L 18 AS 2032/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 65 AS 5261/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 2032/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialge-richts Berlin vom 17. Oktober 2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt zuletzt noch für die Zeit von Februar 2015 bis April 2016 im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) die Gewäh-rung höherer Leistungen durch den Beklagten nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung für die von ihm in dieser Zeit allein genutzte Eigentumswohnung der seinerzeit dauernd getrennt lebenden beziehungsweise geschiedenen Ehefrau.

Die 2015 rechtkräftig geschiedene Ehefrau des 1986 geborenen Klägers türkischer Staatsangehörigkeit, der eine Niederlassungserlaubnis besitzt, ist Alleineigentüme-rin einer während der Ehezeit erworbenen 87m2 großen Dreizimmerwohnung in der Gstraße in B. Mit Anwaltsschriftsatz vom 28. Januar 2014 teilte die damalige Ehe-frau des Klägers, die seit August 2014 aufgrund geltend gemachter Unzumutbarkeit nicht mehr in der Ehewohnung, sondern bei ihrer Schwester lebte, und im Dezem-ber 2014 den Scheidungsantrag stellte, dem Kläger mit, die bisherige Ehewohnung künftig allein nutzen zu wollen und forderte diesen auf auszuziehen. Unter dem 5. Mai 2015 forderte sie den Kläger mit weiterem Anwaltsschriftsatz auf, rückwirkend ab Februar 2015 eine Nutzungsentschädigung in Höhe der ortsüblichen Ver-gleichsmiete von 739,50 Euro zuzüglich Betriebskosten von 180,00 Euro, mithin in Höhe von 919,50 Euro im Monat zu zahlen und aus der Wohnung auszuziehen. Diese Aufforderung erneuerte die dauernd getrennt lebende Ehefrau des Klägers mit Anwaltsschriftsatz vom 8. Juni 2015 unter Fristsetzung von 14 Tagen und kün-digte die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens ein. Eine Regelung im Schei-dungsverfahren oder anderweitige Titulierung der Forderung, die die geschiedene Ehefrau des Klägers zuletzt noch für die Zeit von Mai 2015 bis Mai 2016 aufrecht erhält, erfolgte jedoch nicht. Zahlungen leistete der Kläger weder in noch für diesen Zeitraum. Er zog am 2. Mai 2016 aus der Wohnung aus.

Mit Bescheiden vom 4. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2015 sowie vom 5. Februar 2016 bewilligte der Beklagte dem einkommens- und vermögenslosen Kläger erstmals für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 31. Januar 2016 sowie nachfolgend für die Zeit vom 1. Februar 2016 bis zum 31. Januar 2017 Leistungen nach dem SGB II in Form des Regelsatzes und lehnte die Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung ab. Die Kos-ten der Eigentumswohnung habe deren Eigentümerin zu tragen, gegenüber der der Kläger sich nicht vertraglich zu einer Mietzahlung verpflichtet habe. Diese sei nicht bereit, dem Kläger die Wohnung zu überlassen, sondern habe ihn wiederholt zum Auszug aufgefordert.

Aufgrund des am 18. April 2016 mit dem Ziel der Berücksichtigung einer Nutzungs-entschädigung in Höhe von 919,19 Euro monatlich ab Februar 2015 als Bedarf für Unterkunft und Heizung gestellten Überprüfungsantrags des Klägers lehnte der Beklagte eine Änderung der Bescheide vom 4. August 2015 in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 16. September 2015 sowie vom 5. Februar 2016 mit der Begründung ab, diese seien rechtmäßig (Bescheid vom 27. Januar 2017, Wider-spruchsbescheid vom 4. April 2017).

Die nachfolgend am 21. April 2017 erhobene und nach Auslegung durch das Sozi-algericht (SG) Berlin auf den Zeitraum vom 1. Februar 2015 bis zum 31. Mai 2016 bezogene Klage hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 17. Oktober 2018 abgewie-sen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Voraussetzungen von § 44 SGB X lägen nicht vor. Die zur Überprüfung gestellten Bescheide des Beklagten seien rechtmä-ßig, weil der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung in der streitgegenständlichen Zeit habe. Dieser sei seiner geschiede-nen Ehefrau weder mietrechtlich noch vindikationsrechtlich noch trennungsrecht-lich zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung verpflichtet.

Mit der am 5. November 2018 eingegangenen Berufung verfolgt der Kläger sein Be-gehren für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 30. April 2016 weiter.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 17. Oktober 2018 und den Be-scheid des Beklagten vom 21. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 4. April 2017 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 4. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 16. September 2015 und den Bescheid vom 5. Februar 2016 zu än-dern und dem Kläger für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 30. April 2016 Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 919,19 Euro zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer schriftlichen Entscheidung nach § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, auf die wegen der weite-ren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen wird, sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige – insbesondere statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte – Berufung, mit der der Kläger seine erstinstanzlich erhobene, statthafte kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage im Sinne vom § 54 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4 in Verbindung mit § 56 SGG bezogen auf die Zeit von Februar 2015 bis April 2016 weiterverfolgt, ist nicht begründet.

Das SG hat die Klage insoweit zu Recht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 27. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. April 2017 ist rechtmäßig. Der Kläger hat für die Zeit vom 1. Februar 2015 bis zum 30. April 2016 keinen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Änderung der Beschei-de vom 4. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Sep-tember 2015 sowie vom 5. Februar 2016 und Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 919,19 Euro. Der Kläger hat den Streitgegen-stand dabei zulässigerweise auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung be-grenzt; bei diesen handelt es sich um abtrennbare Verfügungen der streitgegen-ständlichen Bescheide (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 4. Juni 2014 - B 14 AS 47/13 R, Rn.10 ff. - juris).

Gemäß § 44 Absatz 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unan-fechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als un-richtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht wor-den sind. Dies ist hier nicht der Fall. Die Bescheide des Beklagten vom 4. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2015 sowie vom 5. Februar 2016, mit denen es der Beklagte abgelehnt hat, für die Zeit von Feb-ruar 2015 bis April 2016 Kosten der Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen, sind rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die Anerkennung eines derartigen Be-darfs im Rahmen der Anspruchsberechnung nach dem SGB II liegen nicht vor.

Nach § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Anzuerkennen sind danach diejenigen Kosten, die dem Grundbedürfnis des Woh-nens und der Aufrechterhaltung eines räumlichen Lebensmittelpunktes dienen. Sind mit den Kosten weitere Zwecke verbunden, wie etwa die Auseinandersetzung von Eheleuten im Scheidungsverfahren, kommt eine Berücksichtigung nach § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II nicht in Betracht (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 19. Au-gust 2015 – B 14 AS 13/14 R, Rn.19 - juris). Eine vertragliche oder gesetzliche Ver-pflichtung des Klägers gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau zur Zahlung einer Vergütung für die Nutzung der Wohnung als solche besteht jedoch nicht.

Eine vertragliche Vereinbarung haben die früheren Ehegatten vorliegend weder in Form eines Mietvertrages noch in Form einer Übereinkunft über eine trennungs-rechtliche Nutzungsentschädigung getroffen. Mangels Abschlusses eines Mietver-trages ist der Anwendungsbereich des § 546a Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbu-ches (BGB) von vornherein nicht eröffnet.

Als gesetzliche Anspruchsgrundlage für eine Nutzungsvergütung der geschiede-nen Ehefrau des Klägers kommt zwar § 1361b Absatz 3 Satz 2 BGB in Betracht. Danach kann der Ehegatte, der dem anderen die Ehewohnung während des Ge-trenntlebens ganz oder zum Teil überlassen hat, von dem nutzungsberechtigten Ehegatten eine Vergütung für die Nutzung verlangen, soweit dies der Billigkeit ent-spricht. Die Vorschrift ermöglicht einen an familienrechtlichen Billigkeitskriterien orientierten Ausgleich für die Zeit des Getrenntlebens dafür, dass nur noch der Ver-bliebene allein diejenigen Nutzungen zieht, die nach der ursprünglichen ehelichen Lebensplanung beiden Ehegatten gemeinsam zustehen sollten. Dabei sind unter anderem die räumlichen Möglichkeiten für ein Getrenntleben in der Ehewohnung ebenso zu berücksichtigen wie die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten und der Umstand, dass der in der Wohnung verbleibende Ehegatte, der nicht deren Ei-gentümer ist, selbst weiterhin ein Nutzungsrecht an der Ehewohnung hat (Bundes-gerichtshof, (BGH), Urteil vom 15. Februar 2006 – XII ZR 202/03, Rn.15 - juris m.w.N.), das er trotz Trennung weiterhin unentgeltlich ausüben darf (vgl. zu den im Rahmen der Billigkeitsbemessung zu berücksichtigenden Aspekten im Einzelnen nur Vöppel, in: Staudinger, Neubearbeitung 2018, Rn.76 ff. zu § 1361b BGB). Aller-dings entsteht der Anspruch erst mit einem deutlichen Zahlungsverlangen, das dem in der Wohnung verbliebenen Ehegatten die Überlegung ermöglicht, in der Woh-nung gegen eine Vergütung weiterhin zu verbleiben oder aber sich eine Ersatz-wohnung zu suchen (vgl. Weber-Monecke, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, Rn.18 zu § 1361b BGB m.w.N.; a.A. Vöppel, a.a.O., Rn.75), kommt vorliegend also überhaupt erst ab Zugang des Anwaltsschriftsatzes vom 5. Mai 2015 beim Kläger in Betracht, und ist zeitlich begrenzt auf die Zeit des Getrenntlebens, so dass diese Anspruchsgrundlage nach Rechtskraft der Scheidung am 15. Oktober 2015 ausscheidet.

Aber auch für die Zeit von Mai 2015 bis Mitte Oktober 2015 scheitert eine Anerken-nung einer auf § 1361b Absatz 3 Satz 2 BGB gestützten Nutzungsentschädigung als Bedarf des Klägers daran, dass dieser weder in dieser Zeit noch darüber hinaus vom 16. Oktober 2015 bis zum 30. April 2016 einem ernstlichen Zahlungsverlangen seiner geschiedenen Ehefrau ausgesetzt war. Für die Zeit nach Rechtskraft der Scheidung käme dabei allenfalls bereicherungsrechtlich § 812 Absatz 1 Satz 1 2. Alternative in Verbindung mit § 818 Absatz 1 BGB als Anspruchsgrundlage in Be-tracht. § 987 BGB dürfte mit Blick auf die die dafür vorausgesetzte Vindikationslage verdrängende Spezialregelung des § 1568a BGB bereits nicht anwendbar sein (vgl. insoweit die Übersicht zum Streitstand bei Fritzsche, in: BeckOK BGB, 55. Edition, Stand 1. August 2020, Rn.61 zu § 985 BGB); ein darauf gestützter Anspruch ent-steht jedenfalls erst ab Rechtshängigkeit einer entsprechenden Klage, die die ge-schiedene Ehefrau des Klägers jedoch nicht erhoben hat.

Nach § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II sind nur solche Kosten zu übernehmen, die dem Leistungsberechtigten tatsächlich entstanden sind und für deren Deckung ein Be-darf besteht (vgl. BSG, Urteil vom 3. März 2009 – B 4 AS 37/08 R, Rn.24 - juris). Der Kläger hat für die gesamte streitgegenständliche Zeit weder Zahlungen an seine geschiedene Ehefrau geleistet, noch war er einer begründeten Forderung ausge-setzt, bei deren Nichtbegleichung ihm der Verlust der Wohnung drohte. Dieser drohte ihm vielmehr unabhängig von der Zahlung oder Nichtzahlung einer etwai-gen Nutzungsvergütung, weil die geschiedene Ehefrau des Klägers die in ihrem Alleineigentum stehende Wohnung bereits ab dem Zeitpunkt des Beginns des dauernden Getrenntlebens im Januar 2014 selbst allein nutzen wollte. Auch wenn die geschiedene Ehefrau des Klägers diesen mehrfach zur Zahlung einer Nut-zungsentschädigung aufgefordert hat, so hat sie diesen von ihr geltend gemachten Anspruch trotz Einschaltung einer Rechtsanwältin – möglicherweise wegen des damit auch vor dem Hintergrund der Billigkeitsprüfung verbundenen Prozessrisikos – weder dem Grunde noch der Höhe nach ernsthaft durchzusetzen versucht (vgl. zu dieser Notwendigkeit BSG, a.a.O., Rn.25). Dies zeigt sich deutlich auch daran, dass der Kläger erst mehr als ein halbes Jahr nach Rechtskraft der Scheidung aus der Wohnung tatsächlich ausgezogen ist. Das Vorgehen der geschiedenen Ehe-frau des Klägers diente danach allein dem Zweck, dass der Kläger die von ihr gel-tend gemachten Kosten als Bedarf gegenüber dem Beklagten durchsetzen sollte, ohne dass damit die Absicht verknüpft gewesen wäre, den Kläger selbst auf Zah-lung in Anspruch zu nehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Absatz 2 Nrn.1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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