Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 29 AS 36/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 19 AS 659/20 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Wird nach Erlass eines Gerichtsbescheides ein Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt, ist durch Urteil zu entscheiden. Mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung (§ 105 Abs. 2 Satz 2 SGG) will der Gesetzgeber sicherstellen, dass ein Beteiligter stets eine mündliche Verhandlung vor Gericht erzwingen kann.
Der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 18. März 2020 wird aufgehoben.
Gründe:
I.
Mit Gerichtsbescheid vom 3. Dezember 2019 wies das Sozialgericht die Anfang Januar 2019 erhobene Klage der Klägerin ab. In der Klageschrift hieß es, die Klägerin wende sich "gegen den Bescheid vom 06.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2018". Nach vorläufiger Festsetzung für den Leistungszeitraum vom Juli bis Dezember 2018 mit Bescheid vom 7. Juni 2019 waren von dem Beklagten in dem Bescheid vom 6. September 2018 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Klägerin (nur) für die Monate Juli und August 2018 endgültig festgesetzt worden; die Klägerin hielt diese endgültige Festsetzung schon im laufenden Leistungszeitraum für rechtswidrig. In dem Gerichtsbescheid wurde über die Möglichkeit einer Berufung belehrt.
Nach der Zustellung des Gerichtsbescheides am 13. Januar 2020 legte die Klägerin am 20. Januar 2020 Berufung ein. Gleichzeitig hat sie einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Die Berufung sei lediglich vorsorglich eingelegt worden. Ohne dass sie dies näher ausführte, hat sie mitgeteilt, ihrer Ansicht nach werde die Berufungssumme nicht erreicht, ihre Beschwer betrage weniger als 750,00 Euro. Am 3. März 2020 hat sie lediglich (erstmals) beanstandet, die Kosten der Unterkunft und Heizung seien rechtswidrig zu niedrig bemessen.
Nach Ansicht des Beklagten sei "derzeit nicht klar", ob die Berufung statthaft sei. Das Sozialgericht gehe nach dem Vorbringen von einem Antrag der Klägerin aus, ihn, den Beklagten, zu verpflichten, endgültig Leistungen für einen Zeitraum von 6 Monaten festzusetzen, habe aber keine konkrete Angabe zu der Höhe der für rechtmäßig gehaltenen Leistungen gemacht.
Mit Beschluss vom 18. März 2020 hat das Sozialgericht Cottbus den Antrag auf mündliche Verhandlung verworfen. Der Berufungswert betrage mehr als 750,00 Euro, diese ergebe sich aus den Bewilligungsbescheiden. Für die Monate Juli und August 2018 seien Leistungen in Höhe von 962,77 Euro festgesetzt worden. Zudem sei der Antrag zu spät gestellt worden.
Am 2. April 2020 hat die Klägerin gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt. Der Beschwerdewert richte sich nicht nach der Summe der bewilligten Beträge, sondern nach ihrer Beschwer. Diese unterschreite die Berufungssumme.
II:
Die Beschwerde vom 2. April 2020 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 18. März 2020 ist statthaft und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht über den Antrag auf mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden.
Die Frage, ob über einen Antrag auf mündliche Verhandlung gem. § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG durch Urteil oder durch Beschluss entschieden werden kann, wird sehr uneinheitlich beantwortet (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leit-herer/Schmidt, SGG , 13. Aufl. 2020, § 105 Rn. 24 m. w. N.). Die besseren Gründen sprechen für eine Entscheidung durch Urteil.
Nach § 125 SGG wird über eine Klage, soweit nichts anderes bestimmt ist, durch Urteil entschieden. Bei einem Streit, ob nach Erlass eines Gerichtsbescheides und dem Antrag auf mündliche Verhandlung mündlich zu verhandeln ist, ist eine gesetzliche Ausnahme nicht ersichtlich; auch Befürworter einer Entscheidung durch Beschluss räumen ein, dass das Gesetz keine ausdrückliche Beschlussbefugnis der Sozialgerichte für unzulässige Rechtsbehelfe nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG vorsieht (vgl. LSG NW, Beschluss vom 16. März 2020 – L 7 AS 135/20 B –, Juris). Für eine Entscheidung durch Urteil sprechen zudem systematische Gründe. Eine Entscheidung durch Urteil ergeht in allen anderen Fällen, in denen Streit darüber herrscht, ob das Verfahren noch rechtshängig ist oder nicht oder ob die Rechtshängigkeit wieder aufgelebt ist. So ist es bei einem Streit um die Rücknahmefiktion gem. § 102 Abs. 2 SGG anerkannt, dass hierüber unter Einbeziehung der ehrenamtlichen Richter durch Urteil (oder durch einen das Urteil ersetzenden Gerichtsbescheid) zu entscheiden ist (vgl. BSG, Urteil vom 19. März 2020 – B 4 AS 4/20 R –, Juris; B. Schmidt, a. a. O., § 102 Rn. 12). Auch bei einem Streit um die sonstige Beendigung eines Prozesses, sei es durch Prozessvergleich oder durch andere prozessbeendende Erklärungen, hat das Sozialgericht durch Urteil (bzw. Gerichtsbescheid) zu entscheiden (etwa BSG, Beschluss vom 2. Juli 1998 – B 13 RJ 187/97 B –; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 19. April 2018 – L 3 R 489/17 WA –; und vom 23. Februar 2017 – L 25 AS 931/16 –, Juris). Nach § 140 SGG wird im Fall eines verdeckten Teilurteils, also einer
behaupteten nur teilweisen Beendigung der Verfahrens, ebenfalls grundsätzlich durch Urteil entscheiden, das dann mit dem bei dem übergangenen Anspruch zulässigen Rechtsmittel angefochten werden kann.
Eine analoge Anwendung des für das Berufungsverfahren geltenden § 158 Satz 2 SGG, der es in bestimmten Fällen ermöglicht, unzulässige Berufungen durch Beschluss zu verwerfen, ist nicht möglich. Es gibt schon keine planwidrige Lücke im Gesetz, da das Gesetz in § 125 SGG eine ausdrückliche Regelung verlangt, wenn nicht durch Urteil entschieden wird, die es aber, wie dargelegt, nicht gibt.
Selbst eine planwidrige Lücke im Gesetz jedoch unterstellt, änderte dies nichts. Eine Lücke dürfte nur durch eine Bestimmung geschlossen werden, die eine vergleichbare Situation regelt. Die prozessuale Lage bei einem Antrag auf mündliche Verhandlung ist jedoch nicht vergleichbar mit der Situation bei einem unzulässigen Rechtsmittel bei einem Instanzgericht. Eine Verwerfung durch Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG setzt nämlich voraus, dass es bereits eine mündliche Verhandlung gegeben hat oder die Beteiligten auf sie verzichtet haben (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. September 2020 – L 4 KR 194/20 –, Juris). Ein Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG darf deshalb nicht ergehen, wenn sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid richtet (st. Rspr., s. etwa Bundessozialgericht [BSG], vgl. Urteil vom 8. November 2005 – B 1 KR 76/05 B -, Juris; zuletzt Beschluss vom 30. Oktober 2019 – B 14 AS 7/19 B – Rn. 3, Juris). Im Fall eines Antrags auf mündliche Verhandlung nach Erlass eines Gerichtsbescheides hat es jedoch gerade noch keine Verhandlung gegeben. Der Gesetzgeber wollte mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG (auch) sicherstellen, dass ein Beteiligter überhaupt eine mündliche Verhandlung vor Gericht erzwingen kann, um Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Genüge zu tun. Danach hat jede Person ein Recht darauf, dass ihr Rechtsstreit von einem Gericht öffentlich verhandelt wird. Die EMRK steht zwar innerstaatlich im Rang eines Bundesgesetzes. Sie ist jedoch als Hilfe bei der Auslegung der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes und damit auch bei der Auslegung einfachen Rechts heranzuziehen.
Bestätigt wird dies durch die Dispositionsbefugnis des Klägers. Den Wert des Beschwerdegegenstandes bestimmt er. Es kommt für den Wert des Beschwerdegegenstand nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht darauf an, was das
Sozialgericht dem Rechtsmittelkläger versagt hat, sondern was dieser mit seinen Berufungsanträgen weiterverfolgt (Heßler, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 511 ZPO Rn. 13). Entscheidet sich ein Kläger, einen Gerichtsbescheid nur teilweise anzugreifen (und liegt ein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 SGG nicht vor), ist eine Berufung nicht statthaft, doch muss der Kläger grundsätzlich die Gelegenheit haben, sich in einer mündlichen Verhandlung zu äußern; zugleich hat er ein Recht auf deren Durchführung durch das Gericht.
Auf die Frage, ob der Antrag auf mündliche Verhandlung rechtzeitig gestellt worden ist und ob tatsächlich die Berufung wegen der Unterschreitung des in § 144 Abs. 1 SGG genannten Wertes unstatthaft ist, kommt es hingegen von vornherein nicht an. Darüber wird ausschließlich das Sozialgericht durch Urteil zu befinden haben.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass bei einem, wie hier, unbezifferten Antrag das Gericht anhand des wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits den Berufungsstreitwert zu ermitteln bzw. zu schätzen hat (§ 202 SGG i. V. m. § 3 Zivilprozess¬ordnung). Da die Klägerin mit der Klageschrift ausdrücklich die endgültige Festsetzung für Juli und August 2018, d. h. für nur zwei Monate, angegriffen hat, es ihr also um die endgültige Festsetzung nach Erlass vorläufiger Bewilligungen für lediglich zwei Monate ging, ist eine Beschwer gar nicht ersichtlich, da sich die Höhe der endgültig festgesetzten von der Höhe der vorläufig festgesetzten Beträge nicht unterscheidet. Gleiches dürfte der Fall sein, wenn man annähme, es sei der Klägerin um die endgültige Festsetzung für den gesamten Leistungszeitraum gegangen. Auch in einem solchen Fall ist eine Beschwer nicht ohne weiteres deutlich.
Soweit die Klägerin, nachdem die Frist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG am 23. Februar 2020 abgelaufen war, am 3. März 2020 erstmals vorträgt, die Kosten der Unterkunft und Heizung seien rechtswidrig zu niedrig festgesetzt worden (ohne dies zu beziffern), ist dies für die Beschwer von vornherein irrelevant. Eine mit einer Erweiterung des Begehrens verbundene Erhöhung der Beschwer kann nach Ablauf der Berufungs¬begründungsfrist nur auf schon in der Berufungsbegründung angeführte Grün¬de gestützt werden (BGH, Beschluss vom 27. März 2012 – VI ZB 74/11 –, juris). So liegen die Dinge hier aber nicht. Denn die Klägerin hat weder die Berufung noch den Antrag auf mündliche Verhandlung innerhalb Frist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG überhaupt begründet; Fragen zu den Kosten der Unterkunft und Heizung waren bis zum Ablauf
der Begründungsfrist nie Gegenstand der Klage. Zudem muss das ursprüngliche Begehren zumindest teilweise weiter verfolgt werden; es darf nicht ausschließlich ein neuer Anspruch geltend gemacht werden (BGH NJW 93, 597; NJW 94, 3358; NJW 96, 527; NJW 2003, 2172; MDR 2008, 1351). Vorliegend hält die Klägerin aber das "ursprüngliche" Anliegen "im Prinzip" für erledigt.
Eine zu tenorierende Entscheidung, dass der Gerichtsbescheid vom 3. Dezember 2019 als nicht ergangen gilt, ist nicht zu treffen (anders LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Februar 2017 – L 13 AS 3192/16 B -, Juris). Denn eine solche Entscheidung setzt gerade eine Prüfung voraus, ob der Antrag auf mündliche Verhandlung die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Darüber hat jedoch, wie dargelegt, nicht das Berufungsgericht, sondern ausschließlich das Sozialgericht in seinem Urteil zu befinden.
Eine Kostenentscheidung hat ebenfalls nicht zu ergehen. Die Beschwerde gegen den Beschluss über die Ablehnung einer mündlichen Verhandlung stellt lediglich einen Zwischenstreit dar, die Entscheidung über die Kosten wird im Urteil getroffen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Gründe:
I.
Mit Gerichtsbescheid vom 3. Dezember 2019 wies das Sozialgericht die Anfang Januar 2019 erhobene Klage der Klägerin ab. In der Klageschrift hieß es, die Klägerin wende sich "gegen den Bescheid vom 06.09.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2018". Nach vorläufiger Festsetzung für den Leistungszeitraum vom Juli bis Dezember 2018 mit Bescheid vom 7. Juni 2019 waren von dem Beklagten in dem Bescheid vom 6. September 2018 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Klägerin (nur) für die Monate Juli und August 2018 endgültig festgesetzt worden; die Klägerin hielt diese endgültige Festsetzung schon im laufenden Leistungszeitraum für rechtswidrig. In dem Gerichtsbescheid wurde über die Möglichkeit einer Berufung belehrt.
Nach der Zustellung des Gerichtsbescheides am 13. Januar 2020 legte die Klägerin am 20. Januar 2020 Berufung ein. Gleichzeitig hat sie einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Die Berufung sei lediglich vorsorglich eingelegt worden. Ohne dass sie dies näher ausführte, hat sie mitgeteilt, ihrer Ansicht nach werde die Berufungssumme nicht erreicht, ihre Beschwer betrage weniger als 750,00 Euro. Am 3. März 2020 hat sie lediglich (erstmals) beanstandet, die Kosten der Unterkunft und Heizung seien rechtswidrig zu niedrig bemessen.
Nach Ansicht des Beklagten sei "derzeit nicht klar", ob die Berufung statthaft sei. Das Sozialgericht gehe nach dem Vorbringen von einem Antrag der Klägerin aus, ihn, den Beklagten, zu verpflichten, endgültig Leistungen für einen Zeitraum von 6 Monaten festzusetzen, habe aber keine konkrete Angabe zu der Höhe der für rechtmäßig gehaltenen Leistungen gemacht.
Mit Beschluss vom 18. März 2020 hat das Sozialgericht Cottbus den Antrag auf mündliche Verhandlung verworfen. Der Berufungswert betrage mehr als 750,00 Euro, diese ergebe sich aus den Bewilligungsbescheiden. Für die Monate Juli und August 2018 seien Leistungen in Höhe von 962,77 Euro festgesetzt worden. Zudem sei der Antrag zu spät gestellt worden.
Am 2. April 2020 hat die Klägerin gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt. Der Beschwerdewert richte sich nicht nach der Summe der bewilligten Beträge, sondern nach ihrer Beschwer. Diese unterschreite die Berufungssumme.
II:
Die Beschwerde vom 2. April 2020 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 18. März 2020 ist statthaft und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht über den Antrag auf mündliche Verhandlung durch Beschluss entschieden.
Die Frage, ob über einen Antrag auf mündliche Verhandlung gem. § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG durch Urteil oder durch Beschluss entschieden werden kann, wird sehr uneinheitlich beantwortet (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leit-herer/Schmidt, SGG , 13. Aufl. 2020, § 105 Rn. 24 m. w. N.). Die besseren Gründen sprechen für eine Entscheidung durch Urteil.
Nach § 125 SGG wird über eine Klage, soweit nichts anderes bestimmt ist, durch Urteil entschieden. Bei einem Streit, ob nach Erlass eines Gerichtsbescheides und dem Antrag auf mündliche Verhandlung mündlich zu verhandeln ist, ist eine gesetzliche Ausnahme nicht ersichtlich; auch Befürworter einer Entscheidung durch Beschluss räumen ein, dass das Gesetz keine ausdrückliche Beschlussbefugnis der Sozialgerichte für unzulässige Rechtsbehelfe nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG vorsieht (vgl. LSG NW, Beschluss vom 16. März 2020 – L 7 AS 135/20 B –, Juris). Für eine Entscheidung durch Urteil sprechen zudem systematische Gründe. Eine Entscheidung durch Urteil ergeht in allen anderen Fällen, in denen Streit darüber herrscht, ob das Verfahren noch rechtshängig ist oder nicht oder ob die Rechtshängigkeit wieder aufgelebt ist. So ist es bei einem Streit um die Rücknahmefiktion gem. § 102 Abs. 2 SGG anerkannt, dass hierüber unter Einbeziehung der ehrenamtlichen Richter durch Urteil (oder durch einen das Urteil ersetzenden Gerichtsbescheid) zu entscheiden ist (vgl. BSG, Urteil vom 19. März 2020 – B 4 AS 4/20 R –, Juris; B. Schmidt, a. a. O., § 102 Rn. 12). Auch bei einem Streit um die sonstige Beendigung eines Prozesses, sei es durch Prozessvergleich oder durch andere prozessbeendende Erklärungen, hat das Sozialgericht durch Urteil (bzw. Gerichtsbescheid) zu entscheiden (etwa BSG, Beschluss vom 2. Juli 1998 – B 13 RJ 187/97 B –; LSG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 19. April 2018 – L 3 R 489/17 WA –; und vom 23. Februar 2017 – L 25 AS 931/16 –, Juris). Nach § 140 SGG wird im Fall eines verdeckten Teilurteils, also einer
behaupteten nur teilweisen Beendigung der Verfahrens, ebenfalls grundsätzlich durch Urteil entscheiden, das dann mit dem bei dem übergangenen Anspruch zulässigen Rechtsmittel angefochten werden kann.
Eine analoge Anwendung des für das Berufungsverfahren geltenden § 158 Satz 2 SGG, der es in bestimmten Fällen ermöglicht, unzulässige Berufungen durch Beschluss zu verwerfen, ist nicht möglich. Es gibt schon keine planwidrige Lücke im Gesetz, da das Gesetz in § 125 SGG eine ausdrückliche Regelung verlangt, wenn nicht durch Urteil entschieden wird, die es aber, wie dargelegt, nicht gibt.
Selbst eine planwidrige Lücke im Gesetz jedoch unterstellt, änderte dies nichts. Eine Lücke dürfte nur durch eine Bestimmung geschlossen werden, die eine vergleichbare Situation regelt. Die prozessuale Lage bei einem Antrag auf mündliche Verhandlung ist jedoch nicht vergleichbar mit der Situation bei einem unzulässigen Rechtsmittel bei einem Instanzgericht. Eine Verwerfung durch Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG setzt nämlich voraus, dass es bereits eine mündliche Verhandlung gegeben hat oder die Beteiligten auf sie verzichtet haben (vgl. etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21. September 2020 – L 4 KR 194/20 –, Juris). Ein Beschluss nach § 158 Satz 2 SGG darf deshalb nicht ergehen, wenn sich die Berufung gegen einen Gerichtsbescheid richtet (st. Rspr., s. etwa Bundessozialgericht [BSG], vgl. Urteil vom 8. November 2005 – B 1 KR 76/05 B -, Juris; zuletzt Beschluss vom 30. Oktober 2019 – B 14 AS 7/19 B – Rn. 3, Juris). Im Fall eines Antrags auf mündliche Verhandlung nach Erlass eines Gerichtsbescheides hat es jedoch gerade noch keine Verhandlung gegeben. Der Gesetzgeber wollte mit dem Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 105 Abs. 2 Satz 2 SGG (auch) sicherstellen, dass ein Beteiligter überhaupt eine mündliche Verhandlung vor Gericht erzwingen kann, um Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Genüge zu tun. Danach hat jede Person ein Recht darauf, dass ihr Rechtsstreit von einem Gericht öffentlich verhandelt wird. Die EMRK steht zwar innerstaatlich im Rang eines Bundesgesetzes. Sie ist jedoch als Hilfe bei der Auslegung der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes und damit auch bei der Auslegung einfachen Rechts heranzuziehen.
Bestätigt wird dies durch die Dispositionsbefugnis des Klägers. Den Wert des Beschwerdegegenstandes bestimmt er. Es kommt für den Wert des Beschwerdegegenstand nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht darauf an, was das
Sozialgericht dem Rechtsmittelkläger versagt hat, sondern was dieser mit seinen Berufungsanträgen weiterverfolgt (Heßler, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 511 ZPO Rn. 13). Entscheidet sich ein Kläger, einen Gerichtsbescheid nur teilweise anzugreifen (und liegt ein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 SGG nicht vor), ist eine Berufung nicht statthaft, doch muss der Kläger grundsätzlich die Gelegenheit haben, sich in einer mündlichen Verhandlung zu äußern; zugleich hat er ein Recht auf deren Durchführung durch das Gericht.
Auf die Frage, ob der Antrag auf mündliche Verhandlung rechtzeitig gestellt worden ist und ob tatsächlich die Berufung wegen der Unterschreitung des in § 144 Abs. 1 SGG genannten Wertes unstatthaft ist, kommt es hingegen von vornherein nicht an. Darüber wird ausschließlich das Sozialgericht durch Urteil zu befinden haben.
Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass bei einem, wie hier, unbezifferten Antrag das Gericht anhand des wirtschaftlichen Interesses am Ausgang des Rechtsstreits den Berufungsstreitwert zu ermitteln bzw. zu schätzen hat (§ 202 SGG i. V. m. § 3 Zivilprozess¬ordnung). Da die Klägerin mit der Klageschrift ausdrücklich die endgültige Festsetzung für Juli und August 2018, d. h. für nur zwei Monate, angegriffen hat, es ihr also um die endgültige Festsetzung nach Erlass vorläufiger Bewilligungen für lediglich zwei Monate ging, ist eine Beschwer gar nicht ersichtlich, da sich die Höhe der endgültig festgesetzten von der Höhe der vorläufig festgesetzten Beträge nicht unterscheidet. Gleiches dürfte der Fall sein, wenn man annähme, es sei der Klägerin um die endgültige Festsetzung für den gesamten Leistungszeitraum gegangen. Auch in einem solchen Fall ist eine Beschwer nicht ohne weiteres deutlich.
Soweit die Klägerin, nachdem die Frist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG am 23. Februar 2020 abgelaufen war, am 3. März 2020 erstmals vorträgt, die Kosten der Unterkunft und Heizung seien rechtswidrig zu niedrig festgesetzt worden (ohne dies zu beziffern), ist dies für die Beschwer von vornherein irrelevant. Eine mit einer Erweiterung des Begehrens verbundene Erhöhung der Beschwer kann nach Ablauf der Berufungs¬begründungsfrist nur auf schon in der Berufungsbegründung angeführte Grün¬de gestützt werden (BGH, Beschluss vom 27. März 2012 – VI ZB 74/11 –, juris). So liegen die Dinge hier aber nicht. Denn die Klägerin hat weder die Berufung noch den Antrag auf mündliche Verhandlung innerhalb Frist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG überhaupt begründet; Fragen zu den Kosten der Unterkunft und Heizung waren bis zum Ablauf
der Begründungsfrist nie Gegenstand der Klage. Zudem muss das ursprüngliche Begehren zumindest teilweise weiter verfolgt werden; es darf nicht ausschließlich ein neuer Anspruch geltend gemacht werden (BGH NJW 93, 597; NJW 94, 3358; NJW 96, 527; NJW 2003, 2172; MDR 2008, 1351). Vorliegend hält die Klägerin aber das "ursprüngliche" Anliegen "im Prinzip" für erledigt.
Eine zu tenorierende Entscheidung, dass der Gerichtsbescheid vom 3. Dezember 2019 als nicht ergangen gilt, ist nicht zu treffen (anders LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Februar 2017 – L 13 AS 3192/16 B -, Juris). Denn eine solche Entscheidung setzt gerade eine Prüfung voraus, ob der Antrag auf mündliche Verhandlung die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Darüber hat jedoch, wie dargelegt, nicht das Berufungsgericht, sondern ausschließlich das Sozialgericht in seinem Urteil zu befinden.
Eine Kostenentscheidung hat ebenfalls nicht zu ergehen. Die Beschwerde gegen den Beschluss über die Ablehnung einer mündlichen Verhandlung stellt lediglich einen Zwischenstreit dar, die Entscheidung über die Kosten wird im Urteil getroffen.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
BRB
Saved