L 7 AL 46/07

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 15 AL 3893/03
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AL 46/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. Februar 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 16. April 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Oktober 2003 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Minderung der Anspruchsdauer wegen Festsetzung einer Sperrzeit aufgrund einer ihm vorgeworfenen Ablehnung eines Arbeitsangebots vom 12. März 2003 bis 1. April 2003.

Der 1949 geborene Kläger besitzt die italienische Staatsangehörigkeit und lebt seit Anfang 1977 in Deutschland. Er war von 1986 bis Juli 2002 als Reifenmonteur versicherungspflichtig beschäftigt. Er meldete sich zum 1. August 2002 bei der Beklagten persönlich arbeitslos und nahm ab 10. Oktober 2003 wieder eine Beschäftigung als Reifenmonteur gegen ein Netto-Arbeitsentgelt in Höhe von 1.378,20 EUR monatlich auf.

Mit Bescheid vom 3. Juli 2002 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab 1. August 2002 für längstens 780 Tage zunächst nach einem Leistungssatz in Höhe von 248,29 EUR wöchentlich. Aufgrund des Änderungsbescheids vom 14. Januar 2003 betrug die Leistungshöhe ab 1. Januar 2003 246,96 EUR wöchentlich.

Nachdem die Beklagte dem Kläger einen Vermittlungsvorschlag bei einer Zeitarbeitsfirma am 17. Februar 2003 mit Rechtsfolgenbelehrung für den Fall der Vereitelung der Beschäftigungsaufnahme mitgeteilt hatte, teilte die Zeitarbeitsfirma mit Schreiben vom 13. März 2003 mit, der Kläger sei am 11. März 2003 zum vereinbarten Vorstellungsgespräch bzw. Einstellungstermin erschienen. Er habe eine Zusage für eine Beschäftigung als Reifenmonteur ab dem 24. März 2003 gegen ein Nettoarbeitsentgelt von monatlich 1.346,80 EUR erhalten. Gleichwohl habe er später eine schriftliche Vereinbarung mit der Bemerkung abgelehnt, da könne er vom Arbeitslosengeld besser leben. Auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 20. März 2003 gab der Kläger in einer Erklärung vom 27. März 2003 an, ihm sei nur ein Arbeitsvertrag für sechs Wochen angeboten worden. Er habe es nur abgelehnt, diesen sofort zu unterschreiben, weil er aufgrund seiner mangelnden Deutschkenntnisse den Inhalt nicht ausreichend habe verstehen können. Seine Bitte um einen Tag Bedenkzeit sei abgelehnt worden. Auch sei ihm nur ein Stundenlohn von 7,50 EUR angeboten worden (entspricht einem monatlichen Nettoarbeitsentgelt in Höhe von 985,35 EUR - vgl. Bl. 62 L-Akte). Die Zeitarbeitsfirma bestätigte hingegen in einem weiteren Telefonat vom 14. April 2003 gegenüber der Beklagten das ihrerseits behauptete Nettoarbeitsentgelt.

Mit Bescheid vom 16. April 2003 stellte die Beklagte eine Sperrzeit vom 12. März 2003 bis einschließlich 1. April 2003 fest. Zugleich wies sie darauf hin, dass für den Sperrzeitraum der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhe und verwies hierfür auf einen gesonderten Bewilligungsbescheid, der weder nach Aktenlage noch Behauptung des Klägers ihm jemals bekanntgegeben worden ist. Weiter ist aufgeführt, dass sich die Anspruchsdauer um 21 Tage mindere. Er habe ohne wichtigen Grund das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses vereitelt. Das behauptete Arbeitsentgelt und die Befristung hätten die weiteren Ermittlungen nicht bestätigt.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 2. Mai 2003 am 5. Mai 2003 Widerspruch ein. Zur Begründung führten sie aus, der Kläger habe die Zeugin C. gebeten, den Arbeitsvertrag ihm für einige Stunden zu überlassen, um seiner Schwägerin es zu ermöglichen, ihn vor der Unterzeichnung zu übersetzen. Das habe die Zeugin C. abgelehnt. Zuhause habe er dann seine Schwägerin gebeten, sich telefonisch bei der Zeitarbeitsfirma den Arbeitsvertrag übersetzen zu lassen. Bei dem Anruf der Schwägerin nur eine Stunde nach seinem Vorstellungstermin habe man ihr aber bereits mitgeteilt, dass die Arbeitsstelle nicht mehr frei sei.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte mit Schreiben vom 9. September 2003 die Anhörung zu den Voraussetzungen für die Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung nach und wies nochmals darauf hin, dass alleine die Bemerkung des Klägers vom Arbeitslosengeld besser leben zu können für die Vereitelung der Beschäftigung maßgeblich gewesen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und hob zugleich erstmals die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Sperrzeitraum ausdrücklich auf. Zugleich ging sie erstmals auf das Vorbringen des Klägers ein, ihm sei keine Bedenkzeit vor Vertragsunterzeichnung eingeräumt worden, um den Vertragsentwurf sich übersetzen lassen zu können. Bereits die dem Kläger bekannten Vertragsmodalitäten (Beschäftigungsdauer und Höhe des Arbeitsentgelts) hätten die Beschäftigung vereitelt. Dahingestellt bleiben könne daher, ob er wirklich gesagt habe, er könne vom Arbeitslosengeld besser leben.

Hiergegen hat der Kläger am 3. November 2003 bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) Klage erhoben.

Die Beteiligten haben ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt. Ausdrücklich hat der Kläger bestritten, ihm sei das von der Zeitarbeitsfirma behauptete Arbeitsentgelt angeboten worden. Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 6. Februar 2007 die Klage in der Sache abgewiesen. Den Tatsachenbehauptungen der Beklagten sei zu folgen und eine Beweisaufnahme entbehrlich.

Gegen den ihm am 8. Februar 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 8. März 2007 bei dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt. Der Senat hat in dem Erörterungstermin vom 22. August 2008 den Kläger zu dem Vorstellungsgespräch persönlich befragt und die Zeuginnen C. und D. (Schwiegertochter) vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers weist darauf hin, dass dieser sich ausdrücklich auf das Vermittlungsangebot beworben habe und selbstverständlich für das von der Zeitarbeitsfirma behauptete Arbeitsentgelt eine Beschäftigung aufgenommen hätte. Das zeige schon der Umstand, seit dem 10. Oktober 2003 sogar eine Beschäftigung zu einem niedrigeren Arbeitsentgelt begonnen zu haben, um seine Arbeitslosigkeit beenden zu können. Im Übrigen wiederholt er das bisherige Vorbringen.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 6. Februar 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. April 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Oktober 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf die Gründe des Gerichtsbescheids und ihres angefochtenen Bescheids.

Wegen weiterer Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte durch den bestellten Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit im Erörterungstermin mit Beweisaufnahme vom 22. August 2008 einverstanden erklärt haben (§§ 155 Abs. 3 und 4, 153 Abs. 1 und 124 Abs. 2 SGG).

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger aufgrund der entgegenstehenden bestandskräftigen Bewilligung von Arbeitslosengeld in eigenen Rechten.

Die Rechtmäßigkeit des Bescheids der Beklagten misst sich an § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 4 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vom Zeitpunkt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse an aufzuheben, soweit der Betroffene dies wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Wesentlich ist jede tatsächliche oder rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der bewilligten Leistung auswirkt (vgl. nur BSGE 78, 109, 111 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 48 mwN).

Eine solche Änderung ist nicht wegen Eintritts einer Sperrzeit anzunehmen. Es bleibt zu Lasten der Beklagten unbewiesen, dass die Bewilligung von Arbeitslosengeld wegen Eintritts einer Sperrzeit nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung - SGB III a.F. - (vgl. Änderung ab 1. Januar 2005 durch 3. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2848) - rechtswidrig geworden ist.

Gemäß § 144 Abs. 2 S. 2 SGB III a.F. ruht wegen einer Sperrzeit der Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn u.a. nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III a.F. der Arbeitslose trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit angebotene Beschäftigung nicht angenommen oder nicht angetreten und die Anbahnung eines solchen Beschäftigungsverhältnisses insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgesprächs durch sein Verhalten verhindert hat (Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung).

Offen bleibt zunächst, ob der aktenkundigen Behauptung der Zeitarbeitsfirma entsprechend der Kläger die angebotene Tätigkeit nicht angenommen hat. Insoweit kann nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass der Kläger sich lediglich eine Bedenkzeit ausbedungen hat, um sich wesentliche Teile des Vertragstextes von seiner Schwiegertochter übersetzen zu lassen. Die Beklagte stützt ihre Annahme ausschließlich auf das Schreiben der Zeitarbeitsfirma vom 13. März 2003, welches aber nicht von der Zeugin C. unterschrieben ist, die das Vorstellungsgespräch mit ihm geführt haben soll. Bestätigt ist weiter nur, dass es nicht zu einer Vertragsunterzeichnung gekommen ist und der Kläger gesagt haben soll, dann könne er mit dem Geld vom Arbeitsamt besser leben. Beide Angaben schließen nicht die Behauptung des Klägers aus, es wäre ihm nur darauf angekommen, den Text des Arbeitsvertrags mit seiner Schwiegertochter besprechen zu können, um aufgrund seiner mangelnden Deutschkenntnisse dessen Inhalt verstehen zu können. Die Zeugin C. hat eine weitergehende Behauptung bei ihrer Vernehmung nicht bestätigt. Sie hat lediglich allgemein auf die korrekte Vorgehensweise ihrer Zeitarbeitsfirma hingewiesen, ohne sich an den Ablauf des Gespräches mit dem Kläger erinnern zu können. Solche allgemeinen Erklärungen sind zwar nicht generell in Zweifel zu ziehen, können jedoch ohne eine Erinnerung an Vorgänge im Einzelfall nicht ausreichen, um mit hinreichender Sicherheit für jeden Einzelfall glaubhaft zu sein. Bedenken ergeben sich schon deshalb, weil die Zeugin aufgrund der Überwachung nach dem AÜG durch die Beklagte gehalten sein könnte, ihre Vermittlungspraxis keinem Verdacht auszusetzen, der die Gewerbeerlaubnis in Frage stellen könnte. Zweifelsfrei ist ebenso wenig die gegenteilige Behauptung des Klägers zur Überzeugung des Senats bewiesen. Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass er bereits von Anfang an auch ohne rechtlichen Beistand auf die Bedenkzeit hingewiesen und von sich aus zu seinem möglichen Nachteil eingeräumt hat, den Vermittlungsvorschlag von der Beklagten erhalten zu haben. Beides deutet darauf hin, dass er grundsätzlich gewillt gewesen ist, im Rechtsstreit wahrheitsgemäß auszusagen. Zweifel bleiben jedoch bestehen, weil der Geschehensablauf von dem Kläger und der Schwiegertochter in einem wesentlichen Teil unterschiedlich dargestellt ist. Während der Kläger behauptet, mit dieser Zeugin selber gesprochen zu haben, sagt sie, die Verständigung sei nur über ihren Ehemann erfolgt. Der Kläger gibt das Telefongespräch der Klägerin mit der Zeitarbeitsfirma so wieder, es sei mitgeteilt worden, die Stelle sei bereits anderweitig besetzt, während die Zeugin den Ausgang als offen beschrieb. Gleichwohl ist die Schwiegertochter nicht als unglaubwürdig anzusehen. Sie hat vielmehr den Eindruck erweckt, sich wahrheitsgemäß äußern zu wollen, so dass nicht auszuschließen ist, dass die divergierenden Aussagen auf Erinnerungslücken aufgrund des langen Zeitablaufes beruhen. Insbesondere der Verdacht auf eine Absprache zwischen Kläger und Schwiegertochter hat sich aufgrund der Beweisaufnahme nicht erhärtet.

Allein dem behaupteten Wunsch des Klägers, den Inhalt des Arbeitsvertrags vor der Unterzeichnung in der eigenen Sprache erfassen zu wollen, ist nach objektiven Gesichtspunkten auch keine sozialwidrige Vereitelung der Beschäftigung zu entnehmen. Ein solches Verhalten bewegt sich im Rahmen dessen, was von einem an der Aufnahme der Beschäftigung ernstlich interessierten Arbeitslosen zu erwarten ist.

Allein die vom Kläger weiter behaupteten Umstände – Beschäftigungsdauer und Höhe des Arbeitsentgelts – begründen ebenfalls keine Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung. Insoweit ist nicht auszuschließen, dass bei einer hinreichenden Verständigung über den Arbeitsvertragsinhalt sich Zweifel oder Missverständnisse hätten ausräumen lassen.

Weitere Beweismittel, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufklären könnten, sind weder für den Senat ersichtlich noch von den Beteiligten aufgezeigt. Bleibt damit unbewiesen, ob dem Kläger ein sperrzeitbegründendes Verhalten vorzuwerfen ist, hat die Nichterweislichkeit nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast die Beklagte zu tragen. Es handelt sich auch nicht um Tatsachen allein aus der Sphäre des Klägers, so dass dahingestellt bleiben kann, ob auch für den Eintritt einer Sperrzeit selbst, dieser nach § 144 Abs. 1 S. 2 SGB III i.d.F. des 1. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl I 4607) die objektive Beweislast zu tragen hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf dem Ausgang des Rechtsstreits gemäß § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.

Gründe die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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