L 18 AS 947/20 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 38 AS 403/20 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 947/20 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 18. Mai 2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerde-verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Gründe:

Die Beschwerde, mit der der Antragsteller sein erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt, den Antragsgegner im Wege einer gerichtlichen Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einstweilen zu verpflichten, die Kosten eines bei einer zahnprothetischen Versorgung zu tragenden Eigenanteils iHv 834,27 EUR zu übernehmen, ist nicht begründet. Ein entsprechender Anordnungsanspruch ist nicht ersichtlich.

Der Antragsteller hat keinen Anspruch darauf, dass der Antragsgegner den Eigenanteil der Kosten für die zahnprothetische Versorgung als Zuschuss – eine Darlehensgewährung gemäß § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) macht der Antragsteller nicht geltend – übernimmt. Der Antragsteller muss sich auf die von der gesetzlichen Krankenversicherung bereits zugesagte Behandlung nach den Vorgaben der Regelversorgung verweisen lassen. Es ist nicht Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende, den für alle gesetzlich Versicherten geltenden Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu Gunsten von Arbeitslosengeld-II-Empfängern zu erweitern.

Bereits aus dem Grundsatz der Nachrangigkeit von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 9 Abs. 1 SGB II) ergibt sich, dass Krankenbehandlungen grundsätzlich nicht vom SGB-II-Leistungsträger zu übernehmen sind. Zwar ist die Absicherung gegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit Teil der verfassungsrechtlichen Garantie des Existenzminimums (vgl Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1, 3, 4/09 - juris). Dies wird jedoch nach der gesetzlichen Konzeption dadurch sichergestellt, dass Leistungsberechtigte – wie der Antragsteller – gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB) V in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung einbezogen sind und die Beiträge hierfür vom Jobcenter übernommen werden. Die Krankenkassen müssen nach § 27 SGB V notwendige Krankenbehandlungen ihrer Versicherten übernehmen. Der Anspruch umfasst die ärztliche und zahnärztliche Behandlung, die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen, Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln, häusliche Krankenpflege und Haushaltshilfe, Krankenhausbehandlung und Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie ergänzende Leistungen (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 6 SGB V). Es müssen die zweckmäßigen, wirtschaftlichen und medizinisch notwendigen Maßnahmen bezahlt werden. Soweit die Versicherten Zuzahlungen zu leisten haben, gilt dies nur bis zu einer gesetzlich festgelegten Belastungsgrenze. Bei Versicherten, die – wie der Antragsteller – Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II erhalten, ist die jährliche Belastungsgrenze nach § 62 Abs. 2 Satz 6 SGB V anhand des maßgeblichen Regelbedarfes zu bestimmen. Weigert sich die Krankenkasse, die notwendige Gesundheitsversorgung sicherzustellen, müssen Leistungsberechtigte – auf Grund der Nachrangigkeit der Leistungen nach dem SGB II – ihre begehrten Ansprüche vor-rangig gerichtlich gegen die Krankenkasse durchsetzen, notfalls auch im einstweiligen Rechtsschutz.

Eine Anspruchsgrundlage für die erhobenen Ansprüche ist im SGB II hingegen nicht ersichtlich. Die Gewährung eines Mehr- oder Sonderbedarfs im SGB II ist nur in den ausdrücklich gesetzlich normierten Fällen, zu denen die hier geltend gemachten Ansprüche auf Kostenübernahme für ärztliche Behandlungen nicht gehören, möglich (vgl schon Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19. August 2010 – B 14 AS 13/10 R - juris). Eine Anspruchsgrundlage ergibt sich insbesondere nicht aus § 21 Abs. 6 SGB II.

Danach wird im Rahmen der laufenden Bewilligung ein Mehrbedarf nur anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Die Unabweisbarkeit eines gesundheitsbedingten Bedarfs mit der Folge, dass das Jobcenter gegebenenfalls Leistungen zu gewähren hat, kann nur dann in Betracht gezogen werden, wenn das SGB V im konkreten Fall einen Leistungsausschluss für die medizinisch notwendige Versorgung vorsieht (vgl BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 6/13 R = SozR 4-4200 § 21 Nr 16 – Rn 22). Dies gilt jedoch nur in eng begrenzten Ausnahmefällen. So hat das BSG entschieden, dass die Kosten einer Krankenbehandlung bei gesetzlich krankenversicherten Grundsicherungsberechtigten entweder durch das System des SGB V oder (ergänzend) durch die Regelleistung nach § 20 Abs. 1 SGB II abgedeckt sind (vgl BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 - B 14 AS 146/10 R = SozR 4-4200 § 20 Nr 13). Aufgrund der Notwendigkeit einer Zuzahlung zu Zahnersatz oder Hilfsmitteln wie Brillen entsteht im Rechtskreis des SGB II hingegen kein zusätzlicher, unabweisbarer laufender Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

Erfolgt – wie hier – der Ausfall der (vollständigen) Bedarfsdeckung durch die gesetz-liche Krankenversicherung aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung des Versicher-ten zur Zuzahlung oder vorläufigen/endgültigen Tragung eines Eigenanteils, sieht § 62 SGB V auch für Bezieher von Alg II eine Zuzahlung bis zur Belastungs-grenze vor und § 28 Abs. 2 SGB V fordert den Eigenanteil als Vorleistung des Ver-sicherten bei Behandlungen, die über den in § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB V normierten notwendigen Umfang hinausgehen. Es liegt damit kein Fall von Aufwendungen für eine medizinisch notwendige Behandlung vor, die aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist, was Grundlage für einen Anspruch auf eine Mehrbedarfsleistung sein könnte (vgl BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 6/13 R - Rn 22 – mwN - für eine kieferorthopädische Behandlung).

Soweit der Antragsteller vorbringt, dass es sich bei der vom Zahnarzt vorgeschlagenen Versorgung um eine medizinisch notwendige handele, handelt es sich um Mehrleistungen. Es kann zwar nicht ausgeschlossen werden, dass sie medizinisch indiziert sein können. Sie gehen jedoch über die notwendige Versorgung hinaus und sind daher nach der Grundkonzeption des SGB V vom Versicherten selbst zu tragen. Hieraus folgt bereits, dass sie auch nicht durch SGB II-Leistungen zu de-cken sind (BSG aaO Rn 26 mwN). Schon der Gesetzgeber hält es ausdrücklich für zumutbar, dass die Kosten für Brillen oder Zahnersatz grundsätzlich bis zur Belastungsgrenze aus dem Regelbedarf zu bestreiten sind (BT-Drs. 17/1465, S 8 f). Anderenfalls würden Leistungsempfänger im Vergleich zu den anderen gesetzlich Versicherten bessergestellt. Die Kosten der in Rede stehenden zahnprothetischen Versorgung des Antragstellers fallen zudem nur einmalig an, so dass es sich nicht um einen laufenden Mehrbedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II handelt. Der von der Regelversorgung umfasste Kostenanteil wird nach der vorgelegten Kostenzusage von der Krankenkasse übernommen und ist somit bereits abgedeckt. Insoweit besteht gar kein besonderer Bedarf. Soweit der Kläger eine darüber hinausgehende bessere Versorgung wählt, ist dieser Bedarf nicht unabweisbar. Das Gericht geht davon aus, dass der im Rahmen des Existenzminimums zustehen-de Zahnersatz auf Basis der Regelversorgung ausreichend gewährleistet ist, zumal der Kläger als "voll versicherter" Leistungsempfänger (§ 5 Abs. 1 Nr 2a SGB V) uneingeschränkt und wie jeder andere Versicherte auch gem. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2a SGB V gegenüber der Krankenkasse einen Anspruch auf die zweckmäßigen, wirtschaftlichen und medizinisch notwendigen Maßnahmen hat.

Der den Zahnarztkosten des Antragstellers zugrunde liegenden Bedarf kann in dem auf eine Grundversorgung mit zumutbarer Eigenbeteiligung angelegten System des SGB V befriedigt werden, soweit es sich dabei um eine notwendige medizinische Versorgung handelt. Für weitergehende medizinische Maßnahmen trifft jedoch we-der den Grundsicherungsträger (noch den Sozialhilfeträger) eine Einstandspflicht (vgl BSG, Urteil vom 19. September 2008 – B 14/7b AS 10/07 R = SozR 4-4200 § 11 Nr 18 – Rn 26). Soweit über diese Regelversorgung hinaus entsprechend dem vom Antragsteller eingereichten Heil- und Kostenplan eine höherwertige zahnprothetische Versorgung begehrt wird, liegt auch kein atypischer Bedarf iSd § 73 Abs. 1 SGB XII vor.

Auch aus § 24 Abs. 3 Satz 2 SGB II ergibt sich kein Leistungsanspruch gegen den Beklagten, weil der einmalige Bedarf "Zahnersatz" nicht in der abschließenden Aufzählung des § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II enthalten ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt mangels Erfolgsaussicht nicht in Betracht (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung). Gleiches gilt für das erstinstanzliche Verfahren.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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