Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 107 AS 11852/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 AS 2282/16 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 297/16 S
Datum
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Für die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 22 Abs. 8 SGB II ist es ohne Bedeutung, ob wirtschaftlich unvernünftiges (vorwerfbares) Handeln des Hilfebedürftigen die drohende Wohnungslosigkeit (mit)verursacht haben mag (Anschluss an BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R).
2. Allein der Umstand, dass die Amtsgerichte nach § 22 Abs. 9 SGB II zur Information der Grundsicherungsträger verpflichtet sind, verhindert noch keine Wohnungslosigkeit. In Verfahren auf Übernahme von Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II ist der Hinweis auf § 22 Abs. 9 SGB II regelmäßig verfehlt, weil eine Bereitschaft des ggf. zu informierenden Grundsicherungsträgers, Mietschulden zu übernehmen, offenkundig nicht besteht.
3. Die Vorlage aktueller Kontoauszüge zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes ist in der Regel nicht erforderlich, wenn die Antragsteller aktuell im Leistungsbezug stehen.
4. Dass Kläger / Antragsteller einer Weitergabe ihrer beim Sozialgericht eingereichten Kontoauszüge an den Beklagten / Antragsgegner widersprechen, ist irrelevant, wenn dieser ohnehin regelmäßig Einsicht in die Kontoauszüge erhält.
5. Ein Amtsvormund, der Unterhalt nicht an sein Mündel weiterleitet und es hierdurch der Gefahr der Obdachlosigkeit aussetzt, handelt pflichtwidrig.
2. Allein der Umstand, dass die Amtsgerichte nach § 22 Abs. 9 SGB II zur Information der Grundsicherungsträger verpflichtet sind, verhindert noch keine Wohnungslosigkeit. In Verfahren auf Übernahme von Mietschulden nach § 22 Abs. 8 SGB II ist der Hinweis auf § 22 Abs. 9 SGB II regelmäßig verfehlt, weil eine Bereitschaft des ggf. zu informierenden Grundsicherungsträgers, Mietschulden zu übernehmen, offenkundig nicht besteht.
3. Die Vorlage aktueller Kontoauszüge zur Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes ist in der Regel nicht erforderlich, wenn die Antragsteller aktuell im Leistungsbezug stehen.
4. Dass Kläger / Antragsteller einer Weitergabe ihrer beim Sozialgericht eingereichten Kontoauszüge an den Beklagten / Antragsgegner widersprechen, ist irrelevant, wenn dieser ohnehin regelmäßig Einsicht in die Kontoauszüge erhält.
5. Ein Amtsvormund, der Unterhalt nicht an sein Mündel weiterleitet und es hierdurch der Gefahr der Obdachlosigkeit aussetzt, handelt pflichtwidrig.
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. August 2016 geändert. Der Antragsgegner wird vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin zur Tilgung der entstandenen Mietschulden ein Darlehen in Höhe von 1365,42 EUR durch Überweisung unmittelbar an den Vermieter zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge zu tragen.
Gründe:
Die nach §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragsteller mit dem sinngemäßen Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. August 2016 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, zur Tilgung der entstandenen Mietschulden 1.412,95 EUR an die Antragsteller zu zahlen,
hat weitgehend Erfolg. Insoweit sind der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG erforderliche Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund gegeben. Im darüber hinaus gehenden Umfang hat das Sozialgericht den Eilantrag zu Recht abgelehnt.
1. Rechtsgrundlage für die von den Antragstellern begehrte (vorläufige) Übernahme von Mietrückständen ist § 22 Abs. 8 Sozialgesetzbuch / Zweites Buch (SGB II). Danach gilt:
"Sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden."
2. Die Antragsteller beziehen Arbeitslosengeld II, das auch ihre (angemessenen) Kosten der Unterkunft (KdU) abdeckt. Sie befinden sich hinsichtlich ihrer Wohnung in einer Notlage, nachdem die Vermieterin das Mietverhältnis gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen eines – zwei Monatsmieten übersteigenden – Mietrückstandes von (damals) 1.412,95 EUR fristlos gekündigt (Schreiben vom 22. August 2016) und am 22. November 2016 Räumungsklage erhoben hat. Aufgrund dessen droht ihnen Wohnungslosigkeit. Dass für die Antragsteller eine konkrete angemessene und anmietbare Ersatzwohnung zur Verfügung steht (zu diesem Kriterium: BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R –; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. September 2013 – L 19 AS 1501/13 B –; juris), ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Gleiches gilt für sonstige Selbsthilfemöglichkeiten. Das Darlehen an die Antragstellerin ist auch gerechtfertigt, denn es ist geeignet, die Unterkunft zu sichern. Gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB wird eine auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB gestützte Kündigung auch dann unwirksam, wenn – wie hier – der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete befriedigt wird. Notwendig ist die Schuldenübernahme u.a. dann, wenn – wie hier in Gestalt des 2002 geborenen Antragstellers – (schulpflichtige) Kinder betroffen sind (Krauß, a.a.O., Rd. 355; zur gebotenen Berücksichtigung von Kindern in der Bedarfsgemeinschaft s.a. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. Mai 2016 – L 7 AS 580/16 B ER –, juris).
Für die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen ist es ohne Bedeutung, ob wirtschaftlich unvernünftiges (vorwerfbares) Handeln des Hilfebedürftigen die drohende Wohnungslosigkeit (mit)verursacht hat. Es ist das elementare Grundbedürfnis der Unterkunftssicherung, ggf. auch bei schuldhafter Gefährdung der Unterkunft, diese durch staatliche Hilfe zu sichern. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates aus dem Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 u.a. –, juris) und findet in der Leistung nach § 22 Abs. 8 SGB II ihre Ausformung (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 3/14 R –, juris, m.w.N.). Im Übrigen sind Schulden nach Satz 1 der Vorschrift in erster Linie überhaupt nur solche Verbindlichkeiten, die auf ein (mehr oder weniger nachvollziehbares) Fehlverhalten des Hilfebedürftigen (sei es während des Leistungsbezuges, sei es zuvor) zurückzuführen sind (BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R –, juris; Krauß, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, § 22 SGB II, Rd. 364). Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn zielgerichtetes Verhalten des Hilfeempfängers (insbesondere im Wiederholungsfall) zu Lasten des Trägers der Grundsicherung nachzuweisen ist, kann im hiesigen Fall offen bleiben, weil weder ein Fall wiederholter Mietrückstände noch ein zielgerichtetes Verhalten der Antragsteller ersichtlich ist.
3. Liegt drohende Wohnungslosigkeit vor, sollen gemäß § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II die Schulden übernommen werden. Die Feststellung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Satzes 2 gegeben sind, bedeutet zugleich, dass dem Grundsicherungsträger für die Ausübung seines Ermessens regelmäßig kein Spielraum verbleibt. Es ist regelmäßig keine andere Entscheidung als die Übernahme der Schulden denkbar, um den Anspruch des Hilfebedürftigen auf eine angemessene Unterkunft zu sichern. Lediglich in atypischen Ausnahmefällen kann die Übernahme der Schulden abgelehnt werden (BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R –; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Juni 2011 – L 25 AS 535/11 B ER –; jeweils juris). Anhaltspunkte für eine atypische Situation sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
4. Der Höhe nach ist der Anspruch begrenzt auf diejenigen Mietschulden, deren Befriedigung die Kündigung der Vermieterin nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam werden lässt. Nach der vom Senat veranlassten schriftlichen Auskunft der Vermieterin vom 1. November 2016 belaufen sich die Mietrückstände derzeit auf 1.365,42 EUR. Diesen Betrag bestätigte eine Mitarbeiterin der Vermieterin dem Berichterstatter telefonische am 25. November 2016. Soweit die Beschwerde auf einen höheren Betrag gerichtet ist, ist sie unbegründet.
5. Die Mietschulden sind vom Antragsgegner nicht als Zuschuss, sondern nur als Darlehen zu übernehmen.
a. Gemäß § 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Dies bedeutet, dass ein Zuschuss nur in atypischen Fällen zu leisten ist. Damit soll ein Ausgleich zwischen den Interessen der Leistungsberechtigten und denen der Allgemeinheit der Steuerzahler bewirkt werden. So steht auch wirtschaftlich unvernünftiges (vorwerfbares) Handeln des Hilfebedürftigen, das die drohende Wohnungslosigkeit (mit)verursacht haben mag, einer Übernahme der Mietschulden als Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht entgegen (s.o.). Andererseits sollen Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich nicht der Schuldentilgung dienen. Einkommen ist zu förderst zur Sicherung des Lebensunterhalts der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen. Dies gilt selbst dann, wenn der Leistungsberechtigte sich dadurch außerstande setzt, bestehende vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen sind Grundsicherungsleistungen zur Schuldentilgung zu gewähren. Hieraus folgt, dass ein atypischer Fall i.S.v. § 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II nur dann vorliegt, wenn die Fallgestaltung im Einzelfall signifikant vom (typischen) Regelfall abweicht. Dabei ist auch das Verhalten des Leistungsträgers in die Bewertung einzubeziehen. Allerdings muss das Verhalten des Leistungsträgers "wesentlich mitwirkend" für die Entstehung der Mietschulden sein. Haben Umstände in der Sphäre des Leistungsberechtigten und in der Sphäre der Verwaltung zu der Entstehung der Mietschulden beigetragen, ist nur dann von einer wesentlichen Mitwirkung des Leistungsträgers auszugehen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für das Entstehen der Mietschulden annähernd gleichwertig sind. Kommt dagegen dem "Fehlverhalten" des Leistungsberechtigten eine überragende Bedeutung für die Mietschulden zu, so ist kein atypischer Fall gegeben, denn sein Verhalten verdrängt das Fehlverhalten des Leistungsträgers (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 3/14 R –, juris).
b. Im vorliegenden Fall war zu berücksichtigen, dass einerseits die Antragstellerin durch eigenes Fehlverhalten an der Entstehung der Mietschulden maßgeblich mitgewirkt hat (hierzu aa.), andererseits auch das beigeladene Land in seiner Funktion als Jugendhilfeträger und Dienstherr bzw. Arbeitgeber des für den Antragsteller bestellten Amtsvormunds durch pflichtwidriges Verhalten für die besonderen finanziellen Engpässe der Antragsteller mitverantwortlich ist (hierzu bb.).
aa. Die Antragstellerin hat dadurch an der Entstehung der Mietschulden maßgeblich mitgewirkt, dass sie – wie sich aus der o.g. schriftlichen Auskunft der Vermieterin ergibt – zumindest für die Juli und August 2016 die vertraglich vereinbarte Miete i.H.v. 470,45 EUR monatlich nicht an die Vermieterin zahlte. Für die Monate Juli bis September 2016 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern monatliche Leistungen i.H.v. 649,68 EUR und rechnete hierbei Unterhaltszahlungen i.H.v. 400.- EUR monatlich an, die der Vater des Antragstellers an dessen Amtsvormund, einen Mitarbeiter des Beigeladenen, leistet. Weil jedoch der Amtsvormund die Zahlungen für die Monate Juli und August 2016 nicht an die Antragsteller weiterleitete und aufgrund dessen deren aktueller Bedarf durch die Leistungen des Antragsgegners nicht gedeckt war, bewilligte dieser, nachdem er sich durch Vorlage der Kontoauszüge der Antragstellerin von der fehlenden Weiterleitung des Unterhalts überzeugt hatte, jeweils nach Monatsende einen weiteren Betrag i.H.v. 370.- EUR, der sich aus dem Unterhalt i.H.v. 400.-EUR abzüglich der Versicherungspauschale i.H.v. 30.- EUR (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung) errechnet. Weder die zunächst bewilligten Leistungen i.H.v. monatlich 649,68 EUR noch die Nachzahlungen für die Juli und August 2016 hat die Antragstellerin offenkundig für entsprechende Mietzahlungen genutzt. Soweit sich die Antragstellerin u.a. im Rahmen des Erörterungstermins vor dem Berichterstatter darauf berufen hat, sie habe die Nachzahlungen für andere notwendige Leistungen verwendet, ist dies nicht plausibel, da die Antragsteller insgesamt – wenn auch teilweise verzögert – für beide Monate die ihnen zustehenden Leistungen in voller Höhe erhalten haben.
bb. Der Amtsvormund des Antragsstellers leitet schon seit längerer Zeit die o.g. Unterhaltszahlungen nicht an die Antragsteller weiter, weil diese nahezu jeglichen Kontakt des Mündels mit ihm verweigern. Soweit dieser Kontakt zweimal monatlich hergestellt wird, war der Amtsvormund bislang zur Weiterleitung des Unterhalts an die Antragsteller bereit. Ursache für die Verweigerung des Kontakts ist offenkundig ein gravierendes Misstrauen der Antragsteller gegenüber der Person des Amtsvormunds. Inwieweit dieses, u.a. wegen eines von den Antragstellern vorgetragenen und vom Beigeladenen nicht bestrittenen körperlichen Übergriffs des Amtsvormunds gegenüber dem Antragsteller, begründet ist, kann und muss der Senat an dieser Stelle nicht beurteilen. Die Antragsteller verkennen möglicherweise, dass nach § 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB der Vormund das Recht und die Pflicht hat, u.a. für die Person des Mündels zu sorgen. Insbesondere hat der Vormund mit dem Mündel persönlichen Kontakt zu halten. Er soll das Mündel in der Regel einmal im Monat in dessen üblicher Umgebung aufsuchen, es sei denn, im Einzelfall sind kürzere oder längere Besuchsabstände oder ein anderer Ort geboten (§ 1793 Abs. 1a BGB). Der Amtsvormund hat demgegenüber nicht beachtet, dass er durch Zurückhaltung des (gesamten) Unterhalts sein Mündel der Gefahr der Obdachlosigkeit aussetzt. Sein Versuch, den Umgang mit seinem Mündel dadurch zu erzwingen, dass er die (teilweise) Weiterleitung des Unterhalts an die Bedingung eines vorherigen Kontakts knüpft, ist nach Auffassung des Senats zumindest unverhältnismäßig. Bezeichnenderweise ist auch weder den beigezogenen Verwaltungsvorgängen des Beigeladenen noch dessen Vorbringen eine Rechtsgrundlage für dieses Vorgehen zu entnehmen.
Der Umstand, dass durch die unterbliebene Weiterleitung von Unterhaltsleistungen bei den Antragstellern regelmäßig besondere finanzielle Engpässe entstehen, ist dem Antragsgegner zuzurechnen. Denn er hat regelmäßig der Bitte des Amtsvormunds entsprochen, den nur sehr sporadisch dem Antragsteller zufließenden Unterhalt gleichwohl stets als dessen Einkommen bei der Berechnung des Grundsicherungsbedarfs zu berücksichtigen, damit der Amtsvormund sein "Druckmittel" aufrechterhalten kann. Die Pflicht des Antragsgegners nach § 86 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch, mit dem Beigeladenen als Träger der Jugendhilfe zusammenzuarbeiten – diese umfasst nach § 55 Sozialgesetzbuch / Achtes Buch auch die Amtsvormundschaft – reicht nicht soweit, dessen pflichtwidriges Vorgehen zu unterstützen. Wenn der Antragsgegner dennoch dessen Bitte nachkommt, muss er sich auch dieses Verhalten des Amtsvormunds zurechnen lassen.
cc. Eine wertende Gewichtung des Fehlverhaltens der Antragstellerin einerseits und des Antragsgegners andererseits ergibt, dass ersterem im Hinblick auf die Entstehung der Mietschulden ein deutliches Übergewicht zukommt. Das pflichtwidrige Vorenthalten des gesamten Unterhalts durch den Amtsvormund wird durch die nachträgliche Bewilligung von Leistungen seitens des Antragsgegners in der Summe weitgehend ausgeglichen. Dass die Berücksichtigung des Unterhalts als Einkommen bei der Berechnung des Bedarfs regelmäßig zu einer Unterdeckung bei den Antragstellern führt und auf dem Konto der Antragstellerin daher bei Abbuchung der Miete ggf. nicht ausreichende Beträge vorhanden sind, führt nach der o.g. schriftlichen Auskunft der Vermieterin lediglich zu Rücklastschriftgebühren der Bank i.H.v. 1,90 EUR. Weil das Fehlverhalten der Antragstellerin deutlich überwiegt, ist ein atypischer, zur Gewährung eines Zuschusses verpflichtender Fall nicht gegeben.
6. Das erforderliche Darlehen zur Begleichung der Mietrückstände ist nur der Antragstellerin zu gewähren. Dies folgt aus § 42a Abs. 1 Satz 2 SGB II. Nach dieser Vorschrift können Darlehen an einzelne Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften oder an mehrere gemeinsam vergeben werden. Darlehen zur Deckung von Mietschulden sind unabhängig vom Kopfteilprinzip gleichmäßig auf diejenigen Personen aufzuteilen, die aus dem Mietvertrag verpflichtet sind.
Die laufenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind zwar nach gefestigter Rechtsprechung des BSG im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen, wenn Hilfebedürftige eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen nutzen. Hintergrund für dieses "Kopfteilprinzip" sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung sowie die Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf dem Grunde nach abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt. Bei der Leistung für Mietschulden als einmaliger Leistung für Unterkunft ist jedoch keine Kopfteilung vorzunehmen. Die mit dem Grundsicherungsrecht nach dem SGB II befassten Senate des BSG haben eine Abweichung vom Kopfteilprinzip für diejenigen Fälle bejaht, in denen bei objektiver Betrachtung eine andere Aufteilung angezeigt ist. So liegt es auch bei der Mietschuldenübernahme (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 3/14 R –; Krauß, a.a.O., Rd. 366). Würde das Darlehen gemäß § 22 Abs. 8 SGB II kopfteilig auf beide Antragsteller verteilt, so folgte hieraus letztlich eine faktische Mithaftung der nicht am Mietvertrag Beteiligten, insbesondere auch des minderjährigen Antragsstellers, für unerfüllte Mietvertragsforderungen. Unter Berücksichtigung von § 42a Abs. 1 Satz 3 SGB II träfe eine Rückzahlungsverpflichtung dann auch das nicht durch den Mietvertrag verpflichtete Mitglieder der Bedarfsgemeinschafts unabhängig davon, ob eine Einwirkungsmöglichkeit auf die Zahlungsmoral des mietvertraglich Verpflichteten besteht. Abgesehen davon könnten sich aus der Möglichkeit, die Verpflichtungen aus Mietverträgen auf Dritte zu verlagern, erhebliche Fehlanreize für die Mietvertragspartner ergeben. Daher erscheint es allein sachgerecht, nur die durch den Mietvertrag zivilrechtlich verpflichteten Personen als Darlehensnehmer anzusehen, soweit sie – wie hier – die Wohnung gemeinsam nutzen und im Leistungsbezug nach dem SGB II stehen (BSG, a.a.O.; Krauß, a.a.O., Rd. 366).
Nach diesen Grundsätzen und weil nichts für einen Abschluss des Mietvertrags auch durch den minderjährigen Antragsteller spricht, ist das Darlehen ausschließlich der Antragstellerin zu gewähren. Auf die Frage, ob die Antragstellerin, die nach der Übertragung des vollständigen Sorgerechts auf den Amtsvormund, ihren Sohn nicht mehr gesetzlich vertreten darf (vgl. § 55 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch / Achtes Buch - SGB VIII -), im Rahmen des Grundsicherungsrecht gleichwohl für diesen wegen § 38 SGB II Leistungen beantragen und entgegennehmen darf, kommt es daher nicht.
7. Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
a. Aufgrund der Räumungsklage droht Wohnungslosigkeit. Entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts ist der Verweis auf § 22 Abs. 9 SGB II ungeeignet, Wohnungslosigkeit zu verhindern. Der Wortlaut dieser Vorschrift sieht lediglich Informationspflichten und -rechte des Amtsgerichts vor. Auch wenn diese Regelung den Zweck verfolgt, Obdachlosigkeit zu verhindern (Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPraxisKommentar-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 22 Rd. 255), liegt es auf der Hand, dass die bloße Weitergabe von Informationen – vorausgesetzt, das Amtsgericht kommt seiner gesetzlichen Pflicht nach – eine Wohnungslosigkeit nicht vermeidet. Die Bezugnahme auf diese Vorschrift ist darüber hinaus in sozialgerichtlichen Rechtsstreiten wegen Ansprüchen auf Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II in der Regel verfehlt, da in diesen Fällen der Grundsicherungsträger einerseits bereits aufgrund des entsprechenden Verfahrens über die Mietschulden informiert ist, andererseits jedoch zu deren Befriedigung offenkundig nicht bereits ist.
b. Dass die Antragsteller aus eigener Kraft, etwa aufgrund von einsetzbarem Vermögen, zur Begleichung der Mietschulden in der Lage wären, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Die Vorlage aktueller Kontoauszüge hält der Senat grundsätzlich nicht für erforderlich, wenn die Antragsteller aktuell im Leistungsbezug stehen (so auch: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. Mai 2016 – L 7 AS 580/16 B ER –, Rn. 13, juris). Dass die Antragstellerin einer Weitergabe der von ihr beim Sozialgericht eingereichten Kontoauszüge an den Antragsgegner widersprochen hat, ist im vorliegenden Fall irrelevant, da dieser – wie aus der Verwaltungsakte ersichtlich und von ihm im Erörterungstermin vom 19. Oktober 2016 bestätigt – ohnehin regelmäßig Einsicht in die Kontoauszüge erhält.
8. Um sicherzustellen, dass die Kündigung der Vermieterin durch die Zahlung des Antragsgegners unwirksam wird und hierdurch Wohnungslosigkeit der Antragsteller vermieden wird, hat der Senat sein Ermessen, welches ihm hinsichtlich des Inhalts der einstweiligen Anordnung durch § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 Zivilprozessordnung eingeräumt wird, dahin ausgeübt, dass die Zahlung unmittelbar an die Vermieterin zu erfolgen hat.
9. Der Senat weist indes vorsorglich auf Folgendes hin: Sollte innerhalb von zwei Jahren erneut eine Kündigung wegen eines Mietrückstandes i.H.v. mindestens zwei Monatsmieten ausgesprochen werden, könnte diese nicht durch nachträgliche Zahlung unwirksam werden (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 BGB). Ein Anspruch nach § 22 Abs. 8 SGB II bestünde in diesem Fall nicht, weil die Übernahme der Mietschulden den Erhalt der Wohnung nicht sichern könnte. Sollte eine solche Kündigung nach dem Ablauf von zwei Jahren ausgesprochen werden, ohne dass sich das Verhalten der Antragsteller geändert hat, dürfte der Antragsgegner u.U. von einem Wiederholungsfall und daher von einem gezielten Herbeiführen des Mietrückstandes ausgehen. Auf der anderen Seite könnte im Hinblick auf das offensichtlich gravierend gestörte Vertrauensverhältnis zwischen dem Antragsteller und seinem Amtsvormund ein Wechsel in dessen Person (zu dieser Möglichkeit: Fröschle in: Schlegel/Voelzke, jurisPraxisKommentar, § 55 SGB VIII, Rd. 45; Veit, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2014, § 1791b Rd. 18 m.w.N.) einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu leisten, dass dem Antragsteller die Unterhaltszahlungen seines Vaters zumindest in einem die Unterkunft sichernden Umfang zufließen und auch auf diese Weise einem künftigen Mietrückstand entgegen gewirkt wird.
10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog. Im Rahmen des ihm durch diese Vorschrift eingeräumten Ermessens berücksichtigt der Senat, dass die Antragsteller ihr Ziel – die Übernahme der bestehenden Mietschulden – im Ergebnis erreicht haben, auch wenn der Antragsgegner nur zur Gewährung eines Darlehens und auch nur an die Antragstellerin verpflichtet wird. Aus diesem Grund hat der Senat von einer nur anteiligen Kostenerstattungspflicht des Antragsgegners abgesehen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Gründe:
Die nach §§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragsteller mit dem sinngemäßen Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 31. August 2016 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, zur Tilgung der entstandenen Mietschulden 1.412,95 EUR an die Antragsteller zu zahlen,
hat weitgehend Erfolg. Insoweit sind der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG erforderliche Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund gegeben. Im darüber hinaus gehenden Umfang hat das Sozialgericht den Eilantrag zu Recht abgelehnt.
1. Rechtsgrundlage für die von den Antragstellern begehrte (vorläufige) Übernahme von Mietrückständen ist § 22 Abs. 8 Sozialgesetzbuch / Zweites Buch (SGB II). Danach gilt:
"Sofern Arbeitslosengeld II für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden."
2. Die Antragsteller beziehen Arbeitslosengeld II, das auch ihre (angemessenen) Kosten der Unterkunft (KdU) abdeckt. Sie befinden sich hinsichtlich ihrer Wohnung in einer Notlage, nachdem die Vermieterin das Mietverhältnis gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen eines – zwei Monatsmieten übersteigenden – Mietrückstandes von (damals) 1.412,95 EUR fristlos gekündigt (Schreiben vom 22. August 2016) und am 22. November 2016 Räumungsklage erhoben hat. Aufgrund dessen droht ihnen Wohnungslosigkeit. Dass für die Antragsteller eine konkrete angemessene und anmietbare Ersatzwohnung zur Verfügung steht (zu diesem Kriterium: BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R –; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. September 2013 – L 19 AS 1501/13 B –; juris), ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Gleiches gilt für sonstige Selbsthilfemöglichkeiten. Das Darlehen an die Antragstellerin ist auch gerechtfertigt, denn es ist geeignet, die Unterkunft zu sichern. Gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB wird eine auf § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB gestützte Kündigung auch dann unwirksam, wenn – wie hier – der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete befriedigt wird. Notwendig ist die Schuldenübernahme u.a. dann, wenn – wie hier in Gestalt des 2002 geborenen Antragstellers – (schulpflichtige) Kinder betroffen sind (Krauß, a.a.O., Rd. 355; zur gebotenen Berücksichtigung von Kindern in der Bedarfsgemeinschaft s.a. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. Mai 2016 – L 7 AS 580/16 B ER –, juris).
Für die Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen ist es ohne Bedeutung, ob wirtschaftlich unvernünftiges (vorwerfbares) Handeln des Hilfebedürftigen die drohende Wohnungslosigkeit (mit)verursacht hat. Es ist das elementare Grundbedürfnis der Unterkunftssicherung, ggf. auch bei schuldhafter Gefährdung der Unterkunft, diese durch staatliche Hilfe zu sichern. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates aus dem Recht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 u.a. –, juris) und findet in der Leistung nach § 22 Abs. 8 SGB II ihre Ausformung (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 3/14 R –, juris, m.w.N.). Im Übrigen sind Schulden nach Satz 1 der Vorschrift in erster Linie überhaupt nur solche Verbindlichkeiten, die auf ein (mehr oder weniger nachvollziehbares) Fehlverhalten des Hilfebedürftigen (sei es während des Leistungsbezuges, sei es zuvor) zurückzuführen sind (BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R –, juris; Krauß, in: Hauck/Noftz, Sozialgesetzbuch, § 22 SGB II, Rd. 364). Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn zielgerichtetes Verhalten des Hilfeempfängers (insbesondere im Wiederholungsfall) zu Lasten des Trägers der Grundsicherung nachzuweisen ist, kann im hiesigen Fall offen bleiben, weil weder ein Fall wiederholter Mietrückstände noch ein zielgerichtetes Verhalten der Antragsteller ersichtlich ist.
3. Liegt drohende Wohnungslosigkeit vor, sollen gemäß § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II die Schulden übernommen werden. Die Feststellung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Satzes 2 gegeben sind, bedeutet zugleich, dass dem Grundsicherungsträger für die Ausübung seines Ermessens regelmäßig kein Spielraum verbleibt. Es ist regelmäßig keine andere Entscheidung als die Übernahme der Schulden denkbar, um den Anspruch des Hilfebedürftigen auf eine angemessene Unterkunft zu sichern. Lediglich in atypischen Ausnahmefällen kann die Übernahme der Schulden abgelehnt werden (BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R –; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Juni 2011 – L 25 AS 535/11 B ER –; jeweils juris). Anhaltspunkte für eine atypische Situation sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
4. Der Höhe nach ist der Anspruch begrenzt auf diejenigen Mietschulden, deren Befriedigung die Kündigung der Vermieterin nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB unwirksam werden lässt. Nach der vom Senat veranlassten schriftlichen Auskunft der Vermieterin vom 1. November 2016 belaufen sich die Mietrückstände derzeit auf 1.365,42 EUR. Diesen Betrag bestätigte eine Mitarbeiterin der Vermieterin dem Berichterstatter telefonische am 25. November 2016. Soweit die Beschwerde auf einen höheren Betrag gerichtet ist, ist sie unbegründet.
5. Die Mietschulden sind vom Antragsgegner nicht als Zuschuss, sondern nur als Darlehen zu übernehmen.
a. Gemäß § 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II sollen Geldleistungen als Darlehen erbracht werden. Dies bedeutet, dass ein Zuschuss nur in atypischen Fällen zu leisten ist. Damit soll ein Ausgleich zwischen den Interessen der Leistungsberechtigten und denen der Allgemeinheit der Steuerzahler bewirkt werden. So steht auch wirtschaftlich unvernünftiges (vorwerfbares) Handeln des Hilfebedürftigen, das die drohende Wohnungslosigkeit (mit)verursacht haben mag, einer Übernahme der Mietschulden als Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht entgegen (s.o.). Andererseits sollen Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich nicht der Schuldentilgung dienen. Einkommen ist zu förderst zur Sicherung des Lebensunterhalts der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einzusetzen. Dies gilt selbst dann, wenn der Leistungsberechtigte sich dadurch außerstande setzt, bestehende vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen sind Grundsicherungsleistungen zur Schuldentilgung zu gewähren. Hieraus folgt, dass ein atypischer Fall i.S.v. § 22 Abs. 8 Satz 4 SGB II nur dann vorliegt, wenn die Fallgestaltung im Einzelfall signifikant vom (typischen) Regelfall abweicht. Dabei ist auch das Verhalten des Leistungsträgers in die Bewertung einzubeziehen. Allerdings muss das Verhalten des Leistungsträgers "wesentlich mitwirkend" für die Entstehung der Mietschulden sein. Haben Umstände in der Sphäre des Leistungsberechtigten und in der Sphäre der Verwaltung zu der Entstehung der Mietschulden beigetragen, ist nur dann von einer wesentlichen Mitwirkung des Leistungsträgers auszugehen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für das Entstehen der Mietschulden annähernd gleichwertig sind. Kommt dagegen dem "Fehlverhalten" des Leistungsberechtigten eine überragende Bedeutung für die Mietschulden zu, so ist kein atypischer Fall gegeben, denn sein Verhalten verdrängt das Fehlverhalten des Leistungsträgers (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 3/14 R –, juris).
b. Im vorliegenden Fall war zu berücksichtigen, dass einerseits die Antragstellerin durch eigenes Fehlverhalten an der Entstehung der Mietschulden maßgeblich mitgewirkt hat (hierzu aa.), andererseits auch das beigeladene Land in seiner Funktion als Jugendhilfeträger und Dienstherr bzw. Arbeitgeber des für den Antragsteller bestellten Amtsvormunds durch pflichtwidriges Verhalten für die besonderen finanziellen Engpässe der Antragsteller mitverantwortlich ist (hierzu bb.).
aa. Die Antragstellerin hat dadurch an der Entstehung der Mietschulden maßgeblich mitgewirkt, dass sie – wie sich aus der o.g. schriftlichen Auskunft der Vermieterin ergibt – zumindest für die Juli und August 2016 die vertraglich vereinbarte Miete i.H.v. 470,45 EUR monatlich nicht an die Vermieterin zahlte. Für die Monate Juli bis September 2016 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern monatliche Leistungen i.H.v. 649,68 EUR und rechnete hierbei Unterhaltszahlungen i.H.v. 400.- EUR monatlich an, die der Vater des Antragstellers an dessen Amtsvormund, einen Mitarbeiter des Beigeladenen, leistet. Weil jedoch der Amtsvormund die Zahlungen für die Monate Juli und August 2016 nicht an die Antragsteller weiterleitete und aufgrund dessen deren aktueller Bedarf durch die Leistungen des Antragsgegners nicht gedeckt war, bewilligte dieser, nachdem er sich durch Vorlage der Kontoauszüge der Antragstellerin von der fehlenden Weiterleitung des Unterhalts überzeugt hatte, jeweils nach Monatsende einen weiteren Betrag i.H.v. 370.- EUR, der sich aus dem Unterhalt i.H.v. 400.-EUR abzüglich der Versicherungspauschale i.H.v. 30.- EUR (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung) errechnet. Weder die zunächst bewilligten Leistungen i.H.v. monatlich 649,68 EUR noch die Nachzahlungen für die Juli und August 2016 hat die Antragstellerin offenkundig für entsprechende Mietzahlungen genutzt. Soweit sich die Antragstellerin u.a. im Rahmen des Erörterungstermins vor dem Berichterstatter darauf berufen hat, sie habe die Nachzahlungen für andere notwendige Leistungen verwendet, ist dies nicht plausibel, da die Antragsteller insgesamt – wenn auch teilweise verzögert – für beide Monate die ihnen zustehenden Leistungen in voller Höhe erhalten haben.
bb. Der Amtsvormund des Antragsstellers leitet schon seit längerer Zeit die o.g. Unterhaltszahlungen nicht an die Antragsteller weiter, weil diese nahezu jeglichen Kontakt des Mündels mit ihm verweigern. Soweit dieser Kontakt zweimal monatlich hergestellt wird, war der Amtsvormund bislang zur Weiterleitung des Unterhalts an die Antragsteller bereit. Ursache für die Verweigerung des Kontakts ist offenkundig ein gravierendes Misstrauen der Antragsteller gegenüber der Person des Amtsvormunds. Inwieweit dieses, u.a. wegen eines von den Antragstellern vorgetragenen und vom Beigeladenen nicht bestrittenen körperlichen Übergriffs des Amtsvormunds gegenüber dem Antragsteller, begründet ist, kann und muss der Senat an dieser Stelle nicht beurteilen. Die Antragsteller verkennen möglicherweise, dass nach § 1793 Abs. 1 Satz 1 BGB der Vormund das Recht und die Pflicht hat, u.a. für die Person des Mündels zu sorgen. Insbesondere hat der Vormund mit dem Mündel persönlichen Kontakt zu halten. Er soll das Mündel in der Regel einmal im Monat in dessen üblicher Umgebung aufsuchen, es sei denn, im Einzelfall sind kürzere oder längere Besuchsabstände oder ein anderer Ort geboten (§ 1793 Abs. 1a BGB). Der Amtsvormund hat demgegenüber nicht beachtet, dass er durch Zurückhaltung des (gesamten) Unterhalts sein Mündel der Gefahr der Obdachlosigkeit aussetzt. Sein Versuch, den Umgang mit seinem Mündel dadurch zu erzwingen, dass er die (teilweise) Weiterleitung des Unterhalts an die Bedingung eines vorherigen Kontakts knüpft, ist nach Auffassung des Senats zumindest unverhältnismäßig. Bezeichnenderweise ist auch weder den beigezogenen Verwaltungsvorgängen des Beigeladenen noch dessen Vorbringen eine Rechtsgrundlage für dieses Vorgehen zu entnehmen.
Der Umstand, dass durch die unterbliebene Weiterleitung von Unterhaltsleistungen bei den Antragstellern regelmäßig besondere finanzielle Engpässe entstehen, ist dem Antragsgegner zuzurechnen. Denn er hat regelmäßig der Bitte des Amtsvormunds entsprochen, den nur sehr sporadisch dem Antragsteller zufließenden Unterhalt gleichwohl stets als dessen Einkommen bei der Berechnung des Grundsicherungsbedarfs zu berücksichtigen, damit der Amtsvormund sein "Druckmittel" aufrechterhalten kann. Die Pflicht des Antragsgegners nach § 86 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch, mit dem Beigeladenen als Träger der Jugendhilfe zusammenzuarbeiten – diese umfasst nach § 55 Sozialgesetzbuch / Achtes Buch auch die Amtsvormundschaft – reicht nicht soweit, dessen pflichtwidriges Vorgehen zu unterstützen. Wenn der Antragsgegner dennoch dessen Bitte nachkommt, muss er sich auch dieses Verhalten des Amtsvormunds zurechnen lassen.
cc. Eine wertende Gewichtung des Fehlverhaltens der Antragstellerin einerseits und des Antragsgegners andererseits ergibt, dass ersterem im Hinblick auf die Entstehung der Mietschulden ein deutliches Übergewicht zukommt. Das pflichtwidrige Vorenthalten des gesamten Unterhalts durch den Amtsvormund wird durch die nachträgliche Bewilligung von Leistungen seitens des Antragsgegners in der Summe weitgehend ausgeglichen. Dass die Berücksichtigung des Unterhalts als Einkommen bei der Berechnung des Bedarfs regelmäßig zu einer Unterdeckung bei den Antragstellern führt und auf dem Konto der Antragstellerin daher bei Abbuchung der Miete ggf. nicht ausreichende Beträge vorhanden sind, führt nach der o.g. schriftlichen Auskunft der Vermieterin lediglich zu Rücklastschriftgebühren der Bank i.H.v. 1,90 EUR. Weil das Fehlverhalten der Antragstellerin deutlich überwiegt, ist ein atypischer, zur Gewährung eines Zuschusses verpflichtender Fall nicht gegeben.
6. Das erforderliche Darlehen zur Begleichung der Mietrückstände ist nur der Antragstellerin zu gewähren. Dies folgt aus § 42a Abs. 1 Satz 2 SGB II. Nach dieser Vorschrift können Darlehen an einzelne Mitglieder von Bedarfsgemeinschaften oder an mehrere gemeinsam vergeben werden. Darlehen zur Deckung von Mietschulden sind unabhängig vom Kopfteilprinzip gleichmäßig auf diejenigen Personen aufzuteilen, die aus dem Mietvertrag verpflichtet sind.
Die laufenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind zwar nach gefestigter Rechtsprechung des BSG im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen, wenn Hilfebedürftige eine Unterkunft gemeinsam mit anderen Personen nutzen. Hintergrund für dieses "Kopfteilprinzip" sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung sowie die Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf dem Grunde nach abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt. Bei der Leistung für Mietschulden als einmaliger Leistung für Unterkunft ist jedoch keine Kopfteilung vorzunehmen. Die mit dem Grundsicherungsrecht nach dem SGB II befassten Senate des BSG haben eine Abweichung vom Kopfteilprinzip für diejenigen Fälle bejaht, in denen bei objektiver Betrachtung eine andere Aufteilung angezeigt ist. So liegt es auch bei der Mietschuldenübernahme (BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 4 AS 3/14 R –; Krauß, a.a.O., Rd. 366). Würde das Darlehen gemäß § 22 Abs. 8 SGB II kopfteilig auf beide Antragsteller verteilt, so folgte hieraus letztlich eine faktische Mithaftung der nicht am Mietvertrag Beteiligten, insbesondere auch des minderjährigen Antragsstellers, für unerfüllte Mietvertragsforderungen. Unter Berücksichtigung von § 42a Abs. 1 Satz 3 SGB II träfe eine Rückzahlungsverpflichtung dann auch das nicht durch den Mietvertrag verpflichtete Mitglieder der Bedarfsgemeinschafts unabhängig davon, ob eine Einwirkungsmöglichkeit auf die Zahlungsmoral des mietvertraglich Verpflichteten besteht. Abgesehen davon könnten sich aus der Möglichkeit, die Verpflichtungen aus Mietverträgen auf Dritte zu verlagern, erhebliche Fehlanreize für die Mietvertragspartner ergeben. Daher erscheint es allein sachgerecht, nur die durch den Mietvertrag zivilrechtlich verpflichteten Personen als Darlehensnehmer anzusehen, soweit sie – wie hier – die Wohnung gemeinsam nutzen und im Leistungsbezug nach dem SGB II stehen (BSG, a.a.O.; Krauß, a.a.O., Rd. 366).
Nach diesen Grundsätzen und weil nichts für einen Abschluss des Mietvertrags auch durch den minderjährigen Antragsteller spricht, ist das Darlehen ausschließlich der Antragstellerin zu gewähren. Auf die Frage, ob die Antragstellerin, die nach der Übertragung des vollständigen Sorgerechts auf den Amtsvormund, ihren Sohn nicht mehr gesetzlich vertreten darf (vgl. § 55 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch / Achtes Buch - SGB VIII -), im Rahmen des Grundsicherungsrecht gleichwohl für diesen wegen § 38 SGB II Leistungen beantragen und entgegennehmen darf, kommt es daher nicht.
7. Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
a. Aufgrund der Räumungsklage droht Wohnungslosigkeit. Entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts ist der Verweis auf § 22 Abs. 9 SGB II ungeeignet, Wohnungslosigkeit zu verhindern. Der Wortlaut dieser Vorschrift sieht lediglich Informationspflichten und -rechte des Amtsgerichts vor. Auch wenn diese Regelung den Zweck verfolgt, Obdachlosigkeit zu verhindern (Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPraxisKommentar-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 22 Rd. 255), liegt es auf der Hand, dass die bloße Weitergabe von Informationen – vorausgesetzt, das Amtsgericht kommt seiner gesetzlichen Pflicht nach – eine Wohnungslosigkeit nicht vermeidet. Die Bezugnahme auf diese Vorschrift ist darüber hinaus in sozialgerichtlichen Rechtsstreiten wegen Ansprüchen auf Mietschuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II in der Regel verfehlt, da in diesen Fällen der Grundsicherungsträger einerseits bereits aufgrund des entsprechenden Verfahrens über die Mietschulden informiert ist, andererseits jedoch zu deren Befriedigung offenkundig nicht bereits ist.
b. Dass die Antragsteller aus eigener Kraft, etwa aufgrund von einsetzbarem Vermögen, zur Begleichung der Mietschulden in der Lage wären, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Die Vorlage aktueller Kontoauszüge hält der Senat grundsätzlich nicht für erforderlich, wenn die Antragsteller aktuell im Leistungsbezug stehen (so auch: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. Mai 2016 – L 7 AS 580/16 B ER –, Rn. 13, juris). Dass die Antragstellerin einer Weitergabe der von ihr beim Sozialgericht eingereichten Kontoauszüge an den Antragsgegner widersprochen hat, ist im vorliegenden Fall irrelevant, da dieser – wie aus der Verwaltungsakte ersichtlich und von ihm im Erörterungstermin vom 19. Oktober 2016 bestätigt – ohnehin regelmäßig Einsicht in die Kontoauszüge erhält.
8. Um sicherzustellen, dass die Kündigung der Vermieterin durch die Zahlung des Antragsgegners unwirksam wird und hierdurch Wohnungslosigkeit der Antragsteller vermieden wird, hat der Senat sein Ermessen, welches ihm hinsichtlich des Inhalts der einstweiligen Anordnung durch § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 Zivilprozessordnung eingeräumt wird, dahin ausgeübt, dass die Zahlung unmittelbar an die Vermieterin zu erfolgen hat.
9. Der Senat weist indes vorsorglich auf Folgendes hin: Sollte innerhalb von zwei Jahren erneut eine Kündigung wegen eines Mietrückstandes i.H.v. mindestens zwei Monatsmieten ausgesprochen werden, könnte diese nicht durch nachträgliche Zahlung unwirksam werden (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 BGB). Ein Anspruch nach § 22 Abs. 8 SGB II bestünde in diesem Fall nicht, weil die Übernahme der Mietschulden den Erhalt der Wohnung nicht sichern könnte. Sollte eine solche Kündigung nach dem Ablauf von zwei Jahren ausgesprochen werden, ohne dass sich das Verhalten der Antragsteller geändert hat, dürfte der Antragsgegner u.U. von einem Wiederholungsfall und daher von einem gezielten Herbeiführen des Mietrückstandes ausgehen. Auf der anderen Seite könnte im Hinblick auf das offensichtlich gravierend gestörte Vertrauensverhältnis zwischen dem Antragsteller und seinem Amtsvormund ein Wechsel in dessen Person (zu dieser Möglichkeit: Fröschle in: Schlegel/Voelzke, jurisPraxisKommentar, § 55 SGB VIII, Rd. 45; Veit, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2014, § 1791b Rd. 18 m.w.N.) einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu leisten, dass dem Antragsteller die Unterhaltszahlungen seines Vaters zumindest in einem die Unterkunft sichernden Umfang zufließen und auch auf diese Weise einem künftigen Mietrückstand entgegen gewirkt wird.
10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog. Im Rahmen des ihm durch diese Vorschrift eingeräumten Ermessens berücksichtigt der Senat, dass die Antragsteller ihr Ziel – die Übernahme der bestehenden Mietschulden – im Ergebnis erreicht haben, auch wenn der Antragsgegner nur zur Gewährung eines Darlehens und auch nur an die Antragstellerin verpflichtet wird. Aus diesem Grund hat der Senat von einer nur anteiligen Kostenerstattungspflicht des Antragsgegners abgesehen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
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