L 15 SO 274/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 195 SO 3349/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 SO 274/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 9/20 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Klage eines Leistungsträgers auf Feststellung der Zuständigkeit eines anderen ist infolge Subsidiarität unzulässig.

2. Die örtliche Zuständigkeit des Trägers der Sozialhilfe bzw. der Eingliederungshilfe bestimmt sich jedenfalls bei erwachsenen hilfebedürftigen Personen, die bereits am 31. Dezember 2019 Eingliederungshilfe in Form der Familienpflege (= in und durch eine „Pflegefamilie“) erhalten hatten, nach ihrem tatsächlichem Aufenthalt. Diese Hilfeform stellt keine ambulant betreute Wohnmöglichkeit dar.

Bemerkung

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 13. Februar 2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte für die Zeit bis zum 31. Dezember 2019 518 597,85 Euro zu erstatten hat.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. September 2016 insoweit aufgehoben, als darin festgestellt worden ist, dass der Beklagte die Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege künftig in eigener Zuständigkeit zu leisten hat. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger die Erstattung von Aufwendungen, die ihm durch die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung bzw. des Teils 2 des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (SGB IX) in der ab 1. Januar 2020 geltenden Fassung sowie von Hilfen zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII an den leistungsberechtigten W (im Folgenden: Leistungsberechtigter) entstanden sind, und eine Feststellung zur Leistungszuständigkeit des Beklagten beanspruchen kann.

Bei dem am 5. Juni 1992 im Zuständigkeitsbereich des Klägers geborenen und bis Anfang 1993 dort bei seiner leiblichen Mutter wohnenden bzw. "Bereitschaftspflegefamilien" zugewiesenen Leistungsberechtigten besteht von Geburt an eine dauernde geistige Behinderung in Gestalt einer schwergradigen Intelligenzminderung, eines Down-Syndroms und einer Hypothyreose. Seit Februar 1993 sind bei ihm nach dem Recht der Teilhabe ein Grad der Behinderung von 100 und die Voraussetzungen für die Merkzeichen B, G und H festgestellt.

Seit Januar 1993 lebt der Leistungsberechtigte in einer Pflegefamilie im Kreisgebiet des Beklagten, der durch sein Jugendamt bis zum Eintritt der Volljährigkeit Hilfen zur Erziehung in Vollzeitpflege gewährte. Die Pflegemutter ist seit 1994 Betreuerin des Leistungsberechtigten in sämtlichen Angelegenheiten. Seit 1994 trägt der Leistungsberechtigte den Familiennamen der Pflegefamilie. Am 29. März 2010 beantragte der Leistungsberechtigte beim Beklagten, ihm – der Sache nach für die Zeit ab Volljährigkeit – für die weitere Betreuung in der Pflegefamilie Hilfen nach den Bestimmungen der Sozialhilfe zu gewähren.

Der Beklagte leitete den Antrag mit einem am 9. April 2010 dort eingegangenen Anschreiben an den Kläger weiter. Er bezog sich auf § 14 Abs. 1 SGB IX und machte geltend, dass der Kläger nach § 98 Abs. 5 i.V. mit § 107 SGB XII örtlich zuständig sei. Vor Eintritt in die Familienpflege habe der Leistungsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Klägers gehabt.

Der Kläger sandte den Antrag mit Anschreiben vom 14. April 2010 an den Beklagten zurück und vertrat die Auffassung, dass § 14 Abs. 1 SGB IX auf die örtliche Zuständigkeit nicht anwendbar sei. Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten sei ab Eintritt der Volljährigkeit des Leistungsberechtigten begründet, weil ab dann der tatsächliche Wohnort maßgeblich sei.

Der Beklagte entgegnete mit Schreiben vom 23. April 2010, dass er die Auffassung des Klägers zum Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 SGB IX nicht teile und der Leistungsberechtigte erst am 5. Juni 2010 volljährig werde. Der Kläger sei aufgefordert, über den Antrag zu entscheiden. Der Kläger erwiderte darauf mit Schreiben vom 4. Mai 2010 und verteidigte seine Auffassung. Der Träger der Sozialhilfe werde ohnehin erst ab dem Zeitpunkt der Volljährigkeit des Leistungsberechtigten für die geltend gemachten Leistungen zuständig, die zuvor nach dem Jugendhilferecht zu erbringen seien. Der Beklagte strebe die Regelung eines künftigen Zustandes an. Die ihm vom Beklagten zugeleiteten Antragsunterlagen fügte er erneut bei.

Unterdessen hatte der Leistungsberechtigte beim Kläger am 26. April 2010 ebenfalls Eingliederungshilfe beantragt. Der Kläger setzte ihn mit Schreiben vom 5. Mai 2010 von seiner gegenüber dem Beklagten vertretenen Rechtsauffassung zur örtlichen Zuständigkeit in Kenntnis.

In einem vom Leistungsberechtigten daraufhin angestrengten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wurde dann der Kläger (erstinstanzlich noch: der Beklagte) verpflichtet, dem Hilfeberechtigen ab dem 5. Juni 2010 bis zum 30. September 2010 Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII in Form von Familienpflegeleistungen durch seine gesetzliche Betreuerin zu gewähren, der Beklagte dazu, dem Hilfeberechtigten ab dem selben Tag Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (im Folgenden: Grundsicherung) nach dem Vierten Kapitel des SGB XII zu gewähren. Die Zuständigkeit des Klägers für Leistungen der Eingliederungshilfe begründe sich durch § 14 Abs. 1 SGB IX, der auch für die örtliche Zuständigkeit gelte (Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts [LSG] vom 6. Juli 2010 - L 9 SO 100/10 B ER / L 9 SO 100/10 B ER PKH -, Vorinstanz Sozialgericht [SG] Schleswig, Beschluss vom 1. Juni 2010 - S 15 SO 15/10 ER -).

Während des laufenden gerichtlichen Verfahrens leitete der Beklagte einen weiteren Antrag des Leistungsberechtigten vom 10. Juni 2010 - gerichtet auf Übernahme der Kosten für eine Ferienbetreuung als Leistung der Eingliederungshilfe im Juli 2010 - am 14. Juni 2010 an den Kläger weiter.

Der Beklagte gewährte dem Leistungsberechtigten daraufhin Leistungen der Grundsicherung, der Kläger solche der Eingliederungshilfe auch über das Ende des gerichtlich ausgesprochenen Verpflichtungszeitraums hinaus. Unabhängig davon stellte der Leistungsberechtigte beim Kläger weitere Leistungsanträge. Aufgrund dessen kam es zur durchgehenden Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Gestalt einer Familienpflege als Vollzeitpflege für die Zeit ab 6. Juni 2010 und der Übernahme der Kosten für die Beschäftigung und Betreuung im Förderbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen für die Zeit ab 1. Dezember 2010, außerdem von Hilfe zur Pflege während einer Ferienbetreuung im Juli 2010 (die Gewährung der Leistung als Eingliederungshilfe war zugleich durch gesonderten Bescheid mit der Begründung abgelehnt worden, es handle sich um eine Hilfe zur Pflege), während einer Ferienbetreuung im Juli 2011 und als Kurzzeitpflege im Oktober 2012 während der Verhinderung der Betreuerin.

Betreffend die Familienpflege schloss der Kläger mit dem durch seine Betreuerin vertretenen Leistungsberechtigten und der Betreuerin selbst als "veranwortliche Betreuungsperson" - nach Lage der Akten zweimal, jeweils befristet - Verträge "über Leistungen nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX i. V. m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Familienpflege", erstmals am 19. Oktober 2010 rückwirkend ab 6. Juni 2010 bis zum 31. Dezember 2010 und dann für die Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2012. In dem ersten Vertrag heißt es unter Nr. 1 ("Vertragsparteien") unter anderem, die Beteiligten seien sich darüber einig, dass der Leistungsberechtigte ab dem 6. Juni 2010 weiterhin im Haushalt der Betreuerin verbleibe "und von dieser im Rahmen der Familienpflege gem. § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX i.V. m. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII versorgt, betreut und gefördert" werde. Unter Nr. 2 ("Vertragsinhalt") beider Verträge heißt es, dass die Durchführung der Familienpflege "der Gewährleistung einer dem Wohl des behinderten Menschen entsprechenden Betreuung und Förderung in einer anderen Familie als eine zeitlich befristete oder auf Dauer angelegte Lebensform zur Verselbständigung" diene und nach Maßgabe der im Gesamtplan festgelegten Zielsetzungen, Vereinbarungen und Vorgaben erfolge. Leistungen und Pflichten der Betreuungsperson einerseits und des Klägers andererseits wurden in Nr. 3 und 4 der Verträge aufgezählt. Als Voraussetzung für die Eignung der Betreuungsperson wurde unter anderem genannt, dass sie über ausreichenden Wohnraum verfügt (Nr. 3.2 der Verträge). Zur Abgeltung der Betreuungsleistung verpflichtete sich der Kläger zur Zahlung eines monatlichen, nicht nach Einzelposten aufgegliederten Betrags (Nr. 4.1).

Mit Schreiben vom 21. Oktober 2010 forderte der Kläger den Beklagten auf, die von ihm zwischenzeitlich "gemäß § 14 SGB IX" bewilligten Leistungen der Eingliederungshilfe zu erstatten und den Hilfefall zum 1. Januar 2011 zu übernehmen. Er wiederholte seine Auffassung, dass die örtliche Zuständigkeit des Beklagten für Leistungen der Sozialhilfe ab Eintritt der Volljährigkeit des Leistungsberechtigten gegeben sei. Der Beklagte hielt an seiner Auffassung fest. Bei den dem Leistungsberechtigten zukommenden Leistungen der Eingliederungshilfe handele es sich um solche für ambulant betreutes Wohnen, was zur örtlichen Zuständigkeit des Klägers führe.

Nach weiterem Schriftwechsel zwischen dem Kläger und dem Beklagten, in denen beide ihren jeweiligen Rechtsstandpunkt zur örtlichen Zuständigkeit aufrecht hielten, und einer weiteren Anmeldung zur Kostenerstattung des Klägers (vom 29. November 2011), die der Beklagte ablehnte (Schreiben vom 24. Januar 2012), hat der Kläger am 17. Dezember 2013 vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben, mit der er vom Beklagten die Erstattung seiner Aufwendungen für die in der Zeit ab 6. Juni 2010 bis laufend erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege sowie die Klärung der künftigen Leistungszuständigkeit in seinem Sinne geltend gemacht hat. Die Höhe der Aufwendungen für die Zeit vom 6. Juni 2010 bis zum 31. Dezember 2013 hat er mit 194.478,17 EUR beziffert, davon anteilig für die Ferienbetreuungen 2.726,72 EUR und für die Verhinderungspflege 1.609,23 EUR. Zur Begründung der Klage hat er seine Auffassung wiederholt und vertieft, dass der Beklagte sachlich und örtlich für die erbrachten Leistungen zuständig gewesen sei.

Der Beklagte hat ebenfalls seine Auffassung wiederholt, dass es sich um eine ambulante Wohnbetreuung handle, welche die Zuständigkeit des Klägers fortbestehen lasse. Diese Auffassung entspreche sogar der des Landes Berlin, wie sie in dem Rundschreiben I Nr. 2/2009 (der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales) zum Ausdruck komme. Das Bundessozialgericht (BSG) habe ebenfalls bereits entschieden, dass es sich bei der Betreuung eines Erwachsenen in einer Pflegefamilie um eine ambulante Hilfeleistung handle (Hinweis auf BSG, Urteil vom 25. September 2014 - B 8 SO 7/13 R -, SozR 4-3500 § 54 Nr. 13). Die Höhe der geltend gemachten Forderung hat er nicht bestritten, nachdem der Kläger eine Leistungsaufstellung vorgelegt hat.

Das Sozialgericht hat die Gerichtsakte des in Schleswig-Holstein anhängig gewesenen Verfahrens des gerichtlichen Eilrechtsschutzes beigezogen, eine Auskunft des Amtes Nordsee-Treene zum Zeitpunkt der melderechtlichen Anmeldung des Leistungsberechtigten unter der Anschrift seiner Pflegefamilie (9. Januar 1993) und Auskünfte der Pflegemutter und Betreuerin des Leistungsberechtigten vom 28. Oktober 2014 (betreffend unter anderem seine Aufenthaltsorte ab Geburt) und vom 25. August 2016 (betreffend unter anderem den Umfang der weiter erforderlichen Unterstützung) eingeholt. Die an die leibliche Mutter des Leistungsberechtigten gerichtete Anfrage des Sozialgerichts, bis wann und in welcher Wohnung er bei ihr gewohnt habe, wann er bei ihr ausgezogen sei und wo und warum er anderweitig untergebracht worden sei, ist ohne Antwort in der Sache geblieben.

Die Beteiligten haben übereinstimmend erklärt, auf die Einrede der Verjährung hinsichtlich von Kostenerstattungsansprüchen beider Seiten (der Beklagte gegen den Kläger auf Erstattung der Aufwendungen für die gewährten Leistungen der Grundsicherung bis 2013) zu verzichten.

Durch Urteil vom 8. September 2016 hat das Sozialgericht den Beklagten entsprechend dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag verurteilt, ihm die Aufwendungen der von ihm an den Leistungsberechtigten seit dem 5. Juni 2010 bis zum 31. August 2016 gewährten "Teilhabeleistungen" in Höhe von 363.578,09 EUR und die weiterhin laufend gewährten Leistungen der Eingliederungshilfe zu erstatten. Außerdem hat es festgestellt, dass der Beklagte die Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege künftig in eigener Zuständigkeit zu leisten habe. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich der Erstattungsanspruch des Klägers aus § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX ergebe, soweit die Leistungen der Familienpflege vom 6. Juni bis zum 31. Dezember 2010 und die der Ferienbetreuung im Juli 2010 betroffen seien. Es handle sich um Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII. Für deren Erbringung sei der Kläger als zweitangegangener Leistungsträger zuständig gewesen, weil der Beklagte die bei ihm gestellten Leistungsanträge an ihn weitergeleitet habe. Endgültig zuständig sei jedoch der Beklagte gewesen. Der Leistungsberechtigte habe in seinem Kreisgebiet seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt. Dadurch sei dessen örtliche Zuständigkeit begründet. Sondervorschriften, die zu einer anderen örtlichen Zuständigkeit führen würden, kämen nicht zur Anwendung. § 107 SGB XII, der für Kinder und Jugendliche, die in einer anderen Familie untergebracht seien, eine abweichende Zuständigkeit vorsehe, gelte ab dem Eintritt der Volljährigkeit des Leistungsberechtigten nicht mehr. Der vom Beklagten für sich in Anspruch genommene § 98 Abs. 5 SGB XII sei nicht einschlägig, weil es sich bei dem Aufenthalt in einer Pflegefamilie nicht um eine ambulant betreute Wohnmöglichkeit handle. Bei ihr müsse die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Vordergrund stehen und nicht die medizinische oder pflegerische. Im vorliegenden Fall sei das Verhältnis des Leistungsberechtigten vor allem zur Pflegemutter und Betreuerin durch eine persönliche Beziehung geprägt, die sich daran zeige, dass sie sich wie eine leibliche Mutter auch weiterhin um ihn kümmere, sowie an dem seit frühester Kindheit verwendeten gemeinsamen Nachnamen. Dieser Annahme stehe nicht entgegen, dass die Pflegemutter für die Betreuung des Leistungsberechtigten Leistungen der Familienpflege erhalte, um dessen Versorgung zu finanzieren. Auch der Umstand, dass mit § 107 SGB XII eine Sondervorschrift bei Unterbringung in einer Familie geschaffen worden sei, spreche dagegen, eine Pflegefamilie als betreutes Wohnen anzusehen. Das vom Beklagten genannte Rundschreiben des Landes Berlin binde die Gerichte nicht. Dem Urteil des BSG vom 25. September 2014 sei schließlich nur zu entnehmen, dass es sich bei der Betreuung eines Erwachsenen in einer Pflegefamilie um eine ambulante Maßnahme und nicht um eine stationäre handle. Der Erstattungsanspruch bestehe auch in der geltend gemachten Höhe. Soweit der Beklagte Leistungen aufgrund der bei ihm gestellten Anträge erbracht habe, sei seine Zuständigkeit als erstangegangener Teilhabeträger gegeben, weil er die Anträge nicht weitergeleitet habe. Insoweit ergebe sich sein Erstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten aus § 102 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Der Kläger sei vorläufig leistender Leistungsträger gewesen. Er habe in den Bewilligungsbescheiden stets § 14 SGB IX als Rechtsgrundlage mit angegeben. Außerdem sei der Betreuerin des Leistungsberechtigten bekannt gewesen, dass sich der Kläger nur aufgrund der Verpflichtung in dem gerichtlichen Eilverfahren als zuständig angesehen habe und dass das hiesige Verfahren anhängig sei. Der Beklagte sei auch insoweit der endgültig zuständige Leistungsträger. Da er dies sei, sei auch die vom Kläger geltend gemachte Feststellung auszusprechen gewesen.

Mit seiner Berufung strebt der Beklagte die Abweisung der Klage an. Er wiederholt und vertieft seine Auffassung, dass der Kläger für die von ihm erbrachten Leistungen sachlich und örtlich zuständig gewesen sei, weil sich der Leistungsberechtigte in einer ambulant betreuten Wohnmöglichkeit aufhalte.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. September 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Gerichtsakte des vorliegenden Rechtsstreits und des Verfahrens SG Schleswig S 15 SO 15/10 ER / Schleswig-Holsteinisches LSG L 9 SO 100/10 B ER, die Verwaltungsakten des Klägers sowie ein Band Verwaltungsakten - Kostenerstattungsvorgang - des Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Sache entscheiden, ohne dass der Leistungsberechtigte nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) notwendig beizuladen war. Dessen Rechtsposition wird durch das Erstattungsverfahren nicht berührt (s. statt aller BSG, Urteil vom 1. März 2018 – B 8 SO 22/16 R –, SozR 4-3250 § 14 Nr. 28 m.w.Nachw.)

Die Berufung des Beklagten ist nur insoweit begründet, als durch das angefochtene Urteil die Feststellung getroffen worden war, dass er die Leistungen der Eingliederungshilfe und der Hilfe zur Pflege künftig in eigener Zuständigkeit zu leisten habe. Im Übrigen ist sie unbegründet.

Die Feststellungsklage war unzulässig und deshalb abzuweisen. Sie wäre allenfalls gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zur Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses in Betracht gekommen. Unabhängig davon, ob eine Zuständigkeit außerhalb des durch § 55 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausdrücklich geregelten Sozialversicherungsrechts (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch) ein zwischen Behörden feststellungsfähiges Rechtsverhältnis sein kann, steht der vom Kläger begehrten Feststellung, dass der Beklagte (zuständigkeitshalber) zur Fallübernahme verpflichtet sei, die grundsätzliche Subsidiarität einer Feststellungsklage als allgemeine Prozessvoraussetzung entgegen. Denn jeder Träger, der sich nicht oder nicht mehr für zuständig hält, kann entweder seine Leistung einstellen oder - je nachdem, um welche Leistungen es sich handelt - auf der Grundlage der §§ 102 ff SGB X oder des § 14 Abs. 4 SGB IX in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung Erstattungsansprüche geltend machen. Seine Interessen gegenüber anderen Trägern sind dadurch ausreichend gewahrt (offen gelassen in BSG a.a.O. SozR 4-3250 § 14 Nr. 28).

Soweit Leistungen der Eingliederungshilfe streitig sind und damit der Anwendungsbereich des § 14 SGB IX eröffnet ist (s. BSG wie eben dazu, dass die Vorschrift auch die örtliche Zuständigkeit bestimmt), wäre bei einem einheitlichen Leistungsgeschehen wie vorliegend eine "Fallübernahme" durch den eigentlich zuständigen Rehabilitationsträger außerdem mit Sinn und Zweck des § 14 SGB IX nicht vereinbar, gegenüber dem behinderten Menschen eine abschließende und ausschließliche Zuständigkeit zu normieren: Werden Leistungen zur Teilhabe beantragt, stellt der Rehabilitationsträger gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags bei ihm fest, ob er nach den für ihn geltenden Leistungsgesetzen zuständig ist. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung nicht zuständig ist, leitet er den Antrag gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 (ab 1. Januar 2018: Satz 3) SGB IX unverzüglich dem seiner Auffassung nach zuständigen Rehabilitationsträger zu. Je nachdem, ob der Antrag innerhalb der Frist weitergeleitet wird oder nicht, entsteht danach entweder die Leistungszuständigkeit des Trägers, bei dem der Antrag gestellt worden ist (erstangegangener Träger), oder die des Trägers, an den der Antrag weitergeleitet wird (zweitangegangener Träger, § 14 Abs. 2 Sätze 1 und 3 [ab 1. Januar 2018: Satz 4] SGB IX), der den Rehabilitationsbedarf unverzüglich feststellt. Mehr als diese beiden Zuständigkeiten kennt das Teilhaberecht im Regelfall nicht und sie treten im Verhältnis zum behinderten Menschen endgültig ein. Ein Weiterleitungsrecht besteht nicht bzw. nicht mehr, selbst wenn ein Träger nach den Leistungsgesetzen "eigentlich" nicht zuständig ist. Lediglich unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Satz 5 (ab 1. Januar 2019: Abs. 3) SGB IX kann sich hiervon eine Ausnahme ergeben (s. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009 – B 5 R 5/07 R –, SozR 4-3250 § 14 Nr. 8).

Die vom Kläger statthaft erhobene allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG; s. etwa BSG a.a.O. SozR 4-3250 § 14 Nr. 28) auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Erstattungsforderungen in bestimmter Höhe für bestimmte bereits abgerechnete und dem Grunde nach für spätere Leistungszeiträume ist dagegen zulässig (s. zur prozessualen Möglichkeit einer Klage auf Erlass eines Grundurteils gemäß § 130 SGG im Erstattungsverfahren etwa BSG, Urteil vom 25. September 2014 – B 8 SO 7/13 R –, SozR 4-3500 § 54 Nr. 13; die in BSG a.a.O. SozR 4-3250 § 14 Nr. 28 als statthaft angesehene Feststellungsklage auf Bestehen einer Erstattungspflicht ist nicht zwingend). Die im Lauf des erstinstanzlichen Verfahrens vom Kläger vorgenommenen Änderungen bei der Leistungsklage (Erhöhung der Klageforderung) stellten keine Klageänderungen dar (§ 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG).

Die Leistungsklage ist auch zulässig, soweit sie Eingliederungshilfe für Zeiträume ab dem 1. Januar 2020 betrifft. Zwar ist Rechtsgrundlage für diese Leistungen seither nicht mehr das SGB XII, sondern der Zweite Teil des SGB IX. Außerdem ist nicht mehr der Träger der Sozialhilfe für die Leistungserbringung zuständig, sondern der damit nicht zwangsläufig identische, nach Landesrecht zu bestimmende Träger der Eingliederungshilfe (§ 94 Abs. 1 SGB IX). Im vorliegenden Fall ist der Kläger aber weiterhin aktivlegitimiert, weil den bezirklichen Ämtern für Soziales der einheitlichen Stadtgemeinde Berlin (Art. 1 Abs. 1 Verfassung von Berlin) die Durchführung der Aufgaben des Trägers der Eingliederungshilfe zugewiesen ist (§ 2 Abs. 1 des Berliner Gesetzes zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch [SGB IX] vom 25. September 2019, GVBl. S. 602). Der Beklagte ist seinerseits passivlegitimiert, weil die Kreise und kreisfreien Städte im Land Schleswig-Holstein zu Trägern der Eingliederungshilfe mit sachlicher Zuständigkeit unter anderem für die Leistungen nach Teil 2 des SGB IX bestimmt worden sind und sie die Eingliederungshilfe als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe auszuführen haben (§ 1 Abs. 1 des Schleswig-Holsteinischen Gesetzes zur Ausführung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch vom 22. März 2018, GVOBl. S. 94). Auch die Rechtswegzuständigkeit zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit besteht für die Leistungen nach dem Zweiten Teil des SGB IX fort (§ 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG in der Fassung des Art. 20 Abs. 2 Nr. 1 des Bundesteilhabegesetzes vom 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3234),

Die Leistungsklage ist auch begründet, wie das Sozialgericht jedenfalls im Ergebnis zutreffend entschieden hat.

Rechtsgrundlage für die Erstattung der vom Beklagten erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe ist § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung, soweit der Kläger Leistungen als zweitangegangener Träger aufgrund des ihm vom Beklagten im Jahr 2010 weitergeleiteten Leistungsantrags des Leistungsberechtigten erbracht hat. Für die Leistungen, die der Kläger als erstangegangener Leistungsträger aufgrund der bei ihm selbst gestellten und von ihm nicht weitergeleiteten Leistungsanträge zuständigkeitshalber erbracht hat, ist Rechtsgrundlage dagegen § 104 Abs. 1 SGB X.

Gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung erstattet, wenn nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Absatz 1 Satz 2 bis 4 festgestellt wird, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. Die Vorschrift trägt der Sondersituation des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers Rechnung, indem sie lediglich für ihn einen speziellen Erstattungsanspruch begründet (s. ausführlich BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 – B 1 KR 34/06 R –, SozR 4-3250 § 14 Nr. 4). Er geht den allgemeinen Erstattungsansprüchen nach dem SGB X vor und verdrängt sie. Er sichert ab, dass der zweitangegangene Rehabilitationsträger, dem der sich selbst für unzuständig haltende erstangegangene Rehabilitationsträger den Antrag weitergeleitet hat (von daher der Hinweis auf § 14 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SGB IX, im Nachhinein vom "eigentlich" zuständigen Rehabilitationsträger die Aufwendungen - wie außerhalb des § 14 SGB IX ein vorläufig leistender Leistungsträger - nach den für den zweitangegangenen Rehabilitationsträger geltenden Rechtsvorschriften erstattet erhält.

Gemäß § 104 Abs. 1 SGB X ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X (nachträglich entfallene Leistungsverpflichtung) vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (Satz 3). Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangig verpflichtete Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen (Satz 3). Gemäß § 104 Abs. 3 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Vorschriften. § 104 Abs. 1 SGB X ist auch anwendbar, wenn - wie im vorliegenden Fall - die vorrangige Leistungsverpflichtung nur durch die örtliche Zuständigkeit von ansonsten gleichrangigen Leistungsträgern begründet sein kann. Der Nachrang wird durch die Bestimmungen des § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX gesetzlich hergestellt (BSG a.a.O. SozR 4-3250 § 14 Nr. 28).

Der Beklagte war im Sinne der genannten Vorschriften zuständiger bzw. vorrangig verpflichteter Leistungsträger.

Der Leistungsberechtigte ist aufgrund der bei ihm vorliegenden erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, vor allem der deutlichen Intelligenzminderung, behinderter Mensch im Sinne des § 2 Abs. 1 SGB IX. Bedingt durch seine Behinderungen ist er ohne begründbare Zweifel nicht in der Lage, an der Gesellschaft wie ein im wesentlichen nicht behinderter Mensch teilzuhaben. Er war und ist deshalb dem Grunde nach Leistungsberechtigter der Leistungen der Eingliederungshilfe (§ 53 Abs. 1 SGB XII in der bis 31. Dezember 2019 geltenden Fassung, für die Zeit ab 1. Januar 2020 i.V. mit § 99 SGB IX in der ab diesem Zeitpunkt geltenden Fassung). Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

Der Kläger hat Leistungen der Eingliederungshilfe - in Gestalt sogenannter Familienpflege (bis 31. Dezember 2019: § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V. mit § 55 Abs. 1 SGB IX in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung -; ab 1. Januar 2020: §§ 102 Abs. 1 Nr. 4, 113 Abs. 1 und Abs. 2 SGB IX) und von Leistungen für und während des Aufenthalts des Leistungsberechtigten in einer Werkstatt für behinderte Menschen (bis 31. Dezember 2019 § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V. mit §§ 39, 41, 42 Abs. 2 Nr. 2, 136ff SGB IX in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung; ab 1. Januar 2020: § 111 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit §§ 58, 63 Abs. 2 Nr. 4, 113 Abs. 4, 219ff SGB IX) - erbracht. Dies steht für den Senat angesichts der offenkundigen Zielrichtung der Leistungen, die Teilhabe des Leistungsberechtigten am Leben in der Gemeinschaft und am Arbeitsleben zu fördern, fest und ist vorbehaltlich der genauen rechtlichen Einordnung der Leistungen der Eingliederungshilfe im Zusammenhang mit den streitigen Zuständigkeitsfragen auch zwischen den Beteiligten nicht streitig.

Als sachlich zuständiger Träger der Sozialhilfe (bis Ende 2019) beziehungsweise der Eingliederungshilfe (ab 2020) kommen der Kläger oder der Beklagte in Betracht, wie bereits ausgeführt.

Die örtliche Zuständigkeit der Leistungsträger bestimmte sich bis 31. Dezember 2019 nach § 98 SGB XII. Nach dessen Abs. 1 ist für die Sozialhilfe der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten (Satz 1). Diese Zuständigkeit bleibt bis zur Beendigung der Leistung auch dann bestehen, wenn sie außerhalb seines Bereichs erbracht wird (Satz 2). Abweichend davon bestimmt Abs. 5, dass für die Leistungen nach dem SGB XII an Personen, die Leistungen nach dem Sechsten bis Achten Kapitel in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig ist, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre (Satz 1). Vor Inkrafttreten des SGB XII begründete Zuständigkeiten bleiben hiervon unberührt (Satz 2).

Für die Zeit ab 1. Januar 2020 regelt § 98 Abs. 5 SGB IX, dass bei Personen, die - wie der Leistungsberechtigte - am 31. Dezember 2019 Leistungen nach dem Sechsten Kapitel SGB XII in der am 31. Dezember 2019 geltenden Fassung bezogen haben und auch ab dem 1. Januar 2020 Leistungen nach Teil 2 des SGB IX erhalten, der Träger der Eingliederungshilfe örtlich zuständig ist, dessen örtliche Zuständigkeit sich am 1. Januar 2020 im Einzelfall in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 5 SGB XII oder in entsprechender Anwendung von § 98 Abs. 2 Satz 1 und 2 in Verbindung mit § 107 SGB XII ergeben würde (Satz 1). Absatz 1 Sätze 3 bis 5 (des § 98 SGB IX) gelten entsprechend (Satz 2). Im Übrigen bleiben die Absätze 2 bis 4 des § 98 SGB IX unberührt (Satz 3). Nach § 98 Abs. 1 Sätze 3 bis 5 SGB IX bleibt die Zuständigkeit bis zur Beendigung des Leistungsbezuges bestehen. Sie ist neu festzustellen, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von mindestens sechs Monaten keine Leistungen bezogen wurden. Eine Unterbrechung des Leistungsbezuges wegen stationärer Krankenhausbehandlung oder medizinischer Rehabilitation gilt nicht als Beendigung des Leistungsbezuges.

Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten folgt gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in unmittelbarer (bis 2019) bzw. entsprechender Anwendung (ab 2020) daraus, dass sich der Leistungsberechtigte in seinem Kreisgebiet tatsächlich aufhält.

Die Voraussetzungen des § 98 Abs. 5 SGB XII, der allein eine örtliche Zuständigkeit des Klägers begründen könnte, liegen nicht vor. Der Leistungsberechtigte hielt und hält sich nicht in einer ambulant betreuten Wohnmöglichkeit auf.

Der Begriff der (ambulant) betreuten Wohnmöglichkeiten wird im Gesetz selbst nicht definiert. Nach der Gesetzesbegründung zu der seit 1. Januar 2005 geltenden Ursprungsfassung des Satzes 1 des § 98 Abs. 5 SGB XII ("Für die Leistungen an Personen, die Leistungen in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, bleibt der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt örtlich zuständig war") orientierte er sich an § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX in der damaligen und bis 31. Dezember 2019 im Recht der Eingliederungshilfe anwendbaren Fassung (s. BT-Dr. 15/1514, 67 zu § 93 Abs. 5 des Gesetzentwurfs). Danach waren Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft insbesondere "Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten". Durch diese Bestimmung des SGB IX sollte eine "eindeutige Rechtsgrundlage für Hilfen zur Verselbstständigung in betreuten Wohnmöglichkeiten" geschaffen und die bisher für solche Hilfen herangezogene Rechtsgrundlage des § 40 Abs. 1 Nr. 8 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Verbindung mit § 19 Eingliederungshilfe-Verordnung - betreffend die sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe in Form der Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft - "konkretisiert und verallgemeinert" werden (BT-Dr. 14/5074, 111 zum Gesetzentwurf des SGB IX). Die Ersetzung der im Gesetzentwurf noch verwendeten Begrifflichkeit "zur Verselbstständigung" im Lauf des Gesetzgebungsverfahrens durch die Begrifflichkeit "zu selbstbestimmtem Leben" bezweckte die "Klarstellung des Gewollten" (BT-Dr. 14/5800, 29).

Die Änderung des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII in die oben wiedergegebene, seit 7. Dezember 2006 geltende Fassung sollte dann "den Regelungsbereich klarstellen" (BT-Dr. 16/2711, 13). Daraus war abzuleiten, dass der Gesetzgeber zwar einerseits nur bestimmte Leistungsfälle als (ambulant) betreutes Wohnen ansehen wollte - solche nach dem Sechsten bis Achten Kapitel des SGB XII -, in diesem Rahmen aber auch solche, in denen kein Teilhabeziel im Sinn der Eingliederungshilfe beachtlich ist (wie bei den Hilfen zur Pflege, s. BSG, Urteil vom 30. Juni 2016 – B 8 SO 6/15 R –, SozR 4-3500 § 98 Nr. 4). § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII erfasst in der Folge keine "Wohnform", die sich durch bestimmte, allgemeine Gegebenheiten definiert, sondern eine Form der Betreuungsleistung (BSG wie eben). Es ist rechtlich ohne Belang, ob diese damit verbunden ist, dass auch eine Wohnung durch den betreuenden Leistungserbringer zur Verfügung gestellt wird (BSG wie eben unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 8 SO 7/10 R –, SozR 4-3500 § 98 Nr. 1).

Wird weiter berücksichtigt, dass § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII den Schutz sogenannter Einrichtungsorte bezweckt (BSG a.a.O. SozR 4-3500 § 98 Nr. 4), kann bei der Auslegung der Vorschrift jedoch nicht außer Betracht bleiben, dass der Gesetzgeber für die Betreuungsform der Pflegefamilie (Familienpflege) durch § 107 SGB XII eine gesonderte, auch zuständigkeitsbegründende, Schutznorm für den Betreuungsort geschaffen hat (s. BSG, Urteil vom 05. Juli 2018 – B 8 SO 32/16 R –, SozR 4-3500 § 98 Nr. 5; zum Doppelcharakter der inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 104 BSHG als Zuständigkeits- und Erstattungsregelung s. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2003 – 5 C 14/02 –, BVerwGE 119, 356ff).

Diese Form der Eingliederungshilfe hat er bezüglich der örtlichen Zuständigkeit wegen der von ihm gesehenen Intensität der Betreuung ausdrücklich nicht mit den von § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII erfassten ambulanten Leistungen gleichgesetzt. Vielmehr hat er die stationäre Unterbringung betreffende Vorschrift des § 98 Abs. 2 SGB XII für entsprechend anwendbar erklärt (s. dazu BSG, Urteil vom 26. Oktober 2017 – B 8 SO 12/16 R –, SozR 4-1750 § 524 Nr. 1). Die Zuordnung ändert zwar nichts daran, dass die Betreuung in einer Pflegefamilie materiell keine stationäre Unterbringung darstellt (s. auch dazu BSG wie eben). Der Gesetzgeber hat aber (trotzdem) ausdrücklich den Rechtszustand fortgeschrieben, der durchgehend seit dem Inkrafttreten des BSHG am 1. Juli 1962 bestand, welches seinerseits in § 104 "weitgehend die fortschrittlichen Regelungen der Fürsorgerechtsvereinbarung" (FRV) übernehmen wollte (BT-Dr. 1799 der 3. Wahlperiode, S. 57 zu Abschnitt 9 und § 97 des Gesetzentwurfs des BSHG; die FRV datierte ihrerseits vom 18. September 1947 bzw. 3. Mai 1949, Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge [NDV] 28 , S. 3, 29, S. 90). An der § 104 BSHG entsprechenden Regelung hatte der Gesetzgeber auch festgehalten, nachdem er mit Inkrafttreten des SGB XII am 1. Januar 2005 durch § 98 Abs. 5 SGB XII ausdrücklich eine Zuständigkeitsregelung für Personen in ambulant betreuten Wohnmöglichkeiten geschaffen hatte (BT-Dr. 15/1514 S. 67 zu § 93, S. 68 zu § 102).

Der durch § 107 SGB XII bewirkte Schutz des Sozialhilfeträgers am Ort der Pflegefamilie (s. auch dazu BSG a.a.O. SozR 4-3500 § 98 Nr. 5) ist aber ausdrücklich auf Kinder und Jugendliche beschränkt. Anknüpfend an das Kinder- und Jugendhilferecht sind dies Menschen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Achtes Buch). Er entfällt deshalb mit Eintritt der Volljährigkeit des Leistungsberechtigten.

Vor dem beschriebenen Hintergrund ist § 107 SGB XII zu entnehmen, dass er nur einen zeitlich begrenzten Schutz des Betreuungsortes bewirken sollte. Dafür, dass die Betreuungsform der Familienpflege mit Eintritt der Volljährigkeit in der der ambulant betreuten Wohnmöglichkeit aufgehen sollte, ergibt sich aus der dargestellten Gesetzgebungsgeschichte nichts. Es wäre auch kein nachvollziehbarer Grund erkennbar, warum bei vor wie ab Eintritt der Volljährigkeit unveränderter Betreuungsnotwendigkeit und unveränderten Betreuungsverhältnissen ab dem Eintritt der Volljährigkeit andere Vorschriften über den Schutz von Einrichtungsorten anwendbar sein sollten als zuvor.

Der Leistungsberechtigte befand sich auch ab dem Eintritt seiner Volljährigkeit in der Betreuungssituation einer Pflegefamilie bzw. Familienpflege. Er lebte wie zuvor in der Häuslichkeit seiner Pflegemutter und Betreuerin. Von ihr erhält er die erforderliche Betreuung auch und vor allem für die Lebensführung im häuslichen Bereich, die er behinderungsbedingt nicht ohne fremde Hilfe bewältigen kann. Am Inhalt der Betreuung hat sich angesichts der bei ihm vorliegenden erheblichen Entwicklungsverzögerung mit dem Eintritt der Volljährigkeit nichts geändert. Sie ist, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, durch die persönliche Zuwendung der Pflegemutter gekennzeichnet. Die starke Anbindung an sie wird noch dadurch unterstrichen, dass der Leistungsberechtigte schon seit frühester Kindheit ihren Familiennamen führt.

Nicht zuletzt unterscheidet sich die vorliegend bestehende Betreuungssituation der Pflegefamilie/Familienpflege dadurch von der eines ambulant betreuten Wohnens im Sinne eines institutionalisierten Angebots der Eingliederungshilfe, als sie nicht darauf ausgerichtet ist, den Leistungsberechtigten zu selbstständiger Lebensführung zu befähigen und dadurch den Teilhabebedarf künftig zu verringern. Der Leistungsberechtigte wird voraussichtlich auf Dauer ständiger Betreuung bedürfen. Sofern die Pflegemutter als Betreuungsperson ausfiele, könnten die erforderlichen Hilfen unter diesen Umständen nur in stationärem Rahmen gesichert werden.

Der rechtliche Charakter der Betreuung des Leistungsberechtigten hat sich schließlich nicht dadurch verändert, dass der Kläger mit ihm und der Pflegemutter jedenfalls bis zum Jahresende 2012 mehrseitige öffentlich-rechtliche Verträge (§§ 53, 55 SGB X) geschlossen hatte. Hilfen im Rahmen einer Pflegefamilie werden ebenso in einem rechtlich geregelten Rahmen erbracht wie Hilfen durch Dienste oder Einrichtungen.

Der Erstattungsanspruch besteht dem Grunde nach für die vom Kläger erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe. Die für den Kläger geltenden Rechtsvorschriften über die Leistungen entsprechen den für den Beklagten geltenden, nachdem lediglich die örtliche Zuständigkeit in Streit steht. Soweit der Kläger einen Erstattungsanspruch in konkreter Höhe geltend macht, ist er nach eigener Prüfung durch den Senat zutreffend berechnet. Auch der Beklagte hatte Einwendungen insoweit nicht erhoben.

Der Anspruch des Klägers auf Erstattung der Aufwendungen, die ihm aus Anlass der Ferienbetreuungen 2010 und 2011 und der Verhinderungspflege 2012 entstanden sind, beruht dagegen - anders als vom Sozialgericht angenommen - auf § 105 SGB X. Die Voraussetzungen für eine Erstattung gemäß § 102 SGB X sind nicht erfüllt. Hat ein Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht, ist danach der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig. Der als Rechtsgrundlage allein in Betracht kommende § 43 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) verpflichtet im Fall von Zuständigkeitsstreitigkeiten den zuerst angegangenen Leistungsträger, vorläufig Leistungen zu erbringen.

Die Zuständigkeitsregelungen des § 14 SGB IX stehen der Anwendung des § 43 SGB I zwar nicht entgegen, weil es sich bei der Leistung, deren Erstattung begehrt wird, nicht um eine der Teilhabe im Sinne des § 5 SGB IX handelte: Die Bewilligung erfolgte als Hilfe zur Pflege, soweit eine Leistung als Eingliederungshilfe beantragt worden war, hatte sie der Kläger ausdrücklich und bestandskräftig abgelehnt. Für die Aufwendungen aus Anlass der Ferienbetreuung 2010 fehlt es aber bereits an einer Rechtsgrundlage für die vorläufige Erbringung von Leistungen. Der Kläger war nicht der erstangegangene Leistungsträger. Der Leistungsantrag war beim Beklagten gestellt worden. Keine Bedeutung hat, ob er oder der Leistungsberechtigte ihn als Antrag auf Leistungen der Eingliederungshilfe ansahen. Der Beklagte hatte ihn unter dem Gesichtspunkt der Meistbegünstigung unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen.

Für die Aufwendungen aus Anlass der Ferienbetreuung 2011 und der Verhinderungspflege 2012 scheitert ein Erstattungsanspruch auf der Grundlage des § 102 Abs. 1 SGB X daran, dass die Leistung nicht gegenüber dem Leistungsberechtigten erkennbar vorläufig erbracht worden ist (s. zu diesem Erfordernis BSG, Urteil vom 10. Juli 2014 – B 10 SF 1/14 R –, SGb 2014, 504). Dies musste der Leistungsberechtigte nicht allein daraus ableiten, dass er selbst ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Klärung von Zuständigkeiten angestrengt hatte und dass ihm der vorliegende Erstattungsstreit jedenfalls ab einem bestimmten Zeitpunkt bekannt war. Dazu besteht für ihn als rechtlicher Laie keine Obliegenheit. Aus den Bescheiden über die Leistungsbewilligungen selbst konnte er dagegen nicht unmittelbar ersehen, ob der Kläger seine Zuständigkeit endgültig oder nur vorübergehend bis zu deren Klärung gesehen hatte.

Rechtsgrundlage für Erstattungsansprüche betreffend die drei genannten Zeiträume ist dagegen § 105 SGB X. Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist danach der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (Abs. 1 Satz 1). Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (Abs. 2). Die Absätze 1 und 2 gelten gegenüber den Trägern der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe nur von dem Zeitpunkt ab, von dem ihnen bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen (Abs. 3).

Der Kläger war aus den oben genannten Gründen unzuständiger Träger, der Beklagte dagegen zuständiger. § 105 Abs. 3 SGB X steht dem Anspruch nicht entgegen. Insoweit kommt zum Tragen, dass dem Beklagten angesichts des laufenden Streits über die Zuständigkeit zur Leistungserbringung bewusst sein musste, dass er leistungspflichtig sein konnte.

Die Höhe der Erstattungsansprüche ist nach eigener Prüfung durch den Senat ebenfalls zutreffend.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V. mit §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1, 161 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Berufung in so geringem Umfang erfolgreich war, dass der Anteil des Obsiegens nicht ins Gewicht fiel.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Rechtskraft
Aus
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