L 1 KR 336/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 56 KR 1186/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 336/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 46/20 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Beitragshöhe für den Zeitraum April bis Oktober 2015.

Der Kläger war seit Mai 2012 als selbständig Tätiger bei der Beklagten zu 1) freiwillig und bei der Beklagten zu 2) pflichtversichert. Am 26. März 2015 erteilte ihm das Finanzamt Seinen Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2013, der für ihn Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit in Höhe von 25.346,- EUR und aus Kapitalerträgen in Höhe von 11.132,- EUR auswies.

Nach Vorlage des Steuerbescheides setzten die Beklagten durch Bescheid vom 20. April 2015 ab dem 1. April 2015 auf der Grundlage eines monatlichen Einkommens von 3.035,59 EUR einen monatlichen Beitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 446,23 EUR und zur Pflegeversicherung in Höhe von 71,34 EUR fest, insgesamt 517,57 EUR.

Am 2. Juni 2015 erteilte das Finanzamt dem Kläger einen Vorauszahlungsbescheid über Einkommenssteuer ab 10. Juni 2015, der Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 19.755,- EUR und Kapitalerträge in Höhe von 11.132,- EUR veranschlagte. Diesen Bescheid übersandte der Kläger am 8. Juni 2015 den Beklagten, die am 12. Juni 2015 eine Änderung der bisherigen Beitragseinstufung ablehnten.

Auf Nachfrage des Klägers vom 25. Juni 2015 wiesen ihn die Beklagten mit Schreiben vom 1. Juli 2015 darauf hin, dass er aktuell nach seinem Einkommensteuerbescheid 2013 mit einem Jahreseinkommen von 36.427,08 EUR eingestuft sei. Ein Vorauszahlungsbescheid dürfe erst ab einer Einkommensreduktion von mehr als 25 Prozent berücksichtigt werden, das entspreche einem Einkommen von nicht mehr als 27.320,31 EUR. Der vorliegende Vorauszahlungsbescheid gehe aber von einem Einkommen in Höhe von 30.836,- EUR aus.

Am 20. November 2015 legte der Kläger den Beklagten einen Vorauszahlungsbescheid über Einkommenssteuer vom 16. November 2015 vor, der Vorauszahlungen ab 10. Dezember 2015 in Höhe von 0,00 EUR festsetzte. Durch Bescheid vom 25. November 2015 hoben die Beklagten den bisherigen Beitragsbescheid mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2015 auf und setzten auf der Grundlage eines monatlichen Einkommens von 2.126,25 EUR einen monatlichen Beitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 312,56 EUR und zur Pflegeversicherung in Höhe von 49,97 EUR, insgesamt 362,53 EUR fest.

Der Kläger legte Widerspruch ein. Seit dem 1. November 2015 übe er keine selbständige Erwerbstätigkeit mehr aus. Die Beklagten setzten daraufhin durch Bescheide vom 6. Januar 2016 für den Zeitraum vom 1. November 2015 bis 31. Januar 2016 auf der Grundlage eines monatlichen Einkommens von 945,00 EUR Beiträge in Höhe von 138,92 EUR zur Kranken- und 22,21 EUR zur Pflegeversicherung fest, insgesamt 161,13 EUR, und ab 1. Januar 2016 dann auf der Grundlage eines monatlichen Einkommens von 968,33 EUR Beiträge in Höhe von 145,25 EUR zur Kranken- und 22,76 EUR zur Pflegeversicherung, insgesamt 168,01 EUR.

Am 11. März 2016 wandte sich der Kläger an die Beklagten und begehrte wegen des von ihm bereits gestellten Antrags auf Beitragserstattung für das Jahr 2015 den Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheides. Durch Schreiben vom 12. April 2016 wiesen die Beklagten den Kläger im Rahmen einer Anhörung darauf hin, dass sie den Antrag auf Änderung der Beitragseinstufung für das Jahr 2013 abzulehnen beabsichtigten.

Der Kläger übersandte den Beklagten am 27. Januar 2017 seinen Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2015 vom 2. November 2016, der für ihn Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 14.384,- EUR und aus Kapitalerträgen in Höhe von 5.044,- EUR auswies.

Durch Bescheid vom 8. März 2017 lehnte die Beklagte die Änderung der Beitragseinstufung für 2015 ab. Sie habe mit Bescheid vom 20. April 2015 den eingereichten Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2013 ab dem 1. April 2015 berücksichtigt. Nach den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler werde bei Vorlage eines Vorauszahlungsbescheids mit um ein Viertel geringeren Einkommen die Einstufung für die Zukunft vorläufig nach dem geringeren Einkommen festgelegt. Für den Kläger bestehe keine vorläufige Beitragseinstufung, da die Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Das Einkommen nach dem Vorauszahlungsbescheid war nicht um ein Viertel geringer als das nach dem letzten Einkommenssteuerbescheid.

Der Kläger legte Widerspruch ein. Streitgegenständlich seien die Monate Mai bis September 2015, für die Zahlungen unter Vorbehalt erfolgt seien. Er habe seine selbständige Tätigkeit erst zum 30. November 2015 aufgegeben. Aufgrund des Einkommenssteuerbescheids für das Jahr 2013 seien die Beiträge zunächst vorläufig berechnet worden. Bei der Beitragsbemessung sei die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Mitglieder zu beachten. Nachdem die Höhe der im Jahr 2015 erzielten Einkünfte nunmehr feststehe, sei eine Neuberechnung der Beiträge geboten. Die tatsächlichen Einkünfte hätten um mindestens 25 Prozent unterhalb des der Beitragsbemessung zugrunde gelegten Einkommens gelegen.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 2017 zurück. Die Beitragsfestsetzung sei korrekt erfolgt. Der nach Übersendung des Steuerbescheides für das Jahr 2013 erstellte Beitragsbescheid vom 20. April 2015 sei kein vorläufiger Beitragsbescheid gewesen. Ein vorläufiger Beitragsbescheid werde nur zu Beginn einer selbständigen Tätigkeit oder im Falle von ändernden Voraussetzungen erteilt. Nach Vorlage eines Vorauszahlungsbescheides über Einkommenssteuer sei am 25. November 2015 eine vorläufige Beitragsfestsetzung für die Zeit ab dem 1. Dezember 2015 erfolgt. Dieser Bescheid sei durch weiteren Bescheid vom 6. Januar 2016 aufgehoben worden, nachdem der Kläger das Ruhen seiner selbständigen Tätigkeit ab dem 1. November 2015 angegeben habe. Für die Zeit ab dem 1. November 2015 seien Mindestbeiträge für freiwillig Versicherte angesetzt worden.

Mit der am 21. Juni 2017 bei dem Sozialgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Rückzahlung überzahlter Beiträge.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 20. September 2018 abgewiesen. Ein Anspruch auf Rücknahme des Beitragsbescheides vom 20. April 2015 bestehe nicht, da die Beklagte durch seinen Erlass das Recht nicht fehlerhaft angewandt habe. Der Kläger sei in dem streitigen Zeitraum als Selbständiger bei der Beklagten freiwillig versichert gewesen. Die vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen erlassenen Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler stellten eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Beitragsfestsetzung dar. Das Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit sei dem Beitragsmonat mit einem Zwölftel des dem vorliegenden aktuellen Einkommenssteuerbescheid zu entnehmenden Jahresbetrags zuzuordnen. Die Beklagte habe für die Beiträge ab April 2015 ein Zwölftel des Einkommens aus dem Steuerbescheid für 2013 zugrunde gelegt. Ein anderer Steuerbescheid habe zum damaligen Zeitpunkt nicht vorgelegen. Die Beklagte habe auch bei Erlass des Bescheides vom 1. Juli 2015 das Recht richtig angewandt. Mit Recht sei das geringere Einkommen nicht berücksichtigt worden. Nach den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler setze die Berücksichtigung eines geringeren Einkommens eine Abweichung um mindestens 25 Prozent voraus. Der Kläger habe aber nur Nachweise für eine Abweichung von 15.1 Prozent vorgelegt. Auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sei die Schwelle für die Notwendigkeit einer Änderung jedenfalls nicht unter 20 Prozent anzusetzen. Die Berücksichtigung seines tatsächlichen Einkommens im Beitragsjahr könne der Kläger nicht beanspruchen. Die derzeit geltende Fassung des SGB V finde auf den streitigen Zeitraum keine Anwendung. Der Gesetzgeber habe keine Rückwirkung angeordnet. Die für den streitigen Zeitraum geltenden Vorschriften für die Beitragsbemessung seien auch verfassungsgemäß (Hinweis auf BVerfG v. 22. Mai 2001 – 1 BvL 4/96).

Gegen das ihm am 5. Oktober 2018 zugestellte Urteil richtet sich die am 18. Oktober 2018 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger hat einen weiteren Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2015 vom 28. September 2018 vorgelegt, der für ihn Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit in Höhe von 14.384,- EUR und aus Kapitalerträgen in Höhe von 5.044,- EUR festsetzt.

Der Kläger meint, dass bei der Beitragsberechnung das im Beitragsjahr 2015 erzielte Einkommen zugrunde gelegt werden müsse. Die für die erfolgte Beitragsbemessung herangezogenen Vorschriften seien nicht verfassungsgemäß. Die Vorschrift der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler, die als Grenze für die Berücksichtigung eines geringeren Einkommens eine Abweichung von mindestens 25 % festlege, verstoße gegen Art 3 Abs. 1 GG. Die vom Sozialgericht herangezogene Entscheidung des BVerfG sei hier nicht anwendbar, weil nicht die Verfassungsmäßigkeit der Beitragsbemessungsgrenze nach § 240 Abs. 4 SGB V, sondern die der angewandten Regelung der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler in Frage stehe. Auch sei nicht nachvollziehbar, dass das Sozialgericht eine Abweichung von lediglich 15 % ermittelt habe. Die Abweichung des Einkommens im Jahre 2015 gegenüber demjenigen des Jahres 2013 betrage 48,9 Prozent. Hintergrund sei, dass in dem Einkommenssteuerbescheid 2013 Einkünfte einschließlich Kapitalerträge von 36.425,00 EUR ausgewiesen waren, während die Einkünfte gemäß dem Steuerbescheid für 2015 auf insgesamt 18.604,00 EUR gesunken waren. Er – der Kläger – werde, weil er nicht mit dem Vorauszahlungsbescheid, sondern erst mit dem endgültigen Steuerbescheid die 25-Prozent-Grenze erreiche, schlechter gestellt als jemand, der mit dem Vorauszahlungsbescheid die 25 Prozent Grenze erreiche, mit dem endgültigen Steuerbescheid dann aber nur noch eine Differenz von 15 Prozent. Die darin liegende Schlechterstellung sei durch nichts gerechtfertigt und verstoße eindeutig gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Schließlich habe das Finanzamt Steglitz einen geänderten Steuerbescheid für das Jahr 2015 am 28. September 2018 erlassen, so dass die Neufassung des § 240 Abs. 4a Satz 2 und 3 SGB V anzuwenden sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. September 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Beitragsbescheid vom 20. April 2015 für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 31. Oktober 2015 zu ändern und Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung auf Basis eines jährlichen Einkommens des Klägers von 18.604,00 EUR festzusetzen und überzahlte Beiträge zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Sozialgerichts in jeder Hinsicht für zutreffend. Der Einkommenssteuerbescheid vom 28. September 2018 für das Jahr 2015 könne bereits deswegen nicht zu einer Änderung der Beitragsfestsetzung führen, weil er dieselben Einkünfte ausweise wie der Einkommenssteuerbescheid. Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungskats sei nach der Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides zu beurteilen.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Der Bescheid der Beklagten vom 8. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juni 2017 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagten den Beitragsbescheid vom 20. April 2015 für Beitragszeiträume von April bis Oktober 2015 zurücknehmen und die Beiträge in geringerer Höhe neu berechnen.

Ein Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 20. April 2015 kann sich nur aus § 44 SGB X ergeben. Dann muss bei dem Erlass des Bescheides vom 20. April 2015 das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden sein, der sich als unrichtig erweist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtswidrigkeit der zu überprüfenden Entscheidung ist grundsätzlich der Stand der Erkenntnis zum Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung. Bezugspunkt der Erkenntnis ist aber die Sach- und Rechtslage, die zum Zeitpunkt des Erlasses des zu überprüfenden Bescheides galt (Schütze in v. Wulffen/Schütze, SGB X, 14. Aufl., § 44 Rn. 10). Maßgebend sind demnach die für die Beitragserhebung im Jahre 2015 geltenden Vorschriften.

Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers ist demnach auf die Beitragserhebung nicht § 240 Abs. 4a SGB V in der seit dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung anzuwenden, wonach die Beitragsbemessung grundsätzlich anhand der tatsächlichen Einnahmen des jeweiligen Kalenderjahres vorzunehmen ist (BT-Drucks 18/11205 S. 71). Diese Gesetzesänderung trat nach Art 3 Abs. 3 des Heil- und Hilfsmittelversorgungsstärkungsgesetz erst zum 1. Januar 2018 in Kraft. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollte das neue Verfahren der grundsätzlich zunächst vorläufigen Festsetzung von Beiträgen erstmals Beitragsfestsetzungen für das Kalenderjahr 2018 erfassen (BT-Drucks 18/11205, S. 84). Eine rückwirkende Anwendung des § 240 Abs. 4a SGB V auf vor dem 1. Januar 2018 liegende Beitragszeiträume ist damit auch dann nicht vorzunehmen, wenn nach dem 1. Januar 2018 erneut oder erstmals über die Rechtmäßigkeit der Beitragserhebung für vorherige Jahre zu entscheiden ist (LSG Baden-Württemberg v. 31. August 2018 – L 11 KR 2654/18 ER-B – juris Rn 24; SG Osnabrück v. 13. August 2018 – S 46 KR 764/18 B ER – juris Rn 27/28).

Nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V in der hier maßgeblichen vom 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung vom 21. Juli 2017 gilt für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind, als beitragspflichtige Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, bei Nachweis niedrigerer Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße. Für freiwillige Mitglieder, die einen Gründungszuschuss nach dem SGB III oder eine vergleichbare Leistung nach dem SGB II erhalten, gilt als tägliche Mindesteinnahme der sechzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße. Gemäß § 240 Abs. 4 Satz 3 SGB V bestimmt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, unter welchen Voraussetzungen darüber hinaus der Beitragsfestsetzung hauptberuflich selbständiger Erwerbstätiger niedrigere Einnahmen, mindestens jedoch der sechzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße, zugrunde gelegt werden. Nach § 240 Abs. 4 Satz 6 SGB V können Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten geführten Nachweises nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam werden. Entsprechendes gilt nach § 57 Abs. 4 Satz 1 SGB XI, § 240 SGB V, § 1 Abs. 2 Satz 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler für die Bemessung der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung.

Der Kläger war in dem streitigen Zeitraum bei den Beklagten als hauptberuflich selbständiger Erwerbstätiger versichert. Einen Nachweis über die Höhe seiner Einnahmen aus selbständiger Erwerbstätigkeit hatte er vor Erlass des Bescheides vom 20. April 2015 durch die Vorlage seines Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2013 geführt. Dass die Beklagten die ab April zu zahlenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung auf der Grundlage des Einkommenssteuerbescheides für 2013 rechnerisch zutreffend ermittelt haben, steht zwischen den Beteiligten zu Recht nicht im Streit. Der Bescheid vom 20. April 2015 enthält auch keine vorläufige Festsetzung der Versicherungsbeiträge, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt nicht die Möglichkeit einer rückwirkenden Korrektur bei Vorlage aussagekräftiger Einkommensnachweise für das Kalenderjahr 2015 bestand (vgl. zur Möglichkeit einer vorläufigen Festsetzung Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, K § 240 Rn 142-143).

Die Beklagten waren auch nicht zu einer vorläufigen Festsetzung der Beiträge verpflichtet. Dazu bestand ursprünglich kein Anlass, weil der Kläger bereits sei dem Jahr 2012 einer hauptberuflichen selbständigen Erwerbstätigkeit nachging, so dass der für das Jahr 2013 erteilte Steuerbescheid eine hinreichende Grundlage für die Bestimmung der für das Jahr 2015 zu erwartenden Einnahmen abgab. Auch die Vorlage des Steuervorauszahlungsbescheides vom 2. Juni 2015 über geänderte Vorauszahlungen für Einkommenssteuer ab 10. Juni 2015 verpflichtete die Beklagten nicht zur Rücknahme des Beitragsbescheides vom 20. April 2015. Das Schreiben der Beklagten vom 1. Juli 2015 gibt die damals bestehende Rechtslage im Ergebnis zutreffend wieder.

Nach § 6 Abs. 3a der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler in der hier anzuwendenden Fassung vom 10. Dezember 2014 ist abweichend von Absatz 3 Satz 3 Nr. 1 (wonach für das Arbeitseinkommen auf den [letzten] aktuellen Einkommenssteuerbescheid abzustellen ist) auf Antrag ein Vorauszahlungsbescheid zur Einkommenssteuer zu berücksichtigen, wenn das dort angenommene Arbeitseinkommen um mehr als ein Viertel gegenüber dem im Einkommenssteuerbescheid zuletzt festgestellten Arbeitseinkommens reduziert ist. Diese Schwelle war vorliegend nicht überschritten, auch nicht bezogen auf das vom Kläger erzielte Arbeitseinkommen ohne Berücksichtigung der Kapitalerträge. Das Arbeitseinkommen hätte sich von 25.346,- EUR auf weniger als 19.009,50 EUR reduzieren müssen, damit nach den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler eine erneute Berechnung der Beiträge auf der Grundlage der Zahlen des Vorauszahlungsbescheides vorzunehmen war. Der Vorauszahlungsbescheid vom 2. Juni 2015 ging aber immer noch von einem Arbeitseinkommen in Höhe von 19.755,- EUR aus.

Dass die Orientierung der Beitragshöhe an den tatsächlichen Einkünften danach bei Fortsetzung der selbständigen Erwerbstätigkeit nur zeitversetzt und abhängig von dem Datum der Erstellung des Steuerbescheides erfolgen konnte, ist die Folge davon, dass das Gesetz in der für den vorliegenden Sachverhalt anwendbaren Fassung noch zwingend die endgültige Festlegung der Beiträge im Voraus vorsah und außer einem vorliegenden Einkommenssteuerbescheid keine geeignete Erkenntnisquelle für die Höhe der Einkünfte ersichtlich ist (Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, K § 240 Rn 141). Die dadurch möglichen Unzuträglichkeiten, dass die zu zahlenden Beiträge und das zur Verfügung stehende aktuelle Einkommen auseinanderfallen, waren nach der Rechtsprechung des BSG hinzunehmen, weil jedenfalls auf längere Sicht wieder mit einem Ausgleich zu rechnen war (BSG v. 22. März 2006 – B 12 KR 14/05 R – Rn 16). Soweit das BSG in diesem Urteil weitergehend Möglichkeiten für einen Ausgleich gesehen hat, betraf das ausschließlich eine vorläufige Beitragsfestsetzung nach dem Beginn einer selbständigen Tätigkeit. Dass der Kläger die Voraussetzungen der in § 6 Abs. 3a Beitragsverfahrensgrundsätze angelegten Korrekturmöglichkeit nur knapp verfehlt hat, muss er hinnehmen. Insoweit liegt eine mit jeder Grenzziehung unvermeidlich einhergehende Pauschalierung vor, welche die für ihn eingetreten Änderungen noch nicht als erheblich erscheinen ließ.

Der Gesetzgeber hat nunmehr mit Wirkung ab dem 1. Januar 2018 in § 240 Abs. 4a SGB V in Abkehr von dem bisherigen System generell eine vorläufige Festsetzung der auf Arbeitseinkommen entfallenden Beiträge auf der Grundlage des letzten bekannten Einkommenssteuerbescheides eingeführt. Das ändert aber nichts daran, dass die bisherige Rechtslage für Zeiträume vor dem Inkrafttreten der Neuregelung maßgeblich bleibt.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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