L 1 KR 248/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 12 KR 243/16
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 248/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht, ob die Klägerin in der Zeit vom 1. Dezember 2010 bis zum 31. Dezember 2010 sowie in der Zeit vom 1. Januar 2012 bis 30. November 2014 bei der Beklagten familienversichert gewesen ist.

Die Klägerin betreute in diesen Zeiten im Auftrag des Jugendamtes der Stadt C als Tagespflegeperson im Sinne des § 43 Sozialgesetzbuch Achtes Buch.

Die Beklagte führte zunächst die Familienversicherung durch ohne dabei Verwaltungsakte zu erlassen. Sie forderte die Klägerin mit Schreiben vom 7. März 2012 auf, die Einkommenssteuerbescheide für die Jahre ab 2007 einzureichen, damit die Familienversicherung abschließend bearbeitet werden könnte.

Mit Bescheid vom 21. März 2013 beschied die Beklagte die Klägerin dahingehend, die Familienversicherung für die Zeiträume 1. März 2009 bis 31. August 2009, 1. Dezember 2009 bis 31. Dezember 2009, 1. März 2011 bis 30. September 2011 sowie ab 1. November 2012 zu "stornieren". In den genannten Zeiträumen sei die Einkommensgrenze jeweils überschritten. Die maßgebenden Gesamteinkommensgrenzen lägen im Kalenderjahr 2009 bei 360,00 EUR monatlich, 2011 bei 365,00 EUR, 2012 bei 375,00 EUR sowie 2013 bei 385,00 EUR.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie reichte am 15. Juli 2015 die Einkommenssteuerbescheide des Finanzamtes C für ihren Ehemann und sie für die Jahre 2009, 2011 und 2012 ein.

Daraufhin hob die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juli 2015 den Bescheid vom 21. März 2013 auf. Sie stellte einen Anspruch auf Familienversicherung bis zum 30. November 2010 und dann erneut ab 1. Dezember 2014 fest. In der übrigen Zeit bestehe eine eigene Pflichtversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Zur Begründung führte sie aus, familienversichert sei der Ehegatte eines Versicherten, sofern dessen regelmäßig erzieltes Gesamteinkommen nicht ein Siebtel der monatlichen Bezugsgrenze übersteige. Hierbei seien die steuerpflichtigen Einkünfte aus dem jeweiligen Steuerbescheid maßgebend. Der Steuerbescheid werde mit dem Folgemonat nach seinem Erlass wirksam. Er behalte diese Wirkung solange, bis er durch einen neuen abgelöst werde. Der Steuerbescheid für das Jahr 2009 werde mit dem 1. Dezember 2010 maßgebend, weil er am 22. November 2010 erstellt worden sei. Ihm sei zu entnehmen, dass die Klägerin aus der Tätigkeit als Tagesmutter einen Gewinn in Höhe von 4.682,00 EUR erzielt habe. Dies entspreche monatlich einem Betrag von 390,17 EUR. Damit sei die maßgebende Einkommensgrenze (2010 und 2011 jeweils 365,00 EUR/Monat) regelmäßig überschritten. Demnach ende die Familienversicherung zum 30. November 2010. Der Steuerbescheid 2010 sei am 23. Juli 2014 erstellt worden, ebenso wie der für das Jahr 2011. Heranzuziehen sei ab dem 1. August 2014 der Einkommenssteuerbescheid 2011. Dieser läge näher an der Gegenwart und sei deshalb vorrangig gegenüber dem Einkommenssteuerbescheid 2010. Danach sei der Anspruch auf Familienversicherung ebenfalls wegen Überschreitens der maßgebenden Einkommensgrenze nicht gegeben. Der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2012 sei am 4. November 2014 erstellt und werde ab 1. Dezember 2014 wirksam. Der Bescheid ergebe einen steuerpflichtigen Gewinn in Höhe von 4.227,00 EUR, entsprechend 352,25 EUR monatlich und damit weniger als ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (2014: 395,00 EUR). In der übrigen Zeit vom 1. Dezember 2010 bis zum 30. November 2014 sei die Klägerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V versicherungspflichtig.

Die Klägerin erhob keinen Widerspruch.

Im Rahmen einer Anhörung zur Beitragshöhe in der Auffangpflichtversicherung vom 28. August 2015 schrieb die Klägerin allerdings per einfacher E-Mail, hiergegen Widerspruch einzulegen. Da sie ein geringfügiges Einkommen habe, sei sie bei ihrem Ehemann mitversichert.

Mit Bescheid vom 4. November 2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, die E-Mail als Überprüfungsantrag zu werten. Die Überprüfung gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) habe jedoch ergeben, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht richtig angewendet worden und dieser nicht zurückzunehmen sei. Insbesondere sei bei der Klägerin die Einkommensgrenze aus einer geringfügigen Beschäftigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch nicht einschlägig, weil die Klägerin nicht abhängig beschäftigt sei.

Am 9. November 2015 schrieb die Klägerin daraufhin, sie sei als "Tagesmutti" nebenberuflich selbständig und über ihren Ehemann beitragsfrei mitversichert, da sie die Einkommensgrenze der Familienversicherung von 400,00 EUR nicht überschreite. Am 23. Dezember 2015 reichte sie den Einkommenssteuerbescheid für 2013 vom 27. Oktober 2015 ein.

Am 6. Mai 2016 erhob sie förmlich Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. November 2015. Zur Begründung führte sie aus, maßgeblich für die Feststellung der Familienversicherung müsse der Einkommenssteuerbescheid für den entsprechenden Zeitraum sein. Die Rechtsprechung zur Einkommensermittlung freiwillig Versicherter sei nicht zwingend auch hier anzuwenden. Da sie sich zeitnah zu ihren Einkünften als Tagesmutter erklärt und zudem darauf hingewiesen habe, dass Steuererbescheide wegen unvollständiger Unterlagen beim Ehemann noch nicht hätten vorgelegt werden können, hätte die Beklagte jedenfalls nur vorläufige Feststellungen hinsichtlich der Beitragspflicht treffen dürfen.

Die Klägerin reichte den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2014 vom 9. Dezember 2015 am 9. Mai 2016 bei der Beklagten ein. Ergänzend führte sie aus, den der Beklagten seit Dezember 2015 vorliegenden Einkommenssteuerbescheiden für die Jahre 2013 und 2014 hätte die Beklagte entnehmen können, dass die Einkünfte der Klägerin in den Jahren 2013 und 2014 ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße gerade nicht überstiegen hätten.

Die Beklagte wies den Widerspruch gegen ihren Bescheid vom 4. November 2015 mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 2016 zurück. Zur Begründung führte sie aus, sie habe hier nicht, wie es § 44 Abs. 1 SGB X in der 1. Alternative voraussetze, das Recht unrichtig angewandt.

Hiergegen hat die Klägerin am 18. August 2016 Klage beim Sozialgericht Cottbus (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ergänzend ausgeführt, der hiesige Senat habe es in seiner Entscheidung vom 31. Januar 2014 (L 1 KR 156/12) zwar für zulässig erachtet, zur Überprüfung des Einkommens im Rahmen der Familienversicherung auf den jeweils vorliegenden aktuellsten Steuerbescheid der vergangenen Jahre zurückzugreifen. Er habe aber wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen. Die "einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedsgruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler)" des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen vom 27. Oktober 2008/zuletzt geändert am 10. Dezember 2014 könnten nicht unmittelbar angewendet worden. Es sei auch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Prognose unter Einbeziehung der mit hinreichender Sicherheit zu erwartenden Veränderungen anzustellen (Bezugnahme auf LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. September 2016 - L 5 KR 52/16). Auch sähen die Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler selbst unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit vor, den voraussichtlichen Gewinn aus der selbständigen Tätigkeit abweichend vom letzten aktuellen Einkommenssteuerbescheid nachzuweisen. Der hiesige Senat habe es in seinem Urteil vom 5. September 2016 (L 1 KR 288/14) ausdrücklich offengelassen, ob und mit welchen Nachweisen ausnahmsweise ein Gewinneinbruch durch andere Nachweise belegt werden könne. Erneut habe er die Revision zugelassen. Zuletzt sei mittlerweile § 240 SGB V novelliert worden. Die Neuregelung müsse auch hier Anwendung finden.

Die Beklagte hat vorgebracht, sie habe unter zutreffender Anwendung des § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X eine erneute Sachprüfung und Sachentscheidung abgelehnt. Hierüber dürfe sich Gericht nicht hinwegsetzen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 11. Juli 2018 abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, die Beklagte habe hier rückwirkend feststellen dürfen, dass eine Familienversicherung in der Vergangenheit nicht bestanden habe, ohne die sich aus den §§ 45, 48 Abs. 1 SGB X folgenden Einschränkungen beachten zu müssen. Maßgeblich für die Einkommensermittlung nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V sei die Vorlage des jeweils aktuellsten Einkommenssteuerbescheides. Die Änderungen im Beitragsrecht der freiwilligen Krankenversicherung mit Einführung des § 240 Abs. 4a SGB V seien erst zum 1. Januar 2018 in Kraft getreten.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 2. August 2018. Zu deren Begründung führt sie zusätzlich aus, das SG habe sich nicht mit dem Urteil des LSG Rheinland-Pfalz (Az. L 5 KR 52/16) auseinandergesetzt. Nach § 7 Abs. 7 der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler sei nunmehr die vorläufige Berechnung der Grundsatz und nicht mehr die Ausnahme. Erst nach Vorlage des Steuerbescheides werde eine endgültige Festsetzung vorgenommen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 11. Juli 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, für die Klägerin unter Aufhebung des Bescheides vom 20. Juli 2015 die Familienversicherung für die Zeit vom 1. Dezember 2010 bis 31. Dezember 2010 sowie vom 1. Januar 2012 bis zum 30. November 2014 durchzuführen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie führt zur Begründung ergänzend aus, der Gesetzgeber habe die Neuregelung zur Beitragsbemessung freiwillig Versicherter nicht auf andere Sachverhalte übertragen. Auch bei sozialversicherungspflichtig Beschäftigten müsse der Arbeitgeber zum Kalenderjahreswechsel eine versicherungsrechtliche Beurteilung vornehmen, ob weiterhin Versicherungspflicht bestehe oder nunmehr Versicherungsfreiheit eintrete. Auch insoweit bleibe das Ergebnis der Prüfung des abgelaufenen Kalenderjahres bestehen, auch wenn rückwirkend betrachtet der Beschäftigte die Grenzen überschreite. Das von der Klägerin angeführte Urteil des LSG Rheinland-Pfalz überschreite die Grundsätze zur versicherungsrechtlichen Beurteilung, welche vom BSG aufgestellt worden sind.

Entscheidungsgründe:

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 4. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. August 2016, mit welchem die Beklagte eine Aufhebung des Bescheides vom 20. Juli 2015 abgelehnt hat, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem sich als unrichtig erweisenden Sachverhalt ausgegangen worden ist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Norm ist auch für Bescheide einschlägig, in welchen nicht unmittelbar über die Gewährung von Leistungen, sondern über den Versichertenstatus entschieden wird. Ausreichend für die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 44 Abs. 1 SGB X ist nämlich die Ursächlichkeit des in Frage stehenden Bescheides für die Gewährung oder Nichtgewährung von Sozialleistungen (Urteil des Senats vom 15. November 2018 - L 1 KR 301/16 -, juris-Rdnr. 20 mit Bezugnahme auf Schütze in v. Wulffen, SGB X, § 44 Rdnr. 16). Ein Bescheid über das Nichtbestehen einer Familienversicherung hat die Folge, dass ohne anderweitige Versicherung keine Leistungen der Krankenversicherung gewährt werden. Demnach unterfallen auch Statusentscheidungen bzw. hier die Entscheidung über das (Nicht-)Vorliegen einer Familienversicherung dem Anwendungsbereich des § 44 Abs. 1 SGB X.

Es ist hier nicht ersichtlich, dass die Beklagte beim Erlass des Bescheides das Recht unrichtig angewandt hat. Für die Annahme, dass die Beklagte einen sich als unrichtig erweisenden Sachverhalt angewendet hat, sind von vornherein keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich und trägt auch die Klägerin selbst nicht vor.

Nach § 10 Abs. 1 S. 1 SGB V sind Ehegatten familienversichert, wenn sie u. a. nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB V nicht hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind. Ob die Betreuungstätigkeit der Klägerin im Auftrag des Jugendamtes eine hauptberuflich selbständige Tätigkeit gewesen ist, kann dahinstehen: Durch das Kindertagespflegegesetz vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2403) war nämlich im damals neu eingeführten § 10 Abs. 1 S. 3 SGB V bestimmt worden, dass eine hauptberufliche selbständige Tätigkeit im Sinne des Satzes 1 Nr. 4 des § 10 Abs.1 SGB V nicht anzunehmen war für eine Tagespflegeperson, die bis zu fünf gleichzeitig anwesende, fremde Kinder in Tagespflege betreut. Diese ursprünglich nur bis Ende 2013 vorgesehene Ausnahmevorschrift ist noch bis zum 31. Dezember 2018 verlängert und erst mittlerweile aufgehoben worden (durch Artikel 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Beitragsentlastung der Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-Versichertenentlastungsgesetz] vom 11. Dezember 2018, BGBl I S. 2387).

Der Beklagten war es hier zunächst nicht verwehrt, für die Vergangenheit festzustellen, dass eine Familienversicherung nicht bestanden hat: Soweit materiell-rechtlich die Voraussetzungen für eine Familienversicherung nicht mehr bestehen, ist eine Krankenkasse nicht gehindert, dies auch rückwirkend auszusprechen, soweit sie nicht durch einen anderslautenden Verwaltungsakt schon gebunden ist (BSG, Urt. v. 7. Dezember 2000 - B 10 KR 3/99 R - juris Rdnr. 33; BSG, Urt. v. 25. August 2004 - B 12 KR 36/03 R - juris-Rdnr. 25). Dies ist hier nicht der Fall. Der "Stornierungs"-Bescheid der Beklagten vom 21. März 2013 traf zwar bereits -ausschließlich belastende- Feststellungen zur nicht bestehenden Familienversicherung in einzelnen Teilzeiträumen. Diese Regelungen sind allerdings durch den Bescheid vom 20. Juli 2015 aufgehoben worden und haben die Beklagte deshalb nicht im vorgenannten Sinne gebunden. In dieser Konstellation war sie berechtigt, mit Bescheid vom 20. Juli 2015 den Status einer Familienversicherung für den Zeitraum ab 1. Dezember 2010 bis zum 30. November 2014 zu verneinen. Maßgeblich für eine Familienversicherung der Klägerin in den hier streitgegenständlichen Zeiträumen ist § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V. Ehegatten, Lebenspartner oder Kinder dürfen gemäß dieser Vorschrift kein Gesamteinkommen haben, das regelmäßig im Monat ein Siebtel der monatlichen Bezugsgrenze nach § 18 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) überschreitet. Gesamteinkommen ist nach der Legaldefinition des § 16 SGB IV die Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommenssteuerrechts. Es umfasst insbesondere das Arbeitsentgelt und das Arbeitseinkommen Der Gesetzgeber hat sich mit dieser Definition bewusst für eine Anlehnung an steuerrechtliche Grundsätze entschieden, um sicherzustellen, dass der Bezug steuerfreier Sozialleistungen nicht zum Ausscheiden aus der Familienversicherung führt (Felix in: Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB V, Vierte Auflage, § 10 SGB V Stand 1. 7.2020, Rdnr. 67).

Der Senat hat bereits wiederholt entschieden, dass die Grundsätze für die Einkommensermittlung bei freiwillig krankenversicherten Selbständigen auch für die im Rahmen des § 10 SGB V erforderlichen Einkommensermittlungen heranzuziehen sind (Urteile des Senats vom 31. Januar 2014 -L 1 KR 156/12- juris-Rdnr. 17a. a. O., vom 5. September 2016 -L 1 KR 288/14- juris-Rdnr. 20f). Gegenstand eines Einkommenssteuerbescheides ist die Festlegung der Höhe der in dem Veranlagungszeitraum erzielten Einkünfte. Schon aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität ist es geboten, dass die Krankenkassen für die Bestimmung der Einkünfte keine eigenen Ermittlungen anstellen, zu denen sie zudem regelmäßig nicht in der Lage sein dürften, sondern auf die von der Finanzverwaltung erteilten Steuerbescheide zurückgreifen. Dementsprechend hat es die höchstrichterliche Rechtsprechung auch stets gebilligt, dass Tatbestandsvoraussetzungen von sozialrechtlichen Normen, die auf Einkünfte im Sinne des Einkommenssteuerrechts abstellen, unter Rückgriff auf den Inhalt der von der Finanzverwaltung erlassenen Steuerbescheide festgestellt worden sind (Urteil des Senats vom 31. Januar 2014 -L 1 KR 156/12- juris-Rdnr. 16 mit Bezugnahme auf BSG, Urt. v. 25. August 2004 - B 12 KR 36/03 R - juris Rdnr 17; Urt. v. 6. November 2008 - B 1 KR 28/07 R - juris Rdnr 15; Urt. v. 2. September 2009 - B 12 KR 21/08 R - juris Rdnr 15; a. A. LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 15. September 2016 -L 5 KR 52/16 juris-Rdnr. 21). Gegen eine Verpflichtung zur Heranziehung gerade des Steuerbescheides über den Veranlagungszeitraum, welcher mit dem Zeitraum übereinstimmt, für den das Bestehen einer Familienversicherung überprüft wird, spricht, dass eine steuerliche Veranlagung nur im Nachhinein, also für abgelaufene Zeiträume erfolgt. Es kommen hinzu die dem Steuerpflichtigen eingeräumten Antragsfristen und die Bearbeitungsdauer der Finanzverwaltung. Feststellungen über das Einkommen trifft die Finanzverwaltung nur im Nachhinein. Entscheidungen über das Fortbestehen einer Versicherung sind aber grundsätzlich vorausschauend für die Zukunft und nicht rückwirkend für einen bereits vergangenen Zeitraum zu treffen (BSG, Urt. v. 7. Dezember 2000 - B 10 KR 3/99 R - juris Rdnr. 29/30). In diesem Zusammenhang kann ein für einen abgelaufenen Veranlagungszeitraum erstellter Steuerbescheid zwar nicht als Beleg für die aktuellen Verhältnisse, immerhin aber als Grundlage für eine zukunftsgerichtete Prognose dienen. Damit erhalten die Krankenkassen eine tragfähige Grundlage für die von ihnen anzustellenden Berechnungen. Die Versicherten werden durch die entstehenden Ungenauigkeiten nicht übermäßig belastet, weil die Abweichungen zwischen den Prognosen und der tatsächlichen Entwicklung sich jedenfalls auf lange Sicht ausgleichen (Urteil des Senats vom 31. Januar 2014, a.a.O. Rdnr. 17; zur Maßgeblichkeit einer Prognose ebenso: LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 15. September 2016, a. a. O.). Dass die Orientierung der Beitragshöhe an den tatsächlichen Einkünften bei Fortsetzung der selbständigen Erwerbstätigkeit nur zeitversetzt und abhängig von dem Datum der Erstellung des Steuerbescheides erfolgen konnte, ist die Folge davon, dass das Gesetz in der für den vorliegenden Sachverhalt anwendbaren Fassung noch zwingend die endgültige Festlegung der Beiträge im Voraus vorsah und außer einem vorliegenden Einkommenssteuerbescheid keine geeignete Erkenntnisquelle für die Höhe der Einkünfte ersichtlich ist (Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, K § 240 Rdnr. 141). Die dadurch möglichen Unzuträglichkeiten, dass die zu zahlenden Beiträge und das zur Verfügung stehende aktuelle Einkommen auseinanderfallen, waren nach der Rechtsprechung des BSG hinzunehmen, weil jedenfalls auf längere Sicht wieder mit einem Ausgleich zu rechnen war (BSG v. 22. März 2006 - B 12 KR 14/05 R - Rdnr. 16; wie hier auch LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 14. Februar 2020 -L 4 KR 2701/17 juris-Rdnr. 42).

Nach diesen Grundsätzen war der Einkommenssteuerbescheid 2009 vom 22. November 2010 ab dem Folgemonat, also ab 1. Dezember 2010 maßgebend. Die Klägerin erzielte Einkommen als Tagespflegekraft in Höhe von umgerechnet monatlich 390,17 EUR und damit mehr als ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße von 365,00 EUR. Der Steuerbescheid für das Jahr 2009 wurde durch den Einkommenssteuerbescheid für 2011 vom 23. Juli 2014 ersetzt, der zum darauffolgenden Monat, also zum 1. August 2014, maßgeblich wurde. Auch ab diesen Zeitpunkt war die Einkommensgrenze überschritten (2014: 395,00 EUR/Monat), weil die Klägerin umgerechnet monatlich 420,92 EUR erlöste. Für die Einkommensermittlung abgelöst wurde der Einkommenssteuerbescheid 2011 sodann durch den Einkommenssteuerbescheid 2012 vom 4. November 2014 mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2014. Das umgerechnete monatliche Einkommen von 352,25 EUR lag nunmehr unter der Einkommensgrenze.

Dass der Gesetzgeber mittlerweile mit Wirkung ab dem 1. Januar 2018 in § 240 Abs. 4a SGB V in Abkehr von dem bisherigen System generell auf der Grundlage des letzten bekannten Einkommenssteuerbescheides eine nur noch vorläufige Festsetzung der auf Arbeitseinkommen entfallenden Beiträge eingeführt hat, ändert nichts daran, dass die bisherige Rechtslage für Zeiträume vor dem Inkrafttreten der Neuregelung maßgeblich bleibt, zumal hier im Streit steht, ob der Bescheid der Beklagten vom 4. November 2015 im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung durch die Widerspruchsstelle der Beklagten am 3. August 2016 rechtswidrig gewesen ist.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB V sind nicht ersichtlich. Durch die Novellierung des § 240 SGB V mit der Einführung des dortigen Abs. 4a stellt sich der vorliegende Fall nicht mehr als solcher mit grundsätzlicher Bedeutung dar.
Rechtskraft
Aus
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