L 1 KR 85/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 9 KR 400/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 85/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 40/18 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht der Erlass von Beitragsschulden.

Der Kläger war in der Zeit vom 1. Juni 2009 bis 31. August 2010 sowie vom 1. Oktober 2010 bis 28. September 2011 bei der BARMER GEK nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) pflichtversichert. Aus dieser Zeit waren Beitragsrückstände in Höhe von 3.480,08 Euro zuzüglich Säumniszuschläge und Mahngebühren bei der BARMER GEK bzw. BARMER GEK Pflegekasse (nachfolgend nur noch: "die Beklagten") offen. Vor Juni 2009 und im September 2010 war der Kläger als Bezieher von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) pflichtversichert nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V. Die Beklagten führten ihn nahtlos als Pflichtversicherten. Der Kläger stellte und stellt sich auf den Rechtsstandpunkt, Beitragsforderungen für die streitgegenständliche Zeit seien unberechtigt, da er in dieser Zeit keinerlei Einnahmen gehabt habe.

Ein förmlicher Antrag auf Erlass der Schulden des Klägers ist bei den Beklagten nicht registriert. Diese werteten (jedoch) einen Eilantrag an das Sozialgericht Neuruppin (SG) vom 27. November 2015 als Erlassantrag. Sie lehnten einen Erlass mit Bescheid vom 17. Mai 2016 ab. Ein Erlass nach § 256 a SGB V könne nicht erfolgen. Dieser setzte voraus, dass in dem Zeitraum, für welches Beiträge nachzuerheben seien, keine Leistungen in Anspruch genommen wurden, § 256 a Abs. 4 SGB V. Der Kläger habe jedoch im Jahr 2009 Leistungen in Anspruch genommen. Abgesehen davon dürfe nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) ein Versicherungsträger Ansprüche nur dann erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des Einzelfalles unbillig wäre. Die Beklagten hätten zunächst die Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung über einen Verrechnungsantrag abgewartet. Mit Bescheid vom 22. März 2016 habe die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) hierüber entschieden und eine Verrechnung der Rente mit den Beitragsforderungen festgestellt. Da Aussicht auf Zahlung der Beitragsforderung bestehe, sei ein Erlass nicht möglich.

Der Kläger erhob Widerspruch. Er habe keine Leistungen der Krankenkassen ab 1. Juli 2009 erhalten. Mit Schreiben vom 5. Juli 2016 teilten die Beklagten dem Kläger mit, welche (Arzneimittel-)Leistungen er 2009 in Anspruch genommen habe.

Die Beklagten wiesen mit Widerspruchsbescheid vom 12. Oktober 2016 den Widerspruch zurück. Nach § 256 a Abs. 4 SGB V i. V. m. § 3 der einheitlichen Grundsätze zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden seien die für die Zeit seit Beginn der Versicherungspflicht noch nicht gezahlten Beiträge überhaupt nur dann zu erlassen, wenn das Mitglied keine Leistungen in Anspruch genommen habe. Sie könnten auch keine Unbilligkeit im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV erkennen. Sachliche Unbilligkeit scheide aus. Der Kläger sei seinerzeit wegen der Nichtbewilligung von SGB II-Leistungen über die zu entrichtenden Beiträge informiert worden.

Hiergegen hat der Kläger am 28. Oktober 2016 Klage beim SG erhoben. Die Beklagten erhöben Beitragsforderungen für Zeiten, in denen er vollkommen ohne Einkommen habe leben müssen und als chronisch Schwerkranker auf ärztliche Hilfe und Medikamentenversorgung angewiesen gewesen sei. Seine Forderung auf Beitragserlass begründe sich nach wie vor auf den von ihm gestellten Erlassantrag. Er vermute einen zumindest versuchten Betrug zu seinem Nachteil, zumal ihm von seiner Mini-Rente angeblich Beiträge eingezogen würden.

Die BARMER GEK und die Deutsche Betriebskrankenkasse haben sich zum 1. Januar 2017 zur BARMER Ersatzkasse vereinigt.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 27. Januar 2007 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Erlass nach § 256 a SGB V scheitere daran, dass der Kläger im Zeitraum, für den Beiträge gefordert würden, Leistungen in Anspruch genommen habe. Zudem sei ein Erlass auch nur für Beiträge ab Beginn der Versicherungspflicht bis zur Anzeige durch den Versicherten/Mitteilung über den Beginn der Versicherungspflicht möglich. Dem Kläger müsse jedoch bereits während des streitgegenständlichen Zeitraums bewusst gewesen sein, dass er selbst die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zahlen müsse, weil das Jobcenter diese nicht mehr übernommen habe. Es könne auch keine Unbilligkeit nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 SGB IV angenommen werden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers vom 22. Februar 2017.

Die rückständigen Beitragsforderungen samt Zuschlägen und Gebühren sind mittlerweile aufgrund des bestandskräftigen Verrechnungsbescheides der DRV Bund vom 22. März 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Juli 2016 erloschen.

Zur Berufungsbegründung trägt der Kläger vor, die Beklagte fordere Beiträge in Verrechnung mit seiner Altersrente, obwohl er sich in Haft befinde bzw. befunden habe und seine Rente für seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ohne Sozialhilfebezug benötige bzw. benötigt hätte, konkret, um sein Auto behalten zu können, damit ihm dieses als Bleibe hätte dienen können. Auch lägen Gründe vor, wie der Gesetzgeber in § 765 a Zivilprozessordnung definiert habe. Nach wie bestreite die Beklagte, einen rechtzeitigen, form- und fristgerecht gestellten Erlassantrag erhalten zu haben. Sie betreibe Prozessbetrug und habe mit dem Landratsamt O über Jahre darauf hingewirkt, seine Familie in die Pleite zu treiben. Er bestreite auch, dass die Beklagten nach dem 1. Januar 2017 noch Forderungen gegen ihn geltend machen könnten. Eine Änderung des Passivrubrums sei abzulehnen. Die Forderung gegen ihn seien offenkundig erloschen.

Er beantragt der Sache nach,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Neuruppin vom 27. Januar 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Mai 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides 12. Oktober 2016 aufzuheben und die Beklagten zu verpflichten, die Beitragsforderung für die Zeiten vom 1. Juni 2009 bis 31. August 2010 und vom 1. Oktober 2010 bis 28.September 2011 in der Gesamtsumme von 3.822,- Euro zuzüglich Säumniszuschlägen und Mahngebühren in Höhe von 1.062,50 Euro zu erlassen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 17. Mai 2017 den Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit dem Berichterstatter zu entscheiden zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen. Auf die angeführten Bescheide wird ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Es konnte in der Besetzung nach § 153 Abs. 5 SGG entschieden werden. Es liegt ein Fall nach § 105 Abs. 1 SGG vor. Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Der Sachverhalt ist geklärt.

Eine Vertagung hatte nicht zu erfolgen, obgleich in der mündlichen Verhandlung für den Kläger niemand erschienen ist. Die Beteiligten sind nach § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG darauf hingewiesen worden, dass im Falle des Ausbleibens nach Lage der Akten entschieden werden kann. Die Terminsmitteilung zur mündlichen Verhandlung hat den Kläger erreicht, wie sich aus seinem Schriftsatz mit Eingangsdatum 14. Mai 2018 ergibt. Ein Verlegungsantrag ist nicht gestellt worden.

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die vom Kläger im Wege der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) angefochtene Entscheidung der Beklagten vom 17. Mai 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Aus dem Umstand, dass der Kläger nach seinem Vorbringen einen ausdrücklichen Erlassantrag gestellt hat folgt nicht, dass die Beklagten ihn entsprechend positiv zu bescheiden hatten. Vielmehr müssten die Voraussetzungen erfüllt sein Daran scheitert es hier, so dass dahingestellt bleiben kann, ob ein Formantrag vorliegt.

Die spezielle Erlass-Vorschrift des § 256a SGB V ist vorliegend nicht einschlägig. Auf die Zweifel des Senats, ob die Regelungen in den Einheitlichen Grundsätzen zur Beseitigung finanzieller Überforderung bei Beitragsschulden vom 4. September 2013 von der Ermächtigungsnorm des § 256a Abs. 4 SGB V gedeckt sind, welche er im Beschluss vom 30. September 2014 –L 1 KR 331/14 B ER- geäußert hat, kommt es nicht an. Zwar haben sich die Beklagten in ihrem Verrechnungsersuchen der DRV Bund gegenüber vorsorglich auf diese Regelung bezogen, § 256a SGB V setzt jedoch voraus, dass ein Versicherter das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erst nach Eintritt der Versicherungspflicht anzeigt. Ermäßigt bzw. erlassen sollen Beitragsschulden für die Zwischenzeit zwischen dem Beginn und dem Bekanntwerden der Auffangpflichtversicherung. Dem Kläger war der Umstand der Pflichtversicherung bekannt. Er war und ist der Auffassung gewesen, Beiträge seien mangels Einnahmen nicht festzusetzen. Nur ergänzend macht sich der Senat auch die Begründung des SG zu Eigen und verweist auf sie nach § 153 Abs. 2 SGG: Selbst wenn § 256a SGB V grundsätzlich einschlägig wäre, wäre im konkreten Fall der Kläger nicht schutzwürdig. Er wurde nicht im Nachhinein mit der Pflichtversicherung konfrontiert. Er hat Sachleistungen als Versicherter in Anspruch genommen und sich auf den Standpunkt gestellt, Beiträge dürften bei ihm nicht erhoben werden.

Nach § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB IV darf der Versicherungsträger ferner Ansprüche auf Einnahmen nur erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beiträge erstattet oder angerechnet werden. Aufgrund der durch Art. 1 Nr. 149 des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-WSG) vom 26.März 2007 (BGBl I S. 378) eingeführten Regelung des § 271f Abs. 3 SGB V bestimmen die zum 17.02.2010 in Kraft getretenen Beitragserhebungsgrundsätze des GKV-Spitzenverbandes, dass Beitragsansprüche nur erlassen werden dürfen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Der Erlass ist nur zulässig, wenn eine Stundung oder ein Vergleich nicht in Betracht kommt (§ 9 Abs. 1). Grundlage für den Erlass können persönliche oder sachliche Billigkeitsgründe sein. Gründe für den Erlass sind insbesondere dann gegeben, wenn eine Gefährdung des wirtschaftlichen Fortbestehens oder des notwendigen Lebensunterhaltes des Anspruchsgegners besteht (§ 9 Abs. 2).

Eine Unbilligkeit aufgrund sachlicher Härte ist nicht erkennbar. Eine kostenlose Krankenversicherung sieht das Gesetz nicht vor. Bei fehlenden Einnahmen muss Vermögen verwendet werden. Fehlt auch dieses, kann der Grundsicherungsleistungsträger in Anspruch genommen werden. Die Beklagten haben hier zudem nur Mindestbeiträge angesetzt.

Auch eine persönliche Härte lag nicht vor. Wie das aus Sicht der Beklagten erfolgreiche Verrechnungsersuchen gezeigt hat, standen Renteneinnahmen zur Schuldentilgung zur Verfügung. Die DRV Bund hat sich mit den Argumenten des Klägers (Inhaftierung, drohende Sozialhilfebedürftigkeit) auseinandergesetzt. Eine Ermessensentscheidung war danach von den Beklagten nicht zu treffen.

Auf die Begründung des SG wird ergänzend Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung nach § 193 SGG entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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