L 2 RJ 949/03

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16 RJ 839/03
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 2 RJ 949/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Dem Mangel eines als Prozessvollmacht bezeichneten Schriftstückes, das lediglich ausweist, wer wen wann bevollmächtigt hat, aber keine Angabe zu einem konkreten Gerichtsverfahren enthält, wird durch eine anliegende Klageschrift, die gegen einen konkret mit Datum und Geschäftszeichen der Beklagten benannten Widerspruchsbescheid gerichtet ist, abgeholfen. Ein gleichwohl ergangenes Prozessurteil wegen mangelhafter Prozessvollmacht ist rechtswidrig und aufzuheben.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgericht Frankfurt am Main vom 8. September 2003 - S 16 RJ 839/03 - wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das örtlich zuständige Sozialgericht Gießen verwiesen.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens bleiben dem Sozialgericht vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in der Sache um einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung; verfahrensrechtlich ist erheblich, ob dem Sozialgericht eine ordnungsgemäße Prozessvollmacht für den Rechtsbeistand des Klägers vorlag.

Der am 28. Januar 2002 gestellte Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung des am 4. Januar 1945 geborenen Klägers wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 15. März 2002 und Widerspruchsbescheid vom 11. Februar 2003 abgelehnt. Obwohl im Widerspruchsbescheid als für das Klageverfahren zuständige Gericht das Sozialgericht Gießen benannt ist, wurde die Klage am 10. März 2003 beim Sozialgericht Frankfurt am Main per Fax eingelegt. Dem Original der Klageschrift, gerichtet " gegen den Widerspruchsbescheid vom 11. 2003 - erhalten am 18.2.2003 - Vers. Nr./Az. XXX - XXX " lag eine Prozessvollmacht bei, die folgenden Wortlaut hat:

" Prozeßvollmacht Hiermit erteile ich Herrn E. K. , Rechtsbestand, B-Straße, B-Stadt, Vollmacht zur gerichtlichen Vertretung.

Diese Vollmacht berechtigt insbesondere 1. zur Entgegennahme von Zustellungen, Einlegung und Rücknahme von Rechtsmitteln und zum Verzicht auf Rechtsmittel, 2. zum Empfang von Geldern des Streitgegenstandes und der von der Gerichtskasse oder anderen Stellen und Behörden zu erstattenden Kosten und zur Verfügung darüber.

H., d. 26.2.2003 Unterschrift N. V. A-Straße A-Stadt"

In der Eingangsmitteilung des Gerichts an den Rechtsbeistand des Klägers hieß es:

"Es wird gebeten, von einer Vorabübermittlung durch Telefax abzusehen, wenn eine Verfristung droht. Bitte übersenden Sie nach Zugang dieses Schreibens eine sie für das Klageverfahren legitimierende Vollmacht (§ 73 Abs. 2 SGG). Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass eine für das Widerspruchsverfahren erteilte Vollmacht oder die Einreichung einer beglaubigten Fotokopie nicht ausreichend ist.

Die Vollmacht bezieht sich nicht auf einen konkreten Streitgegenstand oder Rechtsstreit. Weshalb soll das Sozialgericht Frankfurt am Main zuständig sein?"

Der Rechtsbeistand des Klägers sandte das Schreiben an das Gericht mit einem Vermerk vom 26. März 2003 zurück: "Eigentlich sollte das Gericht erkannt haben, dass Klageerhebung aus Fristgründen per Fax und danach im Original vorgelegt wurde. Weiterhin liegt dem Klageschreiben vom 10.03.2003 eine legitimierende Vollmacht bei. Da der Kläger in B wohnt (5 km von F.) soll das Sozialgericht Frankfurt/M. zuständig sein. Ihre Anfragen sind deshalb unverständlich.

Rechtsbeistand ". Der Vorsitzende der 16. Kammer des Sozialgerichts Frankfurt teilte dem Rechtsbeistand des Klägers daraufhin mit: "Die eingesandte" Prozessvollmacht "vom 26.2.2003 enthält keinerlei Angaben zum Streitgegenstand oder Beklagten oder angefochtenem Bescheid. Es ist eine Generalvollmacht und keine Prozessvollmacht. Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Frankfurt am Main kann sich nicht aus der räumlichen Entfernung des Wohnorts des Klägers zu der Stadt Frankfurt ergeben.

Ich bitte um Stellungnahme."

Mit Schriftsatz vom 6. Juni 2003 wandte sich der Rechtsbeistand des Klägers an den Präsidenten des Sozialgerichts unter Hinweis auf eine andere Streitsache, in der er den Richter Dr. Sch. wegen Befangenheit abgelehnt habe. Der Richter habe wieder an seiner Prozessvollmacht zu "nörgeln". "Bei einer Generalvollmacht, wie sie von Seiten des Richter behauptet, hat dieser auch für das SG Gültigkeit." Er wende sich wegen der Ablehnung dieses Richter in Sachen N. gegen LVA Hessen an den Präsidenten. Seitens des Gerichts sei moniert worden, dass nicht das Sozialgericht Frankfurt am Main, sondern das Sozialgericht Gießen zuständig sein solle. Der Kläger sei damit einverstanden, dass das Verfahren beim Sozialgericht in Gießen durchgeführt werde. Er habe die Klage deshalb beim Sozialgericht Frankfurt am Main eingereicht, weil von der örtlichen Entfernung 5 km von Frankfurt am Main und 40 km bis Gießen schon allein von der Kostenseite nicht verständlich sei, dass das Sozialgericht Gießen zuständig sein solle. Es sei deshalb angebracht, die örtlichen Zuständigkeiten der Sozialgerichte im Raum Frankfurt neu zu regeln.

Am 12. Juni 2003 erging der gerichtliche Hinweis, ein Verweisungsbeschluss sei nur bei formgerechter Vollmacht möglich. Andernfalls wäre die Klage durch Gerichtsbescheid abzuweisen. "Bitte fragen sie ihren Mandanten, was er für besser, zweckmäßiger und sinnvoller hält."

Mit Anschreiben vom 14. Juli 2003 informierte das Sozialgericht die Beklagte, den Rechtsbeistand des Klägers und den Kläger von seiner Absicht, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden und gab Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer Frist von 2 Wochen nach Zugang des Schreibens. Die Anhörungsmitteilung wurde dem Rechtsbeistand des Klägers am 29. Juli 2003 zugestellt, an den Kläger wurde sie formlos (ohne Zustellungsnachweis) abgesandt.

Durch Gerichtsbescheid vom 8. September 2003 wies das Sozialgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Klage sei unzulässig. Die eigentlich nach § 98 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) gebotene Verweisung von Amts wegen sei nicht möglich gewesen, da der Kläger zur Prozessvertretung nicht bevollmächtigt gewesen sei. Gemäß § 73 Abs. 2 SGG sei eine Prozessvollmacht zu den Gerichtsakten zu reichen. Das vom Klägervertreter insoweit eingereichte Schriftstück enthalte zwar die Überschrift "Prozessvollmacht", im Übrigen finde sich darin keinerlei Angabe des Prozessgegners oder des Streitgegenstandes oder des angefochtenen Widerspruchsbescheides. Folglich handele es sich um eine beliebig einsetzbare Vollmacht, die Qualitäten einer Prozessvollmacht nicht besitze. Dass dieses Schriftstück dann ausdrücklich zum Geldempfang berechtige, ohne dass der Streitgegenstand erwähnt sei, sei gerade zu makaber. Die hartnäckige Unbelehrbarkeit des Klägervertreters sei bedauerlich. Mit einer formgerechten Vollmacht wäre eine Verweisung möglich gewesen. So werde Zeit verschwendet und ein unkorrektes Verfahren gewünscht.

Gegen den ihm am 10. September 2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die vom Rechtsbeistand des Klägers am 8. Oktober 2003 eingelegte Berufung. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Vorsitzende der 16. Kammer des Sozialgerichts Frankfurt am Main werde hiermit wegen Befangenheit abgelehnt. Er habe den Präsidenten des Sozialgerichts Frankfurt am Main darauf hingewiesen, dass er gegen den Richter bereits in einer anderen Sache einen Befangenheitsantrag gestellt habe, dem das Landessozialgericht stattgegeben habe Hess. LSG, Beschluss vom 4. August 2003, 12 SF 41/03). In diesem Zusammenhang habe er schon darauf hingewiesen, dass das Verhalten des Richters eindeutig voreingenommen sei und so nicht akzeptiert werden könne, weil in Bezug auf Prozessvollmachten Formfreiheit bestehe und daher an der vorgelegten Prozessvollmacht nichts auszusetzen sei. Da der Richter aber die Prozessvollmacht ablehne und auch keine Grundlage für seine Forderung nenne, sei davon auszugehen, dass er befangen sei. Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 8. Oktober 2003 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. September 2003 - S 16 RJ 839/03 - aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das örtlich zuständige Sozialgericht Gießen zu verweisen.

Die Beklagte hat sich dem Antrag des Klägers angeschlossen.

Die Beklagte hält entsprechend der Rechtsmittelbelehrung ihres Widerspruchsbescheides das Sozialgericht Gießen für örtlich zuständig.

Die Beteiligten haben sich im Termin am 2. Dezember übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers, über der Berichterstatter im Einverständnis mit den Beteiligten entscheiden konnte ( § 155 Abs. 3. und 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) , ist insoweit sachlich begründet, als der angefochtene Gerichtsbescheid nicht aufrechterhalten bleiben kann und der Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht Gießen zu verweisen ist.

Der Senat teilt die Auffassung der Beteiligten, dass das Sozialgericht die Klage nicht wegen mangelhafter Prozessvollmacht durch Gerichtsbescheid hätte abweisen dürfen. Eine Prozessvollmacht als einseitige Prozesshandlung muss deutlich machen, wer bevollmächtigt ist, wer bevollmächtigt hat und zu welchem Zweck bevollmächtigt wurde. Mängeln einer Prozessvollmacht kann dadurch abgeholfen werden, dass erforderliche Angaben einem beigelegten Schriftsatz in dem konkreten Verfahren entnommen werden können ( Meyer-Ladewig , SGG mit Erläuterungen, § 73 Anm. 13a mit weiteren Nachweisen; BSG Urteil vom 14. Juni 1978, 9 RV 74/77). Zwar ist dem Sozialgericht darin beizupflichten, dass das als Prozessvollmacht übersandte Schriftstück vom 26. Februar 2003 nicht ausreichend konkret ist, denn daraus ist nur ersichtlich, wer wen wann bevollmächtigt hat , jedoch es fehlt jeder Hinweis auf ein konkretes Gerichtsverfahren. Allerdings lag das als Prozessvollmacht bezeichnete Schriftstück als Anlage einer Klageschrift gegen den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 11. Februar 2003 mit Angabe des Geschäftszeichens der Beklagten bei. Bei der gebotenen Zusammenschau beider Unterlagen wird dem Mangel der Prozessvollmacht durch die Klageschrift konkret abgeholfen. Damit waren auch Prozesshandlungen des Rechtsbeistandes des Klägers wirksam und die Klage hätte nicht als unzulässig abgewiesen werden dürfen. Ob außerdem ohne eine persönliche Anhörung des Klägers eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid hätte getroffen werden dürfen, kann bei dieser Sach- und Rechtslage dahingestellt bleiben. Zwar hat das Sozialgericht nachweislich den aus seiner Sicht vollmachtlosen Bevollmächtigten zur beabsichtigten Verfahrensweise gehört, aber nicht den Kläger, der nach seinen Angaben im Termin am 2. Dezember 2003 nicht informiert war. ( vgl. dazu OLG Zweibrücken, Urteil vom 27. Januar 1982, 7 U 37/81). Entsprechend der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung im Widerspruchsbescheid vom 11.Februar 2003 und in Übereinstimmung mit den Anträgen der Beteiligten im Termin am 2. Dezember 2003 war der Rechtsstreit nach § 98 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) an das örtlich zuständige Sozialgericht Gießen zu verweisen. Nach § 4 Abs. 4 des Hess. Ausführungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz, zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. November 1999 ( GVBl. Hessen S. 373), gehört u.a. der Amtsgerichtsbezirk Bad Vilbel zum Bezirk des Sozialgerichts Gießen.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens bleibt dem zuständigen Sozialgericht Gießen vorbehalten.

Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision gegen diese Entscheidung beruht auf § 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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