Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 558/15 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 11/19 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
BSG das Urteil aufgehoben und an das LSG zurückverwiesen
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens Die Revision wird nicht zugelassen. Der Verfahrensstreitwert wird auf 1.021.999,93 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Im Streit ist der Beschluss des Beklagten vom 27. November 2015 über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (Am-RL) durch Ergänzung der Anlage XIII- Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (§ 35a SGB V)- um den Wirkstoff Ivermectin.
Die Klägerin ist die deutsche Tochtergesellschaft eines weltweit tätigen pharmazeutischen Unternehmens und vertrieb seit Juni 2015 das Arzneimittel Soolantra® Creme mit diesem Wirkstoff. Zugelassen ist es in Deutschland seit 29. April 2015 zur topischen Behandlung von entzündlichen Läsionen der (papulopustulösen) Rosazea.
Die Klägerin reichte am 17. Dezember 2015 beim hiesigen Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein, bis zur Vorlage einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren vorläufig festzustellen, dass die mit Beschluss vom 27. November 2015 durch den Beklagter vorgenommene Änderung der Anlage XII der Arzneimittel-Richtlinie zur Nutzenbewertung des Wirkstoffes Ivermectin (Soolantra®) unwirksam ist.
Am 22. Dezember 2015 hat sie die hier streitgegenständliche korrespondierende Klage auf entsprechende Feststellung erhoben.
Sie ist der Auffassung, die Vorgehensweise des Beklagten sei ein offensichtlicher und evidenter Rechtsverstoß, weil es an der Grundvoraussetzung der vorläufigen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V eines neuen Wirkstoffes fehle. Ivermectin sei vor fast 30 Jahren entdeckt worden und diene seither der Behandlung der Krätze (Scabies) und anderer Erkrankungen. In Europa sei 1999 der Wirkstoff 1999 in Frankreich im Arzneimittel Soolantra® zur Behandlung der Krätze zugelassen worden, ferner 2003 als Stromectol® in den Niederlanden. Der evident rechtswidrige Beschluss stelle für sie einen schwerwiegenden Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte Betätigungsfreiheit dar, weil er eine vollständige Preisregulierung zur Folge habe und die Freiheit, den Preis für die eigenen Waren und Leistungen eigenverantwortlich festlegen zu können, zum Kernbereich der Privatautonomie gehöre. Es drohten auch schwerwiegende irreparable wirtschaftliche Nachteile. Die Klägerin sei nämlich gezwungen, aufgrund § 4 Abs. 1 der Rahmenvereinbarung nach § 130b Abs. 9 SGB V zwischen dem GKV-Spitzenverband -GKV-Spitzenverband- und dem Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V., dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V., dem Pro Generika e.V., dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., - Verbände der pharmazeutischen Unternehmer (RahmenV) zur Vereinbarung eines Rabattes gezwungen. Dies habe weitreichende Folgen für den Arzneimittelabsatz in anderen europäischen Ländern, die direkt oder indirekt die Preise nach dem deutschen festlegten ("referenzieren"). Aufgrund der drohenden irreparablen Nachteile bei offensichtlicher Begründetheit sei der Erlass eines sogenannten "Hängebeschlusses" zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes unerlässlich. Ohne einen solchen Beschluss sei die Klägerin bis 25. Dezember 2015 gezwungen, eine Entscheidung über ein Opt out zu treffen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 23. Dezember 2015 den Erlass einer Zwischenverfügung abgelehnt. Art. 19 Abs. 4 GG gebiete es nicht, die begehrte Feststellung vorläufig bis zur Entscheidung über die einstweilige Anordnung selbst auszusprechen. Eine Zwischenverfügung setze immer voraus, dass der Eilantrag selbst nicht bereits offenbar erfolglos bleiben werde. Ein Erfolg des Eilantrages hier scheide unter anderem aus, weil § 35a Abs. 8 SGB V eine gesonderte Klage gegen den Beschluss nach § 35a Abs. 3 SGB V ausschließe und damit auch vorläufigen Rechtsschutz in diesem Zusammenhang. Dies sei mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar, auch wenn das Gesetz nach der Konzeption des in mehrere Phasen gegliederte Nutzenbewertungsverfahrens Rechtsschutz erst auf der letzten Stufe gewähre: Habe der Beklagte einen Zusatznutzen festgestellt und komme keine Vereinbarung nach § 130b Abs. 1 SGB V zustande, sei eine Klage gemäß § 35a Abs. 8 und § 130b Abs. 4 SGB V erst gegen die Entscheidung der Schiedsstelle möglich. Gleiches gelte (vgl. § 130b Abs. 3 SGB V), falls kein Zusatznutzen festgestellt worden sei und das Arzneimittel keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden könne. Werde kein Zusatznutzen festgestellt, das Arzneimittel aber einer (schon bestehenden) Festbetragsgruppe zugeordnet, sei zwar gegen Letzteres eine Klage gemäß § 35 Abs. 7 Satz 4 SGB V ausgeschlossen. Dem pharmazeutischen Unternehmer stehe hingegen die Möglichkeit offen, gegen die im Wege einer Allgemeinverfügung (§ 31 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -SGB X) erlassene Festbetragsfestsetzung Anfechtungsklage zu erheben oder – falls diese bereits bestandskräftig sei – eine Entscheidung nach § 44 SGB X durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu beantragen, ggf. hiergegen ohne Durchführung eines Vorverfahrens (§ 35 Abs. 7 Satz 3 SGB V) zu klagen und dann inzident die Festbetragsgruppenbildung und das Nutzenbewertungsverfahren gerichtlich überprüfen zu lassen. Hierdurch werde einem betroffenen pharmazeutischen Unternehmer gerichtlicher Rechtsschutz zwar zeitlich verlagert gewährt, aber nicht in verfassungswidriger Weise erschwert. Soweit der 7. Senat im Haus es habe dahinstehen lassen, ob angesichts der eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten ausnahmsweise und in Abweichung von § 35a Abs. 8 Satz 1 SGB V der Beschluss des Beklagten über die Nutzenbewertung (§ 35a Abs. 3 Satz 1 SGB V) einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden könne, wenn er sich als willkürlicher und deshalb unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit erweise, verhelfe dies der Klägerin nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Ein solches Verhalten sei nach diesem Urteil denkbar, wenn die einschlägigen Voraussetzungen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu bejahen wären (a. a. O. Rdnr. 56). Willkür scheide im vorliegenden Fall aus, ohne dass sich der Senat festlegen müsse, ob es sich bei Ivermectin um einen neuen Wirkstoff im Sinne des § 35a Abs. 1 S. 1 SGB V in Verbindung mit § 2 Abs. 1 S. 1 Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung (AM-NutzenV) handele. Die dies bejahende Auffassung des Beklagten sei zumindest vertretbar, nicht abwegig oder nur fernliegend und deshalb jedenfalls nicht willkürlich. Nach § 2 Abs. 1 AM-NutzenV seien Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen im Sinne dieser Verordnung, die nach § 1 AM-NutzenV das Nähere zur Nutzenbewertung von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V regele, solche, die Wirkstoffe enthielten, deren Wirkungen bei der erstmaligen Zulassung in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannt seien (S. 1). Ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff im Sinne dieser Verordnung gelte solange als ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff, wie für das erstmalig zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff Unterlagenschutz bestehe (S. 2). Der Beklagte vertrete die Auffassung, dass Zulassung im vorgenannten Sinne nur die Arzneimittelzulassung in Deutschland durch die in Deutschland zuständigen Bundebehörden seien (§ 21 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. Arzneimittelgesetz -AMG) oder wenn die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt habe, §§ 21 Abs. 1 S. 1, 2. Alt, 37 AMG. Nicht ausreichend sei hingegen eine nationale, auf den jeweiligen Staat beschränkte, Zulassung in einzelnen Staaten der EU wie hier in Frankreich und den Niederlanden. Soweit die Klägerin aus § 2 Abs. 1 S. 2 AM-NutzenV ableiten wolle, dass mit Zulassung jede gemeint sein müsse, die ein Arzneimittel in einem EU-Mitgliedsstaat erhalte habe, weil Unterlagenschutz auch für erstmals (national) zugelassene Arzneimittel bestehe und konkret hier für die Arzneimittel mit dem Wirkstoff Ivermectin zur Behandlung der Krätze bestanden habe, erscheine dies zwar recht einleuchtend, aber nicht zwingend. S. 2 des § 2 Abs. 1 AM-NutzenV könne nämlich auch losgelöst von S. 1 gesehen werden, da -wie S. 2 voraussetze- auch ein neues Anwendungsgebiet einen (neuen) Unterlagenschutz begründen könne.
Die Beteiligten haben in der Folgezeit das Eilverfahren für erledigt erklärt.
Die Klägerin und der GKV-Spitzenverband schlossen am 10. Mai 2016 eine Vereinbarung nach § 130b SGB V und vereinbarten einen Erstattungsbetrag für Soolantra®.
Die Klägerin hat erklärt, das hiesige (Hauptsachen-)Verfahren fortsetzen zu wollen. Die zentrale Rechtsfrage sei, ob es sich bei diesem Arzneimittel um ein Arzneimittel handele, das nach den einschlägigen rechtlichen Vorschriften überhaupt dem Nutzenbewertungsverfahren gemäß § 35a Abs. 1 SGB V unterliege. Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB V sei der Beklagte ausschließlich dazu befugt, den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu bewerten. Was und wie lange wiederum ein Wirkstoff als "neu” anzusehen sei, habe das Bundesministerium für Gesundheit aus Gründen der Rechtssicherheit durch Rechtsverordnung legaldefiniert. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 AM-NutzenV gelte ein Arzneimittel mit einem Wirkstoff so lange als ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff, "wie für das erstmalig zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff Unterlagenschutz besteht.” Nach dem europäisch harmonisierten Arzneimittelrecht ende dieser sog. Unterlagenschutz, wenn ein Arzneimittel erstmals vor zehn Jahren in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen worden sei. Es sei zwischen den Parteien unstreitig und von der Klägerin im Einzelnen dargelegt worden, dass der in Soolantra® enthaltene Wirkstoff Ivermectin bereits im Jahr 1999 in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen worden sei, nämlich in dem Arzneimittel Stromectol® in Frankreich. Für das erstmalig zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff Ivermectin bestehe also kein Unterlagenschutz mehr. Damit fehle es gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 AMNutzen-V bei Ivermectin an einem neuen Wirkstoff Der Beklagte habe allerdings außerhalb des § 2 Abs. i Satz 2 AMNutzen-V stehende Neuheitsmerkmale ersonnen, um eine Einbeziehung des streitgegenständlichen Arzneimittels Soolantra® in seine Nutzenbewertung zu rechtfertigen. In der Folge sei einer negativen Nutzenbewertung durch den Beklagten unterzogen und der hieran anknüpfenden Erstattungsbetragsregulierung gemäß § 130b SGB V unterworfen. Die Klägerin habe mit dem GKV-Spitzenverband über einen Erstattungsbetrag für Soolantra® verhandeln müssen. Ein gezieltes Nichtverhandeln hätte zu einem Schiedsverfahren geführt, dessen Ausgang weit weniger kalkulierbar gewesen wäre und erfahrungsgemäß zu höheren Preisabschlägen geführt hätte als eine Verhandlung zwischen den Vertragspartnern. Zur Abwendung eines noch größeren wirtschaftlichen Schadens aufgrund der rechtswidrig ausgelösten Erstattungsbetragsregulierung sei sich die Klägerin daher dazu gezwungen gewesen, in den Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband einen Erstattungsbetrag zu vereinbaren, der zu einem spürbaren Preisnachlass im Vergleich zum Herstellerabgabepreis geführt habe. So sei verhindert worden, dass bei Nichteinigung mit dem GKV-Spitzenverband es im anschließenden Schiedsstellenverfahren möglicherweise zu noch gravierenderen Preiseinbußen. Deshalb fehle es der Klage nicht am Rechtsschutzinteresse. Durch die von der Klägerin beantragte Feststellung würde die rechtliche Grundlage des zwischenzeitlich vereinbarten Erstattungsbetrags entfallen. Denn der Nutzenbewertungsbeschluss des Beklagten in Gestalt der angegriffenen Änderung der Arzneimittel-Richtlinie sei von Gesetzes wegen eine conditio sine qua non für die Erstattungsbetragsvereinbarung. Der Wegfall der Erstattungsbetragsvereinbarung würde bewirken, dass Soolantra® wieder mit dem ursprünglich festgelegten Herstellerabgabepreis verordnungsfähig wäre. Gleichzeitig könnte die Feststellung als Grundlage dafür dienen, etwaige Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten aufgrund der rechtswidrigen Einbeziehung von Soolantra® in die Nutzenbewertung in einem gerichtlichen Annexverfahren durchzusetzen. § 35a Abs. 8 SGB V sei im hiesigen Verfahren nicht anwendbar. Alle Regelungen zum Nutzenbewertungsverfahren nach § 35a SGB V seien mangels Wirkstoffneuheit von vornherein nicht anwendbar. Dies ergebe sich bereits aus der amtlichen Überschrift. Für einen Klageausschuss sei nunmehr aufgrund der zwischenzeitlich von der Klägerin mit dem GKV-Spitzenverband abgeschlossenen Erstattungsbetragsvereinbarung gar kein Raum mehr ist. Aufgrund dieser Vereinbarung sei das Verfahren gemäß § 35a, 130b SGB V zwischenzeitlich abgeschlossen. Der Regelungszweck des § 35a Abs. 8 SGB V einer Verhinderung der Verzögerung einer Preisregulierung durch Erstattungsbetrag gemäß §§ 35a, 130b SGB V sei bereits eingetreten und könne daher nicht mehr als Rechtfertigung für eine Einschränkung des Rechtsschutzes dienen Sollte der Senat dem Antrag der Klägerin folgen, würde damit feststehen, dass die Klägerin und der GKV Spitzenverband nicht dazu verpflichtet gewesen wären, eine entsprechende Vereinbarung abzuschließen. Mehr noch: Als pflichtiger öffentlich-rechtlicher Normvertrag wäre eine solche Vereinbarung ohne gesetzliche Befugnis abgeschlossen worden, was die Unwirksamkeit dieses Vertrags zur Folge hätte. Denn eine Erstattungsbetragsvereinbarung nach § 130b Abs. 1 SGB V könne nach dem Gesetz nur für solche Arzneimittel abgeschlossen werden, die dem Nutzenbewertungsverfahren gemäß § 35a Abs. 1 SGB V unterlägen. In dem Vertrag werde auch an keiner Stelle erklärt, dass auf die klageweise Überprüfung der dem Vertrag zugrundeliegenden Änderung der Arzneimittel-Richtlinie des Beklagten verzichtet werde. Im Gegenteil enthalte die Erstattungsbetragsvereinbarung sogar einen ausdrücklichen Verweis auf den Standpunkt der Klägerin, dass die Nutzenbewertung nicht hätte erfolgen dürfen.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass die mit Beschluss vom 27. November 2015 des Beklagten vorgenommen Änderung der Anlage XII der Arzneimittel-Richtlinie zur Nutzenbewertung des Wirkstoffes Ivermectin (Soolantra®) unwirksam ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage nicht nur aufgrund § 35a Abs. 8 SGB V für unzulässig. Es fehle zudem an einer Entscheidung der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V. Mit dem Abschluss einer Erstattungsvereinbarung nach § 130b Abs. 1 SGB V sei zugleich das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin für die Fortführung des Rechtsstreits im Lichte des Sinn und Zwecks des § 130b Abs. 4 Satz 5 SGB V entfallen. Die Einbeziehung des Arzneimittel Soolantra® in die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V sei zudem weder willkürlich noch unverhältnismäßig. Hilfsweise verteidigt der Beklagte seinen Beschluss in der Sache.
Entscheidungsgründe:
Es konnte im schriftlichen Verfahren entschieden werden, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beteiligten haben sich mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden erklärt.
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ist nach § 86b Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 29 Abs. 4 Nr. 3 SGG zuständig: Für Klagen gegen Entscheidungen nach § 130b Abs. 4 SGB V (letzte Alternative) ist die Zuständigkeit des hiesigen Gerichtes in § 29 Abs. 4 Nr. 3 SGG ausdrücklich vorgesehen. Entsprechendes muss für Klagen gelten, eine solche Entscheidung vorab zu verhindern (so bereits Beschluss des Senats vom 22. Mai 2014 -L 1 KR 108/14 KL ER- juris-Rdnr. 80f). Soweit mit der Klägerin der Anwendungsbereich des § 130b SGB V von vornherein ausgeschlossen sein soll, ist § 29 Abs. 4 Nr. 3 SGG einschlägig, weil das LSG Berlin-Brandenburg auch für Klagen gegen Richtlinien des Beklagten zuständig ist.
Dem Grunde nach ist die Klage als (Normen-)Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs. 4 GG gebietet es, die Feststellungsklage gegen untergesetzliche Rechtsnormen als statthaft zuzulassen, wenn die Normbetroffenen ansonsten keinen effektiven Rechtsschutz erreichen können, etwa weil ihnen nicht zuzumuten ist, Vollzugsakte zur Umsetzung der untergesetzlichen Norm abzuwarten oder die Wirkung der Norm ohne anfechtbare Vollzugsakte eintritt (ständige Rspr. des Bundessozialgerichts - BSG, vgl. BSG, Urt. v. 18. Dezember 2012, Rdnr. 11 mit Rechtsprechungsnachweisen und Bezugnahme auf BVerfGE 115, 81, 92f und 95f; Urt. des Senats vom 16. Januar 2015 – L 1 KR 258/12 KL –, juris-Rdnr. 73). Der Nutzenbewertungsbeschluss gilt nach § 35a Abs. 3 Satz 6 SGB V ausdrücklich als Teil der Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V und stellt damit nach ständiger Rechtsprechung des BSG eine untergesetzliche Rechtsnorm dar (vgl. Hannes in: Hauck/Noftz, SGB, 08/16, § 92 SGB V, Rdnr. 3 mit Nachweisen).
Die Klage ist jedoch nach wie vor unzulässig, weil es § 35a Abs. 8 SGB V ausdrücklich ausschließt, gegen einen Nutzenbewertungsbeschluss des Beklagten direkt vorzugehen. Der Senat kann zur Vermeidung bloßer Wiederholungen auf die Begründung in seinem Beschluss vom 23. Dezember 2015 verweisen. Er sieht keinen Anlass, von seiner Rechtsauffassung abzurücken:
Der nachgelagerte Rechtsschutz ist gewährleistet, indem der pharmazeutische Unternehmen gegen den Schiedsspruch nach § 130b Abs. 4 SGB V gerichtlich vorgehen kann. Inzident wird in diesem Verfahren auch der Nutzenbewertungsbeschluss des Beklagten überprüft. Nach § 130b Abs. 4 SDGB V setzt die Schiedsstelle den Vertragsinhalt nach § 130b Abs. 1 und 3 SGB V fest, wenn auf der Grundlage des Beschlusses des Beklagten über die Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 3 SGB V keine Einigung zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem pharmazeutischen Unternehmer über den Erstattungsbetrag zustande kommt. Diese haben einen Erstattungsbetrag zu vereinbaren, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt, als die nach § 35a Abs. 1 Satz 7 SGB V bestimmte zweckmäßige Vergleichstherapie. Der Schiedsstelle ist für ihren Schiedsspruch zwar eine Entscheidungsprärogative einzuräumen, so dass sich die gerichtliche Kontrolle darauf reduziert, ob die Interessen der am Schiedsverfahren Beteiligten sowie alle für die Abwägung maßgeblichen Umstände ermittelt worden sind, ob die Entscheidung in einem fairen und willkürfreien Verfahren getroffen worden ist. Überprüfbar ist allerdings, ob die materiellen gesetzlichen Vorgaben bei der Entscheidungsfindung beachtet worden sind (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Januar 2018 – L 1 KR 295/14 KL –, juris-Rdnr. 113 mit weiteren Nachweisen). Die materiellen gesetzlichen Vorgaben ergeben sich nach § 130b Abs. 3 SGB V aus dem Beschluss des Beklagten nach § 35a Abs. 3 SGB V aufgrund der gesetzlichen Vorgabe, den Erstattungsbetrag bei fehlendem Zusatznutzen so zu bestimmen, dass keine höheren Jahrestherapiekosten entstehen können als nach der bei der durch den Beigeladenen zu 3) bestimmten zweckmäßigen Vergleichstherapie (Urteil des Senats vom 25. Januar 2018, a. a. O. Rdnr. 118).
Für die gerichtliche Überprüfung dieser materiellen Voraussetzungen gilt nach Auffassung des Senats, dass unter anderem die Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen "erstattungsfähiges Arzneimittel mit neuem Wirkstoff", in § 35a Abs. 1 S. 1 und 2 SGB V f unter Beachtung der Bestimmungen der AM-NutzenV hierzu gerichtlich voll überprüfbar ist (Urteil des Senat vom 25. Januar a. a. O. Rdnr. 141). Ein Mangel des Beschlusses des Beklagten führt zur Rechtswidrigkeit des Schiedsspruches, weil die Schiedsstelle an die Vorgaben des Beklagten gebunden ist. Soweit der klagende pharmazeutische Unternehmen dadurch in seinen Rechten, verletzt ist, weil möglicherweise ein höherer Erstattungsbetrag festzusetzen ist, ist der Schiedsspruch aufzuheben (Urteil vom 25. Januar 2018 a. a. O. Rdnr. 313f).
§ 35a Abs. 8 SGB V kann abschließend auch nicht dadurch umgangen werden, dass sich der pharmazeutische Unternehmer mit dem GKV Spitzenverband über einen Erstattungsbetrag einigt. Die Norm ist auch dann noch beachtlich, wenn das frühzeitige Nutzenbewertungsverfahren abgeschlossen ist. Die Gültigkeit der Regelung ist für die Vertragspartner nicht disponibel. Die Klägerin hat sich freiwillig dazu entschieden, kein Schiedsverfahren durchzuführen zu lassen mit der Möglichkeit anschließender Klage. Sie kann deshalb nicht in ihrem Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG liegen nicht vor.
Der Beschluss über den Streitwert, der nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar ist, folgt aus § 52 Abs. 1, Abs. 3 Gerichtskostengesetz und beruht auf den Darlegungen der Klägerin im Schriftsatz vom 14. Januar 2016 im Eilverfahren.
Tatbestand:
Im Streit ist der Beschluss des Beklagten vom 27. November 2015 über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (Am-RL) durch Ergänzung der Anlage XIII- Beschlüsse über die Nutzenbewertung von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (§ 35a SGB V)- um den Wirkstoff Ivermectin.
Die Klägerin ist die deutsche Tochtergesellschaft eines weltweit tätigen pharmazeutischen Unternehmens und vertrieb seit Juni 2015 das Arzneimittel Soolantra® Creme mit diesem Wirkstoff. Zugelassen ist es in Deutschland seit 29. April 2015 zur topischen Behandlung von entzündlichen Läsionen der (papulopustulösen) Rosazea.
Die Klägerin reichte am 17. Dezember 2015 beim hiesigen Gericht einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein, bis zur Vorlage einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren vorläufig festzustellen, dass die mit Beschluss vom 27. November 2015 durch den Beklagter vorgenommene Änderung der Anlage XII der Arzneimittel-Richtlinie zur Nutzenbewertung des Wirkstoffes Ivermectin (Soolantra®) unwirksam ist.
Am 22. Dezember 2015 hat sie die hier streitgegenständliche korrespondierende Klage auf entsprechende Feststellung erhoben.
Sie ist der Auffassung, die Vorgehensweise des Beklagten sei ein offensichtlicher und evidenter Rechtsverstoß, weil es an der Grundvoraussetzung der vorläufigen Nutzenbewertung nach § 35a SGB V eines neuen Wirkstoffes fehle. Ivermectin sei vor fast 30 Jahren entdeckt worden und diene seither der Behandlung der Krätze (Scabies) und anderer Erkrankungen. In Europa sei 1999 der Wirkstoff 1999 in Frankreich im Arzneimittel Soolantra® zur Behandlung der Krätze zugelassen worden, ferner 2003 als Stromectol® in den Niederlanden. Der evident rechtswidrige Beschluss stelle für sie einen schwerwiegenden Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte Betätigungsfreiheit dar, weil er eine vollständige Preisregulierung zur Folge habe und die Freiheit, den Preis für die eigenen Waren und Leistungen eigenverantwortlich festlegen zu können, zum Kernbereich der Privatautonomie gehöre. Es drohten auch schwerwiegende irreparable wirtschaftliche Nachteile. Die Klägerin sei nämlich gezwungen, aufgrund § 4 Abs. 1 der Rahmenvereinbarung nach § 130b Abs. 9 SGB V zwischen dem GKV-Spitzenverband -GKV-Spitzenverband- und dem Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller e.V., dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V., dem Pro Generika e.V., dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V., - Verbände der pharmazeutischen Unternehmer (RahmenV) zur Vereinbarung eines Rabattes gezwungen. Dies habe weitreichende Folgen für den Arzneimittelabsatz in anderen europäischen Ländern, die direkt oder indirekt die Preise nach dem deutschen festlegten ("referenzieren"). Aufgrund der drohenden irreparablen Nachteile bei offensichtlicher Begründetheit sei der Erlass eines sogenannten "Hängebeschlusses" zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes unerlässlich. Ohne einen solchen Beschluss sei die Klägerin bis 25. Dezember 2015 gezwungen, eine Entscheidung über ein Opt out zu treffen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 23. Dezember 2015 den Erlass einer Zwischenverfügung abgelehnt. Art. 19 Abs. 4 GG gebiete es nicht, die begehrte Feststellung vorläufig bis zur Entscheidung über die einstweilige Anordnung selbst auszusprechen. Eine Zwischenverfügung setze immer voraus, dass der Eilantrag selbst nicht bereits offenbar erfolglos bleiben werde. Ein Erfolg des Eilantrages hier scheide unter anderem aus, weil § 35a Abs. 8 SGB V eine gesonderte Klage gegen den Beschluss nach § 35a Abs. 3 SGB V ausschließe und damit auch vorläufigen Rechtsschutz in diesem Zusammenhang. Dies sei mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar, auch wenn das Gesetz nach der Konzeption des in mehrere Phasen gegliederte Nutzenbewertungsverfahrens Rechtsschutz erst auf der letzten Stufe gewähre: Habe der Beklagte einen Zusatznutzen festgestellt und komme keine Vereinbarung nach § 130b Abs. 1 SGB V zustande, sei eine Klage gemäß § 35a Abs. 8 und § 130b Abs. 4 SGB V erst gegen die Entscheidung der Schiedsstelle möglich. Gleiches gelte (vgl. § 130b Abs. 3 SGB V), falls kein Zusatznutzen festgestellt worden sei und das Arzneimittel keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden könne. Werde kein Zusatznutzen festgestellt, das Arzneimittel aber einer (schon bestehenden) Festbetragsgruppe zugeordnet, sei zwar gegen Letzteres eine Klage gemäß § 35 Abs. 7 Satz 4 SGB V ausgeschlossen. Dem pharmazeutischen Unternehmer stehe hingegen die Möglichkeit offen, gegen die im Wege einer Allgemeinverfügung (§ 31 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch -SGB X) erlassene Festbetragsfestsetzung Anfechtungsklage zu erheben oder – falls diese bereits bestandskräftig sei – eine Entscheidung nach § 44 SGB X durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu beantragen, ggf. hiergegen ohne Durchführung eines Vorverfahrens (§ 35 Abs. 7 Satz 3 SGB V) zu klagen und dann inzident die Festbetragsgruppenbildung und das Nutzenbewertungsverfahren gerichtlich überprüfen zu lassen. Hierdurch werde einem betroffenen pharmazeutischen Unternehmer gerichtlicher Rechtsschutz zwar zeitlich verlagert gewährt, aber nicht in verfassungswidriger Weise erschwert. Soweit der 7. Senat im Haus es habe dahinstehen lassen, ob angesichts der eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten ausnahmsweise und in Abweichung von § 35a Abs. 8 Satz 1 SGB V der Beschluss des Beklagten über die Nutzenbewertung (§ 35a Abs. 3 Satz 1 SGB V) einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden könne, wenn er sich als willkürlicher und deshalb unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit erweise, verhelfe dies der Klägerin nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Ein solches Verhalten sei nach diesem Urteil denkbar, wenn die einschlägigen Voraussetzungen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu bejahen wären (a. a. O. Rdnr. 56). Willkür scheide im vorliegenden Fall aus, ohne dass sich der Senat festlegen müsse, ob es sich bei Ivermectin um einen neuen Wirkstoff im Sinne des § 35a Abs. 1 S. 1 SGB V in Verbindung mit § 2 Abs. 1 S. 1 Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung (AM-NutzenV) handele. Die dies bejahende Auffassung des Beklagten sei zumindest vertretbar, nicht abwegig oder nur fernliegend und deshalb jedenfalls nicht willkürlich. Nach § 2 Abs. 1 AM-NutzenV seien Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen im Sinne dieser Verordnung, die nach § 1 AM-NutzenV das Nähere zur Nutzenbewertung von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach § 35a SGB V regele, solche, die Wirkstoffe enthielten, deren Wirkungen bei der erstmaligen Zulassung in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannt seien (S. 1). Ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff im Sinne dieser Verordnung gelte solange als ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff, wie für das erstmalig zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff Unterlagenschutz bestehe (S. 2). Der Beklagte vertrete die Auffassung, dass Zulassung im vorgenannten Sinne nur die Arzneimittelzulassung in Deutschland durch die in Deutschland zuständigen Bundebehörden seien (§ 21 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. Arzneimittelgesetz -AMG) oder wenn die Europäische Gemeinschaft oder die Europäische Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt habe, §§ 21 Abs. 1 S. 1, 2. Alt, 37 AMG. Nicht ausreichend sei hingegen eine nationale, auf den jeweiligen Staat beschränkte, Zulassung in einzelnen Staaten der EU wie hier in Frankreich und den Niederlanden. Soweit die Klägerin aus § 2 Abs. 1 S. 2 AM-NutzenV ableiten wolle, dass mit Zulassung jede gemeint sein müsse, die ein Arzneimittel in einem EU-Mitgliedsstaat erhalte habe, weil Unterlagenschutz auch für erstmals (national) zugelassene Arzneimittel bestehe und konkret hier für die Arzneimittel mit dem Wirkstoff Ivermectin zur Behandlung der Krätze bestanden habe, erscheine dies zwar recht einleuchtend, aber nicht zwingend. S. 2 des § 2 Abs. 1 AM-NutzenV könne nämlich auch losgelöst von S. 1 gesehen werden, da -wie S. 2 voraussetze- auch ein neues Anwendungsgebiet einen (neuen) Unterlagenschutz begründen könne.
Die Beteiligten haben in der Folgezeit das Eilverfahren für erledigt erklärt.
Die Klägerin und der GKV-Spitzenverband schlossen am 10. Mai 2016 eine Vereinbarung nach § 130b SGB V und vereinbarten einen Erstattungsbetrag für Soolantra®.
Die Klägerin hat erklärt, das hiesige (Hauptsachen-)Verfahren fortsetzen zu wollen. Die zentrale Rechtsfrage sei, ob es sich bei diesem Arzneimittel um ein Arzneimittel handele, das nach den einschlägigen rechtlichen Vorschriften überhaupt dem Nutzenbewertungsverfahren gemäß § 35a Abs. 1 SGB V unterliege. Nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB V sei der Beklagte ausschließlich dazu befugt, den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen zu bewerten. Was und wie lange wiederum ein Wirkstoff als "neu” anzusehen sei, habe das Bundesministerium für Gesundheit aus Gründen der Rechtssicherheit durch Rechtsverordnung legaldefiniert. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 AM-NutzenV gelte ein Arzneimittel mit einem Wirkstoff so lange als ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff, "wie für das erstmalig zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff Unterlagenschutz besteht.” Nach dem europäisch harmonisierten Arzneimittelrecht ende dieser sog. Unterlagenschutz, wenn ein Arzneimittel erstmals vor zehn Jahren in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen worden sei. Es sei zwischen den Parteien unstreitig und von der Klägerin im Einzelnen dargelegt worden, dass der in Soolantra® enthaltene Wirkstoff Ivermectin bereits im Jahr 1999 in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen worden sei, nämlich in dem Arzneimittel Stromectol® in Frankreich. Für das erstmalig zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff Ivermectin bestehe also kein Unterlagenschutz mehr. Damit fehle es gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 AMNutzen-V bei Ivermectin an einem neuen Wirkstoff Der Beklagte habe allerdings außerhalb des § 2 Abs. i Satz 2 AMNutzen-V stehende Neuheitsmerkmale ersonnen, um eine Einbeziehung des streitgegenständlichen Arzneimittels Soolantra® in seine Nutzenbewertung zu rechtfertigen. In der Folge sei einer negativen Nutzenbewertung durch den Beklagten unterzogen und der hieran anknüpfenden Erstattungsbetragsregulierung gemäß § 130b SGB V unterworfen. Die Klägerin habe mit dem GKV-Spitzenverband über einen Erstattungsbetrag für Soolantra® verhandeln müssen. Ein gezieltes Nichtverhandeln hätte zu einem Schiedsverfahren geführt, dessen Ausgang weit weniger kalkulierbar gewesen wäre und erfahrungsgemäß zu höheren Preisabschlägen geführt hätte als eine Verhandlung zwischen den Vertragspartnern. Zur Abwendung eines noch größeren wirtschaftlichen Schadens aufgrund der rechtswidrig ausgelösten Erstattungsbetragsregulierung sei sich die Klägerin daher dazu gezwungen gewesen, in den Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband einen Erstattungsbetrag zu vereinbaren, der zu einem spürbaren Preisnachlass im Vergleich zum Herstellerabgabepreis geführt habe. So sei verhindert worden, dass bei Nichteinigung mit dem GKV-Spitzenverband es im anschließenden Schiedsstellenverfahren möglicherweise zu noch gravierenderen Preiseinbußen. Deshalb fehle es der Klage nicht am Rechtsschutzinteresse. Durch die von der Klägerin beantragte Feststellung würde die rechtliche Grundlage des zwischenzeitlich vereinbarten Erstattungsbetrags entfallen. Denn der Nutzenbewertungsbeschluss des Beklagten in Gestalt der angegriffenen Änderung der Arzneimittel-Richtlinie sei von Gesetzes wegen eine conditio sine qua non für die Erstattungsbetragsvereinbarung. Der Wegfall der Erstattungsbetragsvereinbarung würde bewirken, dass Soolantra® wieder mit dem ursprünglich festgelegten Herstellerabgabepreis verordnungsfähig wäre. Gleichzeitig könnte die Feststellung als Grundlage dafür dienen, etwaige Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten aufgrund der rechtswidrigen Einbeziehung von Soolantra® in die Nutzenbewertung in einem gerichtlichen Annexverfahren durchzusetzen. § 35a Abs. 8 SGB V sei im hiesigen Verfahren nicht anwendbar. Alle Regelungen zum Nutzenbewertungsverfahren nach § 35a SGB V seien mangels Wirkstoffneuheit von vornherein nicht anwendbar. Dies ergebe sich bereits aus der amtlichen Überschrift. Für einen Klageausschuss sei nunmehr aufgrund der zwischenzeitlich von der Klägerin mit dem GKV-Spitzenverband abgeschlossenen Erstattungsbetragsvereinbarung gar kein Raum mehr ist. Aufgrund dieser Vereinbarung sei das Verfahren gemäß § 35a, 130b SGB V zwischenzeitlich abgeschlossen. Der Regelungszweck des § 35a Abs. 8 SGB V einer Verhinderung der Verzögerung einer Preisregulierung durch Erstattungsbetrag gemäß §§ 35a, 130b SGB V sei bereits eingetreten und könne daher nicht mehr als Rechtfertigung für eine Einschränkung des Rechtsschutzes dienen Sollte der Senat dem Antrag der Klägerin folgen, würde damit feststehen, dass die Klägerin und der GKV Spitzenverband nicht dazu verpflichtet gewesen wären, eine entsprechende Vereinbarung abzuschließen. Mehr noch: Als pflichtiger öffentlich-rechtlicher Normvertrag wäre eine solche Vereinbarung ohne gesetzliche Befugnis abgeschlossen worden, was die Unwirksamkeit dieses Vertrags zur Folge hätte. Denn eine Erstattungsbetragsvereinbarung nach § 130b Abs. 1 SGB V könne nach dem Gesetz nur für solche Arzneimittel abgeschlossen werden, die dem Nutzenbewertungsverfahren gemäß § 35a Abs. 1 SGB V unterlägen. In dem Vertrag werde auch an keiner Stelle erklärt, dass auf die klageweise Überprüfung der dem Vertrag zugrundeliegenden Änderung der Arzneimittel-Richtlinie des Beklagten verzichtet werde. Im Gegenteil enthalte die Erstattungsbetragsvereinbarung sogar einen ausdrücklichen Verweis auf den Standpunkt der Klägerin, dass die Nutzenbewertung nicht hätte erfolgen dürfen.
Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass die mit Beschluss vom 27. November 2015 des Beklagten vorgenommen Änderung der Anlage XII der Arzneimittel-Richtlinie zur Nutzenbewertung des Wirkstoffes Ivermectin (Soolantra®) unwirksam ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage nicht nur aufgrund § 35a Abs. 8 SGB V für unzulässig. Es fehle zudem an einer Entscheidung der Schiedsstelle nach § 130b Abs. 5 SGB V. Mit dem Abschluss einer Erstattungsvereinbarung nach § 130b Abs. 1 SGB V sei zugleich das Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin für die Fortführung des Rechtsstreits im Lichte des Sinn und Zwecks des § 130b Abs. 4 Satz 5 SGB V entfallen. Die Einbeziehung des Arzneimittel Soolantra® in die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V sei zudem weder willkürlich noch unverhältnismäßig. Hilfsweise verteidigt der Beklagte seinen Beschluss in der Sache.
Entscheidungsgründe:
Es konnte im schriftlichen Verfahren entschieden werden, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beteiligten haben sich mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden erklärt.
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg ist nach § 86b Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 29 Abs. 4 Nr. 3 SGG zuständig: Für Klagen gegen Entscheidungen nach § 130b Abs. 4 SGB V (letzte Alternative) ist die Zuständigkeit des hiesigen Gerichtes in § 29 Abs. 4 Nr. 3 SGG ausdrücklich vorgesehen. Entsprechendes muss für Klagen gelten, eine solche Entscheidung vorab zu verhindern (so bereits Beschluss des Senats vom 22. Mai 2014 -L 1 KR 108/14 KL ER- juris-Rdnr. 80f). Soweit mit der Klägerin der Anwendungsbereich des § 130b SGB V von vornherein ausgeschlossen sein soll, ist § 29 Abs. 4 Nr. 3 SGG einschlägig, weil das LSG Berlin-Brandenburg auch für Klagen gegen Richtlinien des Beklagten zuständig ist.
Dem Grunde nach ist die Klage als (Normen-)Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs. 4 GG gebietet es, die Feststellungsklage gegen untergesetzliche Rechtsnormen als statthaft zuzulassen, wenn die Normbetroffenen ansonsten keinen effektiven Rechtsschutz erreichen können, etwa weil ihnen nicht zuzumuten ist, Vollzugsakte zur Umsetzung der untergesetzlichen Norm abzuwarten oder die Wirkung der Norm ohne anfechtbare Vollzugsakte eintritt (ständige Rspr. des Bundessozialgerichts - BSG, vgl. BSG, Urt. v. 18. Dezember 2012, Rdnr. 11 mit Rechtsprechungsnachweisen und Bezugnahme auf BVerfGE 115, 81, 92f und 95f; Urt. des Senats vom 16. Januar 2015 – L 1 KR 258/12 KL –, juris-Rdnr. 73). Der Nutzenbewertungsbeschluss gilt nach § 35a Abs. 3 Satz 6 SGB V ausdrücklich als Teil der Richtlinie nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V und stellt damit nach ständiger Rechtsprechung des BSG eine untergesetzliche Rechtsnorm dar (vgl. Hannes in: Hauck/Noftz, SGB, 08/16, § 92 SGB V, Rdnr. 3 mit Nachweisen).
Die Klage ist jedoch nach wie vor unzulässig, weil es § 35a Abs. 8 SGB V ausdrücklich ausschließt, gegen einen Nutzenbewertungsbeschluss des Beklagten direkt vorzugehen. Der Senat kann zur Vermeidung bloßer Wiederholungen auf die Begründung in seinem Beschluss vom 23. Dezember 2015 verweisen. Er sieht keinen Anlass, von seiner Rechtsauffassung abzurücken:
Der nachgelagerte Rechtsschutz ist gewährleistet, indem der pharmazeutische Unternehmen gegen den Schiedsspruch nach § 130b Abs. 4 SGB V gerichtlich vorgehen kann. Inzident wird in diesem Verfahren auch der Nutzenbewertungsbeschluss des Beklagten überprüft. Nach § 130b Abs. 4 SDGB V setzt die Schiedsstelle den Vertragsinhalt nach § 130b Abs. 1 und 3 SGB V fest, wenn auf der Grundlage des Beschlusses des Beklagten über die Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 3 SGB V keine Einigung zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem pharmazeutischen Unternehmer über den Erstattungsbetrag zustande kommt. Diese haben einen Erstattungsbetrag zu vereinbaren, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt, als die nach § 35a Abs. 1 Satz 7 SGB V bestimmte zweckmäßige Vergleichstherapie. Der Schiedsstelle ist für ihren Schiedsspruch zwar eine Entscheidungsprärogative einzuräumen, so dass sich die gerichtliche Kontrolle darauf reduziert, ob die Interessen der am Schiedsverfahren Beteiligten sowie alle für die Abwägung maßgeblichen Umstände ermittelt worden sind, ob die Entscheidung in einem fairen und willkürfreien Verfahren getroffen worden ist. Überprüfbar ist allerdings, ob die materiellen gesetzlichen Vorgaben bei der Entscheidungsfindung beachtet worden sind (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Januar 2018 – L 1 KR 295/14 KL –, juris-Rdnr. 113 mit weiteren Nachweisen). Die materiellen gesetzlichen Vorgaben ergeben sich nach § 130b Abs. 3 SGB V aus dem Beschluss des Beklagten nach § 35a Abs. 3 SGB V aufgrund der gesetzlichen Vorgabe, den Erstattungsbetrag bei fehlendem Zusatznutzen so zu bestimmen, dass keine höheren Jahrestherapiekosten entstehen können als nach der bei der durch den Beigeladenen zu 3) bestimmten zweckmäßigen Vergleichstherapie (Urteil des Senats vom 25. Januar 2018, a. a. O. Rdnr. 118).
Für die gerichtliche Überprüfung dieser materiellen Voraussetzungen gilt nach Auffassung des Senats, dass unter anderem die Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen "erstattungsfähiges Arzneimittel mit neuem Wirkstoff", in § 35a Abs. 1 S. 1 und 2 SGB V f unter Beachtung der Bestimmungen der AM-NutzenV hierzu gerichtlich voll überprüfbar ist (Urteil des Senat vom 25. Januar a. a. O. Rdnr. 141). Ein Mangel des Beschlusses des Beklagten führt zur Rechtswidrigkeit des Schiedsspruches, weil die Schiedsstelle an die Vorgaben des Beklagten gebunden ist. Soweit der klagende pharmazeutische Unternehmen dadurch in seinen Rechten, verletzt ist, weil möglicherweise ein höherer Erstattungsbetrag festzusetzen ist, ist der Schiedsspruch aufzuheben (Urteil vom 25. Januar 2018 a. a. O. Rdnr. 313f).
§ 35a Abs. 8 SGB V kann abschließend auch nicht dadurch umgangen werden, dass sich der pharmazeutische Unternehmer mit dem GKV Spitzenverband über einen Erstattungsbetrag einigt. Die Norm ist auch dann noch beachtlich, wenn das frühzeitige Nutzenbewertungsverfahren abgeschlossen ist. Die Gültigkeit der Regelung ist für die Vertragspartner nicht disponibel. Die Klägerin hat sich freiwillig dazu entschieden, kein Schiedsverfahren durchzuführen zu lassen mit der Möglichkeit anschließender Klage. Sie kann deshalb nicht in ihrem Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG liegen nicht vor.
Der Beschluss über den Streitwert, der nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar ist, folgt aus § 52 Abs. 1, Abs. 3 Gerichtskostengesetz und beruht auf den Darlegungen der Klägerin im Schriftsatz vom 14. Januar 2016 im Eilverfahren.
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