L 7 KA 46/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 389/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 46/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 37/20 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Kassenärztliche Vereinigung ist nicht verpflichtet, im Rahmen der Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten die Fallwertüberschreitung zur Gänze zu berücksichtigen.
Wie anerkannte Praxisbesonderheiten berücksichtigt werden, obliegt dem Beurteilungsspielraum der KV im Rahmen der Zuweisung des RLV. Sie ist nicht gehindert, ein RLV erst ab einem Schwellenwert des Honorarvertrags (15 %) zu erhöhen und die Differenz nicht gänzlich auszugleichen.
Grundsätze der Honorarverteilungsgerechtigkeit gebieten es nicht, dass gleiche (vertragsärztliche) Leistungen unterschiedslos stets in gleicher Höhe vergütet werden, unabhängig davon, welcher Arzt sie in welcher Situation erbringt.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2016 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt 2/5, die Beklagte trägt 3/5 der Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt noch die Vergrößerung ihres Regelleistungsvolumens (RLV) für das Quartal IV/2009.

Die Klägerin ist seit 2009 als Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie ist aus einer fachübergreifenden Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Neurochirurgie hervorgegangen. Sie ist auf dem Gebiet der gesamten Radiologie, der ambulanten Neurochirurgie, der funktionellen Neurologie und der Schmerztherapie tätig.

Die Klägerin legte - wie bereits gegen die Zuweisung des RLV für die vorherigen Quartale aus 2009 - auch gegen die Zuweisung des RLV für das Quartale IV/2009 Widerspruch ein und beantragte vorsorglich die Erhöhung des RLV. Sie machte Praxisbesonderheiten geltend (Bescheid für das Quartal IV/2009 vom 17. September 2009, Widerspruch vom 23. September 2009). Es sei insbesondere in Bezug auf die Tätigkeit von Dr. S eine Praxisbesonderheit nachgewiesen. Er sei Neurochirurg, verfüge aber seit dem 20. bzw. 23. März 1992 über die notwendige Qualifikation hinsichtlich konventioneller Röntgentechnik und computertomographischer Leistungen des Kopfes und der Wirbelsäule. Seit dem 12. Juni 2001 verfüge er über die notwendige Qualifikation für die Durchführung kernspintomographischer Leistungen. Er rechne bereits seit 1992 im Rahmen seiner Tätigkeit als Neurochirurg und zur Behandlung von Erkrankungen der Wirbelsäule radiologische Gebührenziffern und MRT-Leistungen ab. Aufgrund der Qualifikationen und Leistungserbringungen in der Vergangenheit und damit der gewachsenen Patienten- und Überweisungsstrukturen liege ein besonderer Versorgungsbedarf und eine besondere, für die Versorgung der Patienten bedeutsame fachliche Spezialisierung, vor. Daher müsse eine Anpassung des Fallwertes und des arztindividuellen RLV vorgenommen werden.

Für das Quartal IV/2009 setzte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Dezember 2009 das RLV der Arztpraxis insgesamt auf 529.041,05 Euro neu fest unter Berücksichtigung eines MVZ-Zuschlags von 20 %. Das arztindividuelle RLV für Dr. S berücksichtigte sie mit 33.857,12 Euro (Anlage 1 zum Bescheid). Die Festsetzung berücksichtigte im Einzelnen für Dr. S: Anzahl Behandlungsfälle: 722, Fallwert der Arztgruppe: 51,51 Euro, Durchschnittsfallzahl der Arztgruppe: 373, Anzahl der Fälle zu 100 % des Fallwertes: 559, Anzahl der Fälle zu 75 % des Fallwertes: 75, Anzahl der Fälle zu 50 % des Fallwertes: 89, Anzahl der Fälle zu 25 % des Fallwertes: 0).

Hinsichtlich des Antrags auf Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten verwies die Beklagte am Endes der Neufestsetzung auf einen noch zu erlassenden Bescheid. Auch gegen die Neufestsetzung erhob die Klägerin Widerspruch (8. Januar 2010).

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2010 wies die Beklagte der Klägerin für das Quartal IV/2009 Zuschläge zum Fallwert zu. Zur Begründung führte sie aus: Nach dem Beschluss des erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008 (Teil F Punkt 3.6) zur Berechnung und Anpassung von arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumina ergäben sich Praxisbesonderheiten aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen, für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung, wenn zusätzlich eine aus Praxisbesonderheiten resultierende Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe um mindestens 30 % vorliege. Mit Wirkung zum 1. April 2009 könnten auf der Grundlage der 1. Änderungsvereinbarung zum Honorarvertrag 2009 zwischen der Beklagten und den Landesverbänden der Krankenkassen Praxisbesonderheiten auf Antrag - zusätzlich zum besonderen Versorgungsauftrag und/oder einer Spezialisierung - bereits ab einer Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes einer Arztgruppe von mindestens 15 % anerkannt werden.

Für das Quartal IV/2009 sei für die Klägerin bei Betrachtung des durchschnittlichen gewichteten arztindividuellen RLV-relevanten Arztfallwertes aus IV/2008 (93,75 Euro) ein Gesamtfallwertverlust von 19,31 Euro zu verzeichnen. Dies entspreche einem prozentualen Verlust von 25,94 % im Vergleich zum durchschnittlichen gewichteten Arztgruppenfallwert (74,44 Euro) unter Berücksichtigung des Fallwertzuschlags (Zusatzbudget) für qualitätsgesicherte Leistungen (hier: Teilradiologie in Höhe von 4,70 Euro für Arztgruppe 11 - Neurochirurgen) und unter Berücksichtigung des Zuschlags für das MVZ. Der prozentuale Verlust liege über der mindestens erforderlichen Höhe von 15 %. Die maximale Steigerungsmöglichkeit des MVZ je Arztgruppe betrage somit 10,94 %. Es ergebe sich für die Arztgruppe der Neurochirurgen ein Zuschlag von 10,38 % zum Arztgruppenfallwert, daraus errechne sich für das Quartal IV/2009 für sie ein Fallwert in Höhe von 56,85 Euro. Für die Arztgruppe der Fachärzte für Nervenheilkunde und Radiologen mit Radiologie und CT und MRT erfolge jeweils ein Zuschlag zum Arztgruppen-Fallwert in Höhe von 10,94 % (Fallwert: 36,50 Euro (Nervenheilkunde) und 78,80 Euro (Radiologie)), für die Arztgruppe der Allgemeinmediziner sinke der Fallwertverlust auf unter die 15 %-Grenze. Daher könne für diese Arztgruppe kein Fallwert-Zuschlag für das Quartal IV/2009 gewährt werden.

Den Widerspruch der Klägerin, mit welchem sie sich u.a. für das Quartal IV/2009 gegen einen Abzug von 15 % bei der Ermittlung der Fallwertanhebung wandte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2013 zurück. Der Abzug von 15 % sei bei der Fallwertberechnung rechtmäßig. Zu berücksichtigen sei, dass Vertragsärzte/-ärztinnen, deren Fallwertüberschreitung unterhalb des Grenzwertes liege, überhaupt keine Fallwerterhöhung beanspruchen könnten. Es sei nicht zu rechtfertigen, zwar grundsätzlich eine Fallwertüberschreitung von 15 % zu tolerieren, bei Praxen, die diesen Wert überschritten jedoch diesen 15 %-Anteil auch in die Fallwert- bzw. RLV-Vergrößerung einzubeziehen.

Die Klägerin hat am 12. September 2013 u.a. für das Quartal IV/2009 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben. Das RLV müsse für das Quartal IV/2009 wegen der Praxisbesonderheiten noch vergrößert werden.

Mit Urteil vom 22. Juni 2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es begegne keinen Bedenken, dass die Beklagte die Fallwertüberschreitung in Höhe der für die Anerkennung von Praxisbesonderheiten unstreitig erforderlichen Fallwertüberschreitung von 15 % über dem durchschnittlichen Fallwert der einschlägigen Fachgruppen nicht bei der Vergrößerung des Fallwertes bzw. des RLV berücksichtigt habe (so auch die Rechtsprechung des 7. Senates des LSG). Der Beklagten stehe für das streitgegenständliche Quartal gemäß § 5 Abs. 9 Satz 1 Honorarvertrag 2009 in der Fassung der 1. Änderungsvereinbarung vom 31. März 2009 ein allgemeiner Beurteilungs- bzw. Ermessensspielraum hinsichtlich des Umfangs der Anerkennung von Praxisbesonderheiten bzw. Vergrößerung des Fallwertes bzw. des RLV zu. Ein Ermessens- oder Beurteilungsfehler sei insoweit nicht zu erkennen. Es verstoße nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn Ungleichbehandlungen von Überschreitungen unterhalb von 15 % nicht zwingend vermieden würden. Zutreffend habe die Beklagte ausgeführt, dass sich die Möglichkeit der Verrechnung von Fallwertüber- und -unterschreitungen aus 5.3.6 Teil A BA-Beschluss vom 20. April 2009 (Änderung Teil F Beschluss EBA vom 27./28. August 2008 und 23. Oktober 2008) ergebe. Dort sei auch insbesondere keine Beschränkung auf Verrechnungen innerhalb der Fachgruppe vorgesehen. Es bestünden keine Bedenken, dass die Gesamtvertragsparteien insoweit keine Regelung im Honorarvertrag getroffen hätten. Hier greife der im Honorarvertrag allgemein geregelte Beurteilungs- und Ermessensspielraum bezüglich des Umfangs der Anerkennung von Praxisbesonderheiten.

Gegen das ihr am 2. August 2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. August 2016 Berufung eingelegt. Sie wendet sie noch gegen den Abzug von 15 % für die Ermittlung der Fallwerterhöhung (für Dr. S). Mit einem von der Klägerin angenommenen Teilanerkenntnis der Beklagten, hat sich diese am 27. März 2018 verpflichtet, für den Arzt Dr. S eine weitere Fallwerterhöhung für das Quartal IV/2009 um 25,93 % (auf insgesamt 36,31 %) anzuerkennen. Dabei ist sie von einer Überschreitung des Fallwertes von 51,31 % im Vergleich zum Fallwert seiner Arztgruppe ausgegangen.

Die Klägerin trägt vor, die Beklagte hätte die Fallwertüberschreitung in Höhe der für die Anerkennung von Praxisbesonderheiten unstreitig erforderlichen Fallwertüberschreitung von 15 % über dem durchschnittlichen Fallwert der einschlägigen Fachgruppe bei der Vergrößerung des Fallwertes bzw. des RLV voll berücksichtigen müssen und dürfe diesen Grenzwert nicht einfach pauschal (von der Überschreitung) abziehen. Sofern feststehe, dass eine "für die Versorgung bedeutsame Spezialisierung" vorliege, bedeute das, dass von dem betreffenden Vertragsarzt vertragsärztliche Leistungen erbracht werden, die nach dem EBM zu höheren Punktwerten zu vergüten seien, als die Leistungen eines gewöhnlichen Vertragsarztes der Fachgruppe. Konkret bedeute dies, dass Dr. S mit den von ihm erbrachten MRT- und CT-Leistungen solche erbringe, die ebenso von einem Radiologen erbracht werden könnten, der über die entsprechenden Abrechnungsgenehmigungen verfüge. Eine Ermessensausübung, die dazu führe, dass die gleichen Leistungen für gesetzlich Versicherte unterschiedlich vergütet werden, je nachdem, ob sie von einem Neurochirurgen oder von einem Radiologen jeweils mit Abrechnungsgenehmigung erbracht werden, sei durch nichts gerechtfertigt. Würde nur die den Grenzwert von 15 % übertreffende Fallwerterhöhung (= die Differenz) RLV-erhöhend anerkannt, so führte dies zudem zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung zwischen den Vertragsärzten, die Praxisbesonderheiten anerkannt erhielten, weil sie eine "für die Versorgung bedeutsame Spezialisierung" nachweisen könnten. So könne ein Neurochirurg, der 100 MRT-Leistungen pro Quartal erbringe, die rechnerisch zu einer Fallwertüberschreitung von 16 % führten nur ein um 1 % höheres RLV zugewiesen erhalten. Demgegenüber könne ein Neurochirurg, der 500 MRT-Untersuchungen durchführe und dadurch rechnerisch zu einer Fallwertüberschreitung von 35 % gelange, bei der Berechnung der Beklagten ein auf der Basis einer 20 %-gen Fallwertüberschreitung ermitteltes RLV zugewiesen erhalten. Die Differenz zwischen 1 % und 20 % führe bei einer Teilung durch die jeweils erbrachten MRT zu einer erheblich unterschiedlichen Vergütung derselben Leistung. Diese Ungleichbehandlung könne nur dadurch vermieden werden, dass eine Ermessensausübung ohne Anrechnung einer festen Prozentzahl erfolge. Die gegenteilige Auffassung des Sozialgerichts und der Abzug von 15 % werde nicht durch die Entscheidung L 7 KA 154/11 des LSG gestützt. In dem Urteil habe sich das LSG nur zu der Überschreitensgrenze von 15 % ab dem Quartal II/2009 geäußert. Mit der Frage der Differenzberechnung habe sich der Senat nicht zu befassen gehabt, weil er das Vorliegen von Praxisbesonderheiten bereits verneint habe. Aus der Entscheidung ergebe sich aber, dass der Zweck des RLV, Kalkulationssicherheit zu gewährleisten, nicht gewährleistet werde, wenn die Höhe der für die Einzelleistung gewährten Vergütung davon abhänge, ob eine Fallwertüberschreitung von 16 % oder eine höhere bestehe und danach die jeweilige Einzelleistung faktisch entweder mit wenigen Eurocent oder bei einer z.B. 30 %-gen Überschreitung mit einem hälftigen Zuschlag angemessen vergütet werde.

Auch die weiteren Entscheidungen des (7.) Senats vom 30. April 2014 könnten nicht überzeugen. Die Beklagte könnte sich insoweit nicht auf den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Vertragsarztpraxen oder solcher mit Praxisbesonderheiten berufen, denn völlig unterschiedliche Konstellationen seien gerade nicht gleich zu behandeln. Zudem entspreche der pauschale Abzug nicht den Vorgaben des erweiterten Bewertungsausschusses oder dem Honorarvertrag, der keine Rechtsgrundlage dafür enthalte (konkret § 5 Abs. 9), obwohl die Gesamtvertragspartner vom erweiterten Bewertungsausschuss mit dem Beschluss vom 27./28. August 2008 mit einer Regelung dazu beauftragt worden seien.

In der BSG-Rechtsprechung, die der Senat (in L 7 KA 154/11) zu Recht zur Bestimmung einer "für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung" heranziehe, finde sich kein Hinweis auf einen derartig willkürlichen Abzug, ganz im Gegenteil. So habe das BSG in seiner Entscheidung vom 20. Januar 1999 (B 6 KA 78/97 R) festgestellt, dass bei der Bildung eines arithmetischen Mittels für die Ermittlung des Basislaborbudgets bei für zwei Fachrichtungen zugelassenen Ärzten eine unzulässige Reduzierung für einen der Teilbereiche vorliege. Eine solche unzulässige Reduzierung für gleichartige MRT- und CT-Leistungen liege auch hier nach der Berechnung der Beklagten vor.

Der pauschale Abzug ergebe sich nicht aus dem Honorarvertrag (§ 5 Abs. 9), so dass es bereits an einer Rechtsgrundlage fehle. Teil F Nr. 3.6 des Beschlusses des erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008 überlasse es gerade den Vertragspartnern der Gesamtverträge, die Einzelheiten zur Feststellung von Praxisbesonderheiten und das Verfahren, die zwingend eine Regelung zu treffen hätten. Ein rein faktisches Verwaltungshandeln der Beklagten könne dies nicht ersetzen. Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung/Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2016 wird die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 17. September 2009 sowie vom 14. Dezember 2009, vom 14. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2013 verpflichtet, den Antrag der Klägerin auf Vergrößerung des Regelleistungsvolumens wegen Praxisbesonderheiten für das Quartal IV/2009 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint: Auf die Rechtsprechung des 7. Senates in L 7 KA 154/11 komme es nicht an, da es darum gehe, die Vorgaben des Bundesgesetzgebers und des Bewertungsausschusses umzusetzen. Bereits aus Beschlussteil F Ziffer 3.6 des Beschlusses des erweiterten Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008 ergebe sich, dass zusätzlich zu einer fachlichen Spezialisierung eine aus Praxisbesonderheiten resultierende Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 30 % vorliegen müsse. Die weitere Ausgestaltung habe der erweiterte Bewertungsausschuss den Vertragspartnern der Gesamtverträge übertragen. Im Verwaltungsbezirk der Beklagten hätten diese eine Bagatellgrenze von 15 % festgelegt. Es handele sich hierbei um eine Voraussetzung für die Anerkennung von Praxisbesonderheiten. Es komme darauf an, dass der Fallwert des Vertragsarztes sich deutlich von dem Fallwert der Vergleichsgruppe unterscheide. Andernfalls wäre jede noch so geringe Überschreitung des Durchschnittswertes bereits eine Praxisbesonderheit. Sinn und Zweck der Erhöhung des RLV-Fallwertes im Rahmen der Anerkennung von Praxisbesonderheiten sei die Sicherstellung des besonderen Versorgungsbedarfs. Die Vertragsarztpraxis, die diesen Bedarf sicherstelle, werde in der Regel einen höheren individuellen Fallwert als den durchschnittlichen bei der RLV-Zuweisung zu berücksichtigten haben. Um diesen Umstand kompensieren zu können, erfolge die Erhöhung des individuellen Fallwertes der Praxis.

Nach Auffassung des BSG (Urteil vom 22. März 2006 - B 6 KA 80/04 R) erfordere die Zuerkennung eines Zusatzbudgets eine Leistungsmenge deutlich über dem Durchschnitt der Fachgruppe. Dies bedinge die Festlegung eines Grenzwertes, damit nicht jede noch so kleine Überschreitung zu einer Anerkennung eines besonderen Versorgungsbedarfs führe. Ähnliches erfolge auch beim Ausgleich überproportionaler Honorarverluste. Mit dem Grenzwert werde verhindert, dass es zur Auszahlung von nur geringen Stützungsbeträgen komme.

Die Beklagte nehme im Übrigen auf die Entscheidung des 7. Senates vom 30. April 2014 - L 7 KA 154/11 - Bezug. Das LSG habe darin gebilligt, dass die Beklagte nur die den Grenzwert überschreitende Fallwertüberschreitung anerkenne.

Der Senat hat am 10. Januar 2018 und am 6. September 2018 jeweils einen Erörterungstermin in der Sache durchgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung sowie der Beratung des Senates gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Beklagte war nicht zur Neubescheidung zu verpflichten. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.

I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch die Entscheidung der Beklagten über das RLV der Klägerin für das Quartal IV/2009 und die Frage, ob die Beklagte berechtigt war, ausgehend von einer (unstreitigen) Fallwertüberschreitung von Dr. S in IV/2009 in Höhe von insgesamt 51,31 % im Vergleich zum Fallwert seiner Arztgruppe wegen Praxisbesonderheiten (Erbringung von MRT-, CT- und radiologischen Leistungen) 15 % der Überschreitung für die Berechnung des RLV unberücksichtigt zu lassen. Nicht Gegenstand ist die Frage, ob die Klägerin Anspruch auf Zuweisung eines Qualifikationsgebundenen Zusatzvolumens (QZV) für IV/2009 hat. Die Beklagte hat über ein solches nicht entschieden, die Klägerin hat ein solches ihr gegenüber auch nicht beantragt. Es fehlt bereits ein entsprechendes Verwaltungsverfahren.

Mit dem Teilanerkenntnis vom 27. März 2018 hat die Beklagte zusätzlich zur Fallwerterhöhung von 10,38 % (aus dem angefochtenen Bescheid vom 14. Dezember 2010 und einem Fallwert von 56,85 Euro) weitere 25,93 % anerkannt, damit einen Zuschlag in Höhe von 36,31 Euro (und 36,31 % der Überschreitung). In Höhe der noch verbleibenden 15 % erfolgte keine Fallwerterhöhung, weil die Beklagte davon ausgeht, zu einem pauschalen Abzug des Grenzwertes berechtigt zu sein.

II. Die Klage ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage in der Form einer Neubescheidungsklage (§ 54 Abs. 1, § 131 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG) statthaft (vgl. auch BSG Urteil vom 29. Juni 2011 - B 6 KA 17/10 R - SozR 4-2500 § 85 Nr. 66 Rn. 26).

III. Die Klage ist unbegründet, denn die Entscheidung der Beklagten erfolgte ohne Rechtsfehler.

1. Rechtsgrundlage für die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten bei der Bemessung des RLV ist § 87b Abs. 3 Satz 3 SGB V in der in dem streitbefangenen Quartal anzuwendenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG) vom 26. März 2007 (BGBl I 378) i.V.m. Teil F Ziffer 3.6 des Beschlusses des erweiterten Bewertungsausschusses (EBA) vom 27./28. August 2008 (DÄ 2008, A-473). Nach § 87b Abs. 3 Satz 3 SGB V a.F. sind Praxisbesonderheiten zu berücksichtigen, soweit Veranlassung dazu besteht. Das Verfahren zur Berechnung und zur Anpassung der RLV nach § 87b Abs. 2 und 3 SGB V a.F. - und damit auch zur Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten nach Abs. 3 Satz 3 - bestimmt nach § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V a.F. erstmalig bis zum 31. August 2008 der Bewertungsausschuss. In Umsetzung dieser Vorgabe sieht Teil F Ziffer 3.6 S 1 bis 3 des Beschlusses des EBA vom 27./28. August 2008 vor, dass Praxisbesonderheiten zwischen den Partnern der Gesamtverträge geregelt werden. Praxisbesonderheiten ergeben sich aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen, für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung, wenn zusätzlich eine aus den Praxisbesonderheiten resultierende Überschreitung des durchschnittlichen Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 30 % vorliegt. Über das Verfahren der Umsetzung einigen sich die Partner der Gesamtverträge. Nach Teil A Ziffer 4 des Beschlusses des EBA vom 27. Februar 2009 (DÄ 2009, A-574) zur Änderung des Beschlusses Teil A des EBA vom 15. Januar 2009 (Konvergenzbeschluss; DÄ 2009, A-308) können die Partner der Gesamtverträge aus Gründen der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung im Einzelfall eine Praxisbesonderheit feststellen, obwohl die genannte Überschreitung von mindestens 30 % nicht vorliegt.

Die Beklagte vereinbarte in Ausübung dieser Ermächtigung im Beschluss des EBA mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen mit Wirkung ab dem 1. April 2009 im Rahmen der 1. Änderungsvereinbarung vom 31. März 2009 in § 5 Abs. 9 Anlage 1 Honorarvertrag (HV 2009) eine zum Beschluss des EBA abweichende honorarvertragliche Regelung zu Praxisbesonderheiten. Die KV kann danach auf Antrag des Arztes Praxisbesonderheiten feststellen, wenn ein besonderer Versorgungsauftrag und/oder eine besondere, für die Versorgung bedeutsame fachliche Spezialisierung besteht und zusätzlich eine aus den Praxisbesonderheiten resultierende Überschreitung des durchschnittlichen RLV-Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 15 % vorliegt, wobei die morbiditätsbezogene Differenzierung des RLV nach Teil F Anlage 2 Nr. 6 des Beschlusses des EBA vom 23. Oktober 2008 zu berücksichtigen ist. Ein besonderer Versorgungsauftrag bzw. eine besondere, für die Versorgung bedeutsame Spezialisierung können nach § 5 Abs. 9 Satz 3 Anlage 1 HV 2009 z.B. die Durchführung von Leistungen nach GOP 01410, 01413, 20330, 20331, 20335, 20336, 20351, 20352 EBM-Ä, nach GOP 34502, 34503 EBM-Ä bei akuter oder chronischer Schmerzsymptomatik, nach GOP 30130 EBM-Ä durch Allergologen oder von Leistungen des Kapitels 4.4 und 4.5 EBM-Ä durch Kinderärzte sein (zum Ganzen: BSG, Urteil vom 26. Juni 2019 - B 6 KA 1/18 R juris, Rn. 13/14).

2. Ausgehend davon hat die Klägerin keinen Anspruch auf die vollständige Berücksichtigung der Fallwertüberschreitung (Dr. S) ohne einen Abschlag von 15 % und hat es die Beklagte zu Recht abgelehnt, das RLV noch weiter zu vergrößern. Wie eine Praxisbesonderheit bei der Bemessung des RLV zu berücksichtigen ist, obliegt dem Beurteilungsspielraum der Beklagten im Rahmen der Zuweisung des RLV. Höherrangige Vorgaben zwingen sie nicht dazu, Praxisbesonderheiten zur Gänze, d.h. in der gesamten Höhe der Überschreitung des Fallwertes zu berücksichtigen (a.). Die Entscheidung der Beklagten weist auch im Übrigen keine Rechts- oder Beurteilungsfehler auf (b.).

a. Gemäß § 87b Abs. 5 Satz 1 SGB V (a.F.) obliegt den KV die Zuweisung der RLV an den einzelnen Arzt oder die Berufsausübungsgemeinschaft. Die gesetzlichen Regeln zu Höhe und Laufzeit werden untergesetzlich konkretisiert und durch die Partner der Gesamtverträge näher ausgefüllt. Gleichzeitig definieren § 87b Abs. 2 und Abs. 3 SGB V (a.F.) Vorgaben für die Zuweisung. Auch diese werden ergänzt und konkretisiert durch die Bestimmungen des Bewertungsausschusses (§ 87b Abs. 4 SGB V a.F.). § 87b SGB V (a.F.) und die untergesetzlichen Regelungen bestimmen detailliert das Ob und den Weg zur Ermittlung von Praxisbesonderheiten. § 87b Abs. 3 Satz 1 und 2 (a.F.) geben dazu Kriterien vor, die bei der Festlegung der RLV zwingend zu beachten sind. Die Vorgaben spiegeln das Wesen sowie Sinn und Zweck des RLV wieder. Es soll einerseits für die Ärzte Transparenz und Kalkulationssicherheit gewährleisten, andererseits sollen nur die medizinisch erforderlichen Leistungen erbracht werden, eine übermäßige Ausdehnung der ärztlichen Tätigkeit, wie es § 87b Abs. 2 Satz 1 SGB V (a.F.) klar benennt, soll verhindert werden (Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 22 Rn. 5/6 unter Berufung auf die Gesetzesbegründung; BT-Drs. 16/3100 S. 123 ff. - Zu § 85b Abs. 1). Auf eine Ausdehnung der ärztlichen Tätigkeit auf nicht erforderliche Behandlungen reagiert das Gesetz mit Abstaffelungen der Vergütung solcher über das RLV hinaus erbrachter Leistungen (§ 87b Abs. 2 Satz 3 SGB V a.F.). Mit der Aufnahme u.a. der Praxisbesonderheit als Maßgabe für die Bemessung des RLV in § 87b Abs. 3 Satz 3 SGB V (a.F.) neben weiteren Gestaltungsmöglichkeiten für das RLV (in Abs. 3 Sätze 4 - 8) soll im Gegenzug gewährleistet werden, dass Praxen, die behandlungsaufwändigere Versicherte zu betreuen haben, ein höheres RLV erhalten, als Praxen, die weniger behandlungsintensive Versicherte betreuen. Die Praxen mit Praxisbesonderheiten sollen nicht zu schnell in die Abstaffelungszone rutschen (BT-Drs. 16/3100 S. 125 - Zu § 85b). Diese Gefahr bestünde, wenn eine atypische Struktur der Praxis oder der zu behandelten Versicherten bei der Bemessung des RLV überhaupt keine Berücksichtigung fänden.

Demgemäß bestimmt der EBA in Teil F Ziff. 3.6 Satz 1 seines Beschlusses vom 27./28. August 2008 die Kriterien für das Vorliegen einer Praxisbesonderheit. Diese werden noch konkretisiert im Beschluss des Bewertungsausschusses (BA) vom 20. April 2009 Teil A Ziff. 3.6 Satz 2, wonach bei der Ermittlung von Praxisbesonderheiten eine Verrechnung mit Unterschreitungen des durchschnittlichen Fallwertes zwischen Ärzten derselben Praxis, wenn auch anderer Arztgruppen erlaubt sein soll. Daneben senkt § 5 Abs. 9 Satz 2 und 3 der Anlage 1 zum HV 2009, den Wert, ab welchem eine Fallwertüberschreitung für die Praxisbesonderheit (erst) bedeutsam sein soll, auf 15 % ab, indem er die entsprechende Ermächtigung des EBA in Teil F Ziff. 3.6 Satz 1 aufgreift.

Der Senat hat dazu bereits ausgeführt: "Bei der Prüfung, ob Praxisbesonderheiten vorliegen, steht der KV kein - der gerichtlichen Nachprüfung nur eingeschränkt zugänglicher - Beurteilungsspielraum zu. Denn die Beantwortung der hier zu beurteilenden Frage, ob eine einzelne Praxis einen Versorgungsschwerpunkt aufweist, hängt von ermittel- und feststellbaren Umständen wie der Struktur des Leistungsangebots dieser Praxis, der Analyse der Abrechnungen in der Vergangenheit sowie einem Vergleich mit den entsprechenden Daten anderer Praxen ab. Ein Erkenntnis- oder Einschätzungsvorrang der KV, der eine Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle der Rechtsanwendung legitimieren könnte, besteht insoweit nicht (BSG, Urteil vom 6. September 2000 - B 6 KA 40/99 R -, vom 31. Januar 2001 - B 6 KA 11/99 R - und vom 16. Mai 2001 - B 6 KA 53/00 R -; jeweils juris und m.w.N.)." (Urteil vom 18. Oktober 2017 - L 7 KA 18/14 -, Rn. 78, juris)

b. Die genannten Bestimmungen definieren sämtlich nur, wann eine Praxisbesonderheit vorliegt und damit den Tatbestand für die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten. Welche Rechtsfolge i.S. einer konkreten Größe sich für das einzelne RLV aus einer bestehenden Praxisbesonderheit für die einzelne Arztpraxis ergibt, beantworten sie dagegen nicht. Im Unterschied zur Frage, ob eine Praxisbesonderheit vorliegt, obliegt die Reaktion auf eine Praxisbesonderheit dem Beurteilungsspielraum der einzelnen KV im Rahmen der Zuweisung. Arztpraxen, welche wie diejenige der Klägerin Praxisbesonderheiten nachweisen können, haben daher nicht bereits deshalb (automatisch) einen Anspruch auf Vergrößerung ihres RLV in Höhe der gesamten Überschreitung des Fallwertes ohne einen Abzug in Höhe der Differenz bis zum Grenzwert.

aa. Weder § 87b Abs. 3 SGB V a.F. noch die ihn konkretisierenden untergesetzlichen oder gesamtvertraglichen Regelungen ordnen in ihrem Wortlaut eine vollständige Berücksichtigung der gesamten Fallwertüberschreitung ausdrücklich an. Im Unterschied zum Gesetzentwurf des GKV-WSG, welcher in § 85b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB V noch vorsah, dass Praxisbesonderheiten bei der Bestimmung des RLV zwingend zu berücksichtigen sind (BT-Drs. 16/3100 S. 19 und S. 125) schränkt § 87b Abs. 3 Satz 3 SGB V deren Berücksichtigung sogar ein. Bestehende Praxisbesonderheiten sind nicht zwingend zu berücksichtigen, sondern nur "soweit dazu Veranlassung" besteht. Diese auf Vorschlag des Gesundheitsausschusses abgeschwächte Endfassung, die daneben auch die aus den EBM-Zeitwerten abgeleiteten Kapazitätsgrenze aus den zwingenden Vorgaben herausnahm und zu einer Kann-Regelung umformte, erfolgte in dem Bestreben, den Gestaltungsspielraum der Selbstverwaltung und die Umsetzbarkeit der Regelungen zu erhöhen (BT-Drs. 16/4247 S. 43 - Zu § 87b Absatz 3; zu dem Unterschied zur Entwurfsfassung des § 85b Abs. 3 SGB V-E für die Berücksichtigung der Praxisbesonderheiten, vgl. BSG, Urteil vom 26. Juni 2019 - B 6 KA 1/18 R -, SozR 4-2500 § 87b Nr. 20, Rn. 20). In der Folge überantwortet § 87b Abs. 4 Satz 1 SGB V, wonach das Verfahren zur näheren Festlegung der Berechnungswege dem Bewertungsausschuss obliegt, auch den Umgang mit den Praxisbesonderheiten dem gestuften Verfahren und Gestaltungsspielraum der Selbstverwaltung. Was bleibt, ist der gesetzliche Auftrag an die Selbstverwaltung, dass bei Praxisbesonderheiten das RLV so bemessen werden soll, dass verhindert wird, dass die betreffende Arztpraxis/der Arzt "zu schnell in die Abstaffelungszone rutscht" (BT-Drs. 16/3100 S. 125). Teil F Nr. 3.6 des Beschlusses des EBA vom 27./28. August 2009 und des BewA vom 20. April 2009 verweisen für die Praxisbesonderheiten jeweils auf die Regelungen der Gesamtverträge. § 5 Abs. 9 Anlage 1 HV (1. Änderungsvereinbarung zum 1. April 2009), die Bestimmung zu den Praxisbesonderheiten auf der Ebene des Honorarvertrags, beschränkt sich auf die Definition und Vorgaben zur Ermittlung der Praxisbesonderheit. Das lässt sich bereits am Wortlaut festmachen. Die Norm bestimmt in einem Konditionalsatz in Gestalt eines Regelbeispiels, damit nicht abschließend, wann eine Praxisbesonderheit vorliegt. "Diese [die Praxisbesonderheiten] liegen in der Regel vor, wenn." Es folgen zwei Spiegelstriche und eine Konkretisierung der Leistungen, die einen "besonderen Versorgungsbedarf" bzw. eine "für die Versorgung bedeutsame fachliche Spezialisierung" bedeuten. Ausweislich seiner Überschrift trifft § 5 Abs. 9 HV lediglich "Grundsätze zum Regelleistungsvolumen", wogegen § 6 Anlage 1 des HV (2009) konkrete Bestimmungen zur "Ermittlung des RLV" enthält, so z.B. in § 6 Abs. 2 Sätze 2 und 3 HV zur Ermittlung der konkreten Höhe eines RLV. Auch in § 6 HV findet sich aber weder eine Bestimmung zur (vollständigen) Berücksichtigung der 15 %-Überschreitung noch wird auf § 5 Abs. 9 Satz 2, 2. Spiegelstrich HV für die Berechnung Bezug genommen und die Berücksichtigung der gesamten Überschreitung angeordnet.

bb. Sinn und Zweck der Regelungen zu den Praxisbesonderheiten gebieten es nicht, dass die KV jegliche Überschreitung des Fallwertes auszugleichen haben, wenn der Grenzwert von 15 % überschritten ist und auch die weitere Voraussetzung für die Praxisbesonderheit nachgewiesen ist. Die Grenze von 15 % ist eine reine Erheblichkeits- oder Interventionsschwelle. Sie konkretisiert das gesetzliche Merkmal, "soweit Veranlassung dazu besteht" i.S. des § 87b Abs. 3 Satz 3 SGB V auf honorarvertraglicher Ebene. Sie legt insoweit typisierend fest, ab welcher Überschreitung des Fallwertes bei einer atypisch arbeitenden Praxis ein ausreichender Puffer im RLV gerechtfertigt, aber auch i.S. des Gesetzes erforderlich ist, um die frühzeitige Abstaffelung zu verhindern. Sie dient gleichzeitig der Verwaltungsvereinfachung für die KV, da der Grenzwert sich gut ermitteln lässt. Eine darüber hinausgehende, konkret weiterreichende Bedeutung i.S. einer Berechnungsvorschrift für die Bemessung des RLV hinein hat sie aber nicht.

Dabei hat der Senat bereits entschieden, dass es grundsätzlich keinen Bedenken begegnet, dass der (erweiterte) Bewertungsausschuss oder die Partner der Honorarverträge die Anerkennung von Praxisbesonderheiten von Fallwertüberschreitungen eines bestimmten Ausmaßes abhängig machen. In einem seiner Urteile vom 30. April 2014 (L 7 KA 80/11, juris) hat er das Erfordernis einer 15-prozentigen Überschreitung ab dem Quartal II/2009 als Voraussetzung für eine Praxisbesonderheit nicht beanstandet (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Oktober 2017 - L 7 KA 18/14 -, Rn. 82, juris). Es sollen damit aber nur überproportionale Honorarverluste vermieden werden.

Eine 15 %-Schwellenregelung ist auch aus anderen honorarvertraglichen Zusammenhängen als Interventionsschwelle bekannt. So war in Honorarverteilungsregelungen 2010 eine Härtefallregelung vorgesehen, wenn das Gesamthonorar je Arzt mindestens 15 % gegenüber dem entsprechenden Vorjahresquartal fiel. Das BSG hat diese Grenze nicht nur gebilligt, sondern für sie ausgeführt, es sollten nur existenzbedrohende Honorarminderungen ausgeschlossen werden. Ein Abweichen und eine Erhöhung des RLV könne deswegen aus Gründen der Sicherstellung erforderlich sein (BSG, Urteil vom 2. August 2017 - B 6 KA 7/17 R -, SozR 4-2500 § 87b Nr 12, Rn. 65).

Eine bereits mit dem Überschreiten der (15 %-)Schwelle automatisch einsetzende Fallwerterhöhung ab dem 1 Prozentpunkt der Überschreitung ist auch bei Berücksichtigung des besonderen Versorgungsauftrags oder einer für die Versorgung bedeutsamen fachlichen Spezialisierung nicht geboten. Es steht der KV nach Sinn und Zweck auf einen entsprechenden Antrag hin einerseits nicht frei, eine bestehende Praxisbesonderheit bei der Zuweisung des RLV gänzlich unberücksichtigt zu lassen. Auf der anderen Seite darf bei der Bestimmung des Umfangs der Erhöhung berücksichtigt werden, dass der Zweck des RLV noch erreicht wird. Die RLV sollen einer übermäßigen Ausdehnung der vertragsärztlichen Tätigkeit entgegenwirken, der Mengensteuerung dienen, es sollen Leistungen verhindert werden, die medizinisch nicht erforderlich sind.

Ein gänzliches Abweichen von der Steuerungsfunktion des RLV (dazu oben) wäre nur dann gerechtfertigt, wenn und weil der Arzt einen besonderen Versorgungsauftrag erfüllt bzw. gerade wegen der fachlichen Spezialisierung die Überschreitung erreicht und der Zuschlag zur Sicherstellung erfolgt. Der Senat hat dazu bereits zur Honorarverteilung für II/2009 - dem BSG folgend - darauf hingewiesen, dass für den Begriff "Praxisbesonderheiten" einerseits auf schon vorhandene Beschreibungen funktionsähnlicher Begriffe wie "Versorgungsschwerpunkt" und "Praxisschwerpunkt" abzustellen sei (BSG, Urteil vom 28. Oktober 2009 - B 6 KA 26/08 R -, juris; BSGE 87, 112, 116 ff.), andererseits diese zugleich von Begriffen wie "Versorgungsbedarf" und "Sicherstellung der Versorgung" abzugrenzen seien. Während ein "Versorgungsschwerpunkt" in erster Linie aus der besonderen Struktur einer einzelnen Praxis abzuleiten ist, stellt das Merkmal "Versorgungsbedarf" stärker auf objektive Kriterien in dem Sinne ab, dass ein bestimmtes Leistungsangebot einer Praxis unter Sicherstellungsaspekten erforderlich ist (BSG, Urteil vom 16. Mai 2001 - B 6 KA 53/00 R -, juris, m.w.N.) Ferner haben Praxisbesonderheiten im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine andere Bedeutung als im Bereich der Honorarverteilung, weil sie in beiden Bereichen grundlegend unterschiedliche Funktionen erfüllen (Urteil des Senats vom 18. Oktober 2017 - L 7 KA 18/14 -, Rn. 71, juris unter Berufung auf BSG, Urteil vom 29. Juni 2011 - B 6 KA 17/10 R -, juris, m.w.N.)

Aus diesen Unterschieden ergibt sich, dass die Praxisbesonderheit, weil durch die besondere Struktur der Praxis bedingt, im Rahmen der Bemessung des RLV nicht gänzlich rechnerisch im Rahmen der Fallwerterhöhung 1:1 berücksichtigt werden muss. Auch das BSG hat zuletzt ausgeführt, über die Praxisbesonderheiten solle die Deckung eines besonderen Versorgungsbedarfs, der zu einer Verengung des Leistungsspektrums durch Spezialisierung geführt hat, "berücksichtigt werden". Einen vollständigen Ausgleich jeglicher Überschreitung hat es insoweit aber gerade nicht gefordert (BSG, Urteil vom 26. Juni 2019 - B 6 KA 1/18 R Rn. 25, juris). Die vollständige Berücksichtigung des Fallwertes allein deshalb, weil eine fachliche Spezialisierung vorliegt, würde im Ergebnis dazu führen, dass das RLV für den begünstigten Arzt seine Steuerungsfunktion (Mengensteuerung) gänzlich verlöre. Schließlich führen Mengenbegrenzungsregelungen im Ergebnis auch nicht dazu, dass die über die Grenze hinausgehenden Leistungen unvergütet bleiben, sondern lediglich dazu, dass die Höhe der Vergütung für jede einzelne der erbrachten Leistungen relativ absinkt (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 14. Juni 2019 - L 4 KA 12/17 -, Rn. 59, juris).

b. Die Beklagte hat auch im Übrigen bei der Bildung der RLV der Klägerin die Vorgaben aus dem Beschluss des EBA vom 27./28. August 2008 bzw. aus dem HV in rechtmäßiger Weise umgesetzt und ihren Beurteilungsspielraum rechtsfehlerfrei genutzt.

Der Beurteilungsspielraum muss im Einzelfall bei der Zuweisung des RLV entsprechend seinem Zweck ausgeübt werden und höherrangiges Recht beachten, konkret im Fall von Praxisbesonderheiten den Auftrag des § 87b Abs. 3 Satz 3 SGB V. Das RLV darf schließlich nicht gegen die Grundsätze der Honorarverteilungsgerechtigkeit und auf angemessene Teilhabe (Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen.

Die Klägerin wird bei Berücksichtigung des Abzugs von 15 % weder im Vergleich zu anderen Ärzten für Neurochirurgie mit Praxisbesonderheiten noch zu Radiologen, deren radiologische Leistungen generell höher vergütet werden, ohne sachlichen Grund ungleich behandelt. Der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit gebietet nicht, dass gleiche Leistungen unterschiedslos auch stets in gleicher Höhe vergütet werden, unabhängig davon welcher Arzt sie in welcher Situation erbringt.

Gemäß ständiger Rechtsprechung des BSG, welcher der Senat folgt, ist der Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit dann verletzt, wenn vom Prinzip der gleichmäßigen Vergütung abgewichen wird, obwohl zwischen den betroffenen Ärzten bzw. Arztgruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Dabei ist von den Gerichten der Gestaltungsspielraum des jeweiligen Normgebers zu beachten; dieser kann von dem Grundsatz einer leistungsproportionalen Verteilung des Honorars aus sachlichem Grund abweichen (zuletzt BSG, Urteil vom 30. Oktober 2019 - B 6 KA 21/18 R, Rn. 31).

Ausgehend davon ist die strikte Berücksichtigung der Fallwertüberschreitung erst ab 15 % gerechtfertigt, auch wenn sie dazu führt, dass je mehr der Fallwert überschritten wird, desto mehr sich die RLV-Vergrößerung in den Fallwerten auswirken kann. Der Effekt beruht auf der typisierenden Betrachtungsweise, wonach je größer die Praxisbesonderheiten sind, desto mehr diese auch im vergrößerten RLV Berücksichtigung finden dürfen, um der atypischen Situation gerecht zu werden. Dabei wäre die KV gemäß § 87b Abs. 3 Satz 3 SGB V und den untergesetzlichen Vorgaben auch berechtigt, die einzelne Vergrößerung zu deckeln und so den Effekt zu bremsen, um das insgesamt für das RLV der Arztgruppe zur Verfügung stehende Honorarvolumen zu begrenzen. Im Übrigen wirkt sich der Beispielsfall, den die Klägerin zur Veranschaulichung der unterschiedlichen Vergütung je nach Größe der Fallwertüberschreitung anführt, in ihrem Fall gerade nicht aus und beschwert sie in dem streitigen Quartal nicht. Bei einer Überschreitung in Höhe von 51,31 % im Vergleich zum Fallwert seiner Arztgruppe erhält Dr. Seine Vergrößerung des RLV in Höhe von 36,31 %, damit mehr als ein Drittel. Der als Beispiel angestellte Vergleich, wonach sich der 15 %-Abzug zu einer Praxis, die nur eine Überschreitung von 16 % hat und daher nur ein um 1% höheres RLV erhält, könnte daher auch für eine gleichheitswidrige Begünstigung gerade der Klägerin angeführt werden.

Im Verhältnis zur Arztgruppe der Radiologen bestehen sachlich tragfähige Gründe für die Differenzierung, denn arztgruppenspezifische Unterschiede können eine unterschiedliche Vergütung von ärztlichen Leistungen rechtfertigen. Bereits die unterschiedliche Struktur der einzelnen Arztgruppen und damit die regelhaft unterschiedliche Ausrichtung der Praxen rechtfertigt eine nicht einheitliche Vergütung einer ärztlichen Leistung. Speziell die Bemessung des RLV erfolgt im Grundsatz mit Blick auf die eigene Arztgruppe und deren Durchschnittsfallwert. So ist für das RLV der Klägerin nach § 87b Abs. 3 Satz 7 SGB V (in der 2009 geltenden Fassung vom 26. März 2007) der Umfang des Versorgungsauftrags, mit dem die Klägerin, konkret Dr. S der jeweiligen Arztgruppe zugelassen ist, maßgebend (§ 87b Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 SGB V, dazu Hess in: Kasseler Kommentar zur Sozialversicherung, Stand: April 2009, § 87b Rn. 16). Das unterscheidet den Fall der Klägerin auch von demjenigen des BSG in B 6 KA 78/97 R. In jenem ging es um einen Vertragsarzt mit Zulassung in zwei Fachgebieten und die Vergütung von Basislaborleistungen, die nach einer unterschiedlichen arztgruppenbezogenen Fallpunktzahl durch Bildung eines arithmetischen Mittels vergütet worden waren. Bei der Erhöhung des RLV wegen Praxisbesonderheiten jenseits der Erheblichkeitsschwelle werden aber gerade keine arithmetischen Mittelwerte der Fallpunktzahlen unterschiedlicher Arztgruppen gebildet.

Anlass für die Anerkennung von Praxisbesonderheiten besteht immer dann, wenn eine Praxis eine im Vergleich zu anderen Arztpraxen der Arztgruppe atypische Ausrichtung ausweist (BSG, Urteil vom 26. Juni 2019 - B 6 KA 1/18 R -, SozR 4-2500 § 87b Nr. 20, Rn. 16). Im Umkehrschluss muss die Praxis aber nicht die Ausrichtung einer bestimmten anderen Arztgruppe, der sie nicht angehört, deren Leistungen sie aber als Spezialisierung erbringt, aufweisen, um Praxisbesonderheiten für sich in Anspruch nehmen zu können. Das rechtfertigt eine unterschiedliche Vergütung.

Dem Zuschnitt der vertragsärztlichen Vergütung liegt zudem insgesamt eine "Mischkalkulation" zugrunde. Zwar ist für die Klägerin zu berücksichtigen, dass sie höhere Kosten wegen des Vorhaltens eines CT bzw. MRT als andere Ärzte der Arztgruppe der Neurochirurgen hat. Diese Kosten müssen aber, da sie nicht zum typischen Leistungsspektrum der Fachgruppe gehören, anders als beispielsweise in der Fachgruppe der Fachärzte für Diagnostische Radiologie, im Fallwert des RLV nicht vollständig abgebildet werden. Im Hinblick darauf, dass die Klägerin (Dr. S) mit den neurochirurgischen Leistungen andere Leistungen vergütet erhält, muss die Klägerin die Anschaffung eines dieser Geräte nicht allein aus den Fallwerten für die radiologischen Leistungen finanzieren (anders wohl im Fall von Fachärzten für Diagnostische Radiologie für Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 14. Juni 2019 - L 4 KA 12/17 -, Rn. 64, juris, Müsste schließlich die Vergütung der Leistungen allein wegen der Spezialisierung der Klägerin und dem Bestehen der Abrechnungsgenehmigung im RLV derjenigen der Radiologen entsprechen, wäre die arztgruppenbezogene Steuerungsfunktion des RLV u.U. nicht mehr gegeben, da das RLV auch für andere, entsprechend der Klägerin aufgestellte neurochirurgische Praxen entsprechend zu vergrößern wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt das Verhältnis des Teilanerkenntnisses der Beklagten (Anerkennung von weiteren 25,93 % Fallwertüberschreitung) zur erfolglos beantragten Berücksichtigung von weiteren 15 %.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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