L 1 KR 554/01

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 25 KR 1578/98
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 554/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
In einer dringlichen Bedarfslage (schwere psychische Krise) genügt der Versicherte, dessen langjährige Erkrankung und Therapieresistenz der Krankenkasse bekannt ist, seiner Pflicht die Kasse vor Inanspruchnahme einer Leistung bei einem nicht zugelassenen Leistungserbringer einzuschalten, indem er sie von der beabsichtigten Behandlung unterrichtet.

Die Krankenkasse ist in einem solchen Fall verpflichtet, von sich aus und in der gebotenen Eile Vertragsbehandler zu benennen, die in einer zumutbaren Wartezeit die medizinisch erforderliche Behandlung anbieten können; ansonsten ist sie zur Erstattung der Kosten verpflichtet.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. Februar 2001 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1998 verurteilt, der Klägerin die Kosten der psychotherapeutischen Behandlung vom 28. Juli 1997 bis zum 14. August 1997 in dem C. C. für Klinische Psychologie in M. in Höhe von 14.674,05 DM (7.502,72 EUR) zu erstatten.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Übernahme der Kosten für einen stationären Aufenthalt zur psychotherapeutischen Behandlung in dem C. C. für Klinische Psychologie in M. vom 28. Juli 1997 bis zum 14. August 1997 in Höhe von insgesamt 14.674,05 DM (7.502,72 EUR).

Bei der am 25. April 1956 geborenen und bei der Beklagten pflichtversicherten Klägerin bestand seit 1994 eine ausgeprägte Panikstörung. Die Klägerin war deswegen mehrfach in stationärer psychosomatischer Behandlung und hat deswegen auch zahlreiche ambulante Psychotherapien durchgeführt.

Im Frühjahr 1996 genehmigte die Beklagte zuletzt Psychotherapiestunden (Bewilligung vom 9. Mai 1996). Mit Schreiben vom 9. Dezember 1996 teilte der Ehemann der Klägerin der Beklagten mit, die Klägerin wolle nach sorgfältiger Abwägung immer noch den Therapeuten wechseln. Der letzte Wechsel zum C. C. habe sich alleine wegen der Entfernung nicht aufrechterhalten lassen. Es werde gebeten um zukünftige Kostenübernahme bei dem klinischen Psychologen P. Die Verwaltungsakte der Beklagten enthält sodann als nächsten Vorgang ein Schreiben der Beklagten an die Klägerin vom 17. Juli 1997 mit dem Inhalt: "Sie haben um unsere Mitteilung bezüglich einer eventuellen Kostenbeteiligung für die geplante Behandlung im C. C. für Klinische Psychologie in M. gebeten. Mit der oben genannten Einrichtung besteht kein Versorgungsvertrag. Das bedeutet, dass eine Kostenzusage für eine stationäre Behandlung in diesem Haus nicht ausgesprochen werden kann. Denkbar wäre allenfalls eine Bezuschussung im Rahmen einer ambulanten Behandlung. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass über eine eventuelle Kostenbeteiligung der Kasse erst nach einer Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) entschieden werden kann. Diese Begutachtung ist erforderlich, da seit März 1995 bereits 50 ambulante Behandlungen bewilligt wurden und für einen über diesen Umfang hinausgehenden Verlängerungsvertrag eine Begutachtung zwingend vorgeschrieben ist."

Die Beklagte forderte in dem Schreiben vom 17. Juli 1997 darüber hinaus verschiedene medizinische Unterlagen von der Klägerin an und teilte mit, nach Vorlage der Unterlagen werde der Antrag an den MDK zur Begutachtung weitergeleitet.

Mit Schreiben vom 23. Juli 1997 reichte der Ehemann der Klägerin daraufhin ein Attest der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie W. vom 22. Juli 1997 ein. In diesem Attest schilderte die Ärztin, bei der Klägerin träten heftigste Panikattacken mit Schwindelgefühl auf; es bestehe eine depressive Stimmungslage. Trotz vielfacher psychotherapeutischer Behandlungen habe sich das Zustandsbild bisher nicht in einem stabilisierenden Sinne gebessert. Sie empfehle aus diesem Grunde dringend eine Behandlung in dem C. C. in M., da das dort durchgeführte Therapiekonzept oftmals auch noch in bislang therapieresistenten Fällen das Zustandsbild wesentlich zu verbessern vermöge. Auf Veranlassung des Ehemannes der Klägerin legte das C. C. für Klinische Psychologie mit Schreiben vom 29. Juli 1997 ein Therapiekonzept mit einer Kostenaufstellung vor.

Mit Schreiben vom 29. August 1997 reichte der Ehemann der Klägerin die Rechnung des C. C. vom 18. August 1997 ein und machte Erstattung der Kosten für inzwischen durchgeführte Behandlungsmaßnahmen in der Klinik vom 28. Juli 1997 bis zum 14. August 1997 geltend.

Die Beklagte holte ein Gutachten des MDK vom 9. September 1997 ein, in dem der Diplom-Psychologe B. mitteilte, gegenüber dem MDK habe die Behandlerin, die Diplom-Psychologin Bx., keine den Psychotherapierichtlinien entsprechende Ausbildung nachgewiesen, der Antrag der Klägerin könne daher nicht befürwortet werden. Der dargestellte Therapieansatz einer alleinigen Expositionsbehandlung sei im Übrigen einseitig und nicht überzeugend. Der Krankenkasse werde empfohlen, die Patientin an einen Vertragsbehandler zu verweisen, die über eine Ausbildung entsprechend den Psychotherapierichtlinien verfüge. Dabei wäre zunächst abzuklären, woran die bisherigen Therapieansätze gescheitert seien.

Mit Bescheid vom 1. Oktober 1997 lehnte die Beklagte die Erstattung der Kosten für die von der Klägerin durchgeführte Behandlung im C. C. aufgrund der Ausführungen des MDK-Gutachters ab.

Aufgrund des Widerspruches der Klägerin holte die Beklagte eine Stellungnahme des C. C. vom 27. Oktober 1997 ein und ließ diese durch den MDK auswerten.

In seinem Gutachten vom 10. November 1997 führte der Diplom-Psychologe Dr. L. des MDK aus, bei der in dem C. C. durchgeführten Expositionstherapie handele es sich nicht um eine alternative Behandlungsmöglichkeit zur Schulmedizin, sondern um einen im Einzelfall indizierten Bestandteil der Richtlinienverfahren. Mit dieser mittlerweile durchgeführten Behandlungsform sei grundsätzlich ein Erfolg möglich, wenn hinsichtlich des Störungsbildes und der individuellen problemaufrechterhaltenden Faktoren eine entsprechende Indikation bestehe. Die Wirksamkeit der Methode sei nachgewiesen. Eine fehlende individuelle Begründung der Wirtschaftlichkeit vor Behandlungsbeginn schließe nicht aus, dass die Therapie sich bei Durchführung ohne solche Begründung "ex juvantibus" nachträglich als wirtschaftlich erweise. Eine Kostenübernahme werde nicht empfohlen, da die Versicherte die Maßnahme ohne vorherigen Nachweis der Nützlichkeit und Wirtschaftlichkeit eingeleitet habe.

Die Klägerin legte ein Attest des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin E. vom 9. Januar 1998 vor sowie eine weitere Stellungnahme des C. C. für Klinische Psychologie vom 15. Dezember 1997, in der ausgeführt wird, die Klägerin sei aufgrund ihrer Angststörung kaum mehr in der Lage gewesen, das Haus allein zu verlassen, so dass ein schnellstmöglichster Beginn der Therapie indiziert gewesen sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15. April 1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Kostenerstattung, da es sich bei dem C. C. nicht um eine Einrichtung gehandelt habe, die am Delegationsverfahren nach § 4 der Anlage 1 zum Arzt-/Ersatzkassenvertrag (EKV) teilnehme. Des Weiteren habe sich die Versicherte vor Inanspruchnahme einer Leistung außerhalb des Vertragssystems zunächst an ihre Krankenkasse zu wenden, um sich über die bestehenden Möglichkeiten der vertragsärztlichen Behandlung beraten zu lassen und die entsprechende Leistung zu beantragen. Vor Entscheidung der Kasse dürften Leistungen nicht in Anspruch genommen werden. An diesem Erfordernis fehle es vorliegend. Ergebe sich bei Antragstellung, dass nicht in ausreichendem Maße Vertragsbehandler zur Verfügung stehen würden und infolgedessen die Inanspruchnahme eines Vertragsbehandlers an einer unzumutbaren langen Wartezeit bis zum Behandlungsbeginn scheitere, könne eine Kostenerstattung für eine Behandlung bei einem nicht am Delegationsverfahren teilnehmenden Therapeuten erfolgen. Ein derartiger Sachverhalt habe indes nicht vorgelegen.

Die Klägerin hat gegen den ihr am 17. April 1998 zugestellten Widerspruchsbescheid beim Sozialgericht Frankfurt am Main am 4. Mai 1998 Klage erhoben. Sie trägt vor, sie habe im Jahre 1997 an einem dringend behandlungsbedürftigen Krankheitszustand gelitten. Die Beklagte habe ihren Anfang Juli 1997 gestellten Antrag nicht abgelehnt und auch keine alternativen Behandler vorgeschlagen, sondern die Akte an den MDK gesandt. Der Beklagten habe dabei klar sein müssen, dass ein Zuwarten von drei Monaten bei einem solch schweren Krankheitsbild nicht zumutbar gewesen ist. Im gesamten Land Hessen, aber auch in der Bundesrepublik Deutschland, bestehe bezogen auf Psychotherapie eine Unterversorgung. Diese Unterversorgung sei nun seitens des Gesetzgebers dadurch anerkannt worden, dass durch Psychotherapeutengesetz mit Wirkung vom 1. Januar 1999 rund 10.000 psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zur vertragsärztlichen Tätigkeit zugelassen worden seien. Seit Jahren würden die Krankenkassen Kostenerstattung in der Erkenntnis gewähren, dass im Bereich der Psychotherapie eine Unterversorgung bestehe. Dies gelte erst recht für eine "hochfrequente Verhaltenstherapie" wie sie im Falle der Klägerin angezeigt gewesen sei und durchgeführt worden sei. Hinsichtlich der Dringlichkeit der medizinischen Maßnahme hat die Klägerin Atteste ihrer behandelnden Ärztin für Neurologie und Psychiatrie W. vom 17. August 1999 und vom 2. Februar 2000 vorgelegt sowie eine Stellungnahme der Diplom-Psychologin Bx., C. C. für Psychotherapie vom 14. Januar 2000.

Das Sozialgericht hat Befundberichte des Arztes für Allgemeinmedizin E. vom 21. Dezember 1998 sowie von der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie W. vom 26. Januar 1999 und vom 4. August 2000 eingeholt. Mit Urteil vom 26. Februar 2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und in den Entscheidungsgründen im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin könne ihr Kostenerstattungsbegehren nicht auf eine unaufschiebbare Leistung (§ 13 Abs. 3 1. Alt. Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V) stützen. Es könne dabei dahinstehen, ob ein Fall einer dringenden Eilbehandlung im Sinne einer Notfallbehandlung vorgelegen habe oder nicht. Jedenfalls sei die weitere Voraussetzung des § 13 Abs. 3 1. Alt. SGB V, nämlich dass die Beklagte eine Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte, vorliegend nicht erfüllt. Der MDK habe in seiner Stellungnahme vom 8. Oktober 1999 festgestellt, in der Bundesrepublik Deutschland existierten mehrere auf vertraglicher Grundlage arbeitende Kliniken, die eine verhaltenstherapeutische Expositionsbehandlung durchführten. Auch hätten im ambulanten Rahmen Behandlungskapazitäten zur Verfügung gestanden. Die Klägerin habe nicht einmal den Versuch unternommen - ggf. mit Hilfe der Beklagten und der Kassenärztlichen Vereinigung - die psychotherapeutische Behandlung bei einem zugelassenen Vertragsbehandler oder einer zugelassenen Vertragseinrichtung zu erhalten. In diesem Zusammenhang sei es nicht erheblich, dass die Beklagte der Klägerin keine Vertragsbehandler genannt habe. Die Klägerin habe einen Beratungsbedarf nicht zu erkennen gegeben und der Beklagten musste sich ein solcher auch nicht aufdrängen. Die Klägerin habe bei der Beklagten lediglich angefragt, ob eine Kostenbeteiligung für die geplante Behandlung im C. C. für Klinische Psychologie in M. möglich sei.

Gegen das ihr am 19. April 2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. Mai 2001 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt und geltend gemacht, die Klägerin habe sich im Jahre 1997 in einer schweren psychischen Situation (Krise) befunden. Sie sei seinerzeit schon für die Dauer von mehr als ein Jahr arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Weder die behandelnde Fachärztin noch die Beklagte hätten der Klägerin irgendeinen Anhaltspunkt dafür gegeben, dass an Stelle des C. C. ein Vertragsbehandler zur Verfügung gestanden hätte, der geeignet gewesen wäre, angesichts der akuten Verschlimmerung des langjährig behandelnden psychischen Leidens eine Besserung herbeizuführen. Um eine weitere Verschlechterung zu vermeiden habe die Klägerin seinerzeit selbst tätig werden müssen und sich daher in das C. C. begeben, wie es ihre behandelnde Ärztin - eine Vertragsärztin - empfohlen hätte. Die Klägerin sei seinerzeit auf eine schnelle und effektive Behandlung angewiesen gewesen und hätte nicht eine längere Wartezeit in Kauf nehmen können. Die Klägerin hat eine Stellungnahme des behandelnden Arztes E. vom 24. Juli 2004 vorgelegt.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 26. Februar 2001 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. Oktober 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1998 zu verurteilen, ihr die Kosten der psychotherapeutischen Behandlung vom 28. Juli 1997 bis zum 14. August 1997 in dem C. C. für Klinische Psychologie in M. in Höhe von 14.674,05 DM (7.502,72 EUR) zu erstatten.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Der Senat hat die Klägerin in einem Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. Mai 2004 persönlich angehört und in einem weiteren Termin am 19. August 2004 die Sachbearbeiter D. und C. als Zeugen vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift zur öffentlichen Sitzung vom 19. August 2004 in der Gerichtsakte verwiesen. Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die zum Verfahren beigezogen worden ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte über die Berufung ohne mündliche Verhandlung verhandeln und entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung ist erfolgreich. Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Behandlung in dem nicht zur vertraglichen Versorgung zugelassenen C. C. für Klinische Psychologie. Das angefochtene erstinstanzliche Urteil sowie die Bescheide der Beklagten sind aufzuheben.

Der Anspruch der Klägerin auf Kostenerstattung ergibt sich aus § 13 Abs. 3 1. Alt. Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V. Nach dieser Vorschrift hat die Krankenkasse die Kosten für eine selbst beschaffte - grundsätzlich erstattungsfähige - Leistung dann zu erstatten, wenn sie eine unaufschiebbare und notwendige Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind.

Erstattungsfähig sind Leistungen, die sich der Versicherte außerhalb des für Sachleistungen nach § 15 SGB V gesetzlich vorgesehenen Weges oder bei nicht zugelassenen Leistungserbringern selbst beschafft hat, nur dann, wenn sie ihrer Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen. Zudem fordert die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für die Zeit vor Einbeziehung der Psychotherapeuten in die vertragsärztliche Versorgung durch das Psychotherapeutengesetz vom 16. Juni 1998 den Nachweis einer hinreichenden Ausbildung des Therapeuten, sofern dieser nicht in dem damals vorgeschriebenen Delegationsverfahren tätig geworden ist (vgl. dazu BSG, Urteil vom 9. März 1982, BSGE 53, 144). Die von der Klägerin im C. C. in Anspruch genommene stationäre Behandlung ist in diesem Sinne erstattungsfähig. Die behandelnde Therapeutin Dipl.-Psych. Bx. hat Qualität und (Zusatz)Ausbildung als Verhaltenstherapeutin in ihrer Stellungnahme im Verwaltungsverfahren vom 27. Oktober 1997 sowie in dem Befundbericht vom 16. Dezember 1998 hinreichend dargelegt. Die Behandlung in der Klinik durch die Therapeutin Bx. entsprach ihrer Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und hinsichtlich Qualität und Wirksamkeit dem für die gesetzliche Krankenversicherung in § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V geforderten allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse. Dies bestätigt letztlich auch der Arzt und Diplompsychologe Dr. L. in seinem Gutachten für den MDK vom 10. November 1997, indem er ausführt, bei der in dem C. C. angewandten Expositionstherapie (einer besonderen Form üblicher verhaltenstherapeutischer Verfahren) sei grundsätzlich ein Erfolg möglich, wenn hinsichtlich des Störungsbildes und der "individuellen Problem aufrechterhaltenden Faktoren" eine entsprechende Indikation bestehe.

Die stationäre Behandlung der Klägerin in dem C. C. für klinische Psychologie ist unaufschiebbar gewesen. Unaufschiebbarkeit einer Behandlungsmaßnahme im Sinne von § 13 Abs. 3 1. Alt. SGB V liegt vor allem in den Notfällen im Sinne des § 76 Abs. 1 Satz 2 vor, d. h. dann, wenn die Behandlung durch einen Vertragsarzt nicht möglich oder nicht zumutbar ist und der Versicherte daher auf die Hilfe eines Nichtvertragsarztes angewiesen ist. Ferner gehören dazu aber auch dringende Bedarfslagen, in denen eine Sachleistung nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Insbesondere betrifft § 13 Abs. 3 1. Alt. SGB V die Fälle des Systemversagens, der Systemstörungen oder Versorgungslücken (vgl. dazu Höfler in Kasseler Kommentar, Band I, Stand: 1. April 2002, § 13 SGB V Rdnrn. 26, 27).

Der Senat geht davon aus, dass bei der Klägerin vor Behandlungsbeginn im Juli 1997 zwar keine Suizidgefahr und damit kein Notfall vorgelegen haben, dass sich die Klägerin aber in einer akuten und schweren psychischen Krise befunden hat. Der Senat stützt sich für die Feststellung der dringlichen Bedarfslage auf die Atteste und Befundberichte der behandelnden Ärzte, die im Rahmen des Verwaltungs-, Klage- und Berufungsverfahrens eingeholt bzw. von den Beteiligten vorgelegt worden sind. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie W. hat unter anderem in ihrem ersten Attest vom 22. Juli 1997 auf das Vorliegen von heftigsten Panikattacken mit Schwindelgefühl bei der Klägerin hingewiesen. Der behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin E. beschreibt unter anderem in seinem Attest vom 9. Januar 1998 für die Zeit vor Behandlungsbeginn eine massive Verschlimmerung der bei der Klägerin seit 1994 bestehenden Angststörung mit fast ständigen Panikstörungen. Täglich, teilweise mehrmals täglich, seien Behandlungen im Rahmen der hausärztlichen psychosomatischen Grundversorgung durch ihn erforderlich gewesen; gehäuft habe zudem der ärztliche Notdienst eingeschaltet werden müssen. Trotz einer hochdosierten medikamentösen Therapie hätten sich die Beschwerden kaum verbessert. Damit übereinstimmend hat die Therapeutin Dipl.-Psych. Bx. des C. C. in ihrem Befundbericht im Klageverfahren vom 16. Dezember 1998 mitgeteilt, aufgrund ihrer Angststörung sei die Klägerin bei Aufnahme nicht mehr in der Lage gewesen, das Haus allein zu verlassen, so dass ein schnellstmöglicher Beginn der Therapie indiziert gewesen sei. Glaubhaft hat die Klägerin dazu bei ihrer persönlichen Anhörung im Termin am 27. Mai 2004 angegeben, sie sei im Juli 1997 gesundheitlich in einer so schlechten Verfassung gewesen, dass sie zu einer eigenen Entscheidungsfindung nicht mehr in der Lage gewesen sei. Die nötigen Gespräche und Behandlungen habe für sie der behandelnde Arzt E. geführt. Der Zeuge D., der seinerzeit zuständige Sachbearbeiter der Beklagten, hat dies im Termin am 19. August 2004 bestätigt, indem er bei seiner Zeugenvernehmung angegeben hat, er könne sich nicht an die Klägerin selbst, aber sehr wohl an deren Ehemann erinnern, der die Verhandlungen geführt habe. Als weitere Kontaktperson benennt er den behandelnden Arzt der Klägerin bzw. die Praxis E.

Die stationäre Behandlung im C. C. ist medizinisch notwendig gewesen; ambulante Maßnahmen waren angesichts der damaligen gesundheitlichen Situation der Klägerin nicht mehr ausreichend und erfolgsversprechend. Frau W. hat in ihrem Attest vom 22. Juli 1997 hinsichtlich der Notwendigkeit der Behandlung ausgeführt, aufgrund der Therapieresistenz trotz der zahlreichen stationären und ambulanten Behandlungen, die die Klägerin seit 1994 durchgeführt habe, verspreche gerade das (stationäre) Therapiekonzept des C. C. Erfolg, da dort oftmals auch noch in bislang therapieresistenten Fällen das Zustandsbild wesentlich verbessert hätte werden können. Dipl.-Psych. Bx. hat in dem Befundbericht vom 16. Dezember 1998 überzeugend dargelegt, aus therapeutischer Sicht sei eine hochfrequente Konfrontationstherapie mit Exposition indiziert gewesen, d.h. die Durchführung der Verhaltenstherapie in einem massierten Block von zwei bis drei Wochen mit mehreren Stunden täglich.

Die Beklagte ist im Juli 1997 nicht in der Lage gewesen, rechtzeitig die aus ärztlicher Sicht notwendige stationäre Behandlung durch einen Vertragsbehandler als Sachleistung zur Verfügung zu stellen. Der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. med. Dipl.-Phys. L. vom MDK hat in seiner von der Beklagten im Klageverfahren vorgelegten Stellungnahme vom 8. Oktober 1999 zwar ausgeführt "es sei bekannt, dass in der BRD mehrere, auf vertraglicher Grundlage arbeitende Kliniken existieren, die eine verhaltenstherapeutische Expositionsbehandlung durchführen". Ebenfalls bekannt ist indes, dass vor Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes das Leistungsangebot im Bereich der Psychotherapie nicht ausreichend gewesen ist, zumal darauf abzustellen ist, ob der Klägerin eine solche Behandlung Mitte Juli 1997 von der Beklagten tatsächlich angeboten werden konnte. Der Zeuge D. hat bei seiner Vernehmung im Termin am 19. August 2004 das Bestehen einer Versorgungslücke bzw. einer sogenannten Systemstörung bestätigt. Nach dessen Aussage hat sich zwar weder der Ehemann der Klägerin bei der Kontaktaufnahme mit ihm nach Vertragskliniken und Vertragsbehandlern erkundigt noch habe er von sich aus auf solche Alternativen hingewiesen. Die Möglichkeiten vertragsärztlicher Therapien seien zum damaligen Zeitpunkt (vor Inkrafttreten des Psychotherapeutengesetzes) aber "noch sehr schlecht" gewesen. Aus diesem Grund hätte die Beklagte der Klägerin auch in der Vergangenheit schon einmal eine außervertragliche Behandlung bei einem Therapeuten angeboten. Im Übrigen seien sowohl in der Psychosomatischen Klinik in M. als auch in anderen Kliniken dieser Art die Wartezeiten immer lang gewesen. Seiner Erinnerung nach habe auch der behandelnde Arzt, mit dem im Zusammenhang mit der weiteren Behandlung der Klägerin Kontakt aufgenommen worden sei, keinen Vertragsbehandler nennen können. Der behandelnde Arzt E. teilt damit übereinstimmend in seinem von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Schreiben vom 24. Juli 2004 mit, aus seinen Unterlagen gehe hervor, dass die notwendige stationäre Aufnahme in M. wegen der dortigen Bettensituation nicht möglich gewesen sei.

Der Klägerin kann vorliegend nicht entgegen gehalten werden, sie hätte den Bescheid der Beklagten abwarten müssen und habe durch ihr voreiliges Handeln die Kosten für die selbst beschaffte Maßnahme selbst verursacht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 26. März 1963, BSGE 19, 21), der sich der Senat anschließt, müssen Versicherte zwar ihrerseits das Erforderliche tun, um sich die Sachleistung zu verschaffen. Auch in dringlichen Fällen müssen sie sich grundsätzlich vor Inanspruchnahme einer Leistung außerhalb des Sachleistungssystems an ihre Krankenkasse wenden, sich über die bestehenden Leistungsmöglichkeiten beraten lassen und entsprechende Anträge stellen (vgl. BSG, Urteil vom 26. März 1963 a.a.O; Höfler a.a.O., Rdnr. 29 m. w. N. aus der Rechtsprechung). Je nach Dringlichkeit der Leistung kann sich diese Pflicht aber mindern oder sie kann ganz entfallen (vgl. Höfler a.a.O., Rdnr. 29). Diesen Pflichten der Versicherten stehen auf der anderen Seite Beratungs- und Betreuungspflichten der Beklagten gegenüber, die sich aus dem sozialrechtlichen Schuldverhältnis, den §§ 14, 15 und 16 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - SGB I ergeben. Eine Abwägung der gegenseitigen Pflichten ergibt im vorliegenden Fall, dass die Klägerin von ihrer Seite das Erforderliche getan hat. Der Ehemann der Klägerin hat, wie der Zeuge D. bestätigt, mit der Beklagten telefonisch vor Behandlungsbeginn Kontakt aufgenommen und die gesundheitliche Situation sowie die beabsichtigte weitere Behandlung der Klägerin erörtert. Gesprächskontakt bestand nach den Angaben des Zeugen auch mit dem behandelnden Arzt E. vor Behandlungsbeginn. Angesichts der Kenntnis der Beklagten von der langjährigen Erkrankung der Klägerin, der Therapieresistenz sowie angesichts der ebenfalls bekannten akuten gesundheitlichen Situation der Klägerin im Juli 1997, die auch von der Ärztin W. in dem von der Klägerin bei der Beklagten eingereichten Attest vom 22. Juli 1997 beschrieben wird, sowie angesichts des seinerzeit noch unübersichtlichen und unzureichenden Leistungsangebotes im Bereich der Psychotherapie ergaben sich für die Beklagte besondere Betreuungs- und Aufklärungspflichten gegenüber ihrer Versicherten. Sofern es entsprechende Möglichkeiten gegeben hat - wie die Beklagte im Verfahren nunmehr vorträgt - hätte sie der Klägerin in der gebotenen Eile Alternativen zum C. C. anbieten müssen. Die Beklagte hätte die Kliniken konkret benennen müssen, die auf vertraglicher Grundlage arbeiteten und die in einer zumutbaren Wartezeit die notwendige Behandlung hätten übernehmen können (vgl. zu den Betreuungs- und Aufklärungspflichten eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber dem Versicherten auch BSG, Urteil vom 9. März 1982 a.a.O. sowie BSG, Urteil vom 18. Februar 1981, BKK 1981, 425). Dergleichen ist nicht geschehen. Nach den glaubhaften Angaben des Zeugen D. ist vielmehr - wie oben ausgeführt - anzunehmen, dass es vor Behandlungsbeginn auch nicht möglich gewesen ist, für die Klägerin eine Alternative in einer zumutbaren Wartezeit zu finden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorgelegen haben.
Rechtskraft
Aus
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