L 14 AL 20/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 62 AL 4518/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AL 20/20
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die deutsche Beitragsbemessungsgrenze ist auch bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes für Grenzgänger i.S.d. VO (EG) Nr. 883/2004 anzuwenden.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2020 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld für die Zeit vom 8. August 2015 bis zum 30. November 2016.

Der 1968 geborene Kläger, seit Juni 2015 geschieden und seit Oktober 2015 wieder verheiratet, war nach den Angaben einer Schweizer Arbeitslosenkasse auf dem Vordruck PD U1 ("Zeiten, die für die Gewährung von Leistungen bei Arbeitslosigkeit zu berücksichtigen sind") vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Juli 2015 in der Schweiz beschäftigt und erzielte im Jahr 2014 einen "Verdienst" von 95.350 CHF bzw. in den Monaten Januar bis Juli 2015 von 65.612 CHF. Die Arbeitgeberin löste das Arbeitsverhältnis aus wirtschaftlichen Gründen zum 31. Juli 2015 (Schreiben vom 29. April und 1. Juni 2015) und machte in der am 29. Juli 2015 unterzeichneten Arbeitgeberbescheinigung nähere Angaben zum Bruttomonatslohn des Klägers.

Der Kläger meldete sich am 4. Mai 2015 arbeitssuchend und am 27. Juli 2015 zum 1. August 2015 arbeitslos. Zur "Prüfung Grenzgänger - Eigenschaft" gab er u.a. an, - die Beschäftigung sei nicht von vornherein befristet gewesen und habe vorrangig seiner beruflichen Weiterbildung und der Verbesserung seiner Sprachkenntnisse gedient, - er habe vor Beginn der Beschäftigung in Deutschland gewohnt und während des Arbeitsverhältnisses seinen Wohnsitz in Deutschland aufrechterhalten, - er sei "während des Arbeitsverhältnisses zuletzt täglich oder einmal wöchentlich" an seinen Wohnort in Deutschland, wo sich seine Familie weiterhin aufgehalten habe, zurückgekehrt, - er habe während der Beschäftigung im Ausland gesellschaftliche und berufliche Kontakte (z.B. Vereinstätigkeit, Fortbestehen von mitgliedschaftlichen Berufsverbänden) in Deutschland aufrechterhalten, - er habe während des Arbeitsverhältnisses in der Schweiz ein möbliertes Zimmer bewohnt, jedoch in B seinen Hausstand eingerichtet, seinen Lebensmittelpunkt gehabt und in der Regel seinen Urlaub verbracht.

Der Kläger verfügte über eine vom Migrationsamt des Kantons Z ausgestellte Grenzgängerbewilligung für die Zeit vom 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2018.

Die Beklagte bewilligte ihm Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. August 2015 bis 6. April 2016 für 240 Kalendertage mit einem Leistungsbetrag von 62,29 EUR täglich, legte hierbei ein tägliches Bemessungsentgelt von 197,53 EUR zugrunde und informierte den Kläger, dass ausländisches Arbeitsentgelt nur bis zur Höhe der deutschen Beitragsbemessungsgrenze (BBG) berücksichtigt werde (Bescheid und Schreiben vom 24. September 2015). Für die Zeit vom 1. bis 7. August 2015 ruhte der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld wegen einer Urlaubsabgeltung (bestandskräftiger Bescheid vom 24. September 2015). Den wegen der Begrenzung auf die BBG erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 2015 zurück, weil bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes bei echten und unechten Grenzgängern die deutschen Rechtsvorschriften unter Berücksichtigung der allgemeinen BBG (West) anzuwenden seien.

Im Zusammenhang mit der Teilnahme des Klägers an einer Maßnahme zur beruflichen Weiterbildung vom 12. Februar bis 3. November 2016 erließ die Beklagte den "Änderungsbescheid" vom 1. März 2016, wonach ihm ab dem 12. Februar 2016 bei unverändertem Leistungsbetrag ein Anspruch auf Arbeitslosengeld für 55 Tage gewährt wurde. Mit weiterem Bescheid vom 1. März 2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld bei unverändertem Leistungsbetrag für 30 Kalendertage (4. November bis 3. Dezember 2016). Diese Bewilligung hob die Beklagte für die Zeit ab dem 1. Dezember 2016 auf, weil der Kläger eine Beschäftigung aufgenommen hatte (Bescheid vom 24. November 2016). Nachdem sich der Kläger zum 1. Juni 2017 erneut arbeitslos gemeldet hatte, bewilligte ihm die Beklagte Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungsbetrag von 69,56 EUR – nach wie vor unter Zugrundelegung eines täglichen Bemessungsentgelts von 197,53 EUR – für drei Kalendertage (1. bis 3. Juni 2017, Bescheid vom 20. Juni 2017).

Im Klageverfahren hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt, höheres Arbeitslosengeld ohne Berücksichtigung der (deutschen) BBG zu erhalten. Diese Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 15. Januar 2020 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Da der Kläger in Deutschland gewohnt, jedoch in der Schweiz gearbeitet habe, seien nach Art. 62 Abs. 3, Art. 65 Abs. 5 lit. a) VO (EG) Nr. 883/2004 für die Höhe der jeweiligen Leistung die deutschen Regelungen anzuwenden, mithin §§ 149 ff. Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Wegen des Freizügigkeitsabkommens mit der Schweiz seien auch Sachverhalte mit Bezug zu diesem Staat erfasst. Wegen Art. 65 Abs. 5 lit. a) VO (EG) Nr. 883/2004 seien etwaige Begrenzungen des Anspruchs nach dem Recht des Wohnstaates, anders als solche des Beschäftigungsstaates, bei der Leistungsgewährung zu berücksichtigen, die BBG (71.400 EUR im Jahr 2014, 72.600 EUR im Jahr 2015) somit anzuwenden. Auch im Übrigen habe die Beklagte unter Anwendung von § 149, § 150 Abs. 1, § 151 Abs. 1 S. 1, § 342 und § 341 SGB III i.V.m. §§ 159,160 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch die Höhe des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes zutreffend errechnet. Auf Regelungen im Abkommen zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Arbeitslosenversicherung vom 20. Oktober 1982 komme es nicht an.

Gegen dieses ihm am 22. Januar 2020 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 24. Februar 2020 (Montag), zu deren Begründung er vorträgt: Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 1. Oktober 1992 (C-201/91) ergebe sich, dass die Anwendung von Obergrenzen bei Grenzgängern rechtswidrig sei, da "der Umstand, dass Leistungen bei Arbeitslosigkeit für Grenzgänger niemals auf der Grundlage des im Beschäftigungsstaat bezogenen Entgelts berechnet werden könnten, geeignet [wäre], Arbeitnehmer von einer Beschäftigung als Grenzgänger abzuhalten, was gegen die Grundsätze der Verordnung 1408/71 und des EWG-Vertrages verstößt". Die vom Sozialgericht angewandten Vorschriften verletzten die (Grundsätze der) VO (EG) Nr. 883/2004. Eine Vorlage an den EuGH werde beantragt. Er – der Kläger – werde gegenüber anderen Beschäftigten im Wohnstaat benachteiligt. Da in der Schweiz keine Obergrenze für die Entrichtung von Sozialversicherungsabgaben bestehe, habe er auf das dort erzielte Arbeitsentgelt entsprechend anteilige Beiträge gezahlt. Die Schweiz habe auf dieser Grundlage auch seine vereinnahmte Beitragszahlung an die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 65 Abs. 6 und 7 VO (EG) Nr. 883/2004 erstattet. Beschäftigte in der Bundesrepublik Deutschland entrichteten demgegenüber aufgrund der BBG nur maximal bis zu diesem Arbeitsentgelt Sozialversicherungsbeiträge. Er sei echter Grenzgänger, da er während seiner Beschäftigung in der Schweiz einmal wöchentlich, meist per Flug ab Z, vereinzelt auch mit der Bahn oder mit dem Auto, zurückgekehrt sei: entweder an seinen Wohnort in B, oder nach D, um von dort zu seinen Eltern nach H weiterzureisen. Er habe in Z ein kleines Zimmerchen mit Waschbecken und gemeinsamem Bad genutzt. In B habe er sein gesamtes soziales Umfeld und seine Freunde gehabt. Aufgrund eines mehrjährigen China-Aufenthalts sei ihm klar gewesen, dass man derartige Freundschaften und Kontakte pflegen müsse, wenn sie nicht wegbrechen sollten. Den aus dem Rubrum ersichtlichen Wohnsitz in der Greifenhagener Straße habe er seit 2005 und seit etwa 2013 mit seiner damaligen Ehefrau dort gelebt. Nach der Trennung Ende 2013 hätten sie beide zunächst jeweils eines der beiden Zimmer genutzt, bis sie schließlich das System entwickelt hätten, dass seine Ehefrau immer am Wochenende zu einer Freundin gezogen sei. Wäre er nicht gekündigt worden, hätte er diesen Zustand weiter aufrechterhalten, weil es günstiger gewesen sei, in der Schweiz zu arbeiten und immer nach Hause zu fliegen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Januar 2020 aufzuheben, den Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 24. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2015, beide in der Fassung der Bescheide vom 1. März 2016, zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 8. August 2015 bis 30. November 2016 höheres Arbeitslosengeld ohne Begrenzung des Bemessungsentgelts auf die Beitragsbemessungsgrenze zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und bringt vor: Auf der Grundlage eines nicht durch die BBG begrenzten Bemessungsentgelts von (umgerechnet) 102.915,48 EUR im Bemessungszeitraum ergebe sich ein tägliches Leistungsentgelt von ca. 79,94 EUR. Die Berufung sei somit zulässig. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, weil der Kläger für die Zeit vom 8. August 2015 bis 30. November 2016 kein höheres Arbeitslosengeld beanspruchen kann.

A. Streitgegenstand sind neben dem Urteil des Sozialgerichts der Bewilligungsbescheid vom 24. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 2015, aber auch die beiden o.g. Bescheide vom 1. März 2016. Diese Bescheide wurden gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens, weil sie den Bewilligungsbescheid vom 24. September 2015 hinsichtlich der Leistungsdauer ändern und dem Kläger Arbeitslosengeld über den 6. April 2016 hinaus gewähren. Begrenzt wird der streitgegenständliche Zeitraum durch die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld zum 1. Dezember 2016 (Bescheid vom 24. November 2016). B. Zutreffend hat das Sozialgericht erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld hat, weil die BBG auch in seinem Fall Anwendung findet.

I. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 1. August 2015 liegen dem Grunde nach vor.

Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hat nach § 137 Abs. 1 SGB III, wer 1. arbeitslos ist, 2. sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und 3. die Anwartschaftszeit erfüllt hat.

Diese Voraussetzungen hat der Kläger erfüllt.

1. Er war im streitgegenständlichen Zeitraum arbeitslos i.S.v. § 137 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 138 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 SGB III, weil er nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand, sich bemühte, diese Beschäftigungslosigkeit zu beenden und den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung stand. Letzteres ist im Hinblick auf § 138 Abs. 5 Nr. 1 bis 4 SGB V zu bejahen, weil der Kläger eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben konnte und durfte (§ 138 Abs. 5 Nr. 1 SGB III), Vorschlägen der Beklagten zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah gemäß § 138 Abs. 5 Nr. 2 SGB III Folge leisten konnte, bereit war, nach Nr. 3 jede Beschäftigung im Sinne der Nummer 1 anzunehmen und auszuüben und schließlich i.S.v. Nr. 4 an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen. Er hatte sich ferner gemäß § 141 SGB III am 27. Juli 2015 mit Wirkung zum 1. August 2015 arbeitslos gemeldet.

2. Außerdem hat der Kläger die Anwartschaftszeit erfüllt.

Nach § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt gemäß § 143 Abs. 1 S. 1 SGB III (in der 2015 geltenden, hier maßgeblichen alten Fassung - aF) zwei Jahre und beginnt mit dem Tag vor der Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die zweijährige Rahmenfrist reicht im Falle des Klägers vom 1. August 2013 bis zum 31. Juli 2015. Innerhalb dieses Zeitraums hat der Kläger nicht in einem inländischen Versicherungspflichtverhältnis (§§ 24 ff. SGB III i.V.m. § 3, § 1 Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IV) gestanden. Zu Recht hat die Beklagte aber die o.g. Beschäftigung des Klägers in der Schweiz berücksichtigt. Ausschlaggebend hierfür sind die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit – VO (EG) Nr. 883/2004 –. a. Diese Verordnung ist anwendbar, obwohl die Schweiz nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) ist.

Nach Art. 8 i.V.m. Anh. II Abschn. A Nr. 1 des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (Abkommen EG-Schweiz) waren im Verhältnis zur Schweiz zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ab 1. Juni 2002 die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO (EWG) Nr. 1408/71) anzuwenden. Dieses Abkommen ist durch das Gesetz vom 2. September 2001 (BGBl II 2001, 810) ratifiziert worden und insoweit am 1. Juni 2002 in Kraft getreten (BGBl II 2002, 1692). Mit dem am 31. März 2012 erlassenen und am 1. April 2012 in Kraft getretenen Beschluss Nr. 1/2012 des im Rahmen des Abkommens EG-Schweiz eingesetzten Gemischten Ausschusses zur Ersetzung des Anh. II dieses Abkommens über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. (EU) L 103/51) wurde Abschn. A des Anh. II des Abkommens aktualisiert und nimmt nunmehr Bezug auf die VO (EG) Nr. 883/2004 und die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO (EG) Nr. 987/2009) vom 30. Oktober 2009 (ABl. (EU) L 284/1).

b. Gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) 883/2004 muss die Beklagte als zuständiger Träger des Mitgliedstaats (hier: Deutschland), nach dessen Rechtsvorschriften u.a. der Erwerb des Leistungsanspruchs (hier: auf Arbeitslosengeld) von der Zurücklegung von Versicherungs-, Beschäftigungs- und Zeiten einer selbständigen Tätigkeit abhängig ist, diese Zeiten grundsätzlich auch berücksichtigen, wenn sie nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates zurückgelegt wurden. Das Gebot der Zusammenrechnung relevanter Zeiten gehört zu den elementaren Prinzipien des Koordinierungsrechts und ist deshalb primärrechtlich in Art. 48 lit. a) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) geregelt.

Das Gebot der Zusammenrechnung gilt allerdings gemäß Art. 61 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 – mit näheren Maßgaben und abgesehen von den Fällen des Art. 65 Abs. 5 lit. a) VO (EG) 883/2004 – nur unter der Voraussetzung, dass die betreffende Person unmittelbar zuvor nach den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen beantragt werden, Versicherungs-, Beschäftigungs- oder Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit zurückgelegt hat. Art. 61 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 schränkt das Prinzip der Zusammenrechnung relevanter Zeiten ein (vgl. Fuchs, in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7.A., VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 61, Rn. 3) und hat nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Ziel, die Arbeitssuche in dem Mitgliedstaat zu fördern, in dem der Betreffende unmittelbar zuvor Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gezahlt hat, und diesen Staat die Leistungen bei Arbeitslosigkeit tragen zu lassen (EuGH, Urteil vom 8. April 1992 – C-62/91 –, juris; Dern, in Schreiber/Wunder/Dern, VO [EG] Nr. 883/2004, Art. 61 Rn. 14). Personen, die ihren Lebensmittelpunkt an den Arbeitsort beziehungsweise in den Beschäftigungsstaat verlagert haben, müssen deshalb bei Rückumzug in den früheren Staat vor Anerkennung der im Beschäftigungsstaat zurückgelegten Versicherungszeiten zunächst eine Versicherungszeit im früheren Staat erfüllen (vgl. Geiger, info also, 2013, S. 147).

Vorliegend fehlt es an der nach Art. 61 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 erforderlichen Vorbeschäftigungszeit in Deutschland. Der Kläger stand bis einschließlich 31. Juli 2015 in einem Beschäftigungsverhältnis in der Schweiz und hat sich direkt im Anschluss daran – zum 1. August 2015 – bei der Beklagten arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt.

c. Der Kläger ist jedoch wegen Art. 65 Abs. 5 lit. a) VO (EG) 883/2004 vom Anwendungsbereich des Art. 61 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 ausgenommen, weil er als Grenzgänger einzustufen ist.

aa. Nach Art. 65 Abs. 5 lit. a) VO (EG) 883/2004 erhalten die in Art. 65 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VO (EG) 883/2004 genannten Arbeitslosen von dem Träger des Wohnorts Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, als ob diese Rechtsvorschriften für sie während ihrer letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit gegolten hätten. Art. 65 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VO (EG) 883/2004 umschreibt mit vollarbeitslosen Personen, die während ihrer letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat gewohnt haben und weiterhin in diesem Mitgliedstaat wohnen oder in ihn zurückkehren, nicht nur die in Art. 1 lit. f) VO (EG) 883/2004 legaldefinierten (echten) Grenzgänger, die in der Regel täglich, mindestens jedoch einmal wöchentlich in den Wohnmitgliedstaat zurückkehren, sondern auch die seltener zurückkehrenden sog. unechten Grenzgänger (Fuchs a.a.O., Art. 65 Rn. 7 ff.; Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht [BeckOK]/ Utz, Art. 65 VO (EG) 883/2004 Rn. 11; a.A. Kador, in: Schlegel/Voelzke juris Praxiskommentar SGB I/ VO (EG) 883/2004 [jurisPK-SGB I], Art. 65 Rn. 31 ff., 38 ff., der Art. 65 Abs. 2 Sätze 1 und 2 sowie Abs. 5 lit a) nur auf echte Grenzgänger bezieht).

bb. Die o.g. Regelungen des Art. 65 VO (EG) 883/2004 haben zur Folge, dass für echte Grenzgänger die Arbeitsverwaltung des Wohnstaates zuständig ist, sodass sie nach Art. 11 Abs. 1 lit. c) VO (EG) 883/2004 den Rechtsvorschriften des Wohnstaates unterworfen sind, d.h. die Anspruchsberechtigung bzgl. Arbeitslosenunterstützung wird gemäß Art. 65 Abs. 5 lit. a) VO (EG) 883/2004&8201;nach den Regelungen des Wohnstaates geprüft (EuGH, Urteil vom 11. April 2013 – C-443/11 "Jeltens" –; LSG Bayern, Urteil vom 30. September 2015 – L 10 AL 81/15 –, Rn. 21; jeweils juris; Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht [KK]/Wunder, Stand Juli 2020, VO (EG) 883/2004 Art. 65 Rn. 14b). Sie können sich jedoch zusätzlich der Arbeitsverwaltung des Beschäftigungsstaats zur Verfügung stellen (Art. 61 Abs. 2 Satz 2 VO (EG) 883/2004).

Demgegenüber räumt Art. 65 Abs. 2 S. 3 VO (EG) 883/2004 den unechten Grenzgängern eine andere Wahlmöglichkeit ein: Sie können auf eine Rückkehr in den Wohnstaat verzichten und sich stattdessen ausschließlich der Arbeitsverwaltung des letzten Beschäftigungsstaates zur Verfügung stellen, dessen Arbeitsverwaltung dann zuständig ist (Geiger, info also 2010, 147, 149). Die Leistungspflicht des Wohnstaates entfällt damit. Kehren sie bei Eintritt der Arbeitslosigkeit in den Wohnstaat zurück, müssen sie sich an die dortige Arbeitsverwaltung halten (EuGH a.a.O.; KK/Wunder, a.a.O., Rn. 19, 20).

cc. Die Vorschriften über den unechten Grenzgänger sind nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 17. Februar 1977 – 76/76 "Di Paolo" –, juris) als Ausnahmevorschriften grundsätzlich eng auszulegen. Nicht jeder Arbeitnehmer, der in einem anderen Mitgliedsstaat eine Beschäftigung aufnimmt und seine Bindungen zu seinem bisherigen Wohnort aufrecht erhält, ist danach ein unechter Grenzgänger. Im Hinblick darauf, dass die Kostenlast ohne entsprechende Beitragsleistung vom Wohnmitgliedstaat zu tragen wäre, ist es nicht gerechtfertigt, den Wohnmitgliedstaat durch allzu großzügige Auslegung in großem Umfang zur Leistungsgewährung zu verpflichten. Die Zuständigkeit des Wohnlandes bleibt nur dort erhalten, wo die Zuwendung zum ausländischen Arbeitsmarkt, die sich nach ihrem Zweck und ihrer Dauer bestimmt, durch entsprechend stärkere Bindung an den inländischen Arbeitsmarkt ausgeglichen wird. Mit anderen Worten steigen die Anforderungen an die Inlandsbindung, je stärker sich der Arbeitnehmer einem ausländischen Arbeitsmarkt zuwendet (vgl. zur Vorgängerregelung in Art. 71 VO [EWG] 1408/71: BSG, Urteil vom 12. Dezember 1990 – 11 RAr 141/90 –, juris, Rn. 29; LSG Hamburg, Urteil vom 15. Februar 2012 – L 2 AL 31/10 –, juris, Rn. 22). Deshalb ist zu vermuten, dass ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedsstaat über einen festen Arbeitsplatz verfügt, dort auch wohnt. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn er seine Familie in einem anderen Staat zurückgelassen hat (EuGH a.a.O.).

dd. Unter welchen Voraussetzungen der Staat, an dem der Arbeitnehmer vor Aufnahme seiner Beschäftigung in dem anderen Staat gewohnt hat, im Sinne der VO (EG) 883/2004 weiterhin noch als sein Wohnmitgliedstaat angesehen werden kann und unter welchen Voraussetzungen andererseits der Aufenthalt am Arbeitsort so in den Vordergrund tritt, dass der Beschäftigungsstaat zugleich zum Wohnmitgliedstaat wird (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1990 – 11 RAr 141/90 –, juris, Rn. 29), kann nicht unter Rückgriff auf den Begriff des Wohnens im Sinne des deutschen Rechts beantwortet werden. Zum einen ist dieser Begriff in verschiedenen Gesetzen je nach ihrem Zweck unterschiedlich zu interpretieren, zum anderen hat er auch international in den unterschiedlichen Rechtssystemen unterschiedliche Bedeutung. Schließlich müssen nach der Rechtsprechung des EuGH die Begriffe des Unionsrechts eigenständig unter Berücksichtigung ihrer Zwecke im Rahmen der Gemeinschaftsbildung interpretiert werden (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 26; LSG Hamburg, a.a.O., Rn. 24). Die somit gebotene eigenständige Auslegung der Begriffe "Wohnen" bzw. "Wohnmitgliedstaat" im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004 führt dazu, dass einerseits die Beziehung zum Arbeitsmarkt des Staates, der als Wohnmitgliedstaat für die Leistungen bei Arbeitslosigkeit in Anspruch genommen werden soll, andererseits der Zweck der Auslandstätigkeit die in erster Linie bedeutsamen Kriterien für die Auslegung der unionsrechtlichen Begriffe "Wohnen" und "Wohnmitgliedstaat" bilden (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 27).

ee. Dies zu Grunde gelegt, sind für die Entscheidung, ob der Kläger auch in der Zeit vom 1. Januar 2014 bis 31. Juli 2015 in Deutschland gewohnt hat und somit unechter Grenzgänger war, eine Vielzahl von Kriterien zu berücksichtigen, die sich u.a. aus Art. 11 Abs. 1 VO (EG) 987/2009 ergeben. Danach ermitteln, wenn eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Trägern von zwei oder mehreren Mitgliedstaaten über die Feststellung des Wohnortes einer Person, für die die Grundverordnung gilt, besteht, diese Träger im gegenseitigen Einvernehmen den Mittelpunkt der Interessen dieser Person und stützen sich dabei auf eine Gesamtbewertung aller vorliegenden Angaben zu den einschlägigen Fakten, wozu gegebenenfalls die Folgenden gehören können: a) Dauer und Kontinuität des Aufenthalts im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats; b) die Situation der Person, einschließlich i) der Art und der spezifischen Merkmale jeglicher ausgeübten Tätigkeit, insbesondere des Ortes, an dem eine solche Tätigkeit in der Regel ausgeübt wird, der Dauerhaftigkeit der Tätigkeit und der Dauer jedes Arbeitsvertrags, ii) ihrer familiären Verhältnisse und familiären Bindungen, iii) der Ausübung einer nicht bezahlten Tätigkeit, iv) im Falle von Studierenden ihrer Einkommensquelle, v) ihrer Wohnsituation, insbesondere deren dauerhafter Charakter, vi) des Mitgliedstaats, der als der steuerliche Wohnsitz der Person gilt.

Folgende (ggf. ergänzende) Aspekte können darüber hinaus zu berücksichtigen sein: - Befristung der Tätigkeit im Beschäftigungsstaat (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14. März 2019 – L 9 AL 134/17 –, Rn. 42; Sozialgericht Regensburg, Urteil vom 05. Juni 2018 – S 12 AL 265/16 –, Rn. 29; jeweils juris), - begrenzter Zweck der Beschäftigung im Ausland, - zeitnahe Rückkehr nach Deutschland nach dem Ende der Beschäftigung im Ausland, - Fortbestand eines Haushalts in Deutschland, - Verbleib der Familie in Deutschland (EuGH a.a.O.), - regelmäßige Rückkehr nach Deutschland, - Aufrechterhaltung von gesellschaftlichen und beruflichen Kontakten in Deutschland.

ff. Nach den Feststellungen des Senats ist der Kläger zumindest als unechter Grenzgänger einzustufen.

Denn er hat nicht nur seine B Wohnung und den dortigen Haushalt beibehalten, sondern ist sehr häufig – nach eigenen Angaben wöchentlich – nach Deutschland zurückgekehrt, um dort seine bisherigen soziale Kontakte weiterhin zu pflegen. Dies betraf zum einen seine in H lebenden Eltern, zum anderen sein gesamtes sonstiges soziales Umfeld an seinem langjährigen Wohnort B (mit Ausnahme seiner getrennt lebenden Ehefrau). Dass der Kläger die häufigen und regelmäßigen Wochenendaufenthalte in B damit begründet hat, ein mehrjähriger Aufenthalt in China habe ihm die Bedeutung kontinuierlicher (persönlicher) Kontakte für die Aufrechterhaltung von Freundschaften vor Augen geführt, belegt seinen Willen, B trotz seiner Beschäftigung in der Schweiz als Lebensmittelpunkt beizubehalten. Verstärkt wird dies durch die klägerseitig erklärte Absicht, er hätte dieses Lebensmodell auch weitergeführt, wenn seine Schweizer Beschäftigung nicht gekündigt worden wäre. Für eine nur schwache Bindung des Klägers an den Schweizer Arbeitsmarkt fällt die Nutzung einer nur möblierten Unterkunft mit Gemeinschaftsbad (und somit geringem Komfort) und der vom Kläger im Verwaltungsverfahren angegebene Zweck der Beschäftigung in der Schweiz (berufliche Weiterbildung) ins Gewicht. Zu diesen Feststellungen gelangt der Senat aufgrund der glaubhaften und widerspruchsfreien Angaben des Klägers, insbesondere in der mündlichen Verhandlung am 26. November 2020, sowie der eingereichten bzw. in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Nachweise für seine häufigen Wochenendreisen nach Deutschland.

Angesichts dessen kommt dem Umstand, dass die Schweizer Beschäftigung des Klägers offensichtlich nicht befristet war, untergeordnete Bedeutung zu.

d. Fällt der Kläger als Grenzgänger somit in den Anwendungsbereich von Art. 65 lit a) VO (EG) Nr. 883/2004, ist seine – vor dem 1. August 2015 mehr als zwölf Monate bestehende, versicherungspflichtige – Schweizer Beschäftigung für die Erfüllung der Anwartschaft zugrunde zu legen.

II. Die Beklagte hat die Höhe des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes zutreffend errechnet.

1. Insoweit verweist der Senat zunächst gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts zur Anwendung der §§ 149 ff. SGB III, die er sich zu eigen macht.

2. Mit Recht sind das Sozialgericht und die Beklagte auch davon ausgegangen, dass für die Berechnung des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengelds gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 341 Abs. 3 und 4 SGB III, § 159, § 160 SGB VI nur das der Beitragspflicht nach dem SGB III unterliegende Arbeitsentgelt und somit die Beitragsbemessungsgrenze zu berücksichtigen ist. Aus Unions- oder bilateralem Abkommensrecht ergibt sich nichts anderes.

a. Wie bereits dargestellt, sind auf den Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld aufgrund seiner Eigenschaft als Grenzgänger nach Art. 11 Abs. 3 lit. c) und Art. 65 Abs. 5 lit. a) VO (EG) Nr. 883/2004 nur die Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedsstaats, somit deutsches Recht anwendbar, und zwar, wie Art. 65 Abs. 5 lit. a) Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 betont, "als ob diese Rechtsvorschriften für ihn während seiner letzten Beschäftigung [ ] gegolten hätten".

Angeknüpft wird damit zunächst an die für die "Berechnung der Leistungen" geltenden Bestimmungen in Art. 62 VO (EG) Nr. 883/2004. Der in dessen Abs. 1 zum Ausdruck kommende Grundsatz, dass für die Leistungsberechnung ausschließlich das in der letzten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit erzielte Entgelt oder Erwerbseinkommen zugrunde zu legen ist, dient primär der Verwaltungsvereinfachung (KK/Wunder Art. 62 Rn. 2, 7 m.w.N.). Art. 62 Abs. 3 VO (EG) Nr. 883/2004 stellt für das bei Grenzgängern typische Auseinanderfallen von Wohn- und Beschäftigungsstaat zur Absicherung des zuletzt erwirtschafteten Lebensstandards (EuGH, Urteil vom 28. Februar 1980 – 67/79 –, juris; BeckOK/Utz, Art. 62 Rn. 7) klar, dass "nach Maßgabe der Durchführungsverordnung das Entgelt oder Erwerbseinkommen, das die betreffende Person in dem Mitgliedstaat erhalten hat, dessen Rechtsvorschriften für sie während ihrer letzten Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit galten" zu berücksichtigen ist. Der Verordnungsgeber hat damit auf das EuGH-Urteil vom 28. Februar 1980 reagiert und Art. 62 VO (EG) Nr. 883/2004 im Vergleich zur Vorgängerregelung in Art. 68 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 ergänzt (Fuchs, a.a.O., Art. 62 Rn. 4 m.w.N.). Der Verweis auf die Durchführungsverordnung (VO (EG) Nr. 987/2009) bezieht sich insbesondere auf Art. 90 und die dortigen vom Sozialgericht zutreffend angesprochenen Vorgaben zur Währungsumrechnung.

Das auf diese Weise ermittelte Entgelt ist nach Art. 11 Abs. 3 lit. c) und Art. 65 Abs. 5 lit. a) Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 so zu berücksichtigen, als hätten für den Kläger schon während seiner Schweizer Beschäftigung die deutschen Rechtsvorschriften, somit auch die BBG, gegolten. Danach kann kein Zweifel bestehen, dass auf das vom Kläger in der Schweiz erzielte Arbeitsentgelt die BBG nach § 341 Abs. 3 und 4 SGB III i.V.m. § 159, § 160 SGB VI anzuwenden ist (ebenso – i.d.R. allerdings ohne weitere Begründung – LSG Baden-Württemberg, Urteile vom 29. Juli 2020 – L 3 AL 109/20 –, Rn. 16, 30, 39, und vom 22. März 2013 – L 8 AL 1225/11 –, Rn. 22; jeweils juris).

b. Entgegen der klägerischen Auffassung ist von der Anwendung von Art. 11 Abs. 3 lit. c), Art. 65 lit. a) VO (EG) Nr. 883/2004 nicht im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 1. Oktober 1992 – C-201/91 "Grisvard/Kreitz" –, juris) abzusehen. Diese noch unter Geltung der VO (EWG) Nr. 1408/71 ergangene Entscheidung betraf allerdings nicht die hier gegebene Konstellation – Anwendung der im zuständigen Wohnmitgliedsstaat geltenden BBG auf im Beschäftigungsstaat erzieltes Arbeitsentgelt –, sondern quasi spiegelbildlich die Frage, ob eine im Beschäftigungsstaat geltende BBG auch bei der Leistungsgewährung durch den zuständigen Wohnmitgliedsstaat zu berücksichtigen ist.

Der Kläger beruft sich insoweit auf eine Passage (Rn. 14 und 15) aus diesem Urteil, wonach "Artikel 68 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 im Lichte des Artikels 51 EWG-Vertrag und der von ihm verfolgten Ziele dahin auszulegen sei, daß im Falle eines Grenzgängers im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b dieser Verordnung, der vollarbeitslos ist, der zuständige Träger des Wohnsitzmitgliedstaats, nach dessen Rechtsvorschriften der Berechnung der Leistungen der Betrag des früheren Entgelts zugrunde zu legen ist, diese Leistungen unter Berücksichtigung des Entgelts zu berechnen hat, das der Arbeitnehmer während der letzten Beschäftigung in dem Mitgliedstaat erhalten hat, in dem er unmittelbar vor Eintritt der Arbeitslosigkeit beschäftigt war." Daraus folgt nach Auffassung des EuGH, dass "im Falle eines Grenzgängers der zuständige Träger des Wohnstaats bei der Berechnung der Leistungen bei Arbeitslosigkeit nur das letzte im Beschäftigungsstaat erhaltene Entgelt berücksichtigen darf." Dies könnte bei isolierter Betrachtung für die klägerseitig vertretene Rechtsauffassung sprechen. Hierbei blieben aber weitere tragende Überlegungen des EuGH in seinem o.g. Urteil unbeachtet.

Denn dieser hat zugleich zum einen darauf hingewiesen (Rn. 16 des Urteils), Art. 71 Abs. 1 lit. a) Ziffer ii VO (EWG) Nr. 1408/71 – die Vorgängerregelung zu Art. 65 Abs. 5 lit. a) Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 – schreibe "eindeutig die Anwendung allein der Vorschriften des Wohnstaats vor" und schließe "damit die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats, einschließlich etwaiger Begrenzungsbestimmungen, aus." Dann kann konsequenterweise auch die sich aus den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats ergebende unbegrenzte Berücksichtigung von Arbeitsentgelt keinen Einfluss auf die Leistungsberechnung nach dem Recht des Wohnstaates haben.

Zum anderen hat der EuGH im o.g. Urteil das Ziel betont, die Regelung der Leistungen bei Arbeitslosigkeit für Grenzgänger derjenigen für Arbeitnehmer, die ihre letzte Beschäftigung im Wohnstaat ausgeübt haben, anzugleichen. Dieses Ziel würde verfehlt, wenn bei der Berechnung des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengelds die BBG außer Acht gelassen würde, während sie für alle Arbeitslosen, die ihre letzte Beschäftigung im Wohnstaat des Klägers, mithin in Deutschland, ausgeübt haben, anzuwenden wäre.

c. Auch der Einwand des Klägers, er habe in der Schweiz Beiträge zur dortigen Arbeitslosenversicherung auf sein gesamtes Arbeitsentgelt gezahlt, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Zwar mag durch die Anwendung der BBG bei der Berechnung seines Arbeitslosengelds die Äquivalenz zwischen (nach Schweizer Recht erhobenen) Beiträgen und (nach deutschem Recht bewilligten) Leistungen tangiert sein. Dies hätte seinen Grund indes zumindest auch darin, dass eine entsprechende Erstattung seiner zur Schweizer Arbeitslosenversicherung gezahlten Beiträge entweder vom Kläger nicht betrieben wurde oder nach Schweizer Recht ausgeschlossen sein mag. Beides jedoch hat keinen Einfluss auf die durch die o.g. Bestimmungen der VO (EG) Nr. 883/2004 vorgegebene zwingende Anwendung deutschen Rechts bei der Berechnung seines Arbeitslosengelds.

d. Die Anwendung von Vorschriften des bilateralen Rechts, insbesondere des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über Arbeitslosenversicherung vom 20. Oktober 1982 (Abkommen Schweiz-Deutschland, BGBl II 1983, 578) kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Insofern tritt gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 diese Verordnung im Rahmen ihres Geltungsbereichs an die Stelle aller zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Abkommen über soziale Sicherheit. Zwar gelten nach Satz 2 dieser Vorschrift einzelne Bestimmungen von Abkommen über soziale Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung geschlossen wurden, fort, sofern sie für die Berechtigten günstiger sind oder sich aus besonderen historischen Umständen ergeben und ihre Geltung zeitlich begrenzt ist. Um weiterhin Anwendung zu finden, müssen diese Bestimmungen gemäß Satz 3 der Vorschrift jedoch in Anhang II der VO (EG) Nr. 883/2004 aufgeführt sein. Nach dem durch Art. 1 i.V.m. dem Anhang des o.g. Beschlusses 1/2012 des Gemischten Ausschusses mit Wirkung zum 1. April 2012 angepassten Anhang II des Abkommens EG-Schweiz wird zwar in seinem Abschnitt A unter Nr. 1 die VO (EG) Nr. 883/2004 in Bezug genommen – was nach dem o.G. die Anwendbarkeit dieser VO auf den vorliegenden Fall überhaupt erst ermöglicht –, allerdings mit der Maßgabe [unter lit. c) Deutschland-Schweiz lit. b) i)], dass aus dem Abkommen Schweiz-Deutschland nur dessen (die Gemeinde Büsingen betreffender) Art. 8 Abs. 5 fortgilt.

C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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