderer vertragsschließender Staaten - wie der Antragstellerin -, die sich im Staatsgebiet erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie Bundesbürgern Fürsorgeleistungen (zu denen auch die vorliegend begehrten Leistungen nach dem SGB II gehören), zu gewähren (vgl. zur weiteren Begründung ausf. Beschluss des Senats vom 06.05.2015 – L 20 AS 778/15 B ER – juris).

Da der Antragstellerin nur vorläufig Leistungen zuzusprechen waren, hält es der Senat zur Abwendung wesentlicher Nachteile für erforderlich aber auch ausreichend, den Antragsgegner zur Gewährung von 80 v.H. des Regelbedarfs nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II von derzeit 399,00 Euro, also 319,20 Euro zu verpflichten. Da die Antragstellerin über ihren Prozessbevollmächtigten glaubhaft angegeben hat, nicht mehr über Einkommen aus einer geringfügigen Tätigkeit verfügen zu können, war keine Anrechnung vorzunehmen.

Hinsichtlich des Bedarfs für Unterkunft und Heizung war der von der Antragstellerin angegebene geschuldete monatliche Betrag von 315,00 Euro aus dem Untermietverhältnis nach § 22 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigen. Damit war der Antragsgegner zu einer monatlichen Leistung in Höhe von 634,20 Euro zu verpflichten.

Die Verpflichtung war ab Entscheidung des Senats auszusprechen - hier ab dem Monat Juli 2015 - und der Antrag im Übrigen abzuweisen.

In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (so bereits Beschluss des Senats vom 27. Juni 2013 - L 20 AS 1278/13 B ER/L 20 AS 1279/13 B PKH). Die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG - darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewähren, wenn eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - und vom 12. Mai 2006 - 1 BvR 569/05-). Die Bejahung eines Anordnungsgrundes scheidet daher für Zeiten einer vorgetragenen Dringlichkeit vor dem Zeitpunkt der Entscheidung aus; insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist in aller Regel zumutbar. So liegt es auch hier, so dass im Beschwerdeverfahren nur eine Verpflichtung ab Entscheidung des Senats in Betracht kam.

Grundsätzlich ist es nur erforderlich, eine einstweilige Regelung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu erlassen, da dann das Vorliegen eines Leistungsanspruchs abschließend geklärt ist. Dabei kommt es nicht auf den rechtskräftigen Abschluss an, denn es steht den jeweils unterliegenden Beteiligten (u.U. auch nur teilweise unterliegenden) frei, Rechtsmittel einzulegen. Bezieht sich daher die einstweilige Regelung auf einen Anspruch, über den im anhängigen Widerspruchsverfahren zu entscheiden ist, ist die einstweilige Anordnung jedenfalls bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens zeitlich zu begrenzen. Der Abschluss des Widerspruchsverfahrens ist jedenfalls bis Ende September 2015 (vgl. § 88 Abs. 2 SGG) zu erwarten, so dass die Dauer der Verpflichtung insoweit zu begrenzen war.

Der Antragstellerin war für den gesamten Rechtsstreit Prozesskostenhilfe jeweils unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts zu bewilligen (§ 73 a SGG i. V. m. §§ 114, 119 Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung - ZPO). Die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das Sozialgericht erfolgte zu Unrecht. Die Rechtsverfolgung hatte auch erstinstanzlich Aussicht auf Erfolg. Die Verpflichtung des Antragsgegners (anteilig) Kosten des Rechtsstreits zu erstatten, lässt den Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht entfallen. Die Prozesskostenhilfebewilligung führt zu einem eigenen Kostenerstattungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwaltes, der insbesondere gegen Aufrechnungen im Verhältnis Antragsgegner/Antragsteller geschützt ist (§ 73a SGG i.V.m. § 126 ZPO), und dazu, dass der beigeordnete Rechtsanwalt Ansprüche auf Vergütung gegen den Mandanten (hier Antragstellerin) nicht geltend machen kann (§ 73a SGG i.V.m. § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und aus § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved