L 12 RA 111/03

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 19 RA 2153/00
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 12 RA 111/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Besondere Umstände, die eine Verwirkung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben auslösen, können in einem Verhalten des Versicherungsträgers liegen, wenn im Rahmen einer umfangreichen Korrespondenz bei dem Versicherten der Eindruck erweckt wird, die Entrichtung von Pflichtbeiträgen liege in seinem eigenen Ermessen. Sofern ein Verwirkungstatbestand gegeben ist, werden dessen Konsequenzen nicht dadurch beseitigt, dass der fehlende Eintritt der Verjährung eine Beitragspflicht wieder aufleben lässt. Vielmehr kann der Vertrauensschutz nur aktiv mit einer Wirkung ex nunc durchbrochen werden.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 18. November 2002 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig sind zwischen den Beteiligen Beitragszahlungen nebst Säumnisgebühren und Mahngebühr zur Rentenversicherung für den Zeitraum von Dezember 1994 bis Januar 1999.

Der jetzt 65-jährige Kläger war seit dem 1. Juli 1978 als Versicherungsvermittler selbständig tätig. Er beschäftigte einen Arbeitnehmer. Am 25. Juli 1978 beantragte er bei der Beklagten die Pflichtversicherung als selbständiger Erwerbstätiger. Mit Bescheid vom 18. Oktober 1978 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht des Klägers ab 1. Juli 1978 in der Rentenversicherung der Angestellten für die Dauer der selbständigen Erwerbstätigkeit fest. Nachdem der Kläger zuvor zuletzt Beiträge nach dem höchsten Monatsbeitrag entrichtet hatte, die von seinem Konto abgebucht wurden, beantragte er mit Schreiben vom 1. Juli 1981, dass die Beiträge nach dem tatsächlichen Einkommen bemessen werden sollten. Die bestehende Einzugsermächtigung wurde mit sofortiger Wirkung widerrufen. Gleichwohl wurden noch für den Monat Juli 1981 Beiträge in Höhe von 814,00 DM abgebucht. In der weiteren Korrespondenz teilte der Kläger mit, sein Einkommen betrage ab 1. Juli 1981 3.000,00 DM pro Monat. Mit Bescheid vom 7. September 1981 setzte die Beklagte den Monatsbeitrag ab 1. Juli 1981 auf 555,00 DM fest. Eine Beitragszahlung durch den Kläger erfolgte in der Folgezeit nicht mehr. Mit Schreiben vom 12. März 1985, 15. April 1985 und 15. Mai 1985 fragte die Beklagte bei dem Kläger an, was mit dem Betrag von 555,00 DM übersteigenden im Juli 1981 abgebuchten Betrag von 259,00 DM geschehen solle. Insoweit teilte der Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 3. Juni 1985 mit, dass der Überschuss seinem Beitragskonto gutgeschrieben werden solle. Er bat um Mitteilung des geringstmöglichen Beitrages. Auf Anforderung der Beklagten übersandte er in der Folgezeit seine Steuerbescheide für die Jahre 1983 bis 1985 und teilte noch mit, der Umfang seiner selbständigen Tätigkeit betrage wöchentlich zwischen 50 und 52 Stunden. Mit Schreiben vom 17. Dezember 1985 teilte die Beklagte dem Kläger die Höhe der Pflichtbeiträge für die Zeit vom 1. August 1981 bis 31. Dezember 1984 mit. Sie erklärte sich bereit, den Gegenwert der Pflichtbeiträge bis spätestens 31. März 1986 entgegenzunehmen. Über die Höhe der Pflichtbeiträge ab dem 1. Januar 1986 erhalte der Kläger noch gesondert Bescheid. Mit Bescheid vom 19. Dezember 1985 teilte die Beklagte mit, dass der Kläger ab dem 1. Januar 1985 der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung der Angestellten für die Dauer der selbständigen Tätigkeit unterliege. Die Beklagte bat darum, die rückständigen Beiträge bezüglich des Zeitraums Januar 1985 bis Juni 1985 in einer Summe bis Juni 1986 und die den Zeitraum Juli 1985 bis Dezember 1985 betreffenden Beiträge bis Dezember 1986 zu überweisen. Mit Schreiben vom 30. Dezember 1987 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass seit August 1981 keine Pflichtbeiträge mehr entrichtet worden seien. Unter Bezugnahme auf den Schriftwechsel aus dem Jahr 1985 teilte sie mit, sie mache darauf aufmerksam, dass Nachteile, die sich durch die Nichtzahlung von Pflichtbeiträgen ergäben, zu Lasten des Klägers gehen müssten. In der Folgezeit bestanden keinerlei Kontakte mehr. Mit Schreiben vom 28. Januar 1998 wandte sich der Kläger an die Beklagte und bat um eine Rentenberechnung. In diesem Zusammenhang fiel der Beklagten auf, dass seit August 1981 keine Beiträge mehr entrichtet worden waren. Nachdem der Kläger auf Anforderung seine Steuerbescheide für die Jahre 1993 bis 1996 übersandt hatte, setzte die Beklagte mit Bescheid vom 17. Februar 1999 die Beiträge für die Zeit von Dezember 1993 bis Januar 1999 auf 31.131,41 DM fest. Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 9. März 1999 Widerspruch ein. Er trug vor, dass er aus wirtschaftlichen Gründen nicht in der Lage sei, diese Summe zu erbringen. Eine zu erwartende Rente solle aus seinen Leistungen bis zum Jahr 1983 errechnet werden. Nach Erlass weiterer Bescheide vom 27. Oktober 1999 und 7. Dezember 1999, in denen die Summe der offenen Beiträge bis 30. September 1999 einschließlich Säumniszuschläge und Mahngebühr auf 37.596,97 DM festgesetzt worden waren, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2000 zurück.

Dagegen hat der Kläger am 23. November 2000 bei dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Er hat dort vorgetragen, dass er eine Betriebsrente aus dem Vermittlerversorgungswerk der C. AG beziehe. Er habe außerdem u.a. Lebensversicherungen im Wert von ca. 200.000,00 DM zur Tilgung von Immobilienkrediten bezüglich seines Wohnhauses aufgebaut. Mit Urteil vom 18. November 2002 hat das Sozialgericht, nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom gleichen Tage die Beitragsforderung auf Beiträge ab Dezember 1994 reduziert hatte, die angefochtenen Bescheide aufgehoben, soweit Beiträge für die Zeit von Dezember 1994 bis Januar 1999 nachgefordert worden sind und im Übrigen die Klage abgewiesen. Die Beiträge hinsichtlich des Zeitraums von Dezember 1994 bis Januar 1999 seien nach dem im bürgerlichen Recht als Ausprägung von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) entwickelten Rechtsinstitut der Verwirkung, das auch im Sozialrecht anerkannt sei, verwirkt. Die Beklagte habe den Kläger zu keinem Zeitpunkt unmissverständlich verdeutlicht, dass eine Beitragspflicht bestehe, die nötigenfalls mit Zwang durchzusetzen sei. Vielmehr hätten die Schreiben der Beklagten nur allgemeine Hinweise auf etwaige Nachteile bei Nichtzahlung und die darüber hinaus erklärte Bereitschaft zur Entgegennahme der Beiträge enthalten. Damit sei der Eindruck erweckt worden, die Beitragszahlung sei eine mehr oder weniger freiwillige Angelegenheit mit bestenfalls nachteiligen Auswirkungen auf die Höhe etwaiger Rentenleistungen für den Fall der Nichtzahlung. Erst aufgrund des Bescheides vom 17. Februar 1999 sei die bei dem Kläger insoweit bestehende Vertrauensgrundlage beseitigt worden.

Gegen dieses der Beklagten am 13. Januar 2003 zugestellte Urteil hat diese am 13. Februar 2003 bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt Berufung eingelegt.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, das Rechtsinstitut der Verwirkung erfordere neben dem Zeitmoment das Hinzutreten besonderer Umstände, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lasse. Solche Umstände seien aber vorliegend nicht gegeben. Der Bescheid vom 17. Dezember 1985 sei unter Anwendung des - damals geltenden - § 140 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) gefertigt worden. Im Rahmen des Schriftwechsels 1985 sei der Kläger in Kenntnis gesetzt worden, dass es sich um Pflichtbeiträge handele und dass er Änderungen in den Einkünften mitzuteilen habe. Auch aufgrund des Schreibens vom 30. Dezember 1987 habe der Kläger nicht erwarten können, dass Beitragsforderungen ab dem 1. Januar 1985 nicht bestehen oder nicht geltend gemacht werden würden. Den Interessen des Klägers sei bereits durch die kurze Verjährung des § 25 Abs. 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) ausreichend Rechnung getragen worden.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 18. November 2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Meinung, das Verwirkungsverhalten der Beklagten liege darin, dass sie sich seit dem Schreiben vom 30. Dezember 1987 über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren weder um die Beitreibung der seit August 1981 rückständigen Beiträge gekümmert noch in sonstiger Weise den Kläger wegen der Zahlung der Beiträge aufgefordert habe. Weiter trägt er vor, aus den in den Jahren 1985 und 1987 geführten Schriftwechseln sei bei ihm der Eindruck erweckt worden, er habe durch Zahlung bzw. Nichtzahlung der Beiträge die Möglichkeit, auf den Fortbestand des Versicherungsschutzes Einfluss zu nehmen, d.h. ihn durch Nichtzahlung zu beenden.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen sowie wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten damit ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt, sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 SGG).

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 18. November 2002 ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Bescheide vom 17. Februar 1999, 27. Oktober 1999 und 7. Dezember 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2000 in Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 18. November 2002 sind - soweit aufgehoben - rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger ist nicht verpflichtet, für den Zeitraum von Dezember 1994 bis Januar 1999 Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten sowie Säumniszuschläge und eine Mahngebühr zu entrichten.

Dabei ist zunächst zwischen den Beteiligten unstreitig, dass als Folge der Antragspflichtversicherung seit dem 1. Juli 1978 Beitragsansprüche zu Gunsten der Beklagten entstanden sind (vgl. jetzt §§ 4 Abs. 2, 165, 169, 173 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB VI -). Diese Beiträge können für den Zeitraum von Dezember 1994 bis Januar 1999 aber nicht von der Beklagten verlangt werden, weil insoweit Verwirkung eingetreten ist. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen für die Sozialversicherung für zurückliegende Zeiten anerkannt. Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalles und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolge dessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (vgl. BSG, Urteil vom 30. November 1978, 12 RK 6/76, m. w. N.; Urteil vom 1. April 1993, 1 RK 16/92; Urteil vom 29. Januar 1997, 5 RJ 52/94). Die Tatsache, dass die Beklagte über einen längeren Zeitraum die Ausübung eines Rechtes unterlassen hat, ist zwischen den Beteiligten ebenso unstreitig wie die Frage, dass der Kläger Vorkehrungen und Maßnahmen für seine Altersvorsorge durch Aufbau einer Betriebsrente sowie Lebensversicherungsguthaben für Immobilien getroffen hat. Dass der Kläger finanziell nicht in der Lage ist, die Forderung zu begleichen wird ebenfalls von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Das Gleiche gilt für seinen Vortrag, er habe nicht damit gerechnet, dass er zu Beitragszahlungen verpflichtet sei.

Streitig ist zwischen den Beteiligten ausschließlich, ob hier der Kläger aufgrund eines bestimmten Verhaltens der Beklagten darauf vertrauen durfte, dass diese ihr Recht zur Beitragseinziehung nicht mehr geltend machen würde. Diese Frage war mit dem Sozialgericht zu bejahen. Aufgrund des in den Jahren 1985 und 1987 geführten Schriftwechsels zwischen den Beteiligten durfte der Kläger darauf vertrauen, dass die Beklagte die Beiträge auf keinen Fall beitreiben würde. Schon die Frage des Zeitpunktes, ab wann der Kläger der Versicherungspflicht unterlag, wurde von der Beklagten völlig unterschiedlich und damit unklar behandelt. Im Bescheid vom 18. Oktober 1978 stellte die Beklagte fest, der Kläger unterliege ab dem 1. Juli 1978 der Versicherungspflicht. Im Bescheid vom 7. September 1981 teilte die Beklagte dagegen mit, der Kläger unterliege aufgrund seines Antrages ab dem 1. Juli 1981 der Versicherungspflicht. Wiederum anders stellte die Beklagte im Bescheid vom 19. Dezember 1985 fest, der Kläger unterliege aufgrund eines Antrags ab dem 1. Januar 1985 dieser Versicherungspflicht. Allein aufgrund der Beliebigkeit dieser Daten und der fehlenden - neuen - Anträge des Klägers in den Jahren 1981 und 1985 konnte der Kläger nicht davon ausgehen, dass mit dem von der Beklagten verwendeten Begriff der Versicherungspflicht tatsächlich gesetzliche Verpflichtungen verbunden sein könnten. Die Behandlung der Nichtzahlung der Beiträge durch den Kläger seitens der Beklagten musste bei dem Kläger den Eindruck entstehen lassen, es handele sich bei der Zahlung lediglich um eine Obliegenheit, deren Erledigung in seinem Ermessen stehen würde. Nachdem er über einen Zeitraum von mehr als 3 Jahren nach dem 1. Juli 1981 keinerlei Zahlungen geleistet hatte, sorgte sich die Beklagte im Jahre 1985 ab dem 12. März 1985 zunächst ausschließlich um die Frage, was mit einem Guthaben des Klägers aus der Abbuchung im Juli 1981 zu geschehen habe. Im Rahmen des dritten Anschreibens vom 17. Mai 1985 in dieser Angelegenheit wies sie ausschließlich darauf hin, dass der Kläger die Nachteile aus der Nichtbeantwortung zu tragen habe. Auch im Rahmen der Vorlage der Einkommensnachweise wies die Beklagte im Jahr 1985 vor allem darauf hin, dass der Kläger Nachteile aus der Nichtvorlage der Einkommensnachweise zu tragen habe. Auf offene Zahlungsverpflichtungen wies die Beklagte in diesen Zusammenhängen nicht hin. Im Schreiben vom 17. Dezember 1985 teilte die Beklagte mit, sie erkläre sich bereit, die Pflichtbeiträge bis spätestens 31. März 1986 entgegen zu nehmen. Wenn die Beklagte auch vor dem Hintergrund des damals geltendenden § 140 AVG zu Recht auf diesen Umstand hingewiesen hatte, kann diese Information für einen Empfänger nur dahingehend interpretiert werden, es hänge von seinem Willen ab, ob er die fälligen Beiträge zahle oder nicht. Denn weitergehende Informationen teilte die Beklagte dem Kläger nicht mit. Auch die im Bescheid vom 19. Dezember 1985 benutzte Formulierung, man bitte um die Zahlung, kann in diesem Zusammenhang nur entsprechend verstanden werden. Genauso musste das Schreiben der Beklagten vom 30. Dezember 1987 auf den Kläger wirken, worin der Hinweis auf fehlende Entrichtung der Beiträge seit mehr als sechs Jahren mit keinerlei Zahlungsaufforderung, Mahnung oder Androhung von Zwangsmaßnahmen verbunden worden war. Verbunden war dieses Schreiben nur mit dem Hinweis, dass etwaige Nachteile aus der Nichtzahlung der Beiträge zu Lasten des Klägers gehen würden. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass es gerade nicht um eine Bewertung eines bloßen Nichtstuns der Beklagten geht. Diese hat vielmehr aktiv bei dem Kläger den Eindruck erweckt, es hinge von seinem eigenen Willen ab, ob er Beiträge entrichte oder nicht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Beklagte - zutreffend - immer von Pflichtbeiträgen sprach. Wenn dieser Begriff inhaltlich nicht belegt wird und der Zeitpunkt des Beginns dieser Pflichtversicherung offenbar beliebig dargestellt wurde, dann bleibt der Begriff farblos und nichtssagend. Soweit die Beklagte meint, der Kläger sei bereits hinreichend durch die Verjährungsvorschrift des § 25 SGB IV geschützt, verkennt sie, dass hier ein Verhalten der Beklagten über einen Zeitraum von 17 Jahren zu würdigen ist. Das Rechtsinstitut der Verwirkung hätte praktisch keinen Sinn, wenn damit Beitragsansprüche nur ausgeschlossen würden, wenn sie bereits verjährt sind. Die Verwirkung nicht verjährter Beiträge kann durchaus vorliegen, wenn der Grundsatz von Treu und Glauben an einem Zeitpunkt anknüpft, der außerhalb der Verjährung liegt. Denn durch sein Verhalten bringt der Gläubiger zum Ausdruck, dass er gewissermaßen auf die Durchsetzung der Ansprüche aus dem Stammrecht verzichtet. Damit ist die causa für das Nichtschulden gelegt, die nur durch ein aktives Durchbrechen des Vertrauensschutzes ex nunc wirken kann. Wenn ein Versicherter grundsätzlich nicht mehr mit der Entrichtung der Beiträge zu rechnen braucht und deshalb nach den Grundsätzen von Treu und Glauben geschützt ist, kann dies nicht rückwirkend in sein Gegenteil verkehrt werden. Denn der Schutzzweck des Verwirkungstatbestandes, dass Vertrauensverhalten des Versicherten, der inzwischen seine Vorkehrungen und Maßnahmen getroffen hat, kann nur dann erreicht werden, wenn die Verjährungsvorschriften insoweit nachrangig sind. Vorliegend setzte die Beklagte die causa für das Verwirken in der Zeit zwischen 1985 und 1987. Der Kläger hatte inzwischen alternativ den Aufbau einer anderweitigen Altersvorsorge begonnen umzusetzen. Da er finanziell nicht in der Lage ist, diesen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, bedeutet die verspätete Durchsetzung der Beitragsansprüche einen unzumutbaren Nachteil.

Mangels entsprechender Zahlungsverpflichtung besteht auch keine Pflicht des Klägers, Säumniszuschläge im Sinne des § 24 SGB IV oder die Mahngebühr gemäß § 66 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches in Verbindung mit den §§ 3 Abs. 3, 19 Abs. 2 Verwaltungsvollstreckungsgesetz zu entrichten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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