L 13 SB 18/18

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 24 SB 27/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 18/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 22. November 2017 geändert. Der Beklagte wird unter Änderung des Bescheides vom 2. De-zember 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2015 verpflichtet, bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 31. Juli 2019 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtli-che Kosten des gesamten gerichtlichen Verfahrens zur Hälfte zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

Auf den Antrag des 1958 geborenen Klägers vom 16. Oktober 2014 stellte der Be-klagten bei ihm mit Bescheid vom 2. Dezember 2014 einen Gesamt-GdB von 20 fest. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 2015 stellte der Beklagte einen Gesamt-GdB von 30 fest und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Hierbei ging er von folgenden Funktionsbeeinträch-tigungen aus:

1. psychische Störung (Einzel-GdB von 20), 2. chronische Leberentzündung (Einzel-GdB von 20).

Mit der Klage bei dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) hat der Kläger die Feststellung eines GdB von 50 begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gut-achten des Praktischen Arztes M vom 4. April 2016 mit ergänzender Stellungnahme vom 6. März 2017 eingeholt, der den Gesamt-GdB auf 40 eingeschätzt hat. Der Sachverständige hat hierbei folgende GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde gelegt:

1. kombinierte Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, histrionischen und im-pulsiven Anteilen, rezidivierende depressive Störungen, Abhängigkeitssyn-drom, gefährlicher Gebrauch von Alkohol (Einzel-GdB von 40), 2. Funktionsminderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB von 10).

Auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Sozial-gericht den Facharzt für Anästhesiologie Dr. J gehört, der im Gutachten vom 9. Dezember 2016 vorgeschlagen hat, bei dem Kläger einen Gesamt-GdB von 50 festzustellen. Hierzu hat er folgende Funktionsbeeinträchtigungen festgestellt:

1. chronischer Schmerz mit eigenständigem Krankheitswert (Einzel-GdB von 40), 2. Persönlichkeitsänderung bei chronischen Schmerzen (Einzel-GdB von 30), 3. depressives Syndrom (Einzel-GdB von 30), 4. Omarthrose rechts (Einzel-GdB von 30), 5. ACG-Arthrose rechts (Einzel-GdB von 30), 6. Enthesiopathie der Supraspinatus- und Subscapularissehnen (Einzel-GdB von 20), 7. Osteom im Humeruskopf (Einzel-GdB von 20), 8. Zustand nach OP nach Arterienverletzung der linken Achselhöhle (Einzel-GdB von 20).

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 22. November 2017 den Beklagten verpflichtet, bei dem Kläger einen Gesamt-GdB von 40 festzustellen. Im Übrigen hat es die Kla-ge abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die psychische Störung, wie der Sachverständige M zutreffend herausgearbeitet habe, mit ein Einzel-GdB von 40 in Ansatz zu bringen sei, der durch das Wirbelsäulenleiden nicht erhöht wer-de, da dieses lediglich mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sei. Dem Vor-schlag des Gutachters J, weitere Behinderungen zu berücksichtigen, sei nicht zu folgen, denn diese bedingten keinen eigenständigen Einzel-GdB.

Mit der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts verfolgt der Kläger sein Begeh-ren weiter.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 21. August 2019, der sich auf der Grundlage der Unter-suchung des Klägers am 31. Juli 2019 für einen Gesamt-GdB von 30 ausgespro-chen hat. Der Sachverständige hat hierzu folgende GdB-relevante Funktionsbeein-trächtigungen ermittelt:

1. vermehrter Alkoholkonsum, Alkoholmissbrauch, Persönlichkeitsstörung, Hin-weise auf Somatisierungsstörung (Einzel-GdB von 20), 2. Verschleiß der Wirbelsäule (Einzel-GdB von 20).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 22. November 2017 aufzu-heben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 2. Dezem-ber 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 2015 zu verpflichten, bei dem Kläger mit Wirkung ab dem 16. Oktober 2014 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, ein höherer Gesamt-GdB als 40 komme nicht in Frage.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese wa-ren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers ist nur zum Teil begründet.

Mit Wirkung ab dem 31. Juli 2019 hat der Kläger Anspruch auf Feststellung eines Gesamt-GdB von 50; hingegen kann er für den Zeitraum vom 16. Oktober 2014 bis zum 30. Juli 2019 keinen höheren Gesamt-GdB als 40 erfolgreich beanspruchen.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung (SGB IX a.F.) bzw. nach § 152 Abs. 1 Sozi-algesetzbuch, Neuntes Buch in der am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung (SGB IX n.F.) sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Ver-sorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG) heranzuziehen.

Der Senat hat aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewon-nen, dass bei dem Kläger für den Zeitraum vom 16. Oktober 2014 bis zum 30. Juli 2019 kein höherer Gesamt-GdB als 40 festzustellen ist. Der Senat folgt hierbei den überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts in der angefochtenen Entschei-dung; hierauf nimmt er Bezug und sieht daher von einer weiteren Darlegung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ab.

Auf der Grundlage der plausiblen medizinischen Feststellungen des Sachverständi-gen Dr. S ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass vom Tag der gutachterli-chen Untersuchung des Klägers an eine Verschlechterung der Wirbelsäulenfunkti-onsstörungen nachgewiesen ist, die mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten sind. Die psychischen Erkrankungen des Klägers bedingen weiterhin einen Einzel-GdB von 40. Die Einschätzung des Sachverständigen Dr. S, dass ein Einzel-GdB in die-ser Höhe, der im Zeitpunkt der Antragstellung vertretbar gewesen sei, bei der von ihm durchgeführten gutachterlichen Untersuchung nicht festzustellen sei, ist nicht überzeugend, da der Gutachter nicht dargelegt hat, ob und inwieweit eine Besse-rung der psychischen Leiden eingetreten ist. Auch findet in dessen Gutachten keine vertiefte Auseinandersetzung mit den Ausführungen der Vorgutachter zur Schmerzsymptomatik statt.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX a.F. bzw. § 152 Abs. 3 SGB IX n.F. nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Unter Beachtung der Vorgaben in A 3d VMG beträgt bei dem Kläger seit dem 31. Juli 2019 der Gesamt-GdB 50.

Der Einzel-GdB von 40 für die psychischen Erkrankungen des Klägers ist im Hinblick auf das mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertende Wirbelsäulenleiden um einen Zehnergrad auf 50 zu erhöhen. Denn zwischen beiden Behinderungen bestehen, worauf der Sachverständige S hingewiesen hat, negative Wechselwirkungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
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