L 1 KR 38/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 KR 1912/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 38/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 3/19 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Urteil des LSG damit aufgehoben. Es wird an das Landgericht Berlin verwiesen.

Urteil des LSG damit aufgehoben. Es wird an das Landgericht Berlin verwiesen.

Urteil des LSG aufgehoben; Zurückverweisung an das Sozialgericht Berlin
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin hat 1. Dezember 2016 eine umfangreiche Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) eingereicht. Im Schriftsatz vom 1. Februar 2017 hat sie ihr Begehren dahingehend präzisiert ("ganz konkretes Klagebegehren: Seite 4"): "Zum Klagebegehren sind die Nichtherausgabe- u. Weiterleitung der Prozessakten zu Gz.: -17 O 111/93 ( ...) an die L/Mn ( ) Urkundenmanipulation ( ) zu regulieren, z. B. Versorgungsausgleich- etc. Hinsichtlich der oktroyierten-Opferpositionen, eine rund-um-die-Uhr Betreuung unabdinglich sind die ( ) MDK-Bewertungen sowie-des LAGesO- und OEG-insgesamt plus ( ) –OP-Sache zu korrigieren u. regulieren." Das SG hat zunächst mit Beschluss vom 5. September 2017 (Az. S 17 R 3317/16) diverse Ansprüche zu Verhandlung in getrennten Prozessen abgetrennt, darunter den Streit um die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge und etwaige Behandlungsfehler betreffend Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz, einen Feststellungsantrag nach dem Schwerbehindertenrecht, Ansprüche betreffend Pflegesachleistungen, die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge sowie Ansprüche im Zusammenhang mit etwaigen Behandlungsfehlern abgetrennt. Es hat die Klägerin dann im hiesigen abgetrennten Teil mit Verfügung vom 25. September 2017 aufgefordert anzugeben, welche konkrete Begehren gegenüber der Barmer als Krankenkasse durchgesetzt werden sollen und ob es Begehren hinsichtlich der Barmer als Pflegekasse gebe. Die Antworten der Klägerin hat es zum Anlass genommen, am 16. November 2017 einen förmlichen Hinweis zu erteilen, dass die Klage nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspreche. Auf das Schreiben einschließlich der dort enthaltenen Zitate aus den Schriftsätzen der Klägerin wird Bezug genommen. Die Klägerin hat mit Schriftsätzen vom 21. November 2017 und vom 18. Dezember 2017 mitgeteilt, sie begehre Richtigstellungen und finanzielle Entschädigungen, so hinsichtlich einer fehlerbehafteten Dentalbehandlung, falsche medikamentöse und sonstige Behandlung (wohl ihrer verstorbenen Mutter), fehlerhafte Krankenhausbehandlung (gynäkologische Operation). Ihr seien zudem durch die fehlerhafte Pflegestufen-Einstufung ihrer Mutter und deren Falschbehandlung hohe Kosten entstanden (Schriftsatz vom 31. Januar 2018 zum Klageanliegen gegen die Barmer-GEK-Hauptverwaltung incl. MDK etc.)

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 7. Februar 2018 abgewiesen. Diese sei bereits unzulässig, weil das Klagebegehren nicht innerhalb der nach § 92 Abs. 2 S. 2 SGG gesetzten Frist hinreichend konkret und nachvollziehbar bezeichnet worden sei. Zur Begründung hat es ausgeführt, den neueren Schriftsätzen lasse sich zwar im Groben entnehmen, dass für verschiedene, teilweise weit in der Vergangenheit liegenden Sachverhalte – teils wohl die Mutter betreffend –Entschädigungen begehrt werde. Am ehestens handele es sich um die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen. Eine Verweisung an das ausschließlich zuständige Landgericht sei mangels Konkretheit des Begehrens nicht angezeigt. Was die Klägerin ferner mit Richtigstellungen meine, sei unklar.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin. Zur Begründung hat sie neben dem Begehren in der "Zahnsache", dem Parkinson-Syndrom und der OP wegen einer angeblichen Krebsdiagnose unter anderem ausgeführt, die Beklagte wolle sie ins Chronikerprogramm (hinein)manipulieren (Schriftsatz vom 2. März 2018). Gegen letzteres anzugehen sei das Hauptanliegen der Klage (Schriftsatz vom 13. April 2018). Die Versicherten würden so manipuliert und letztlich finanziell ausgebeutet. Resistenzminderungen durch künstlich herbeigeführte medizinische Eingriffe seien Gesundheitsstörungen, die Schädigungsfolgen bis zum Tode herbei riefen. Die Gutachterbewertungen seien unzutreffend. Spitze des Eisbergs sei nicht die rückblickend nicht zwingende Operation am 10. Juli 2014, sondern die falsche Morbus-Parkinson-Behandlung. Sie beziehe sich ferner auf die Versorgungsmedizinverordnung bzw. die versorgungsmedizinischen Grundsätze. Unter deren Voraussetzungen sei hier das Für und Wider mit besonderer Sorgfalt abzuwägen. Ihr Begehren habe sie von Anfang an geltend gemacht. Die Beklagte sei sehr wohl sachgerecht vorbereitet gewesen, was es angehe, "Patienten" ins Chroniker-Programm zu "manövrieren". Auch eine Hallux-OP habe ihr Schaden zugefügt. Ihre Ansprüche seien weder verjährt noch von der Beklagten bislang zur Kenntnis genommen worden. Es stehe die personelle Besetzung dieser gesetzlichen Krankenkasse in Frage. Der Antrag laute auf Richtigstellungen der Sachlagen. Die Beschädigungen hätten bei ihr mindestens Ausgaben von 60.000 EUR zur Folge gehabt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen an sie 60.000 EUR Schadensersatz für die gesamten Vorgänge zu zahlen. Gegebenenfalls soll der Rechtsstreit an das für Amtshaftungsansprüche zuständige Landgericht verwiesen werden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält eine etwaige Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz für (SGG) nicht möglich.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte in der Besetzung durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern gemäß § 153 Abs. 5 SGG entscheiden. Der Rechtsstreit weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf (§ 105 Abs. 1 Satz 1 SGG). Das Urteil konnte ferner im schriftlichen Verfahren §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ergehen. Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat die Klage im angegriffenen Gerichtsbescheid im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat jedenfalls nunmehr nach entsprechendem Hinweis durch den Senat ein bestimmtes Klagebegehren formuliert. Sie begehrt aufgrund von ihr behaupteten aus ihrer Sicht kausalen rechtswidrig schädigenden Handlungen der Beklagten in der Vergangenheit Schadensersatz aufgrund Amtshaftung nach § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i. V. m. Art. 34 Grundgesetz (GG). Die Klägerin ist nicht präkludiert, weil das SG die Klage nach § 92 Abs. 2 S. 2 SGG als unzulässig abgewiesen hat, nachdem es zuvor eine Frist zur Nachbesserung gestellt hatte. Die Fristsetzung mit ausschließender Wirkung nach dieser Vorschrift steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Hier war eine solche Vorgehensweise nicht angezeigt. Vor einer präkludierenden Fristsetzung ist das Gericht verpflichtet, eine am Einzelfall orientierte, sachgerechte und begründete Entscheidung zu treffen, die etwa das Vorhandensein oder Fehlen anwaltlicher Vertretung oder die intellektuellen Möglichkeiten des unvertretenen Klägers berücksichtigt (Föllmer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 92 SGG, Rdnr. 61 mit Bezugnahme auf BT-Drs. 16/7716, S. 18; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 28.01.2010 - L 10 U 4843/09 - juris Rdnr. 13). Eine Fristsetzung soll nur erfolgen, wenn das Gericht die fehlenden Angaben nicht auf andere Weise - insbesondere durch Auslegung des bisherigen Vorbringens und der vorliegenden Unterlagen - feststellen kann. Ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist eine solche Vorgehensweise grundsätzlich nur in wenigen Fällen sinnvoll (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, 12. Aufl. 2017, SGG § 92 Rdnr.18 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Deutschen Richterbunds, BT-Ausschuss-Drs. 16(11)910 S. 44). Im vorliegenden Fall war bereits aus der Fristsetzung vor wie nachgehenden Schriftsätzen der Klägerin ersichtlich, dass diese einen ganz eigentümlichen und schwer verständlichen Schreibstil pflegt und sich teilweise nur in eigenen Begrifflichkeiten ausdrücken kann oder will. Der Kern ihres Begehrens, finanzielle Entschädigung zu erlangen, nachdem die aus ihrer Sicht richtig zu stellenden Sachverhalte manipulativen Verhaltens der Beklagten geklärt worden seien, konnte bereits dem erstinstanzlichen Begehren entnommen werden. Eine Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG ist nicht angezeigt. Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Eine Verweisung des Rechtsstreit an das an sich nach Art. 34 GG, § 71 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), § 32 Zivilprozessordung sachlich und örtlich zuständige Landgericht Berlin scheidet aufgrund der Regelung des § 17a Abs. 5 GVG aus. Danach prüft das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Die Norm ist spezieller als § 17 Abs. 2 S. 2 GVG und gilt deshalb auch, wenn ein Klagebegehren unter dem Gesichtspunkt der Amtshaftung zu überprüfen ist (Bundessozialgericht –BSG-, Urt. v. 20. Mai 2003 –B 1 KR 7/03 R- juris- Rdnr. 12 unter Bezugnahme auf Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 14. Dezember 1998 -5 AS 8/98). Art. 34 S. 3 GG verbietet nur, den ordentlichen Rechtsweg von vornherein auszuschließen.

Der Senat hat über eine Hauptsache im Sinne des § 17a Abs. 5 GVG zu entscheiden, obwohl das SG die Klage im angefochtenen Gerichtsbescheid als unzulässig abgewiesen hat: Nach dem Zweck dieser Vorschrift soll sich das Rechtsmittelgericht nur dann mit der Frage des Rechtswegs befassen, wenn auch die Entscheidung der Vorinstanz ausschließlich darauf beruht. Hat die erste Instanz den Rechtsweg demgegenüber auch nur sinngemäß bejaht, soll der Rechtsstreit von der Rechtswegfrage in allen höheren Instanzen entlastet bleiben. Das erstinstanzliche Gericht trifft nur dann keine Entscheidung in der Hauptsache im Sinne dieser Bestimmung, wenn sie die Unzulässigkeit der Klage mit der fehlenden Rechtswegzuständigkeit begründet (BSG, a. a. O. Rdnr. 11 mit weiteren Nachweisen).

Hier hat das SG die Klage als nach § 92 Abs. 2 S. 2 GG unzulässig abgewiesen und dabei ausdrücklich das Begehren auch im Hinblick auf etwaige Amtshaftungsansprüche mit der Folge einer Verweisung als zu unbestimmt angesehen. Es hat sich dabei auch nicht über eine Zuständigkeitsrüge hinweggesetzt.

Die Klage kann allerdings in der Sache keinen Erfolg haben. Einen entsprechenden Hinweis ist der Klägerin zuletzt im Verfügungsschreiben vom 4. Oktober 2018 erteilt worden. Ein Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB setzt die Verletzung einer Amtspflicht als der Pflicht zu rechtmäßigem Verwaltungshandeln unter Vermeidung unerlaubter Handlungen durch die für die Beklagten in amtlicher Funktion Handelnden voraus.

Es gibt jedoch keinen objektiven Anhaltspunkt für das von der Klägerin angenommen manipulative Verhalten: Die Beklagte als Krankenkasse hat weder die Klägerin selbst noch ihre Mutter behandelt. Sie ist weder für etwaige Fehldiagnosen noch für etwaige fehlerhafte Therapien verantwortlich. Dies gilt auch für die Stellungnahme der MDK-Ärzte. Es ist –ohne dass Anlass für nähere Ermittlungen veranlasst sind- auch auszuschließen, dass die Beklagte die Klägerin "artefakt ins Chroniker-Programm manipuliert" hat. Soweit sich Krankenkassen dem Vorwurf ausgesetzt gesehen haben, auf die Diagnosedaten Einfluss zu nehmen, um sich Vorteile beim Risikostrukturausgleich zu verschaffen (vgl. näher:; Tätigkeitsbericht des Bundesversicherungsamt 2017 S. 12 f und 100, (https://www.bundesversicherungsamt.de/fileadmin/redaktion/allgemeine dokumente/2018BVA Jahresbericht2017 web.pdf), geht es bereits ganz allgemein nicht um medizinisch fehlerhaftes therapeutisches Vorgehen. Auch fehlen jegliche Anhaltspunkte für konkrete Bezüge zur Klägerin. Diese sieht sich offenbar krankheitsbedingt Schädigungen durch die Beklagte ausgesetzt.

Die Kostenentscheidung erfolgt in entsprechender Anwendung des § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved