L 1 KR 521/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 72 KR 2210/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 521/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. Oktober 2015 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Kosten der Krankenhausbehandlung des mittlerweile verstorbenen E F (nachfolgend: Patient).

Der 1951 geborene Patient war 1996 pflichtversichertes Mitglied der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Im Jahre 2004 war er als Bezieher von Leistungen der Sozialhilfe leistungsberechtigt.

Die Klägerin nahm den Patienten am 6. Dezember 2010 über die Rettungsstelle auf. Er wurde von ihr intensivmedizinisch behandelt, bis er am 12. Dezember 2010 verstarb. Der Patient hatte angegeben, bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten versichert zu sein und keinen festen Wohnsitz zu haben.

Am 31. Dezember 2010 stellte die Klägerin der Beklagten für die Behandlung 15.329,51 EUR in Rechnung. Die Klägerin hatte telefonisch nachgefragt, ob der Patient bei der Barmer, der TK, der KKH, der City BKK, der IKK, der DAK oder der BKK Siemens versichert war und jeweils eine negative Auskunft erhalten. Auch Anrufe beim Sozialamt, dem Jobcenter, der Obdachlosenhilfe und der Meldebehörde brachten kein anderes Ergebnis. Mit Schreiben vom 31. Januar 2011 und vom 4. Februar 2011 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, dass sie Kostenträger sei, da der Patient bei ihr zuletzt versichert gewesen sei. Die Beklagte lehnte die Begleichung der Rechnung ab. Es bedürfe der Mitwirkung des Patienten in der Form einer Willenserklärung und des Ausfüllens eines Antrags an die jeweilige Krankenkasse.

Nachdem auch auf weitere Mahnungen, zuletzt mit Schreiben vom 2. August 2013, keine Zahlung erfolgte, hat die Klägerin am 25. Oktober 2013 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben.

Das Sozialgericht hat die Beklagte am 1. Oktober 2015 zur Zahlung von 15.329,51EUR nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. Februar 2011 verurteilt. Der Vergütungsanspruch ergebe sich aus der durchgeführten Krankenhausbehandlung, auf die der Versicherte Anspruch gehabt habe. Es spreche viel dafür, dass nach der unstreitig bis zum 31. Dezember 2004 bestehenden Zuständigkeit der Beklagten keine andere Absicherung gegen das Risiko der Krankheit erfolgte und der Patient nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB V gesetzlich pflichtversichertes Mitglied der Beklagten gewesen sei. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine anderweitige Absicherung des Patienten im Krankheitsfall. Der Patient habe insbesondere keinen Anspruch auf Leistungen zur Hilfe bei Krankheit oder auf Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch gehabt. Voraussetzung dafür sei nämlich die Stellung eines entsprechenden Antrags, für den aber nichts ersichtlich sei. Er habe auch tatsächlich keine Leistungen bezogen. Für eine anderweitige Absicherung sei nichts ersichtlich, weil die durchgeführten Ermittlungen bei Krankenkassen, SGB XII- und SGB II-Trägern, der Obdachlosenstelle und dem Einwohnermeldeamt sämtlich erfolglos geblieben seien. Unter den dargelegten Umständen liege die Beweislast für eine anderweitige Absicherung bei der Beklagten. Grundsätzlich gehe die Unerweislichkeit einer Tatsache zu Lasten desjenigen, der sich auf sie berufe. Eine Beweislastumkehr ergebe sich nicht bereits daraus, dass die Beklagte ihrer Amtsermittlungspflicht nur unzureichend nachgekommen sei. Sie folge aber aus dem Sinn und Zweck der Auffangversicherung. Diese solle sicherstellen, dass keine größere Anzahl von Menschen ohne Absicherung im Krankheitsfall bleibe. Deswegen müsse sie auch anwendbar sein, wenn ein anderweitiger Krankenversicherungsschutz nicht feststehe, aber auch nicht sicher ausgeschlossen werden könne. Auch spreche die Regelung des § 5 Abs. 8a SGB V für eine Beweislastumkehr, wonach die Ausschlussvorschrift nur eingreift, wenn ein Ausschlusstatbestand nachgewiesenermaßen vorliegt. Ebenso spreche die Formulierung in dem Rundschreiben der Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenkassen vom 20. März 2007 dafür, dass die betroffenen Personen nicht nachweisbelastet wären. Die Regelung in § 188 Abs. 4 SGB V stehe der Annahme einer Beweislastumkehr nicht entgegen. Vielmehr lasse sich ihr das gesetzgeberische Anliegen entnehmen, für jeden Einwohner Krankenversicherungsschutz sicherzustellen. Eine Ausnahme von dem Grundsatz der Beweislastumkehr dürfte nur für Fälle gelten, in denen das Krankenhaus selbst keinerlei Ermittlungen durchgeführt hatte und die Auswahl des Kostenträgers willkürlich erscheine. Das sei vorliegend jedoch nicht der Fall.

Gegen das ihr am 2. November 2015 zugestellte Urteil richtet sich die am 2. Dezember 2015 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung der Beklagten. Streitentscheidend sei allein, ob eine Mitgliedschaft des Patienten bei ihr anzunehmen ist. Wenn nach Ausschöpfung sämtlicher Ermittlungsmöglichkeiten die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht nachgewiesen seien, müsse das zu Lasten der Klägerin gehen. Das betreffe sämtliche Tatsachen, die eine Versicherungspflicht beweisen würden. Vorliegend sei nicht auszuschließen, dass innerhalb des erheblichen Zeitraums von sechs Jahren ein privatrechtliches Versicherungsverhältnis oder ein anderes gesetzliches Krankenversicherungsverhältnis begründet worden sei. Die zuletzt bei ihr – der Beklagten – bestehende Krankenversicherung sei aber ein anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal. Es sei unangemessen, sie – die Beklagte – mit einem Beweisnachteil zu belegen. Die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes sei nicht ihrer Sphäre zuzuordnen. Auch nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins könne nicht zugunsten der Klägerin von Versicherungspflicht ausgegangen werden. In dem langen Zeitraum habe sich die Spur des Patienten verloren. Für eine Umkehr der Beweislast sei kein Raum. Die materiell-rechtlichen Vorschriften zur Versicherungspflicht könnten regelmäßig nicht als verfahrensrechtlicher Rahmen für die Umkehr der Beweislast gelesen werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. Oktober 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es stehe unstreitig fest, dass der Patient bis zum 31. Dezember 2004 bei der Beklagten versichert gewesen sei. Der nachfolgende Versichertenstatus habe nicht aufgeklärt werden können. Zwar trage grundsätzlich der die Beweislast, der aus einer Tatsache eine günstige Rechtsfolge herleiten wolle. Zu Recht habe das SG Berlin aber eine Umkehr der Beweislast angenommen. Ähnlich habe auch das SG Mainz entschieden (Urt. v. 4. Mai 2015 – S 3 KR 618/13). Einem Krankenhaus sei nur möglich, den positiven Beweis für eine bestimmte letzte Krankenversicherung zu erbringen, nicht aber über die negative Tatsache des Bestehens keiner anderen Absicherung. Zudem sei die Beklagte ihrer Amtsermittlungspflicht nicht im ausreichenden Maße nachgekommen. Sie habe außer einem Schreiben an den Patienten keine Anstrengungen unternommen. Weitere Ermittlungen etwa bei dem Sozialhilfeträger oder dem Einwohnermeldeamt habe sie nicht unternommen. Zu verweisen sei auch auf einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden v. 30. Dezember 2016 – S 18 KR 455/14; sowie weitere Urteile des Sozialgerichts Berlin v. 13. Februar 2017 – S 81b KR 2104/13 und des LSG Berlin-Brandenburg v. 28. Juni 2017 – L 1 KR 368/15 und vom 11. Mai 2017 – L 9 KR 494/14).

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Patientenakte der Klägerin verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Mit Recht hat das Sozialgericht die Beklagte zur Zahlung verurteilt.

Hinsichtlich der Voraussetzungen des Zahlungsanspruches der Klägerin gegen die Beklagte wird auf die Ausführungen des Sozialgerichts in dem angegriffenen Urteil verwiesen, welche der Senat sich zu eigen macht (§ 153 Abs. 2. SGG). Zutreffend ist das Sozialgericht auch davon ausgegangen, dass der Patient während des Krankenhausaufenthaltes vom 6. Dezember 2010 bis zum 12. Dezember 2010 pflichtversichertes Mitglied der Beklagten nach § 5 Nr. 13 lit a SGB V gewesen ist. Das Berufungsvorbringen der Beklagten gibt zu einer anderen Bewertung keinen Anlass.

Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V (der sogenannten Auffangpflichtversicherung) sind seit dem 01. April 2007 in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert (Buchst a) oder bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, sie gehören zu den in § 5 Abs. 5 SGB V genannten hauptberuflich Selbstständigen oder zu den nach § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V versicherungsfreien Personen oder hätten bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland zu ihnen gehört (Buchst b). Die Mitgliedschaft beginnt aufgrund § 184 Abs. 11 Satz 1 SGB V mit dem ersten Tag ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall im Inland. Die Anzeige der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 obliegt zwar den betroffenen Personen selbst (Umkehrschluss aus § 186 Abs. 11 Satz 4), die Mitgliedschaft der Personen ohne anderweitige Absicherung im Krankheitsfall tritt jedoch kraft Gesetzes ein, also unabhängig von der Anzeige des Versicherten (vgl. Gerlach in: Hauck/Noftz, SGB, 05/16, § 5 SGB V, Rdnr. 473a).

Der Patient war bis 1996 als Bezieher von Arbeitslosenhilfe bei der Beklagten pflichtversichert. Im Jahre 2004 erhielt er als Bezieher von Sozialhilfe Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 264 SGB V. Maßgebend für seinen Versichertenstatus ist die letzte gesetzliche Krankenversicherung, weil er zurzeit seines Krankenhausaufenthaltes keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall hatte.Der (potenzielle) Empfang von Hilfen zur Gesundheit im Sinne des 5. Kapitels des SGB XII - ohne den Bezug laufender Leistungen – stellt keinen eigenständigen Ausschlusstatbestand für den Eintritt der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V dar (BSG, Urteil vom 21. Dezember 2011 – B 12 KR 13/10 R – Rdnr. 13f mit Bezugnahme auf Urteil vom 6.10.2010 -B 12 KR 25/09 R-, BSGE 107, 26 Rdnr. 28). Dies ergibt sich aus § 5 Abs. 8a Satz 2 SGB V, der eine abschließende Konkretisierung des Merkmals der "anderweitigen Absicherung" in § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V für den Bereich des SGB XII darstellt und die Hilfe zur Krankheit nach dem 5. Kapitel des SGB XII gerade nicht nennt (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. März 2015 – L 16 KR 820/12 –, Rdnr. 43). Zum Zeitpunkt des Krankenhausaufenthaltes bezog der Patient keine laufenden Leistungen zur Grundsicherung, wie sich aus den von der Klägerin eingeholten Auskünften ergibt.

Eine Auffangpflichtversicherung von Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren, besteht auch, wenn diese Absicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung der (fraglichen) Auffangpflichtversicherung nicht unmittelbar voranging, sondern zwischenzeitlich eine anderweitige Absicherung gegen Krankheit außerhalb der privaten Krankenversicherung erfolgte (LSG Nordrhein-Westfalen, a. a. O. Rdnr. 44 mit Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 21. Dezember 2011 - B 12 KR 13/10 R- Rdnr. 17). Das gilt insbesondere für zwischenzeitliche erbrachte Sozialleistungen.

Es erscheint auch ausgeschlossen, dass der Patient nach dem Ausscheiden bei der Beklagten noch bei einer anderen privaten oder gesetzlichen Krankenversicherung abgesichert gewesen ist. Aus dem Verhalten des Patienten im Krankenhaus, wo er die Beklagte als Versicherungsträger angab, kann nämlich gefolgert werden, dass er jedenfalls zum Zeitpunkt seiner Einweisung weder über einen Krankenversicherungsschutz bei einer privaten noch bei einer anderen gesetzlichen Krankenkasse als der Beklagten verfügte. Hätte ein solcher bestanden, gab es keinen Grund, sie zu verschweigen. Die Beklagte verkennt den rechtlichen Maßstab, der an den Nachweis des Fehlens einer anderen Versicherung anzulegen ist. Es gelten die Grundsätze des Prima-Facie-Beweises. Nur so kann das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel erreicht werden, möglichst wenige Menschen ohne Versicherungsschutz zu lassen. Nach den Grundätzen des Prima-Facie-Beweises ist davon auszugehen, dass nach einer ursprünglich bestanden habenden Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse keine weitere Versicherung begründet worden ist, sofern nicht ein Sachverhalt gegeben ist, der dies nahelegt (LSG Berlin-Brandenburg v. 11. Mai 2017- L 9 KR 494/14 - juris Rn 31 und v. 28. Juni 2017 – L 1 KR 368/15). Ein Sachverhalt, der den Eintritt einer anderweitigen Versicherungspflicht nahelegen würde, liegt vorliegend aber nicht vor. Der Patient hatte zuletzt nur Sozialleistungen bezogen und war nach Aktenlage zum Zeitpunkt der Einweisung bei der Klägerin obdachlos ohne festen Wohnsitz. Die Vorstellung, dass er unter diesen Voraussetzungen eine private Krankenversicherung hätte begründen können, erscheint völlig fernliegend (vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt LSG Nordrhein-Westfalen v. 26. März 2015 – L 16 KR 820/12 – juris Rn 45/46).

Der Zinsanspruch folgt aus § 12 Nr. 5 des Vertrages über Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung für das Land Berlin.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
Saved