L 3 U 212/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 404/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 212/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der 1937 geborene Kläger begehrt wegen der Folgen einer von der Beklagten anerkannten Berufskrankheit nach Nr. 4103 (BK 4103) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV - Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura) die Gewährung einer höheren Verletztenrente.

Auf die ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine BK der Charité vom 4. September 2013 leitete die Beklagte ein BK-Feststellungsverfahren ein und holte u.a. das auf ambulanten Untersuchungen des Klägers mit Röntgen, Bodyplethysmographie, EKG und Spiroergometrie sowie mit einem hochauflösenden HR-CT des Thorax durch die Radiologin Dr. R beruhende Gutachten des Pneumologen Dr. S vom 28. Oktober 2014 ein. Dieser stellte teilverkalkte Verdickungen der Pleura parietalis und diaphragmatica beidseits, mit großer Wahrscheinlichkeit asbestbedingte fibrosierende Veränderungen mit NSIP-Muster mit mäßiger Restriktion der Lungenfunktion und einer möglichen leichten Obstruktion fest, ferner – berufsfremd – eine koronare Herzerkrankung, Zustand nach Herzinfarkt 1975, 1993, 2001, Zustand nach PTCA (perikutane Koronarintervention) und Stent, PAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit) beidseits, Zustand nach Stent-Einlage beidseits 2013, Zustand nach Aneurysma spurium mit Revision 2008, paroxysmales Vorhofflimmern, leichtgradige Mitralklappeninsuffizienz, Hyperlipoproteinämie, Diabetes mellitus Typ II, diabetische Polyneuropathie, Adipositas, chronische Niereninsuffizienz, Zustand nach mehreren Wirbelsäulenfrakturen, Zustand nach Meniskus-Operation fest. Die medizinischen Voraussetzungen einer BK 4103 seien erfüllt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei auf 20 vom Hundert (v.H.) einzuschätzen. Hierbei fänden eine mäßiggradige restriktive Ventilationsstörung und ein nur leicht eingeschränktes Belastungsverhalten Berücksichtigung.

Mit Bescheid vom 31. März 2015 erkannte die Beklagte beim Kläger die BK 4103 an und lehnte eine Rente wegen der BK ab, weil der Kläger infolge der bei ihm berufsfremd bestehenden Erkrankungen nicht mehr fähig sei, trotz Nutzung aller nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten gegebenen Arbeitsmöglichkeiten im gesamten Wirtschaftsleben noch einen nennenswerten Verdienst zu erzielen. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2015 als unbegründet zurück. Eine MdE durch eine BK setze zwingend voraus, dass vor dem Versicherungsfall noch keine völlige Erwerbsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung bestanden habe.

Der Kläger hat sein Begehren mit der am 29. Juli 2015 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Die Beklagte hat nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. S vom 02. Juni 2016 dem Kläger gegenüber ab dem 5. Juni 2013 (Tag des von der Beklagten angenommenen Versicherungsfalls) einen Anspruch auf Rente nach einer MdE von 20 v.H. anerkannt. Mit Bescheid vom 5. Januar 2017 hat die Beklagte das Anerkenntnis ausgeführt.

Da der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente nach einer höheren MdE verlangt hat, hat das SG das auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers beruhende schriftliche Sachverständigengutachten des Internisten mit Schwerpunkt Lungen-, Bronchialheilkunde, Allergologie Prof. Dr. H vom 28. Februar 2017 eingeholt. Dieser hat eine bodyplethysmographische und spirometrische Untersuchung durchgeführt. Laut den vom Sachverständigen im Gutachten festgehaltenen Angaben des Klägers lehnte dieser unter Hinweis auf seine Hüftschmerzen und Gehstützen eine Belastungsuntersuchung auf dem Fahrradergometer ab. Eine Diffusionsmessung war nicht möglich, weil der Kläger das erforderliche Atemmanöver nicht korrekt durchführen konnte. Laut dem Sachverständigen demonstrierten die bei der Begutachtung aufgenommenen Atemparameter eine hochgradige Lungenüberblähung. Die Restriktionsparameter hätten sich gegenüber 2014 unter Berücksichtigung des Altersganges nur unmaßgeblich geändert. Die Lungenüberblähung sei schwerlich auf eine progediente Asbestfibrose der Lungen zurückzuführen. In allen aktenkundigen CT-Untersuchungen der Thoraxorgane hätten immer emphysematöse Lungenparenchymzerstörungen beschrieben werden können, die zweifelsohne die Lungenüberblähung bedingten. Kritisch anzumerken sei, dass Emphysemdestruktionen der Lungen schon 2013 und 2014 im CT gesehen worden seien und die atemmechanischen Untersuchungen noch keine Lungenüberblähung hätten erkennen lassen. Es ergebe sich die Frage, ob das Lungenemphysem zunehmend progredient geworden sei. Eine Annahme, die nur durch eine erneute CT-Untersuchung der Thoraxorgane im Vergleich zu früheren Bildern geklärt werden könne. Ein aktueller CT-Befund könne aber nur von akademischer Bedeutung sein, da ein Lungenemphysem nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Asbestschädigung stehen könne. Im Hinblick auf die Beurteilung der noch bestehenden körperlichen Leistungsfähigkeit wäre eine Belastungsuntersuchung auf dem Fahrradergometer sinnvoll gewesen. Angesichts der erhobenen Daten sei eine MdE von 20 v.H. seit Diagnosestellung vorzuschlagen. Die schwere chronische Herzerkrankung im Zustand nach mehreren invasiven Behandlungsnotwendigkeiten sei nicht in einem kausalen Zusammenhang mit der Asbestose zu sehen. Eine Asbestose habe bislang keine nachweisbaren Gasaustauschstörungen bewirkt, die zu einem pulmonalen Gefäßhochdruck geführt und damit eine Rechtsherzbelastung bewirkt hätten.

Der Kläger hat sich unter dem 8. Juli 2017 kritisch mit dem schriftlichen Sachverständigengutachten auseinandergesetzt und behauptet, der Sachverständige habe ihn nur abgehört. Er denke, dass seine Herzinfarkte durch die Lungenschwäche entstanden seien, weil diese Organe dicht zusammenarbeiteten.

Mit Urteil vom 16. Oktober 2017 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klage unbegründet sei. Die Ausführungen in den Gutachten von Dr. S im behördlichen Vorverfahren und von Prof. Dr. H im gerichtlichen Verfahren ließen nur die Annahme BK-bedingter Funktionsbeeinträchtigungen in Form einer mäßiggradigen restriktiven Ventilationsstörung und möglicherweise einer leichten Obstruktion zu, die mit einer MdE von 20 v.H. zu bewerten seien. Die weitergehenden Beeinträchtigungen beruhten auf einer vom Sachverständigen Prof. Dr. H anhand der vorliegenden Vorbefunde schlüssig dargestellten Lungenüberblähung infolge eines Lungenemphysems. Die vom Sachverständigen beabsichtigte Belastungsuntersuchung des Klägers habe aufgrund seiner Hüftgelenksbeschwerden bzw. Gehbehinderung nicht durchgeführt werden können, so dass nichts anderes übrig geblieben sei, als zur Beurteilung der Funktionsfolgen durch die Asbestschädigung die Untersuchung der Ruheatmung heranzuziehen.

Gegen das ihm am 20. Oktober 2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. November 2017 Berufung eingelegt und sein bisheriges Vorbringen vertieft. Ihm stehe eine Rente nach einer MdE von mindestens 50 v.H. zu. Dem Gutachten von Prof. Dr. H sei nicht zu folgen, weil ein Belastungstest nicht vorgenommen worden sei, zu welchem der Kläger bereit gewesen sei. Es sei die Schwerbehindertenakte beizuziehen, weil das SG im angefochtenen Urteil zweifelhaft davon ausgegangen sei, dass die Lungenüberblähung nicht im Zusammenhang mit der Asbestfibrose stehe, und neue medizinische Befunde eruriert werden könnten. Der Kläger verweist auf einen HR-CT-Bericht von Dr. Rehbock vom 21. August 2019, wonach sich im Vergleich zu Oktober 2014 eine nur minimale Zunahme der Tiefe der asbestassoziierten pleuralen Verdickungen und der Verkalkungen bei unveränderter Ausdehnung in der Pleurazirkumferenz zeigten, des Weiteren eine diskrete Fibrose ohne Honigwabenzysten im Lungenmantel beider Unterlappen ohne wesentliche Zunahme zu Oktober 2014, keine suspekten Herde, jedoch Zeichen einer pulmonalen Hypertonie sowie einer fortgeschrittenen Arteriosklerose bei Zustand nach Bypass-OP und Zustand nach BWK-12-Fraktur.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. Oktober 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 31. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2015 und des Bescheids vom 5. Januar 2017 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm aufgrund der bei ihm festgestellten BK 4103 eine höhere Verletztenrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

de Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend. Sie hat eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. S vom 2. September 2019 vorgelegt.

Der Senat hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte nebst weiteren Behandlungsunterlagen eingeholt, darunter ein Arztbrief der C - Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie – vom 14. Januar 2016 (Aktuellen Diagnosen: Lungenasbestose mit leicht- bis mittelgradiger Restriktion), ein Arztbrief der C – Klinik für Orthopädische, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie (Diagnosen: lumbale Facettengelenkarthrose L1 bis S1 beidseits, höhergradige, aber nicht absolute osteodiskoligamentäre Spinalkanalstenosen LWK 2/3, 3/4 , hochgradige Neuroforamenstenosen L4 und L5 rechts betont, Alte BWK12-Fraktur, Dreigefäß-KHK mit Z.n. Herzinfarkt 1975, 1993, 2001 mit Z.n. multiplen perkutanen Interventionen mit Z.n. 2-fach-Bypass-OP 1993 und 1-fach-Bypass-OP 2001, ischiämische Herzinsuffizienz NYHA Grad III, Karotisstenosen beidseits, COPD durch Asbestose, Diabetes mellitus Typ 2, diabetische Polyneuropathie, paroxysmales Vorhofflimmern, arterieller Hypertonus, Hyperlipoproteinämie, Mitralklappeninsuffizienz, chronische Niereninsuffizienz, vaskuläre Demenz, PAVK beidseits mit Z.n. PTA und Stentimplantation beidseits, Schmerzmedikation mit Tilidin/ Naloxon, Bl. 218 GA), ein Arztbrief des Herzzentrums vom 20. Mai 2014, wonach der Kläger die Ergometrieuntersuchung nur bis zu einer Belastung von 75 Watt habe durchgeführt werden können, bevor der Kläger wegen Beinermüdung abgebrochen habe.

Der Senat hat sodann die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. H vom 19. April 2019 eingeholt, worin er erläutert hat, warum er von einer Belastungsuntersuchung bei der fürs SG durchgeführten Untersuchung abgesehen hatte. Er hat auf die opioid-haltige Schmerzmedikation des Klägers hingewiesen, was die Angaben des Klägers bei der damaligen Untersuchung stütze und plausibilisiere, dass sich der Kläger bei der Begutachtung einer Belastungsuntersuchung nicht habe unterziehen können. Um den Kläger nicht zu benachteiligen, sei ein HR-CT der Thoraxorgane ohne Kontrastmittel vorzuschlagen. Durch diese Untersuchung könne vergleichend mit früheren Bildern eine Progredienz der Asbestschädigung festgestellt oder ausgeschlossen werden. Bei Ausschluss einer Progredienz wäre die abgegebene Beurteilung zusätzlich bestätigt.

Auf Antrag des Klägers ist das schriftliche Sachverständigengutachten des Arbeitsmediziners, Sozialmediziners und Umweltmediziners Prof. Dr. Dr. K vom 1. Februar 2020 eingeholt worden. Dieser hat u.a. ausgeführt, dass beim Kläger zwar eine ausgeprägte Dyspnoe schon bei leichteren körperlichen Belastungen bestehe. Diese sei aber hauptursächlich auf die koronare Herzkrankheit und das fortgeschrittene Lebensalter zurückzuführen. Spirometrisch habe eine leicht- bis mittelgradige restriktive Ventilationsstörung festgestellt werden können, spirometrisch und ganzkörperplethysmographisch sei eine maßgebliche obstruktive Ventilationsstörung auszuschließen. Husten und Auswurf stünden hingegen zumindest teilursächlich in Zusammenhang mit der Lungenasbestose, wobei daraus keine maßgebliche Funktionseinschränkung resultiere. Die leicht- bis mittelschwere restriktive Ventilationsstörung ohne Gasaustauschstörung und ohne Rechtsherzbelastung könne keine höhere MdE wegen der Folgen der BK 4301 als 20 v.H. begründen.

Die Beteiligten haben sich mit Schreiben vom 25. März und 26. März 2020 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen des weiteren Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten sowie Schwerbehindertenakten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Berichterstatter kann, weil die vorliegende Streitsache weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist noch von grundsätzlicher Bedeutung ist, in Ausübung des insofern eröffneten richterlichen Ermessens anstelle des Senats im schriftlichen Verfahren ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, vgl. §§ 155 Abs. 3 und 4, 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das angefochtene Urteil des SG ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht. Die Beklagte hat es mit den verfahrensgegenständlichen Bescheiden zu Recht abgelehnt, dem Kläger wegen der Folgen der bei ihm bestehenden BK 4103 eine höhere Verletztenrente als nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.

Die Voraussetzungen der für den geltend gemachten Anspruch einzig in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlage aus § 56 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) liegen nicht vor. Nach § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Nach § 56 Abs. 1 S. 2 SGB VII besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert ist und die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen. Nach § 56 Abs. 1 S. 3 SGB VII sind die Folgen eines Versicherungsfalls nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern. Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

Diese Voraussetzungen sind nur für eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. erfüllt. Es liegt eine BK 4103 als Versicherungsfall i.S.v. §§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1 SGB VII vor. Die beim Kläger festgestellten Funktionseinbußen und krankhaften Veränderungen "infolge" der BK begründen keine rentenberechtigende MdE von mehr als 20 v.H. Der Gesetzgeber bringt mit der wiederholten Formulierung "infolge" – vgl. §§ 45 Abs. 1 Nr. 1, 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII - das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Verknüpfung des Versicherungsfalls bzw. seiner Folgen mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zurechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleichgestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), vgl. Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O., auch Rn. 18 und 20). Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob der Versicherungsfall wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (vgl. BSG, Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 15). Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung im Unterschied zu der an der generellen Geeignetheit einer Ursache orientierten Adäquanztheorie auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang bei der Theorie der wesentlichen Bedingung nicht zu berücksichtigen oder bei ihr entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Maßgebend ist, dass die Beurteilung medizinischer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge auf dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand aufbauen muss (BSG, a.a.O., Rn. 17). Dies erfordert nicht, dass es zu jedem Ursachenzusammenhang statistisch-epidemiologische Forschungen geben muss, weil dies nur eine Methode zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist und sie im Übrigen nicht auf alle denkbaren Ursachenzusammenhänge angewandt werden kann und braucht. Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG, a.a.O., Rn. 18). Dieser wissenschaftliche Erkenntnisstand ist jedoch kein eigener Prüfungspunkt bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs, sondern nur die wissenschaftliche Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheitsstörungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt werden, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (BSG, a.a.O., Rn. 19). Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Versicherungsfall und den Krankheitsfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 20).

Dies zugrunde gelegt, bestehen beim Kläger infolge der von der Beklagten anerkannten BK 4103 gesundheitliche Beeinträchtigungen in Gestalt einer leichten bis mittelschweren Restriktionsstörung ohne Gasaustauschstörung und ohne Rechtsherzbelastung, die sich in Husten und Auswurf äußert. Demgegenüber lässt sich die komplexe Herzerkrankung mit den mit ihr einhergehenden Funktionsbeeinträchtigungen (Erschöpfung, Rhythmusstörungen, Luftnot bei nur geringen körperlichen Belastungen) nicht als BK-Folge anerkennen. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. H in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 28. Februar 2017 sowie in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. April 2019 schlüssig ausgeführt. Dies überzeugt angesichts der Tatsache, dass der Kläger bereits 1975 einen Herzinfarkt erlitt, wohingegen die Asbestose erst fast vierzig Jahre später durch objektive ärztliche Befunde gesichert wurde. Die Lungenüberblähung kann gleichfalls nicht auf die Asbestose zurückgeführt werden. Diese beruht nach den auch insofern überzeugenden Zusammenhangserwägungen von Prof. Dr. H vielmehr auf emphysematösen Lungenparenchymzerstörungen, die sich bereits etwa in der CT-Untersuchung der Thoraxorgane vom 2. August 2013 zeigten. Diese sieht er in keinem Zusammenhang mit der Asbestose. Dem steht nicht entgegen, dass nach dem Merkblatt fu&776;r die a&776;rztliche Untersuchung (Bek. des BMA v. 13.05.1991, BArbBl. 7-8/1991, S. 74) in der Tat nicht selten die Symptome einer chronischen Bronchitis, emphysemato&776;se Lungenvera&776;nderungen und – allerdings beim Kläger nach den vorliegenden Befunden und den nachvollziehbaren Ausführungen des auf seinen Antrag gehörten Prof. Dr. Dr. K in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 1. Februar 2020 von vornherein auszuschließen - Rechtsherzhypertrophien (Cor pulmonale) hinzutreten, wobei sich der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand zu diesem Krankheitsbild aus der Empfehlung für die Begutachtung asbestbedingter Berufskrankheiten - Falkensteiner Empfehlung - der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e.V. (DGUV), Stand: Februar 2011, sowie aus Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, Seiten 1162 f. ergibt. Danach sind die Funktionsstörungen, die bei asbestbedingten Berufskrankheiten auftreten können, nicht krankheitsspezifisch. Vielmehr muss in jedem Einzelfall der Zusammenhang zwischen pulmokardialen Einschränkungen und der in Betracht kommenden Berufskrankheit – hier der anerkannten BK 4103 – begründet und festgestellt werden. Zu prüfen ist, ob die Funktionseinschränkung auf die BK oder auf BK-unabhängige Leiden (z.B. Adipositas, Asthma, Nikotinabusus, kardiovaskuläre Erkrankungen etc.), d.h. konkurrierende Ursachen, zurückzuführen ist. Die ursächliche Zuordnung der Funktionsstörungen ist im Einzelfall im Rahmen einer Gesamtschau unter Berücksichtigung sämtlicher Befunde und des Krankheitsverlaufes zu beurteilen (vgl. Falkensteiner Empfehlung, Seite 83, 86).

Hiervon ausgehend sieht Prof. Dr. H unter Bezugnahme auf das im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten von Dr. S vom 28. Oktober 2014 zutreffend allenfalls eine mäßige Restriktion ohne Nachweis einer Obstruktion im Zusammenhang mit der BK. Prof. Dr. Dr. K bestätigt dies in seinem Gutachten vom 1. Februar 2020. Er benennt als die auf die BK zurückzuführende Funktionsstörungen Husten und Auswurf. Unter Einbeziehung der von ihm auf die BK zurückgeführten leichten bis mittelschweren Restriktion ergibt sich für ihn insgesamt das Bild einer auf der BK beruhenden leichtgradigen Ventilationsstörung ohne Respirationsstörung und ohne Rechtsherzbelastung. Die ausgeprägte Dyspnoe bereits bei leichteren körperlichen Belastungen ist nach dem überzeugenden Votum insbesondere Prof. Dr. Dr. Ks hauptursächlich auf die koronare Herzkrankheit und das fortgeschrittene Lebensalter des Klägers zurückzuführen. Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der BK und der Herzkrankheit werden in keinem Gutachten aufgezeigt. Zudem ergab das im Sommer 2019 – der Anregung von Prof. Dr. H folgend – eingeholte HR-CT gerade keine Progredienz der Asbestose, mithin keinen mit der Zeit schwereren BK-assoziierten Lungenbefund als zuvor, sondern vielmehr mit einer pulmonalen Hypertonie und einer fortgeschrittenen Arteriosklerose bei Zustand nach Bypass-OP berufsfremde Ursachen für die vom Kläger beklagten Beschwerden.

Soweit sich im vorstehenden Sinne die haftungsausfüllende Kausalität annehmen lässt, stellt sich die Frage nach der Bemessung der MdE. Nach § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Nach § 56 Abs. 2 S. 3 SGB VII werden bei der Bemessung der MdE Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden. Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab: Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 14/03 R -, zitiert nach juris Rn. 12). Für eine Art "Risikozuschlag" oder "Gefährdungs-MdE" wegen der Prognoseunsicherheiten hinsichtlich der Entwicklung der Krankheit ist in der auf die verminderten Arbeitsmöglichkeiten bezogenen MdE-Schätzung in der gesetzlichen Unfallversicherung kein Raum, weil auf die Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens im Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist und erst in Zukunft möglicherweise eintretende Schäden grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind. Allerdings ist eine schon bestehende Rückfallgefahr, die bereits vor dem Eintritt des eigentlichen Rückfalls die Erwerbsfähigkeit mindert, bei der Bemessung der gegenwärtigen MdE zu berücksichtigen (BSG a.a.O., Rn. 18).

Hieran gemessen bringen die auf die BK zurückzuführenden Funktionsbeeinträchtigungen (allenfalls mittelschwere restriktive Ventilationsstörung mit Husten und Auswurf, ohne Gasaustauschstörung sowie ohne Rechtsherzbelastung) keine höhere als die von der Beklagten zugestandene MdE mit sich. Die beim Kläger festgestellten, durch die BK bedingten Funktionsbeeinträchtigungen sind nach dem klinischen Gesamteindruck bzw. den im Kern übereinstimmenden Befunden von Dr. S, Prof. Dr. H und Prof. Dr. Dr. K insgesamt als leichtgradig (allenfalls geringe Belastungsdyspnoe mit Husten, kein durchgängiges Knisterrasseln, spirometrisch nur leicht- bis mittelgradige Restriktion, normaler Sauerstoffpartialdruck, Verwendung lediglich von Bronchodilatatoren (Salbutamol zweimal täglich)) anzusehen, so dass nach der hier einschlägigen MdE-Tabelle bei Schönberger et al., a.a.O., S. 1087 in der Tat eine MdE von 20 v.H. gerechtfertigt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Revision ist mangels Zulassungsgrundes nach § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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