L 3 R 738/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 69 R 1434/18 WA
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 R 738/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RE 7/20 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht rückwirkend für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis zum 31. März 2014 zu befreien ist.

Der im Jahr 1974 geborene Kläger wurde am 09. September 2004 von der Rechtsanwaltskammer D als Rechtsanwalt zugelassen und war seit dem 09. September 2004 kraft Gesetzes Pflichtmitglied im Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande N-W (im Folgenden: Versorgungswerk NRW). Ab dem 18. Oktober 2004 war er als angestellter Rechtsanwalt in einer Rechtsanwaltskanzlei in Berlin beschäftigt. Nach seinem Umzug nach Berlin wurde der Kläger ab dem 13. Dezember 2004 Mitglied der Rechtsanwaltskammer B. Auf seinen Antrag führte sodann das Versorgungswerk NRW seine Mitgliedschaft ab dem 14. Dezember 2004 (als freiwillige Mitgliedschaft) fort. Mit Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, vom 23. Dezember 2004 wurde der Kläger – auf seinen Antrag - ab dem 09. September 2004 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit.

Ab dem 01. Januar 2013 war der Kläger als Referent beim Gesamtverband der D V e.V. (GDV) mit Sitz in B tätig. Der Arbeitgeber des Klägers führte im streitbefangenen Zeitraum Rentenversicherungsbeiträge an die Beklagte ab. Der Kläger zahlte den Mindestbeitrag an das Versorgungswerk NRW.

Im März 2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Tätigkeit beim GDV. Die Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 21. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 17. April 2015 ab und verwies zur Begründung auf die am 03. April 2014 ergangenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) zu den Aktenzeichen B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R, nach denen eine selbstständige anwaltliche Berufsausübung in der äußeren Form einer Beschäftigung nicht möglich sei und damit im Fall des Klägers die Voraussetzungen für eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht vorlägen.

Mit seiner hiergegen am 19. Juni 2015 zum Sozialgericht B (SG) (Az.: S 69 R 3117/15) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

Im Hinblick auf das Gesetzgebungsverfahren zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte ist dieses Klageverfahren durch Beschluss des SG vom 14. August 2015 ruhend gestellt worden.

Nachdem die Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) zum 01. Januar 2016 durch das "Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung" vom 21. Dezember 2015 (BGBl I S. 2517) u. a. dahingehend geändert worden war, dass nunmehr die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ermöglicht wurde (§ 46a BRAO), beantragte der Kläger am 23. März 2016 bei der Rechtsanwaltskammer B die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt für die seit dem 01. Januar 2013 beim GDV ausgeübte Referententätigkeit und am 23. März 2016 bei der Beklagten die (auch) rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI (gleichfalls geändert durch das "Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung" vom 21. Dezember 2015, a.a.O.).

Im Rahmen ihrer Anhörung legte die Rechtsanwaltskammer u. a. den Nachweis für die am 15. März und 22. Juli 2016 erfolgten Änderungen des Arbeitsvertrages des Klägers dahingehend, dass ihm vom Arbeitgeber die fachliche Unabhängigkeit der Berufsausübung im Sinne des § 46 Abs. 3 BRAO vertraglich und tatsächlich gewährleistet wird, bei der Beklagten vor.

Mit Bescheid vom 06. September 2016 wurde der Kläger von der Rechtsanwaltskammer B mit sofortiger Wirkung – bei Zugang gegen Empfangsbekenntnis am 15. September 2016 - für das Arbeitsverhältnis beim GDV als Syndikusrechtsanwalt zugelassen.

Mit Bescheid vom 09. März 2017 befreite die Beklagte den Kläger von der Rentenversicherungspflicht für seine Tätigkeit beim GDV zunächst für die Zeit ab Zulassung als Syndikusrechtsanwalt, also ab dem 15. September 2016. Über den Antrag auf rückwirkende Befreiung werde sie gesondert entscheiden.

Unter dem 23. Januar 2017 bestätigte das Versorgungswerk NRW gegenüber der Beklagten mit dem Vordruck V6320 unter Punkt 7, dass der Kläger vom 09. September 2004 bis zum 13. Dezember 2004 "Pflichtmitglied kraft Gesetzes" gewesen sei und ab dem 14. Dezember 2004 fortlaufend seine "auf Antrag fortgesetzte Mitgliedschaft" bestehe. Die weitere im Vordruck vorformulierte Frage beantwortete das Versorgungswerk wie folgt: " X Bestätigung der Beitragszahlung für Beschäftigungszeiten bis 31.03.2014 Es wird bestätigt, dass für die zu befreienden Beschäftigungen einkommensbezogene Pflichtbeiträge analog §§ 157 ff. SGB VI gezahlt wurden.

Beginn Ende 01.01.2013 und lfd. der einkommensgerechten Beitragszahlung."

Die Beklagte bat das Versorgungswerk unter dem 13. Juli 2017 um Überprüfung dieser Angabe, da für den Beschäftigungszeitraum bis zum 31. März 2014 auch Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung vorlägen. Das Versorgungswerk teilte daraufhin unter dem 24. Juli 2017 mit, dass seine Angaben richtig gewesen seien. Dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 19. Juli 2016 (Az. 1 BvR 2584/14) sei zu entnehmen, dass es sich bei der Zahlung von Beiträgen an das Versorgungswerk stets um die Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge im Sinne von § 231 Abs. 4b S. 4 SGB VI handele.

Mit Bescheid vom 21. September 2017 befreite die Beklagte den Kläger für seine im Zeitraum vom 01. April 2014 bis zum 14. September 2016 ausgeübte Beschäftigung beim GDV rückwirkend nach § 231 Abs. 4b SGB VI. Die demnach zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wurden im Januar 2018 unmittelbar an das Versorgungswerk erstattet.

Mit weiterem - hier streitgegenständlichem - Bescheid vom 21. September 2017 lehnte die Beklagte die rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI für die in der Zeit vom 01. Januar 2013 bis zum 31. März 2014 ausgeübte Beschäftigung des Klägers beim GDV ab, da der Kläger für diesen Zeitraum keine einkommensbezogenen Beiträge an das Versorgungswerk gezahlt habe. Zugleich lehnte sie den Antrag auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Pflichtbeiträge nach § 286f SGB VI ab. Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung seien zu Recht gezahlt worden, da keine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b SGB VI bestehe.

Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser die rückwirkende Befreiung auch für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis zum 31. März 2014 geltend machte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 2018 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass das Versorgungswerk der Rechtsanwälte nicht ausdrücklich bestätigt habe, dass für den Zeitraum vom 01. Januar 2013 bis zum 31. März 2014 einkommensbezogene Pflichtbeiträge aufgrund der Beschäftigung beim GDV gezahlt worden seien. Vielmehr seien in dieser Zeit für diese Beschäftigung Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden. Eine einkommensbezogene Pflichtbeitragszahlung zur berufsständischen Versorgungseinrichtung liege für Zeiten vor dem 01. April 2014 nicht vor und die Befreiungsvoraussetzungen seien damit nicht erfüllt.

Mit Schriftsatz vom 06. April 2018 hat der Kläger die Wiederaufnahme des Klageverfahrens (nunmehr Az.: S 69 R 1434/18 WA) beantragt und den Rechtsstreit hinsichtlich des Zeitraums ab dem 01. April 2014 für erledigt erklärt. Der Bescheid vom 21. September 2017 sei nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Zur Klagebegründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass es sich bei den von ihm im streitigen Zeitraum entrichteten Mindestbeiträgen an das Versorgungswerk um einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne des § 231 Abs. 4 b Satz 1 SGB VI handle, wie es auch vom Versorgungswerk gegenüber der Beklagten unter dem 23. Januar 2017 bestätigt worden sei. Dies habe auch bereits das BVerfG in seinen Beschlüssen vom 19. und 22. Juli 2016 zu den Aktenzeichen 1 BvR 2584/14 und 1 BvR 2534/14 so entschieden. Wenn schon solche Zahlungen sozialversicherungsrechtlich legalisiert werden sollten, die ohne jegliche Befreiung von der Rentenversicherungspflicht getätigt worden seien, so müsse eine entsprechende Rückwirkung erst Recht für Fälle gelten, in denen ein Befreiungsantrag gestellt worden sei. Ob die Zahlung an das Versorgungswerk ohne jegliche Befreiung, gegebenenfalls sogar rechtsmissbräuchlich oder böswillig erfolgt sei, oder aber wie im vorliegenden Fall während des laufenden Befreiungsverfahrens, sei unerheblich.

Mit Urteil vom 27. September 2018 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Streitgegenstand des Verfahrens sei der Bescheid vom 21. September 2017 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 19. März 2018, mit dem die Beklagte die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis zum 31. März 2014 abgelehnt habe. Zwar seien diese Bescheide nicht nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden, jedoch stelle sich die Einbeziehung der genannten Bescheide als eine im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG sachdienliche Klageänderung dar. Es sei aus prozessökonomischer Sicht geboten, die Versicherungsverhältnisse des Klägers in einem Verfahren vollumfänglich zu klären. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Die Beklagte habe es zu Recht abgelehnt, den Kläger für seine beim GDV ausgeübte Tätigkeit für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis zum 31. März 2014 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien. Die Voraussetzungen für eine rückwirkende Befreiung seien nicht erfüllt. Eine rückwirkende Befreiung für Zeiten vor dem 01. April 2014 komme demzufolge nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI erfüllt seien, d. h. der Kläger in der Zeit vom 01. Januar 2013 bis zum 31. März 2014 einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt habe. Dies sei zur Überzeugung der Kammer nicht der Fall. Einer Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI stehe nicht bereits entgegen, dass der Kläger im streitbefangenen Zeitraum lediglich den Mindestbeitrag an das Versorgungswerk entrichtet habe. Die Kammer gehe mit dem Kläger davon aus, dass auch der Mindestbeitrag an das Versorgungswerk einkommensbezogen festgestellt werde. Allerdings führe dies allein nicht zu einem Befreiungsanspruch des Klägers. Die Regelung des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI sei auf Grundlage der Gesetzesbegründung vielmehr dahingehend auszulegen, dass es sich bei den "einkommensbezogenen Pflichtbeiträgen an ein berufsständisches Versorgungswerk" um Beitragszahlungen für genau diejenige Beschäftigung handeln müsse, wegen der die Befreiung nach § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI erstrebt werde. Im Fall des Klägers seien die (Mindest-)Beiträge an das Versorgungswerk jedoch nicht für die abhängige Referententätigkeit, sondern für seine selbstständige Tätigkeit entrichtet worden. Diese Auslegung folge zur Überzeugung der Kammer aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/5201), in der es auf Seite 47 zu Artikel 5 (Änderung des SGB VI) zu Nr. 2 (§ 231 Abs. 4a und 4b SGB VI-E) heiße:

"Satz 4 regelt, dass die Begrenzung der Rückwirkung der Befreiung auf April 2014 nicht in den Fällen gilt, in denen insbesondere in der Annahme des Bestehens einer gültigen Befreiung seinerzeit nur einkommensbezogene Pflichtbeiträge zur berufsständischen Versorgung gezahlt wurden, nicht jedoch zur gesetzlichen Rentenversicherung ( ...). Hiermit wird umfassend eine Rückabwicklung der zur berufsständischen Versorgung entrichteten Beiträge vermieden und im Ergebnis die tatsächliche Beitragszahlung nachträglich legalisiert."

Sinn der Regelung des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI sei es demnach, Rückabwicklungen zu vermeiden, wenn ein Arbeitgeber für eine Beschäftigung fälschlicherweise Beiträge an das berufsständische Versorgungswerk entrichtet habe. Allein diese Beiträge sollen nachträglich legalisiert werden. Dies setze zwingend voraus, dass es sich bei diesen Beiträgen um die Beitragszahlung für genau diejenige Beschäftigung handele, derentwegen die Befreiung nach § 231 Abs. 4b SGB VI erteilt werde. Für diese Rechtsauffassung spreche, dass sich die Regelungen in den Sätzen 1 bis 3 des § 231 Abs. 4b SGB VI ausdrücklich auf die jeweils zu befreiende Beschäftigung bezögen. Gleiches gelte für Satz 5, wonach die Anwendbarkeit der Sätze 1 bis 4 für Beschäftigungen ausgeschlossen sei, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt aufgrund einer vor dem 04. April 2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt worden sei. Auch diese Regelung beziehe sich auf die zu befreiende Tätigkeit. Unter Berücksichtigung der Regelungsgegenstände der Sätze 1 bis 3 und 5 widerspreche es nach Auffassung der Kammer der Regelungssystematik des § 231 Abs. 4b SGB VI, die einkommensbezogene Pflichtbeitragszahlung gemäß Satz 4 auch auf Pflichtbeiträge wegen einer selbstständigen Tätigkeit zu erstrecken. Dem hiesigen Ergebnis stünden die Nichtannahmebeschlüsse des BVerfG vom 19. und 22. Juli 2016 zu den Aktenzeichen 1 BvR 2584/14 und 1 BvR 2534/14 (jeweils in juris) nicht entgegen. Das BVerfG habe sich lediglich dazu geäußert, dass auch ein Mindestbeitrag zur Anwaltsversorgung ein einkommensbezogener Pflichtbeitrag im Sinne von § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI sei. Es habe jedoch keinerlei Ausführungen dazu gemacht, dass es für eine über den 01. April 2014 hinaus rückwirkende Befreiung ausreichen solle, wenn der Mindestbeitrag für eine selbstständige Tätigkeit als Rechtsanwalt neben der ausgeübten Beschäftigung, für die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet wurden, gezahlt worden sei. Der vom BVerfG in Bezug genommenen Aufsatz von Wein/Walter, BB 2016, S. 245 (248), spreche vielmehr dafür, dass auch das BVerfG von noch offenen Rechtsfragen in Bezug auf § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI ausgegangen sei. So führten Wein/Walter im benannten Aufsatz zu der über den 01. April 2014 hinaus rückwirkenden Befreiung aus, dass sich die Folgen der gesetzlichen Regelung für diejenigen als ein Dilemma darstellten, die – wie der Kläger – vor den BSG-Entscheidungen vom 03. April 2014 rechtskonform eine Befreiung nach § 6 SGB VI beantragt hätten, nicht befreit wurden und sich in Auseinandersetzung mit der DRV Bund befunden hätten. Diese Personengruppe werde, anders als diejenigen, die zu Unrecht Beiträge an das Versorgungswerk gezahlt habe, nicht privilegiert. Hier zeichne sich bisher nicht geklärter Handlungs- und Abstimmungsbedarf ab. Diesen Ausführungen sei zu entnehmen, dass auch die vom BVerfG herangezogene Literatur nicht von einer geklärten Rechtslage in Bezug auf § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI ausgehe. Schließlich sei den Gründen der genannten Entscheidungen des BVerfG zu entnehmen, dass die Prüfung der Voraussetzungen der rückwirkenden Befreiung nach § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI zunächst Sache der Verwaltung bzw. der Fachgerichte sei, nicht des BVerfG (Rn.11 in den jeweiligen juris-Dokumenten). Das BVerfG habe somit keineswegs abschließend die (einfachgesetzliche) Regelung des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI für die Fachgerichtsbarkeit bindend ausgelegt. Die Kammer verkenne nicht, dass mit dem hiesigen Verständnis des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI diejenigen Syndikusrechtsanwälte von der rückwirkenden Befreiung ausgenommen seien, deren Arbeitgeber sich korrekt verhalten und mangels eines Befreiungsbescheids die Meldung zur Rentenversicherung vorgenommen hätten und für die daher an das Versorgungswerk nur Beiträge für ihre neben der Beschäftigung ausgeübte selbstständige Tätigkeit gezahlt worden seien. Dies sei jedoch unmittelbare Folge des gesetzlichen Regelungszwecks, nach dem allein zu Unrecht an die Versorgungswerke gezahlte Beiträge rückwirkend legalisiert und damit die Rückabwicklungen langjähriger Versicherungsbeziehungen vermieden werden sollten. Der Kreis der Befreiungsberechtigten sollte im Übrigen nicht erweitert werden (vgl. BT-Drs. 18/5201, Seite 22).

Gegen das ihm am 06. Oktober 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01. November 2018 Berufung eingelegt. Die Rechtsauffassung des SG sei falsch. Insbesondere greife das Normenverständnis des SG zu kurz. Vielmehr ergebe sich aus einer verfassungskonformen Auslegung der streitentscheidenden Normen, dass über die in der Gesetzesbegründung genannte Personengruppe hinaus ein Befreiungsanspruch auch für jene Antragsteller bestehe, die redlich und ordnungsgemäß angemeldet gewesen seien. Sowohl das BVerfG (1 BvR 2584/14) als auch das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (Urteil vom 16. Oktober 2018, L 13 R 4841/17) hätten daher folgerichtig ausgeführt, dass ein Befreiungsanspruch auch jenen Syndikusrechtsanwälten zustehe, die im fraglichen Zeitraum Mindestbeiträge an das berufsständische Versorgungswerk gezahlt hätten. Sowohl die erstinstanzliche Entscheidung als auch die Beklagte würden den Gehalt der Entscheidung des BVerfG verkennen, welches ausdrücklich darauf verwiesen habe, dass im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI auch Mindestbeiträge als einkommensbezogen anzusehen seien. Dies ergebe sich schon daraus, dass anderenfalls diejenigen Syndikusrechtsanwälte privilegiert wären, die eine ordnungsgemäße Anmeldung zur Sozialversicherung unterlassen haben. Im Falle einer derart verfassungskonformen Auslegung der streitentscheidenden Normen könne, so im Falle des BVerfG, der Kläger auch durch Anrufung der Fachgerichte sein Rechtsschutzbegehren erreichen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts B vom 27. September 2018 sowie des Bescheides der Beklagten vom 21. September 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2018 zu verpflichten, ihn auch vom 01. Januar 2013 bis zum 31. März 2014 von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Vorschrift des § 231 Abs. 4b SGB VI sei im Rahmen des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zu Änderung der Finanzgerichtsordnung mit Wirkung zum 01. Januar 2016 eingeführt worden, um insbesondere den versicherungsrechtlichen Status Quo des Personenkreises, der eine anwaltliche Tätigkeit bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern ausgeübt habe und aufgrund der Urteile des BSG vom 03. April 2014 (B 5 RE 13/14 R; B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 R) nicht mehr von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit werden konnte, weitestgehend wiederherzustellen. Lediglich zur Vermeidung zwischenzeitlicher Versicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund der BSG-Rechtsprechung sei die Möglichkeit einer Rückwirkung der Befreiung geschaffen worden. Die Rückwirkung sei, anknüpfend an den Zeitpunkt der BSG-Urteile, nach § 231 Abs. 4b Satz 3 SGB VI grundsätzlich begrenzt auf Zeiten bis zum 01. April 2014. Intention dieser Begrenzung sei es, dass nur für solche Zeiten eine Rückabwicklung der zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlten Beiträge ermöglicht werden solle. Damit werde vermieden, dass in Sonderfällen, in denen zwar eine Befreiung nach neuem Recht, nicht aber nach alter Rechtspraxis möglich gewesen oder angestrebt worden sei, unter Umständen eine langjährige Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung rückabzuwickeln wäre. Einer Begrenzung der Rückwirkung auf den 01. April 2014 hätte es hingegen nicht bedurft, wenn eine Rückabwicklung von Beiträgen auch für vor diesem Datum liegende Zeiten gewollt gewesen wäre. Die ausnahmsweise über den Stichtag hinausreichende rückwirkende Befreiungsregelung des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI verfolge ausweislich der Gesetzesbegründung das Ziel, im Ergebnis nachträglich eine ausschließlich in der berufsständischen Versorgung durchgeführte Versicherung zu legalisieren, obwohl keine gültige Befreiung für die seinerzeit ausgeübte Beschäftigung vorgelegen habe und demzufolge eigentlich eine Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung hätte erfolgen müssen. Die über den 01. April 2014 hinausreichende rückwirkende Befreiung vermeide in derartigen Fallkonstellationen Beitragsnachforderungen zur gesetzlichen Rentenversicherung bzw. eine Rückabwicklung der zur berufsständischen Versorgung entrichteten Beiträge. Der Gesetzgeber habe mit dieser Vorschrift eine großzügige Amnestieregelung getroffen, welche aber sachgerecht voraussetze, dass einkommensbezogene Pflichtbeiträge zur berufsständischen Versorgungseinrichtung geleistet und damit entsprechende Versorgungsansprüche aus der zu befreienden Beschäftigung erworben worden seien. Denn dies wäre Voraussetzung einer (in diesen Fällen vermeintlich) wirksamen Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wegen der gleichzeitig bestehenden Pflichtversicherung in der berufsständischen Versorgungseinrichtung. Die Vorschrift des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI knüpfe deshalb folgerichtig an den Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI an, welcher ebenfalls als eine Voraussetzung der Befreiung die Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge für die konkrete Beschäftigung erfordere. Beiträge aus einer neben der zu befreienden Beschäftigung ausgeübten selbstständigen Tätigkeit und Mindestbeiträge, die keinen unmittelbaren Bezug zum Einkommen aus der zu befreienden Beschäftigung hätten, sondern sich pauschal als prozentualer Anteil des auf der Grundlage des Höchstbeitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung ermittelten Regelpflichtbeitrages ergäben, zählten nicht hierzu. Die Begründung für das Recht der Pflichtmitglieder berufsständischer Versorgungseinrichtungen, sich als Ausnahme von der grundsätzlichen Versicherungspflicht abhängig Beschäftigter von dieser befreien zu lassen, sei die Vermeidung doppelter Beitragspflichten aus dieser Beschäftigung. Das Ausnahmerecht setze jedoch voraus, dass die anstelle der gesetzlichen Rentenversicherung tretende anderweitige Absicherung der Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung gleichwertig sei, was bei einer Zahlung von Beiträgen zur berufsständischen Versorgungseinrichtung, die sich ausschließlich pauschal als prozentualer Anteil des auf der Grundlage des Höchstbeitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung ermittelten Regelpflichtbeitrages ergebe, nicht gewährleistet wäre. Soweit das BVerfG in seinen Beschlüssen vom 19. bzw. 22. Juli 2016 (1 BvR 2584/14 und 2534/14) die Auffassung vertreten habe, dass es sich auch bei Mindestbeiträgen, die zum berufsständischen Versorgungswerk gezahlt werden, um einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI handeln könne, führe dies bereits aus formalen Gründen zu keiner anderen Auslegung. Denn § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) sei im Falle der hier vorliegenden Nichtannahmebeschlüsse nicht einschlägig. Das BVerfG habe zudem keinerlei Ausführungen dazu gemacht, dass es für eine über den 01. April 2014 hinaus rückwirkende Befreiung ausreichen solle, wenn der Mindestbeitrag für eine selbstständige Tätigkeit als Rechtsanwalt neben der ausgeübten Beschäftigung, für die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet wurden, gezahlt worden sei. Zudem erschließe sich der Sinn der Aussage "ein Mindestbeitrag sei als einkommensbezogener Beitrag im Sinne des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI anzusehen" nicht. Abgesehen davon, dass die Gleichsetzung schon sprachlich problematisch sei, weil ein Mindestbeitrag und ein einkommensbezogener Beitrag zwei völlig unterschiedliche Tatbestände bezeichne, passe die Gleichstellung nicht in das gesamte System des SGB, wo beide Möglichkeiten als Alternativen der Beitragszahlung noch an anderer Stelle eine Rolle spielten, z.B. bei der Beitragszahlung von versicherungspflichtigen Selbstständigen. Letztlich habe auch das BVerfG darauf hingewiesen, dass die Anwendung und Auslegung der einfachgesetzlichen Norm den Fachgerichten obliege.

Der Senat hat von der Beklagten den aktuellen Versicherungsverlauf des Klägers vom 22. Mai 2020 eingeholt. Der Kläger hat auf gerichtliche Anforderung die Beitragskontoübersicht des Versorgungswerkes NRW für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis zum 31. März 2014 zur Gerichtsakte gereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Gegenstand von Klage und Berufung ist – nach Erledigungserklärung des Klägers mit Schriftsatz vom 06. April 2018 - lediglich noch der Bescheid vom 21. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2018, mit dem die Beklagte die rückwirkende Befreiung des Klägers für die Zeit vom 01. Januar 2013 bis zum 31. März 2014 nach § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI abgelehnt hat. Dem liegt zugrunde, dass das SG das Fehlen der Voraussetzungen des § 96 SGG zutreffend angenommen hat (siehe auch BSG, Beschluss vom 22. März 2018, B 5 RE 12/17 B, juris; vgl. ferner BSG, Urteil vom 28. Juni 2018, B 5 RE 2/17 R, juris) und von der Sachdienlichkeit der Klageänderung (§ 99 SGG) ausgegangen ist.

Das SG hat die Klage auch zu Recht abgewiesen, da der angefochtene Bescheid vom 21. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. März 2018 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf rückwirkende Befreiung auch für den Zeitraum vom 01. Januar 2013 bis zum 31. März 2014. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der dafür in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI, sind nicht erfüllt. § 231 Abs. 4b SGB VI lautet:

"4b) 1 Eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, die unter Berücksichtigung der Bundesrechtsanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung oder der Patentanwaltsordnung in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung erteilt wurde, wirkt auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird. 2 Sie wirkt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand. 3 Die Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 wirkt frühestens ab dem 1. April 2014. 4 Die Befreiung wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 1. April 2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden. 5 Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigungen, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt aufgrund einer vor dem 4. April 2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde. 6 Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 kann nur bis zum Ablauf des 1. April 2016 gestellt werden."

Zwar ist der Kläger durch den Bescheid der Rechtsanwaltskammer B vom 06. September 2016 mit Wirkung ab dem 15. September 2016 für das Arbeitsverhältnis beim GDV als Syndikusrechtsanwalt zugelassen worden und hat die (auch) rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht gemäß § 231 Abs. 4b SGB VI am 23. März 2016 - innerhalb der gesetzlichen Frist (§ 231 Abs. 4b Satz 6 SGB VI) - bei der Beklagten beantragt. Auch ist von einer "Pflichtmitgliedschaft" des Klägers in einem berufsständischen Versorgungswerk im Sinne des Satzes 2 der Norm auszugehen, obwohl der Kläger mit seinem Umzug nach B ab dem 13. Dezember 2004 Mitglied der Rechtsanwaltskammer B wurde, seine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk NRW gemäß §§ 10, 13 Abs. 1 Nr. 2 der Satzung des Versorgungswerks NRW (Bekanntmachung des Justizministers des Landes NRW vom 16. Juli 1985, JMBl. NW Nr. 15 vom 01. August 1985, S. 172) damit endete und er die Mitgliedschaft sodann nach § 13 Abs. 2 der Satzung in dem selben Versorgungswerk "mit allen Rechten und Pflichten" fortsetzte. Diese oft genutzte Konstellation vor Augen hat bereits der Gesetzgeber des § 231 Abs. 4b SGB VI in der Gesetzesbegründung darauf verwiesen, dass von einer Pflichtmitgliedschaft im Sinne dieser Vorschrift auch dann auszugehen sei, wenn die in einem regional neu zuständigen Versorgungswerk an sich bestehende Pflichtmitgliedschaft durch eine formal freiwillig fortgeführte Mitgliedschaft in dem bisher zuständigen Versorgungswerk ersetzt wird (BT-Drs. 18/5201, S. 46).

Auf dieser Sach- und Rechtsgrundlage hatte die Beklagte den Kläger bereits mit den Bescheiden vom 09. März und 21. September 2017 rückwirkend ab dem 01. April 2014 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit.

Eine darüber hinausgehende Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht auch für die Zeit vor dem 01. April 2014 kommt nach den gesetzlichen Vorgaben nur in Betracht, wenn "für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden".

Der Senat vermag das Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals schon nicht aus der Mitteilung des Versorgungswerkes NRW gegenüber der Beklagten vom 23. Januar 2017 herzuleiten. Aus den vom Versorgungswerk NRW im Vordruck V6320 der Beklagten gemachten Angaben - das Setzen eines Kreuzes in dem ansonsten vorformulierten Textfeld "Es wird bestätigt, dass für die zu befreienden Beschäftigungen einkommensbezogene Pflichtbeiträge analog §§ 157 ff. SGB VI gezahlt wurden" und das Einfügen der Datumsangabe des Beginns "01.01.2013" und des Endes "lfd." der "einkommensgerechten Beitragszahlung" - ist nicht erkennbar, dass diesen Einfügungen eine inhaltliche Prüfung des Tatbestandsmerkmals "einkommensgerechte Beitragszahlung" im Sinne des § 231 Abs. 4b SGB VI vorausgegangen ist. Ungeachtet dessen ergibt sich aus den Angaben des Versorgungswerkes in dem Vordruck keine gesetzliche Bindungswirkung für das Gericht, welches im Übrigen nur an Gesetz und Recht gebunden ist (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG -).

Bei den vom Kläger im streitigen Zeitraum geleisteten Mindestbeiträgen zum Versorgungswerk NRW handelt es sich zur Überzeugung des Senats nicht um "einkommensbezogene Pflichtbeiträge" im Sinne des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI. Der Mindestbeitrag verfügt zwar über eine gewisse – abstrakt-generelle -, nicht jedoch über eine konkret-individuelle Einkommensbezogenheit, wie sie für einen einkommensbezogenen Pflichtbeitrag im Sinne der o. g. Norm zu fordern ist.

Der Gesetzgeber des zum 01. Januar 2016 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung nimmt keine Legaldefinition des - hier rechtserheblichen - Tatbestandsmerkmals der "einkommensbezogenen Pflichtbeiträge" vor.

Auch das Satzungsrecht des Versorgungswerkes NRW (Bekanntmachung des Justizministers des Landes NRW vom 16. Juli 1985, JMBl. Nr. 15 vom 01. August 1985, Seite 172, in der Fassung der 24. Satzungsänderung gemäß Bekanntmachung vom 07. August 2012, JMBl. NRW Nr. 16 vom 15. August 2012, Seite 197) kennt den Rechtsbegriff der "einkommensbezogenen Pflichtbeiträge" nicht, differenziert jedoch begrifflich nach "Regelpflichtbeitrag" (§ 30 Abs. 1) und "Mindestbeitrag" (§ 30 Abs. 3). Nach § 30 Abs. 1 der Satzung des Versorgungswerkes NRW sind die Mitglieder verpflichtet, soweit diese Satzung nichts anderes bestimmt, einen monatlichen Beitrag zu zahlen, der ein bestimmter Teil der im Land Nordrhein-Westfalen geltenden Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung ist (§§ 159, 160 SGB VI). Er stimmt mit dem Höchstbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung überein, sofern ihn die Vertreterversammlung nicht anders festsetzt (Regelpflichtbeitrag). Danach zahlen Mitglieder, deren Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze erreicht, einen Beitrag zum Versorgungswerk in Höhe des Regelpflichtbeitrags. Nach Abs. 2 zahlen Mitglieder, deren Einkommen die Beitragsbemessungsgrenze nicht erreicht, den Beitrag nach ihrem Einkommen gemäß dem Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung, sofern die Vertreterversammlung nicht einen anderen Beitragssatz festsetzt. Unabhängig von Abs. 2 hat jedes Mitglied, welches die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht hat und nicht Rente bezieht, gemäß Abs. 3 der Norm einen Beitrag in Höhe von einem Zehntel des Regelpflichtbeitrages zu leisten (Mindestbeitrag).

Ausweislich der vorgelegten Beitragskontoübersicht des Klägers beim Versorgungswerk NRW zahlte der Kläger im Jahr 2013 einen Beitrag in Höhe von 109,62 EUR monatlich, was angesichts des ab dem 01. Januar 2013 geltenden Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung i.H.v. 18,9 % und der in NRW geltenden Beitragsbemessungsgrenze von 5.800 EUR monatlich dem Mindestbeitrag nach § 30 Abs. 3 der Satzung entsprach. Den Mindestbeitrag zahlte der Kläger auch bis einschließlich März 2014 (monatlich 112,46 EUR, bei Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in NRW ab dem 01. Januar 2014 auf 5.950 EUR monatlich).

Da sich die Höhe des Mindestbeitrags nach § 30 Abs. 3 der Satzung somit aus einem Zehntel des Regelpflichtbeitrages ermittelt, welcher wiederum "mit dem Höchstbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung" übereinstimmt (§ 30 Abs. 1 Satz 2 der Satzung), besteht lediglich eine generell-abstrakte Einkommensbezogenheit des Mindestbeitrags. Der Mindestbeitrag ist ersichtlich und bewusst – zur Berücksichtigung eines nur niedrigen anwaltlichen Einkommens - von einer Berechnung auf der Grundlage des individuellen Einkommens gemäß § 30 Abs. 2 der Satzung abgekoppelt, soll zugleich aber die Funktionsfähigkeit dieser berufsständischen Versorgungseinrichtung absichern.

Eine lediglich generell-abstrakte Einkommensbezogenheit des vom Kläger geleisteten Mindestbeitrags an das Versorgungswerk NRW entspricht jedoch nicht der mit der Neuregelung des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI verfolgten Absicht des Gesetzgebers (im Ergebnis a. A.: BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2016, 1 BvR 2584/14, juris Rn. 16, Beschluss vom 22. Juli 2016, 1 BvR 2534/14, juris Rn. 16; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. April 2019, L 16 R 255/18, juris Rn. 20; SG München, Urteil vom 15. März 2018, S 31 R 1340/17, juris Rn. 22; Hartmann/Horn, AnwBl Online 2016, 255 – 258; Schafhausen, AnwBl. Online 2016, 175 -176; Wein/Walter, BB 2016, 245-248).

Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zu § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI (BT-Drs. 18/5201) und der Rechtshistorie zu § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI.

§ 231 Abs. 4b SGB VI steht im Zusammenhang mit der Novellierung des Berufsrechts der Rechtsanwälte im Jahr 2016. Ausgangspunkt der Novellierung waren die Entscheidungen des BSG vom 03. April 2014 (Urteile in B 5 RE 13/14 R und B 5 RE 9/14 R, zu letzterem siehe BVerfG, a.a.O.), mit denen - in Abkehr der bis dahin geübten Rechtspraxis - eine Befreiung der Syndikusanwälte von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nicht mehr möglich war. In Anbetracht der dadurch für Syndikusanwälte eingetretenen schwierigen Rechtslage wurde eine gesetzliche Neuregelung des Befreiungsrechts von Syndikusanwälten eingeleitet.

Der Gesetzgeber änderte daraufhin durch das zum 01. Januar 2016 in Kraft getretene "Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung" vom 21. Dezember 2015 zum einen das Berufsrecht der Rechtsanwälte (ferner auch das der Patentanwälte, hier nicht näher dargestellt) durch Einführung des - zulassungsgebundenen - Berufsbildes des (bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber angestellten) "Syndikusrechtsanwaltes" als besondere Form der Ausübung des einheitlichen Berufs des Rechtsanwaltes in den §§ 1-3, 46a BRAO. Nach § 46c Abs. 1 BRAO gelten für Syndikusanwälte die für Rechtsanwälte geltenden Bestimmungen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Zu diesen Vorschriften gehört auch § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI, wonach Rechtsanwälte, wenn und solange sie Pflichtmitglieder der Versorgungswerke sind, auf Antrag von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zu befreien sind. Da die auf der Grundlage des geänderten Berufsrechts erteilte Befreiung erst ab der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erteilt werden kann, jedoch die zumeist weiter rechtshängigen Rechtstreitigkeiten schon Jahre zuvor begonnen hatten mit dem Ergebnis der Beitragsabführung durch den Arbeitgeber des Syndikus entweder an die Beklagte oder das Versorgungswerk, je nach positiver oder negativer Entscheidung des erkennenden Instanzgerichts, erschuf der Gesetzgeber für die Frage der Rückwirkung eines entsprechenden Befreiungsantrages die Übergangsregelung des § 231 Abs. 4b SGB VI. Nach den Sätzen 1 bis 4 der Norm wirkt die Befreiung bis zum Beginn derjenigen Beschäftigung zurück, in der eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung auf der Grundlage der geänderten BRAO erfolgt. Sie wirkt darüber hinaus für zeitlich unmittelbar davorliegende andere Beschäftigungen in den Fällen eines Beschäftigungswechsels. Voraussetzung ist in allen Fällen, dass während den Beschäftigungen zumindest eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand, mithin ein Bezug zur berufsständischen Versorgung - gegebenenfalls auch neben einer Pflichtbeitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung - gegeben war. Diese Rückwirkung gilt unabhängig davon, ob die Pflichtbeiträge für die Beschäftigung als Syndikus zur gesetzlichen Rentenversicherung oder zur berufsständischen Versorgung entrichtet wurden. Als zeitlichen Endpunkt der rückwirkenden Befreiung setzte der Gesetzgeber jedoch den 01. April 2014 fest. Hiermit sollten im Interesse der Rechts- und Beitragssicherheit umfängliche Rückabwicklungen von Beitragszahlungen an die Versorgungswerke bzw. erhebliche Beitragsnachforderungen zur gesetzlichen Rentenversicherung vermieden werden (BT-Drs. 19/13808, S. 5). So galt es insbesondere abzuwenden, dass in Fällen, in denen eine Befreiung zwar nach neuem Berufsrecht, nicht aber nach alter Rechtspraxis möglich war oder angestrebt wurde, unter Umständen eine langjährige, u. U. erwerbslebenslange Beitragszahlung zur gesetzlichen Rentenversicherung rückabzuwickeln wäre (vgl. BT-Drs. 18/5201, 46 f.). Als zeitlichen Endpunkt der Rückwirkung der Befreiung setzte der Gesetzgeber den 01. April 2014 fest, weil das BSG mit seinen Urteilen vom 03. April 2014 (a. a. O.) hierzu grundlegend entschieden hatte. Aufgrund dessen hatten viele Arbeitgeber die bei ihnen beschäftigten Syndici zur gesetzlichen Rentenversicherung umgemeldet, um Nachforderungen der Beklagten zu vermeiden (vgl. auch Antwort der Bundesregierung vom 04. Oktober 2019 auf die Kleine Anfrage von Bundestagsabgeordneten vom 28. August 2019 [BT-Drs. 19/13378] - BT-Drs. 19/13808).

Nach Satz 4 der Norm sowie der Gesetzesbegründung soll die Befreiung (nur dann) auch für Zeiten vor dem 01. April 2014 gelten, wenn für diese Zeiten "insbesondere in der Annahme des Bestehens einer gültigen Befreiung seinerzeit" "einkommensbezogene Pflichtbeiträge" nur "zur berufsständischen Versorgung gezahlt wurden, nicht jedoch zur gesetzlichen Rentenversicherung." (vgl. BT-Drs. 18/5201, 47).

Für den Kläger wurden von dessen Arbeitgeber seit dem 01. Januar 2013 für seine angestellte, befreiungsgegenständliche Tätigkeit die Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet und zudem, aber ausschließlich vom Kläger, der Mindestbeitrag zum berufsständischen Versorgungswerk entrichtet. Es entspricht der dargestellten Absicht des Gesetzgebers, in diesen Fällen eine Rückabwicklung (Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge an das Versorgungswerk) nicht vorzunehmen. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers bezweckt die Vorschrift nur, eine umfassende Rückabwicklung der zur berufsständischen Versorgung entrichteten Beiträge zu vermeiden und im Ergebnis die tatsächliche Beitragszahlung an das Versorgungswerk nachträglich zu legalisieren (Fichte, in Hauck, Noftz, SGB VI, juris, § 231 Rn. 46; LSG Bayern, Urteil vom 07. Februar 2019, L 14 R 264/18, juris Rn. 38). Dadurch werden insbesondere diejenigen Sachverhalte erfasst, in denen - wie ausgeführt - die Arbeitgeber im Lichte von sozialgerichtlichen Instanzentscheidungen eine Ummeldung des Syndikus weg von der gesetzlichen Rentenversicherung hin zur berufsständischen Versorgung vorgenommen hatten oder sich in der Beitragsabführung an das Versorgungswerk bestätigt sahen (LSG Bayern, a.a.O.). Dass der Kläger nicht zu dem Personenkreis gehören soll, der eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht auch schon vor dem 01. April 2014 erlangt, wird insbesondere durch die Gesetzesbegründung hinreichend deutlich, da die erweiterte Befreiungsmöglichkeit nur diejenigen Rechtsanwälte erfassen soll, die keinerlei Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung abgeführt haben, sondern ausschließlich einkommensbezogene Beiträge an das Versorgungswerk. Für diesen Personenkreis erkennt der Gesetzgeber einen besonderen Vertrauensschutz an und macht dies mit der Formulierung in der Gesetzesbegründung deutlich, dass in diesem Fall Rückabwicklungen der "ausschließlich" an die berufsständische Versorgungseinrichtung geleisteten Beiträge durch eine Legalisierung der dortigen geflossenen Beitragszahlungen vermieden werden sollen. Der Kläger, für den im streitigen Zeitraum auch von seinem Arbeitgeber Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung bis zur am Beschäftigungsort geltenden Beitragsbemessungsgrenze, d.h. konkret für ein monatliches Gehalt des Klägers in Höhe von 4.900 EUR in 2013 und 5.000 EUR in 2014, gezahlt wurden, kann diesen vom Gesetzgeber beabsichtigten erweiterten Vertrauensschutz nicht für sich in Anspruch nehmen. Durch die Verwendung des Wortes "nur" betont der Gesetzgeber sein Ziel, das eine Befreiung allein im Fall einer ausschließlich an das Versorgungswerk erfolgten einkommensentsprechenden Beitragszahlung anstelle einer Zahlung an die Rentenversicherung möglich sein soll (vgl. BT-Drs. 18/5201, 47).

In diesem Sinne ist das Tatbestandsmerkmal der "einkommensabhängigen Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk" in § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI auszulegen. Dabei steht der Begriff "einkommensabhängig" im Zusammenhang mit dem aus der wirtschaftlichen Betätigung folgenden Einkommen, welches der Bemessung der Beiträge zugrunde liegt. Da sich das Befreiungsbegehren des Klägers auf seine (bereits) seit dem 01. Januar 2013 ausgeübte Tätigkeit als Referent/Syndikusrechsanwalt bei der GDV bezieht und er sich mit seinem Befreiungsantrag auf das seit dem 01. Januar 2016 geltende neue Recht für das determinierte Rechtssubjekt des "Syndikusrechtsanwaltes" bezieht, kann es für die Leistung der "einkommensabhängigen Pflichtbeiträge" nicht auf irgendwelche Beschäftigungen, insbesondere nicht auf die selbstständige Tätigkeit als Rechtsanwalt ankommen, sondern nur auf die Einkommensabhängigkeit im antragsgegenständlichen Syndikusbeschäftigungsverhältnis (LSG Bayern, a. a. O., Rn. 39).

Untermauert wird die vom Senat vorgenommene Auslegung auch durch den dieser Rechtsentwicklung zugrundeliegenden Befreiungstatbestand des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Danach zählt es grundlegend zur Befreiungsvoraussetzung verkammerter Berufsgruppen (z. B. Ärzte, Apotheker), dass für sie nach näherer Maßgabe der Satzung der jeweiligen Versorgungseinrichtung "einkommensbezogene Beiträge" unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 b) SGB VI).

Die Parallelität zwischen dem Wortlaut und der Bedeutung der Befreiungstatbestände ist - wie dargelegt – rechtshistorisch gewachsen und (Befreiungs-) systemimmanent. Denn auch andere verkammerte Berufsgruppen mit den dazugehörigen berufsständischen Versorgungseinrichtungen, die die Befreiungsmöglichkeit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung - hier nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI SGB VI - nutzen möchten, müssen demnach "einkommensbezogene Beiträge" zur berufsständischen Versorgung nachweisen können. Dabei müssen die Kammer-Pflichtmitglieder einerseits Beiträge in der Höhe abführen, wie sie von allen anderen rentenversicherungspflichtigen Beschäftigten auch abgeführt werden müssen. Auf der anderen Seite muss die Leistung der berufsständischen Versorgungswerke so ausgestaltet sein, dass sie mit einer Leistung der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbar ist (Dankelmannin: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl., § 6 SGB VI Rn. 76, Stand: 18. Mai 2020, unter Verweis auf BSG, Urteil vom 25. Oktober 1998, 12 RK 58/87, juris; so im Ergebnis auch Fichte in: Hauck/Noftz, SGB, 08/13, § 6 SGB VI, juris Rn. 76, unter Verweis auf BSG, Urteil vom 07. November 1991, 12 RK 49/89, juris).

Die vom Senat so verstandene gesetzgeberische Intention wird auch bekräftigt durch die Antwort der Bundesregierung vom 04. Oktober 2019 (BT-Drs. 19/13808) auf die Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter sowie der FDP-Fraktion vom 28. August 2019 (BT-Drs. 19/13378). "Nach Auffassung der Bundesregierung sind ausgehend vom Wortlaut des § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI mit dem Begriff "einkommensbezogen" nur solche Beiträge gemeint, welche sich in ihrer Höhe vom individuellen Einkommen des jeweiligen Versorgungswerksmitglieds ableiten. Die Höhe der Mindestbeiträge ergibt sich jedoch in den beiden Versorgungswerksatzungen, auf die die in der Vorbemerkung der Fragesteller zitierten Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts Bezug nehmen, nicht unter Verwendung des konkreten Einkommens des einzelnen Versicherten als Beitragsbemessungsgrundlage. Vielmehr erfolgt die Bemessung laut Satzung pauschal als prozentualer Anteil des auf der Grundlage des Höchstbeitrages zur gesetzlichen Rentenversicherung ermittelten Regelbeitrags. Ein Bezug auf das individuelle Einkommen besteht damit nicht." "Der Gesetzgeber hat mit dieser Vorschrift vor dem Hintergrund der in der Vorbemerkung der Bundesregierung dargestellten Entwicklung der Rechtslage eine großzügige Regelung getroffen. Dies setzt aber sachgerecht voraus, dass einkommensbezogene Pflichtbeiträge zur berufsständischen Versorgung geleistet und damit entsprechend umfängliche Versorgungsansprüche erworben wurden. Denn dies wäre auch Voraussetzung einer (in diesen Fällen nur vermeintlich gegebenen) wirksamen Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wegen einer gleichzeitig bestehenden Pflichtversicherung in der berufsständischen Versorgung gewesen. § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI knüpft deshalb folgerichtig an den Wortlaut des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI an, welcher ebenfalls als eine Voraussetzung des Befreiungsrechts die Zahlung einkommensbezogener Pflichtbeiträge erfordert. Die Rechtfertigung für das Recht der Pflichtmitglieder berufsständischer Versorgungswerke, sich als Ausnahme von der grundsätzlichen Versicherungspflicht abhängig Beschäftigter von dieser befreien zu lassen, ist die Vermeidung doppelter Beitragspflichten. Dieses Ausnahmerecht setzt jedoch voraus, dass die an die Stelle der gesetzlichen Rentenversicherung tretende anderweitige Absicherung der Absicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung gleichwertig ist, was bei einer Zahlung von Mindestbeiträgen nicht gewährleistet wäre." (BT-Drs. 19/13808, Seite 4 f.)

Demnach hätte der Kläger, der eine Befreiung im streitigen Zeitraum für seine Tätigkeit als Referent beim GDV begehrt, bezogen auf das daraus erzielte Arbeitseinkommen die entsprechenden (einkommensbezogenen) Beiträge nach § 30 Abs. 2 der Satzung des Versorgungswerks NRW leisten müssen. Dies ist – wie dargelegt - nicht der Fall. Im streitigen Zeitraum hat der Kläger lediglich den Mindestbeitrag (§ 30 Abs. 3 der Satzung) an das Versorgungswerk entrichtet. Die individuell einkommensbezogenen Pflichtbeiträge wurden durch den Arbeitgeber des Klägers an die Beklagte geleistet (vgl. Versicherungsverlauf des Klägers vom 22. Mai 2020).

Ob insoweit die vom BVerfG in den Nichtannahmebeschlüssen vom 19. Juli 2016 (1 BvR 2584/14, juris Rn. 16) und 22. Juli 2016 (1 BvR 2384/14, juris Rn. 16) vertretene Ansicht, dass es sich bei den von den dortigen Klägern zum Versorgungswerk geleisteten Mindestbeitrag i.H.v. 30 % bzw. 10 % des Regelpflichtbeitrages um einkommensbezogene Pflichtbeiträge im Sinne von § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI handelt, als "obiter dictum" zu verstehen ist, kann dahinstehen. Bereits aus formalen Gründen bindet dieser Beschluss die Fachgerichtsbarkeit nicht, da das BVerfG die Verfassungsbeschwerden gegen die Urteile des BSG vom 03. April 2014 (B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 13/14 R) nicht zur Entscheidung angenommen und der Beschluss insoweit keine Bindungswirkung im Sinne von § 31 BVerfGG erlangt hat.

Die Stichtagsregelung in § 231 Abs. 4b S. 3 SGB VI verstößt nicht gegen Grundrechte. Zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte dürfen Stichtage eingeführt werden, wobei jeder Stichtag unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007, 1 BvL 10/00, juris Rn. 34; stRspr). Dies gilt auch bei der Einführung von neuen Vorschriften, die einzelne Personengruppen begünstigen und wegen des Stichtages andere von der Begünstigung ausnehmen (vgl. BVerfG, Urteil vom 07. Juli 1992, 1 BvL 51/86, juris Rn. 64). Allerdings ist zu prüfen, ob der Gesetzgeber den ihm bei der Stichtagsregelung zukommenden Gestaltungsfreiraum in sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und ob sich die gefundene Lösung im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint (vgl. BVerfG, Urteil vom 05. Juli 1989, 1 BvL 11/87, juris Rn. 43; stRspr).

Die mit § 231 Abs. 4b SGB VI geschaffene Möglichkeit der Rückwirkung einer Befreiung nach Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte zum 01. Januar 2016 wurde eingeführt, um die schwierige Rechtssituation für Syndikusanwälte nach den Entscheidungen des BSG vom 03. April 2014 aufzufangen. Einerseits sahen sich viele Syndici-Arbeitgeber nunmehr verpflichtet, Beitragszahlungen an die gesetzliche Rentenversicherung zu zahlen, andererseits befand sich das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte (einschließlich der versicherungsrechtlichen Befreiungsmöglichkeit) bereits im parlamentarischen Bearbeitungsprozess und trat letztlich zum 01. Januar 2016 auch in Kraft. Um der rechtlichen Orientierungslosigkeit in diesem Zeitraum Rechnung zu tragen, sollten mit der rückwirkenden Befreiungsmöglichkeit lediglich die zwischenzeitlich, infolge der wegweisenden Entscheidungen des BSG zurückgelegten Versicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung, vermieden werden (BT-Drs. 18/5201, S. 46).

Soweit die Rückwirkungsregelung folglich an den Zeitpunkt der BSG-Urteile anknüpft und grundsätzlich begrenzt ist auf Zeiten ab dem 01. April 2014, erscheint dies daher sachgerecht. Ein Anlass, im gleichen Maße über den 01. April 2014 hinaus Beitragszahlungen zur gesetzlichen Rentenversicherung rückabzuwickeln, sah der Gesetzgeber nicht und besteht auch vor dem Hintergrund der Rechtshistorie nicht (BT-Drs. 19/13808, S. 3). Die mit Satz 4 der Norm geschaffene, dennoch auch über den 01. April 2014 und über die ursprüngliche gesetzgeberische Intention hinausgehende begünstigende Regelung einer Befreiung für Syndikusanwälte, muss sich daher nicht an den verfassungsrechtlichen Maßgaben der Stichtagsregelung messen lassen. Es handelt sich hierbei (und nur insoweit "lediglich") um ein weiteres, großzügiges Entgegenkommen des Gesetzgebers gegenüber den Syndikusanwälten, die gegebenenfalls bestehende Härten zusätzlich abmildert.

Auch verletzt das Verbleiben der Anwartschaften der Vergangenheit in der gesetzlichen Rentenversicherung bei zukünftigem Anwartschaftserwerb in der berufsständischen Versorgung im Allgemeinen und auch die Aufteilung der Alterssicherung für die Tätigkeit bei der GDV auf zwei Versorgungssysteme im Besonderen den Kläger nicht in seinem Grundrechten aus Art. 14 GG. Die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als solche kann nicht Gegenstand des Eigentumsschutzes sein. Die im Versorgungswerk begründete Anwartschaft bleibt vom Verbleiben der Anwartschaft in der Rentenversicherung unberührt. Auch umgekehrt wird die in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbene Anwartschaft durch Fortsetzung der Sicherung in der berufsständischen Versorgung nicht entwertet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. August 2004, 1 BvR 285/01, juris; LSG Bayern, Urteil vom 07. Februar 2019, L 14 R 264/18, juris Rn. 46 ff).

Auch eine aus der Ausnahmeregelung des § 231 Abs. 4b) Satz 4 SGB VI folgende Ungleichbehandlung mit Syndikusanwälten, deren Arbeitgeber bereits vor dem 01. April 2014 Rentenversicherungsbeiträge an das Versorgungswerk der Rechtsanwälte entrichtet hatten, ist nicht erkennbar (Art. 3 Abs. 1 GG). Grundsätzlich stellt die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung den Regelfall dar. Der Kläger hätte für seine Tätigkeit bei der GDV nach den Entscheidungen des BSG vom 03. April 2014 ohne die gesetzliche Neuregelung zum 01. Januar 2016 keine Befreiung von der Versicherungspflicht erlangen können (vgl. den hierzu ergangenen ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2015). Zudem erfüllte er die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nach § 46a BRAO, die den Kriterien der vor den Urteilen des BSG vom 03. April 2014 maßgeblichen Rechtspraxis entsprechen, erst nach zweimaliger Änderung seines mit dem GDV geschlossenen Arbeitsvertrages. Wenn der Gesetzgeber - angesichts der vor diesem Hintergrund für Syndikusrechtsanwälte entstandenen schwierigen Rechtslage - das Rechtssubjekt des "Syndikusrechtsanwaltes" ab dem 01. Januar 2016 gesetzlich implementiert und hierzu die (großzügige) Möglichkeit einer rückwirkenden Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zulässt, als Stichtag des frühesten Befreiungszeitpunkts die Verkündung der wegweisenden Urteile des BSG am 03. April 2014 festlegt und wiederum als Ausnahme hiervon eine noch weiter rückwirkende Befreiungsmöglichkeit an die - zur gesetzlichen Rentenversicherung gleichwertigen - Beitragszahlung vor dem 01. April 2014 an das Versorgungswerk knüpft, um Rückabwicklungsaufwand zu vermeiden, genügen diese Erwägungen des Gesetzgebers zur Verwaltungspraktikabilität als sachbezogenes Differenzierungskriterium im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Angesichts mehrerer derzeit beim BSG (B 5 RE 3/19 R, B 5 RE 4/19 R, B 5 RE 5/19 R, B 5 RE 8/19 R) anhängiger Revisionen und uneinheitlicher Ausgangsentscheidungen zur Auslegung von § 231 Abs. 4b Satz 4 SGB VI war die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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