Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
25
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 216 AS 4444/17 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 25 AS 1435/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB XII aF führt nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII. In diesem Zusammenhang ist in der Rechtsprechung des BSG geklärt, dass eine Ermessensreduktion in Betracht kommt, wenn und weil sich der Aufenthalt von EU-Ausländern nach Ablauf von sechs Monaten tatsächlichem Aufenthalt in Deutschland, der von der Ausländerbehörde faktisch geduldet wird, so verfestigt hat, dass die Erbringung existenzsichernder Leistungen nur im Einzelfall nach Ermessen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Juni 2019 geändert. Der Beigeladene wird verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 19. Februar 2013 bis zum 31. Mai 2013 Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von monatlich 382,- Euro zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beigeladene hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten für den gesamten Rechtsstreit zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), hilfsweise nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für den Zeitraum vom 19. Februar 2013 bis 31. Mai 2013.
Die 1962 geborene Klägerin ist spanische Staatsangehörige, hält sich seit dem 29. September 2011 in Deutschland auf, hatte im streitigen Zeitraum weder Einkommen noch Vermögen und auch keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung und beantragte erstmals am 13. Dezember 2011 Arbeitslosengeld II (Alg II) bei dem Beklagten. Mit Bescheid vom 5. Januar 2012 bewilligte der Beklagte der Klägerin Alg II für den Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 31. Mai 2012, hob diesen Bescheid aber mit weiterem Bescheid vom 26. März 2012 mit Wirkung ab dem 1. April 2012 auf.
Am 21. März 2012 schlossen Klägerin und Beklagter eine bis zum 28. September 2012 gültige Eingliederungsvereinbarung mit den Zielen "Aufnahme einer Tätigkeit jenseits des 1. Arbeitsmarktes" und "Erwerb von deutschen Sprachkenntnissen", nachdem sie schon am 3. Januar 2012 eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Ziel "Erwerb von deutschen Sprachkenntnissen" abgeschlossen hatten.
Vom 13. Februar 2012 bis zum 31. März 2012 war die Klägerin abhängig beschäftigt und erzielte ein Arbeitsentgelt in Höhe von 90,67 Euro im Februar und 160,- Euro im März. Nach einer kurzen Tätigkeit im April 2012 nahm die Klägerin zum 1. Juni 2012 ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auf, das zum 18. August 2012 durch Kündigung des Arbeitgebers endete. Sie erzielte Bruttolöhne in Höhe von 1.209,- Euro im Juni, 1.238,25 Euro im Juli und 633,75 Euro im August. Ab dem 21. Dezember 2012 bis 30. Juli 2013 besuchte die Klägerin einen Deutschkurs.
Am 27. Dezember 2012 beantragte die Klägerin abermals Alg II bei dem Beklagten. Mit Bescheid vom 1. Februar 2013 bewilligte der Beklagte der Klägerin Alg II für den Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 18. Februar 2013. Eine zeitlich weitergehende Bewilligung lehnte er ab, weil der nachwirkende Arbeitnehmerstatus ausgehend von der Kündigung zum 18. August 2012 nach einem halben Jahr, also zum 18. Februar 2013, ende. Den gegen die Befristung der Bewilligung gerichteten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2013 zurück. Ab dem 19. Februar 2013 sei die Klägerin nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen, die Klägerin halte sich ab diesem Zeitpunkt ausschließlich zur Arbeitsuche in Deutschland auf.
Hiergegen hat die Klägerin am 15. März 2013 Klage erhoben.
Zwischenzeitlich hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 4. März 2013 den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, der Klägerin vorläufig ab dem 19. Februar 2013 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31. Mai 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 382,- Euro zu gewähren (S 87 AS 4237/13 ER). Auf die hiergegen erhobene Beschwerde des Antragsgegners hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg den Beschluss des Sozialgerichts durch Beschluss vom 14. März 2013 insoweit aufgehoben, als die Bewilligung über 354,- Euro monatlich hinausgegangen ist (L 18 AS 572/13 B ER).
Der Beklagte hat daraufhin der Klägerin mit Bescheid vom 20. März 2013 vorläufig Alg II in Höhe von monatlich 354,- Euro für den von dem Sozialgericht tenorierten Zeitraum bewilligt.
Nach Beiladung des Sozialhilfeträgers hat das Sozialgericht die Klage durch Urteil vom 28. Juni 2019 abgewiesen. Dem Anspruch auf Alg II stehe § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegen, da sich die Klägerin im streitigen Zeitraum nur zur Arbeitsuche in Deutschland aufgehalten habe. Der Leistungsausschluss hinsichtlich Sozialhilfe ergebe sich aus § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII.
Gegen das ihr am 2. Juli 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29. Juli 2019 Berufung eingelegt, mit der sie Leistungen für den eingangs genannten Zeitraum geltend gemacht hat. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei verfassungswidrig. Jedenfalls ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), dass die Klägerin einen Anspruch auf Sozialhilfe habe.
Die Klägerin beantragt schriftlich und sinngemäß,
unter entsprechender Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 28. Juni 2019 und des Bescheides des Beklagten vom 1. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2013 den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 19. Februar 2013 bis zum 31. Mai 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 383,- Euro zu gewähren,
hilfsweise,
den Beigeladenen zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 19. Februar 2013 bis zum 31. Mai 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII in Höhe von monatlich 383,- Euro zu gewähren.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Auch er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zudem sei nicht ersichtlich, ob sich die Klägerin hinreichend um Arbeit bemüht habe. Der bloße Zeitablauf von sechs Monaten führe zu keinem verfestigten Aufenthalt. Vielmehr sei eine mindestens sechsmonatige erfolglose Arbeitsuche vorauszusetzen. Dass eine solche hier vorliege, sei nicht ersichtlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 SGG i. V. m. § 155 Abs. 4 und Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Berufung hat entsprechend dem Hilfsantrag weit überwiegend Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts ist insoweit unzutreffend. Die zulässige Klage ist im Sinne des Hilfsantrages begründet. Für den streitigen Zeitraum ist als anderer leistungspflichtiger Träger nach § 75 Abs. 2 Alt. 2, Abs. 5 SGG der Beigeladene als Sozialhilfeträger zu verurteilen, der Klägerin Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.
Einen Anspruch gegen den Beklagten hat die Klägerin nicht. Sie hat sich im streitigen Zeitraum ausschließlich zur Arbeitsuche in Deutschland aufgehalten und ist daher – bei im Übrigen ohne Frage vorliegenden Anspruchsvoraussetzungen – gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der hier anzuwendenden Fassung (aF) von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Soweit die Klägerin zwischenzeitlich als Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen ist, ist der nachgehende Arbeitnehmerschutz nach § 2 Abs. 3 Satz 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU jedenfalls mit Beginn des hier streitigen Zeitraums erloschen gewesen. Dahinstehen kann, ob es hier an einer Bestätigung der zuständigen Bundesagentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit im Sinne einer konstitutiven Bedingung (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 13. Juli 2017 - B 4 AS 17/16 R – juris) gefehlt hat, denn ein Fehlen beträfe nur den hier nicht streitigen Zeitraum bis einschließlich 18. Februar 2013.
Die Klägerin hat aber gegen den Beigeladenen einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den §§ 27 SGB XII ff. aF. Sie ist zum einen nicht nach Deutschland eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB XII aF). Vom Leistungsausschluss namentlich des § 23 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB XII aF ist sie nicht erfasst, weil die Klägerin Spanierin und Spanien Mitglied des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) ist. Soweit das BSG entschieden hat, die Anwendung des Gleichbehandlungsgebots des Artikels 1 EFA erfordere, dass sich der Betroffene im streitigen Zeitraum erlaubt im Sinne des Artikels 11 EFA in Deutschland aufgehalten habe, steht dies dem Anspruch hier nicht entgegen, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum eine materielle Freizügigkeitsberechtigung als EU-Ausländerin zur Arbeitsuche hatte (BSG, Urteil vom 9. August 2018 - B 14 AS 32/17 R – juris).
Aber selbst wenn man die Anwendbarkeit des EFA hier verneinen wollte, führte der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB XII aF nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (BSG, Urteil vom 9. August 2018 - B 14 AS 32/17 R – juris). In diesem Zusammenhang ist in der Rechtsprechung des BSG geklärt, dass eine Ermessensreduktion in Betracht kommt, wenn und weil sich der Aufenthalt von EU-Ausländern nach Ablauf von sechs Monaten tatsächlichem Aufenthalt in Deutschland, der von der Ausländerbehörde faktisch geduldet wird, so verfestigt hat, dass die Erbringung existenzsichernder Leistungen nur im Einzelfall nach Ermessen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt. Eine solche Verfestigung des tatsächlichen Aufenthalts der Klägerin in Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten seit ihrer Einreise liegt hier vor. Die Klägerin ist seit dem 29. September 2011 in Deutschland gemeldet. Sie hat erstmals am 13. Dezember 2011 und auch am 27. Dezember 2012 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende beantragt. Sie hat 2012 rund vier Monate, teilweise sozialversicherungspflichtig, gearbeitet und besuchte seit Dezember 2012 einen Deutschkurs. Schließlich schlossen sie und der Beklagte die im Tatbestand wiedergegebenen Eingliederungsvereinbarungen ab. Bei dieser Sachlage liegt kein Fall vor, in dem sich der Aufenthalt der Klägerin trotz Ablaufs von sechs Monaten entgegen dem Regelfall nicht verfestigt hat; auch liegt kein Fall vor, in dem sich die Klägerin nur noch absehbar kurzzeitig in Deutschland aufhielt (vgl. BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 - B 14 AS 35/15 R – juris). Daher ist das Ermessen des Beigeladenen dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert.
Inwieweit der Rechtsprechung etwa des 31. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (vgl. etwa Urteil vom 30. November 2017 - L 31 AS 1431/16 ZVW – juris) grundsätzlich zu folgen ist, muss hier nicht geklärt werden. In seiner Entscheidung hatte der 31. Senat einen verfestigten Aufenthalt des dortigen Klägers verneint und insoweit ausgeführt, nachweisbar auf Arbeitsuche sei der Kläger erst ab Antragstellung beim Beklagten gewesen; ein früherer Kontakt zum Arbeitsmarkt in Deutschland sei vom Kläger weder behauptet worden noch aus den Unterlagen sonst ersichtlich. Der Kläger habe erst recht keine Erwerbstätigkeit während seines Aufenthalts in Deutschland aufgenommen. Der vom 31. Senat zu entscheidende Fall unterscheidet sich mithin maßgeblich von dem vorliegenden Fall.
So beschränkt sich der erkennende Senat auf die Feststellung, dass die Rechtsprechung des BSG es eher nicht nahe legen dürfte, von einem verfestigten Aufenthalt erst nach sechs Monaten der Arbeitsuche auszugehen. Denn im Fall der Arbeitsuche dürften jedenfalls Angehörige von EFA-Staaten ohnehin auch ohne verfestigten Aufenthalt einen Anspruch auf Sozialhilfe haben (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2019 - B 14 AS 31/18 R – juris). Im Übrigen sprechen gegen diese Betrachtungsweise auch die nicht auf eine etwaige Arbeitsuche abstellenden Ausführungen des BSG, wonach nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts das Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland bewirkt werde (vgl. Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R – juris). Dass im Übrigen die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des 31. Senats durch das BSG als unzulässig verworfen worden ist (Beschluss vom 4. Juli 2018 - B 14 AS 19/18 B – juris), dürfte einerseits den Besonderheiten des Beschwerderechts zuzuschreiben sein (der dortige Kläger hatte die zur Beschwerdebegründung angeführten Zulassungsgründe nicht gemäß § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG schlüssig dargelegt), andererseits aber auch daran liegen, dass der 31. Senat bereits die Hilfebedürftigkeit des dortigen Klägers verneint hatte, so dass es auf die hier skizzierten Rechtsfragen dort nicht angekommen war.
Keinen Erfolg hat die Berufung – außer soweit sie sich gegen den Beklagten richtet -, soweit Leistungen in Höhe von mehr als 382,- Euro monatlich geltend gemacht werden, weil im Jahr 2013 nur in dieser Höhe der Alleinstehendenregelbedarf bestand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil hierfür Gründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Streitig sind Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), hilfsweise nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für den Zeitraum vom 19. Februar 2013 bis 31. Mai 2013.
Die 1962 geborene Klägerin ist spanische Staatsangehörige, hält sich seit dem 29. September 2011 in Deutschland auf, hatte im streitigen Zeitraum weder Einkommen noch Vermögen und auch keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung und beantragte erstmals am 13. Dezember 2011 Arbeitslosengeld II (Alg II) bei dem Beklagten. Mit Bescheid vom 5. Januar 2012 bewilligte der Beklagte der Klägerin Alg II für den Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis 31. Mai 2012, hob diesen Bescheid aber mit weiterem Bescheid vom 26. März 2012 mit Wirkung ab dem 1. April 2012 auf.
Am 21. März 2012 schlossen Klägerin und Beklagter eine bis zum 28. September 2012 gültige Eingliederungsvereinbarung mit den Zielen "Aufnahme einer Tätigkeit jenseits des 1. Arbeitsmarktes" und "Erwerb von deutschen Sprachkenntnissen", nachdem sie schon am 3. Januar 2012 eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Ziel "Erwerb von deutschen Sprachkenntnissen" abgeschlossen hatten.
Vom 13. Februar 2012 bis zum 31. März 2012 war die Klägerin abhängig beschäftigt und erzielte ein Arbeitsentgelt in Höhe von 90,67 Euro im Februar und 160,- Euro im März. Nach einer kurzen Tätigkeit im April 2012 nahm die Klägerin zum 1. Juni 2012 ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis auf, das zum 18. August 2012 durch Kündigung des Arbeitgebers endete. Sie erzielte Bruttolöhne in Höhe von 1.209,- Euro im Juni, 1.238,25 Euro im Juli und 633,75 Euro im August. Ab dem 21. Dezember 2012 bis 30. Juli 2013 besuchte die Klägerin einen Deutschkurs.
Am 27. Dezember 2012 beantragte die Klägerin abermals Alg II bei dem Beklagten. Mit Bescheid vom 1. Februar 2013 bewilligte der Beklagte der Klägerin Alg II für den Zeitraum vom 1. Dezember 2012 bis 18. Februar 2013. Eine zeitlich weitergehende Bewilligung lehnte er ab, weil der nachwirkende Arbeitnehmerstatus ausgehend von der Kündigung zum 18. August 2012 nach einem halben Jahr, also zum 18. Februar 2013, ende. Den gegen die Befristung der Bewilligung gerichteten Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2013 zurück. Ab dem 19. Februar 2013 sei die Klägerin nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen, die Klägerin halte sich ab diesem Zeitpunkt ausschließlich zur Arbeitsuche in Deutschland auf.
Hiergegen hat die Klägerin am 15. März 2013 Klage erhoben.
Zwischenzeitlich hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 4. März 2013 den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung dazu verpflichtet, der Klägerin vorläufig ab dem 19. Februar 2013 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31. Mai 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 382,- Euro zu gewähren (S 87 AS 4237/13 ER). Auf die hiergegen erhobene Beschwerde des Antragsgegners hat das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg den Beschluss des Sozialgerichts durch Beschluss vom 14. März 2013 insoweit aufgehoben, als die Bewilligung über 354,- Euro monatlich hinausgegangen ist (L 18 AS 572/13 B ER).
Der Beklagte hat daraufhin der Klägerin mit Bescheid vom 20. März 2013 vorläufig Alg II in Höhe von monatlich 354,- Euro für den von dem Sozialgericht tenorierten Zeitraum bewilligt.
Nach Beiladung des Sozialhilfeträgers hat das Sozialgericht die Klage durch Urteil vom 28. Juni 2019 abgewiesen. Dem Anspruch auf Alg II stehe § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegen, da sich die Klägerin im streitigen Zeitraum nur zur Arbeitsuche in Deutschland aufgehalten habe. Der Leistungsausschluss hinsichtlich Sozialhilfe ergebe sich aus § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII.
Gegen das ihr am 2. Juli 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 29. Juli 2019 Berufung eingelegt, mit der sie Leistungen für den eingangs genannten Zeitraum geltend gemacht hat. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sei verfassungswidrig. Jedenfalls ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), dass die Klägerin einen Anspruch auf Sozialhilfe habe.
Die Klägerin beantragt schriftlich und sinngemäß,
unter entsprechender Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 28. Juni 2019 und des Bescheides des Beklagten vom 1. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 2013 den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 19. Februar 2013 bis zum 31. Mai 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 383,- Euro zu gewähren,
hilfsweise,
den Beigeladenen zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 19. Februar 2013 bis zum 31. Mai 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII in Höhe von monatlich 383,- Euro zu gewähren.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Auch er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zudem sei nicht ersichtlich, ob sich die Klägerin hinreichend um Arbeit bemüht habe. Der bloße Zeitablauf von sechs Monaten führe zu keinem verfestigten Aufenthalt. Vielmehr sei eine mindestens sechsmonatige erfolglose Arbeitsuche vorauszusetzen. Dass eine solche hier vorliege, sei nicht ersichtlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten zu dieser Entscheidungsform ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 SGG i. V. m. § 155 Abs. 4 und Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Die Berufung hat entsprechend dem Hilfsantrag weit überwiegend Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts ist insoweit unzutreffend. Die zulässige Klage ist im Sinne des Hilfsantrages begründet. Für den streitigen Zeitraum ist als anderer leistungspflichtiger Träger nach § 75 Abs. 2 Alt. 2, Abs. 5 SGG der Beigeladene als Sozialhilfeträger zu verurteilen, der Klägerin Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.
Einen Anspruch gegen den Beklagten hat die Klägerin nicht. Sie hat sich im streitigen Zeitraum ausschließlich zur Arbeitsuche in Deutschland aufgehalten und ist daher – bei im Übrigen ohne Frage vorliegenden Anspruchsvoraussetzungen – gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der hier anzuwendenden Fassung (aF) von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Soweit die Klägerin zwischenzeitlich als Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen ist, ist der nachgehende Arbeitnehmerschutz nach § 2 Abs. 3 Satz 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU jedenfalls mit Beginn des hier streitigen Zeitraums erloschen gewesen. Dahinstehen kann, ob es hier an einer Bestätigung der zuständigen Bundesagentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit im Sinne einer konstitutiven Bedingung (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 13. Juli 2017 - B 4 AS 17/16 R – juris) gefehlt hat, denn ein Fehlen beträfe nur den hier nicht streitigen Zeitraum bis einschließlich 18. Februar 2013.
Die Klägerin hat aber gegen den Beigeladenen einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach den §§ 27 SGB XII ff. aF. Sie ist zum einen nicht nach Deutschland eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB XII aF). Vom Leistungsausschluss namentlich des § 23 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB XII aF ist sie nicht erfasst, weil die Klägerin Spanierin und Spanien Mitglied des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) ist. Soweit das BSG entschieden hat, die Anwendung des Gleichbehandlungsgebots des Artikels 1 EFA erfordere, dass sich der Betroffene im streitigen Zeitraum erlaubt im Sinne des Artikels 11 EFA in Deutschland aufgehalten habe, steht dies dem Anspruch hier nicht entgegen, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum eine materielle Freizügigkeitsberechtigung als EU-Ausländerin zur Arbeitsuche hatte (BSG, Urteil vom 9. August 2018 - B 14 AS 32/17 R – juris).
Aber selbst wenn man die Anwendbarkeit des EFA hier verneinen wollte, führte der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB XII aF nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (BSG, Urteil vom 9. August 2018 - B 14 AS 32/17 R – juris). In diesem Zusammenhang ist in der Rechtsprechung des BSG geklärt, dass eine Ermessensreduktion in Betracht kommt, wenn und weil sich der Aufenthalt von EU-Ausländern nach Ablauf von sechs Monaten tatsächlichem Aufenthalt in Deutschland, der von der Ausländerbehörde faktisch geduldet wird, so verfestigt hat, dass die Erbringung existenzsichernder Leistungen nur im Einzelfall nach Ermessen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt. Eine solche Verfestigung des tatsächlichen Aufenthalts der Klägerin in Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten seit ihrer Einreise liegt hier vor. Die Klägerin ist seit dem 29. September 2011 in Deutschland gemeldet. Sie hat erstmals am 13. Dezember 2011 und auch am 27. Dezember 2012 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende beantragt. Sie hat 2012 rund vier Monate, teilweise sozialversicherungspflichtig, gearbeitet und besuchte seit Dezember 2012 einen Deutschkurs. Schließlich schlossen sie und der Beklagte die im Tatbestand wiedergegebenen Eingliederungsvereinbarungen ab. Bei dieser Sachlage liegt kein Fall vor, in dem sich der Aufenthalt der Klägerin trotz Ablaufs von sechs Monaten entgegen dem Regelfall nicht verfestigt hat; auch liegt kein Fall vor, in dem sich die Klägerin nur noch absehbar kurzzeitig in Deutschland aufhielt (vgl. BSG, Urteil vom 20. Januar 2016 - B 14 AS 35/15 R – juris). Daher ist das Ermessen des Beigeladenen dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert.
Inwieweit der Rechtsprechung etwa des 31. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (vgl. etwa Urteil vom 30. November 2017 - L 31 AS 1431/16 ZVW – juris) grundsätzlich zu folgen ist, muss hier nicht geklärt werden. In seiner Entscheidung hatte der 31. Senat einen verfestigten Aufenthalt des dortigen Klägers verneint und insoweit ausgeführt, nachweisbar auf Arbeitsuche sei der Kläger erst ab Antragstellung beim Beklagten gewesen; ein früherer Kontakt zum Arbeitsmarkt in Deutschland sei vom Kläger weder behauptet worden noch aus den Unterlagen sonst ersichtlich. Der Kläger habe erst recht keine Erwerbstätigkeit während seines Aufenthalts in Deutschland aufgenommen. Der vom 31. Senat zu entscheidende Fall unterscheidet sich mithin maßgeblich von dem vorliegenden Fall.
So beschränkt sich der erkennende Senat auf die Feststellung, dass die Rechtsprechung des BSG es eher nicht nahe legen dürfte, von einem verfestigten Aufenthalt erst nach sechs Monaten der Arbeitsuche auszugehen. Denn im Fall der Arbeitsuche dürften jedenfalls Angehörige von EFA-Staaten ohnehin auch ohne verfestigten Aufenthalt einen Anspruch auf Sozialhilfe haben (vgl. BSG, Urteil vom 21. März 2019 - B 14 AS 31/18 R – juris). Im Übrigen sprechen gegen diese Betrachtungsweise auch die nicht auf eine etwaige Arbeitsuche abstellenden Ausführungen des BSG, wonach nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts das Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland bewirkt werde (vgl. Urteil vom 3. Dezember 2015 - B 4 AS 44/15 R – juris). Dass im Übrigen die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des 31. Senats durch das BSG als unzulässig verworfen worden ist (Beschluss vom 4. Juli 2018 - B 14 AS 19/18 B – juris), dürfte einerseits den Besonderheiten des Beschwerderechts zuzuschreiben sein (der dortige Kläger hatte die zur Beschwerdebegründung angeführten Zulassungsgründe nicht gemäß § 160a Abs. 2 Satz 3 SGG schlüssig dargelegt), andererseits aber auch daran liegen, dass der 31. Senat bereits die Hilfebedürftigkeit des dortigen Klägers verneint hatte, so dass es auf die hier skizzierten Rechtsfragen dort nicht angekommen war.
Keinen Erfolg hat die Berufung – außer soweit sie sich gegen den Beklagten richtet -, soweit Leistungen in Höhe von mehr als 382,- Euro monatlich geltend gemacht werden, weil im Jahr 2013 nur in dieser Höhe der Alleinstehendenregelbedarf bestand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil hierfür Gründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
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