Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 9 AS 439/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 93/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Das Gericht hat im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht alle verfügbaren Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Das Gericht ist aber nicht gehalten, Ermittlungsmöglichkeiten zu verfolgen, die unerreichbar sind.
2. Erst nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten ist die Tatsache nach den Grundsätzen der objektiven Beweis- und Feststellungslast zu beurteilen.
3. Für belastende Aufhebungsentscheidungen trägt grundsätzlich die Behörde die Beweislast. Eine Umkehr der Beweislast ist wegen der besonderen Beweisnähe aber dann anzunehmen, wenn es um Tatsachen geht, die sich ausschließlich in der Sphäre eines Beteiligten befinden.
2. Erst nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten ist die Tatsache nach den Grundsätzen der objektiven Beweis- und Feststellungslast zu beurteilen.
3. Für belastende Aufhebungsentscheidungen trägt grundsätzlich die Behörde die Beweislast. Eine Umkehr der Beweislast ist wegen der besonderen Beweisnähe aber dann anzunehmen, wenn es um Tatsachen geht, die sich ausschließlich in der Sphäre eines Beteiligten befinden.
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 15. Januar 2014 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Überprüfung eines Bescheids zur Aufhebung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Monate Juni 2007 bis Februar 2008; in der Berufungsinstanz noch in Höhe von insgesamt 2.992,84 EUR.
Die 1962 geborene Klägerin stand bei dem Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum im Leistungsbezug nach dem SGB II. Sie ist Mutter von drei Kindern. Der 1993 geborene C. A. ist vor dem Sozialgericht noch als Kläger zu 2 aufgetreten. Ab 1. Juli 2006 lebte auch der zuvor getrennt lebende Ehemann der Klägerin, D. A., wieder in der Wohnung der Familie.
Aufgrund des Fortzahlungsantrags der Klägerin vom 8. Dezember 2006 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Dezember 2006 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 18. Dezember 2006, vom 10. Januar 2007, vom 5. April 2007, vom 16. Mai 2007, vom 31. Mai 2007 und vom 6. Juni 2007 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Januar 2007 bis Juni 2007. Mit Bescheid vom 31. Mai 2007 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 9. Juli 2007 und vom 19. Juli 2007 bewilligte der Beklagte auf den Folgeantrag der Klägerin vom 29. Mai 2007 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Juli 2007 bis Dezember 2007. Auf den Fortzahlungsantrag der Klägerin vom 23. November 2007 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Dezember 2008 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 1. April 2008 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Januar 2008 bis Juni 2008. Hierbei wurde jeweils kein Einkommen des Ehemanns der Klägerin berücksichtigt.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2008 teilte das Hauptzollamt Gießen dem Beklagten unter Beifügung entsprechender Abrechnungsbelege mit, dass der Ehemann der Klägerin als Schrotthändler selbständig tätig gewesen sei und Schrott in erheblicher Höhe an die Firma E. GmbH verkauft habe. Ab dem 22. Juni 2007 ergeben sich für das Kalenderjahr 2007 Verkäufe in Höhe von durchschnittlich 4.553,32 EUR und für das Kalenderjahr 2008 in Höhe von monatlich durchschnittlich 6.213,19 EUR.
Am 2. März 2009 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Rückforderung von 2.992,84 EUR für die Monate Juni 2007 bis Februar 2008 an. Ihr Ehemann habe in dieser Zeit Einkommen aus einer Selbständigkeit erzielt, das anzurechnen sei.
Hierauf teilte die Klägerin am 10. März 2009 mündlich mit, sie habe von der Selbständigkeit ihres Ehemanns nichts gewusst. Ihr Ehemann sei teilweise wochenlang unterwegs und im Übrigen spielsüchtig gewesen. Sie habe daher auch von dem Geld keine Kenntnis gehabt.
Mit Bescheid vom 26. März 2009 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit von Juni 2007 bis Februar 2008 unter anderem gegenüber der Klägerin gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Nr. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahrensrecht und Sozialdatenschutz (SGB X) in Höhe von 2.992,84 EUR und damit in voller Höhe auf. Aufgrund des Einkommens ihres Ehemanns sei die Klägerin in diesem Zeitraum nicht hilfebedürftig gewesen. Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe daher nicht bestanden. Gem. § 50 SGB X sei der überzahlte Betrag zu erstatten.
Hiergegen legte die Klägerin am 15. April 2009 Widerspruch ein. Ihr Ehemann sei spielsüchtig und das Verhältnis mit ihm zerrüttet. Von seinem Einkommen habe sie keine Kenntnis gehabt. Ganz im Gegenteil habe sie kaum Geld zum Leben gehabt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2009 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie habe erstens keine Mitteilung über das Einkommen des Ehemanns gemacht und zweitens die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung erkennen müssen. Hiergegen erhob die Klägerin am 18. August 2009 Klage vor dem Sozialgericht Kassel, die unter dem Aktenzeichen S 9 AS 957/09 geführt wurde. Am 29. Oktober 2010 nahm sie die Klage durch ihren Bevollmächtigten ohne Angabe von Gründen zurück.
Mit Urteil vom 11. August 2010 wurde die Klägerin vom Amtsgericht Kassel im Verfahren 7612 Js 23776/09 wegen Sozialleistungsbetrugs freigesprochen. Es könne ihr nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, dass sie Kenntnis über die Einkünfte ihres Ehemanns gehabt habe. Im November 2010 meldete sich der Ehemann der Klägerin bei der Staatsanwaltschaft Kassel und machte in einer Vernehmung vom 17. Mai 2011 unter anderem folgende Angaben auf die Frage: "Hatte Ihre Frau Kenntnis von Ihrer freiberuflichen Tätigkeit als Schrotthändler?"
"Anwort: Ja, sie hatte Kenntnis darüber, dass ich als Schrotthändler Einkünfte erzielte. Sie hatte jedoch keine Kenntnisse über den Umfang meiner Einkünfte. Ich war damals spielsüchtig und habe das eingenommene Geld verspielt. Die Sozialhilfe wurde demgegenüber auf das Konto meiner Ehefrau überwiesen. Es war so vereinbart, dass ich nicht auf das Konto zugreifen sollte. Daran habe ich mich auch gehalten mit einer Ausnahme, wo ich das Kindergeld abgeholt habe. Ich war persönlich bei der Kindergeldstelle und spiegelte vor, dass meine Frau im Krankenhaus sei. Das ist zwischenzeitlich 15 Jahre her.
[ ...]
Natürlich wusste meine Ehefrau von meiner Selbständigkeit."
Am 21. März 2011 beantragte die Klägerin anwaltlich vertreten die Überprüfung des Bescheids vom 26. März 2009. Es sei nicht zutreffend, dass ihr Ehegatte während des Zeitraums von Juni 2007 bis Februar 2008 Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit als Schrotthändler erzielt habe.
Mit Bescheid vom 23. März 2011 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Auch bei nochmaliger Überprüfung sei der angegriffene Bescheid nicht zu beanstanden. Hiergegen legte die Klägerin am 25. März 2011 Widerspruch ein, den sie nicht näher begründete. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen richtet sich die am 28. April 2011 vor dem Sozialgericht Kassel erhobene Klage der Klägerin, die mit Schriftsatz vom 25. November 2011 auf Nachfrage des Gerichts um die Klage der Sohnes C. A. erweitert wurde. Zur Begründung führt die Klägerin aus, es handele sich um eine fiktive Einkommensanrechnung. Schon der Einkommenszufluss beim Ehemann der Klägerin sei nicht nachgewiesen. Dies ergebe sich auch nicht aus den Quittungen, die das Hauptzollamt vorgelegt habe. In seiner Vernehmung am 17. Mai 2011 habe er dementsprechend auch erklärt aus dem Unternehmen nur sehr wenig Geld bekommen zu haben. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die Beweislast für den Zufluss von Einkommen bei dem Beklagten liege.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. Januar 2014 hat das Sozialgericht Kassel die Klage abgewiesen. Die Klage des dortigen Klägers zu 2., Herrn C. A., sei unzulässig. Er habe nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist des § 87 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Klage erhoben.
Hinsichtlich der Klägerin sei die Klage unbegründet. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X seien nicht gegeben. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 26. März 2009 sei nicht zu beanstanden. Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 8. Dezember 2006 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 18. Dezember 2006, 10. Januar 2007, 5. April 2007, 16. Mai 2007, 31. Mai 2007 und 6. Juni 2007 sowie des Bewilligungsbescheides vom 31. Mai 2007 sei § 48 SGB X. Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung des weiteren Bewilligungsbescheides vom 5. Dezember 2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 1. April 2008 sei § 45 SGB X. Die Leistungsbewilligung für den Zeitraum 1. Juni 2007 bis 28. Februar 2008 sei rechtswidrig gewesen. Die Bedarfsgemeinschaft der Klägerin sei zur Überzeugung des Gerichts im streitgegenständlichen Zeitraum nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB II gewesen. Der zur Bedarfsgemeinschaft der Klägerin gehörende Ehemann habe zur Überzeugung des Gerichts, wie vom Hauptzollamt ermittelt und von dem Beklagten festgestellt, ab Juni 2007 bis Februar 2008 ein solches monatliches Einkommen erzielt, dass die Kläger jedenfalls zusammen mit dem von der Klägerin und ihrer Tochter erzielten Einkommen und des Kindergelds keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt haben. Diese Überzeugung des Gerichts von mehr als bedarfsdeckenden Einkommen beruhe auf den vom Hauptzollamt ermittelten, von der Firma E. an den Ehemann der Klägerin adressierten Belegen über Bareinzahlungen. Diese Überzeugung werde auch nicht dadurch erschüttert, dass die Klägerin bestreite, dass das Geld an Herrn F., einen Geschäftspartner des Ehemannes oder ihren Ehemann ausgezahlt worden sei bzw. behaupte, dass Auszahlungen an Herrn F. dem Ehemann der Klägerin nicht zugerechnet werden könnten. Zweifel an der Richtigkeit der vom Hauptzollamt ermittelten Auszahlungsbelege habe das Gericht nicht. Gründe, warum die Firma E. dem Hauptzollamt falsche Unterlagen ausgehändigt haben sollte, würden selbst die Kläger nicht nennen. Die Belege seien an den Ehemann der Klägerin adressiert. Das Gericht halte es bei einem Teil der Unterlagen zwar für möglich, dass nicht der Ehemann der Klägerin, sondern Herr F. Schrott verkauft und Bargeld oder einen Barscheck erhalten habe. Soweit Herr F. das Geld aber nicht an den Ehemann der Klägerin weitergegeben hätte, müsse dieser das aber mit Herrn F. im lnnenverhältnis klären. Der Ehemann der Klägerin habe das Gewerbe angemeldet und es auf seinen Namen mit Herrn F. als Geschäftspartner betrieben. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln (§ 164 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB -) berühre etwaiges zweck- und pflichtwidriges Handeln des Vertreters das Außenverhältnis zum Geschäftspartner grundsätzlich nicht. Das Gesetz kenne keine allgemeine Beschränkung der Vertretungsmacht in dem Sinne, dass sie nur soweit reiche, als der Vertreter von ihr pflichtgemäßen Gebrauch mache. Da das Gericht die Angaben der Klägerin, dass ein Teil des Geldes an Herrn F. ausgezahlt worden sei, als wahr unterstelle und lediglich in der rechtlichen Würdigung dieses Umstandes differiere, sei eine Zeugenvernehmung entbehrlich gewesen. Nicht erheblich sei auch die Frage, wer die Barschecks eingelöst habe. Auch sehe das Gericht insofern keine technische Möglichkeit, dies über die Firma E. nachzuvollziehen. Damit könne das Gericht dahinstehen lassen, dass der Antrag auf Anhörung eines Mitarbeiters der Firma E. ein unbestimmter, auf Ausforschung gerichteter und damit unzulässiger Antrag sei, die Klägerin hinsichtlich keines Zeugen ladungsfähige Anschriften genannt habe, und der Ehemann der Klägerin aufgrund der gegen ihn verhängten Einreisesperre nicht erreichbar sei. Das Gericht hege auch keine Bedenken gegen die Art und Weise, wie der Beklagte das Einkommen angerechnet habe. Nach § 2a der ab 1. Januar 2007 gültigen Arbeitslostengeld – II – Verordnung (ALG II-VO) bzw. § 3 Abs. 4 und 5 der ab 1. Januar 2008 gültigen ALG II-VO sei bei selbständiger Tätigkeit nicht der einzelne Monat zu betrachten, sondern für jeden Monat der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Jahr bzw. im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monat ergebe. Das so ermittelte Einkommen des Ehemanns der Klägerin sei derart hoch, dass es auch bei Berücksichtigung von Freibeträgen, zusammen mit den dem Beklagten bereits zuvor bekannten Einkommen der Klägerin und ihrer Tochter, bei weitem ausgereicht habe, den Bedarf der gesamten Bedarfsgemeinschaft zu decken. Nicht entlasten könne die Klägerin ferner, dass sie vortrage von den Einkünften aus dem Schrotthandel nichts gewusst zu haben. Auch dies sei etwas, dass sie im Innenverhältnis mit dem Ehemann bzw. Vater klären müsse, und was jedenfalls nicht zu Lasten des Beklagten und der Allgemeinheit gehen könne. Im Übrigen stimme die Behauptung der Klägerin, nichts von den Einkünften gewusst zu haben, nicht mit den letztendlichen Ermittlungsergebnissen überein. Der Ehemann der Klägerin habe diese, nachdem das strafrechtliche Urteil vorgelegen habe, gegenüber der Staatsanwaltschaft schwer belastet. Im Rahmen von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X und damit hinsichtlich der Aufhebung der Bewilligungsbescheide vom 8. Dezember 2006 und 31. Mai 2007 für den Zeitraum 1. Juni 2007 bis 31. Dezember 2007 komme es auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit der Klägerin aber auch überhaupt nicht an. Es genüge die reine Erwirtschaftung von Einkommen. Insgesamt hätte die Klägerin nach Überzeugung des Gerichts gewusst oder zumindest wissen müssen, dass die Angaben hinsichtlich des Einkommens in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht worden seien (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X bzw. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X) und hätte die Rechtswidrigkeit der Bewilligungen des Beklagten kennen müssen oder lediglich infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X bzw. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X).
Gegen den am 20. Januar 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat (nur) die Klägerin am 19. Februar 2014 Berufung eingelegt.
Sie meint, der Sachverhalt sei nicht hinreichend aufgeklärt. Insbesondere müsse der Ehemann der Klägerin als Zeuge dazu gehört werden, wieviel Geld er aus dem Schrotthandel erlöst habe. Sie rügt, das Sozialgericht verweise zu Unrecht auf zivilrechtliche Normen. Für das Grundsicherungsrecht komme es lediglich auf den tatsächlichen Zufluss an. Dass ihr Ehemann nicht nach Deutschland reisen dürfe, sei kein Argument, auf seine Einvernahme zu verzichten. Diese hätte notfalls im Rahmen eines Rechtshilfegesuchs auch in Albanien erfolgen können.
Die Klägerin beantragt schriftlich und sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 15. Januar 2014 und den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. April 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 26. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Auf Nachfrage des Gerichts hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt, eine Anschrift des Herrn F. sei nicht bekannt und auch weitere Ermittlungsmöglichkeiten für das Gericht würden nicht gesehen. Eine Einwohnermeldeamtsabfrage hinsichtlich des Ehemanns der Klägerin ist ergebnislos geblieben.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten und der beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 15. Januar 2014 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. April 2011 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch gem. § 44 SGB X auf Aufhebung des Bescheids vom 26. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2009 über die Aufhebung und Erstattung für die Monate Juni 2007 bis Februar 2008.
Gem. § 44 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen vom 26. März 2009 und vom 14. Juli 2009 sind im Ergebnis rechtmäßig.
I.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 8. Dezember 2006 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 18. Dezember 2006, vom 10. Januar 2007, vom 5. April 2007, vom 16. Mai 2007, vom 31. Mai 2007 und vom 6. Juni 2007 für den Monat Juni 2007 ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X. Hiernach gilt, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit (Nr. 2) der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist oder (Nr. 3) nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Gem. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) handelt es sich für diesen Fall um eine gebundene, nicht um eine Ermessensentscheidung.
Im vorliegenden Fall ist es (jedenfalls) für den Monat Juni 2007 zu einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gekommen, in dem der Ehemann der Klägerin, als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin, bedarfsdeckend Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit erzielt hat, welches bei Erlass der Verwaltungsakts im Dezember 2006 noch nicht gegeben war. Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt vor, wenn der Sachverhalt, der dem maßgeblichen Bescheid zugrunde lag, so nicht mehr gegeben ist. (Brandenburg, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 48 SGB X, Rn. 54).
Der Ehemann der Klägerin hat zur Überzeugung des Senats nach Durchführung sämtlicher möglicher Ermittlungen nach Lage der Akten Einkommen in Höhe von 4098,00 EUR erzielt. Der Senat stützt sich seine Überzeugung auf die schlüssigen und nachvollziehbaren Berechnungen des Beklagten, der sich wiederum auf die Ermittlungen des Hauptzollamts Gießen stützt (Bl. 698 ff. der Verwaltungsakte des Beklagten). Das Hauptzollamt hat hierzu in nicht zu beanstandender Weise die Zahlungsbelege der Firma E. GmbH Rohstoffgroßhandel ausgewertet (Bl. 367 ff. der Verwaltungsakte des Beklagten). Zwar hat der Ehemann der Kläger bei seiner Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Kassel am 17. Mai 2011 (Bl. 223 der Gerichtsakte) angegeben, dass, nachdem er anlässlich der Beantragung eines Aufenthaltstitels bei der Ausländerbehörde erfahren habe, dass er nicht selbständig tätig sein durfte, die Einkünfte im Wesentlichen noch sein Geschäftspartner Herr F. erzielt habe. Er habe das unter seinem Gewerbe angemeldete Unternehmen genutzt und auch das Geld erhalten. Der Ehemann selbst habe nur wenig Geld bekommen. Diese Behauptung ist aber völlig unbelegt und findet insbesondere in den vom Hauptzollamt ermittelten Belegen der Firma E., die jeweils auf den Namen des Ehemanns der Klägerin ausgestellt sind, keine Stütze. Im Übrigen ist es aus grundsicherungsrechtlicher Perspektive nicht weiter beachtlich, wenn der Ehemann der Klägerin – wohl sogar ohne Rechtsgrund – die erhaltenen Erlöse an seinen Geschäftspartner weitergegeben hätte; maßgeblich ist insoweit zunächst ausschließlich der tatsächlich zugeflossene Gewinn des Unternehmens (vgl. Sächsisches LSG Beschluss v. 16. April 2013 – L 3 AS 1311/12 B ER).
Weitere Ermittlungsmöglichkeiten hinsichtlich des Verbleibs der Einnahmen aus den Geschäften mit der Firma E. hatte der Senat nicht. Insbesondere der Ehemann der Klägerin als auch der als Zeuge in Betracht kommende ehemalige Geschäftspartner F. für den Senat unerreichbar. Zwar hat das Gericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht alle verfügbaren Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen, § 103 SGG (BSG, Urteil vom 11. Dezember 1969 – GS 2/68 Rn. 73; Müller, JuS 2014, 324 ff.). Das Gericht ist aber nicht angehalten, Ermittlungsmöglichkeiten zu verfolgen, die unerreichbar sind (BSG, Beschluss vom 16. Mai 2007 – B 11b AS 37/06 B Rn. 10; Müller, in: Roos/Wahrendorf, 1. Aufl. 2014 § 103 Rn. 13). Unerreichbarkeit ist nicht alleine deshalb anzunehmen, weil hierzu Ermittlungen im Ausland anzustellen wären bzw. Rechtshilfe durch ein ausländisches Gericht in Anspruch genommen werden müssten (BSG, Urteil vom 6. Februar 1991 – 1/3 RK 3/90 Rn. 18; BVerwG, Urteil vom 28. Juli 1977 – III C 17.74). Unerreichbarkeit liegt ferner nicht bereits dann vor, wenn ein Zeuge nicht erscheint, oder erklärt, nicht aussagen zu wollen, obwohl ihm ein Recht zur Zeugnis- oder Aussageverweigerung nicht zusteht. Im vorliegenden Fall konnte aber der tatsächliche Aufenthaltsort weder des Ehemanns der Klägerin noch des Herrn F. ermittelt werden. Durch seine Nachfragen beim Klägervertreter, bei der Staatsanwaltschaft und beim Einwohnermeldeamt hat der Senat sämtliche Möglichkeiten erschöpft, eine weitergehende Befragung zu ermöglichen.
Nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten ist die Tatsache des Einkommenszuflusses daher nach den Grundsätzen der objektiven Beweis- bzw. Feststellungslast zu beurteilen (BSG, Urteil vom 26. November 1992 – 7 RAr 38/92; BSG, Urteil vom 24. Mai 2006 – B 11a AL 7/05 R Rn. 32f.; BSG, Urteil vom 21. März 2007 - B 11a AL 21/06 R; BSG, Urteil vom 8. September 2010 – B 11 AL 4/09 R Rn. 17; Müller, in: Roos/Wahrendorf, 1. Aufl. 2014 § 103 Rn. 16, 43). Allgemein gilt, dass derjenige die objektive Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft das Vorhandensein der positiven und das Fehlen der negativen Tatbestandsvoraussetzungen. Für das Vorliegen von Ausnahmevorschriften trägt derjenige die Beweislast, der sich auf diese Norm beruft. Für belastende Aufhebungsentscheidungen trägt die Behörde die Beweislast (BSG, Urteil vom 13. September 2006 – B 11a AL 13/06 R Rn. 18; BSG, Urteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a/7 AL 102/04 R Rn. 13 ff.; BSG, Urteil vom 2. April 2009 – B 2 U 25/07 R). Eine Umkehr der Beweislast ist jedoch anzunehmen, wenn es um Tatsachen geht, die sich ausschließlich in der Sphäre eines Beteiligten befinden (sog. besondere Beweisnähe BSG, Urteil vom 13. September 2006 – B 11a AL 13/06 R Rn. 18; BSG, Urteil vom 21. März 2007 – B 11a AL 21/06 R Rn. 18). Unabhängig davon, ob dies hier zulasten der Klägerin anzunehmen ist, weil die besondere Beweisnähe unmittelbar nur für ihren Ehemann vorlag, zu dem ihr Verhältnis offensichtlich zerrüttet war, trifft sie aber hier die Beweislast ohnehin wegen ihrer verfahrensrechtlichen Situation im Rahmen eines Überprüfungsantrags gem. § 44 SGB X. Insoweit ist es die Klägerin, die die Beweislast für die für sie positive unrichtige Sachverhaltsgrundlage trägt. Die Beweislastverteilung bestimmt sich immer nach dem Regelungsgefüge der für den Rechtsstreit maßgebenden Norm, hier § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Es geht zu Lasten der Klägerin, wenn das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der unrichtigen Sachverhaltsgrundlage nicht festgestellt werden kann (BSG, Urteil vom 25. Juni 2002 B 11 AL 3/02 R –, Rn. 17; vgl. auch von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., 2014 § 44 Rn. 12).
In rechtlicher Hinsicht hat der Beklagte typisierend unterstellt, dass zur Erzielung des Umsatzes Betriebsausgaben in Höhe von 10 Prozent des Umsatzes erforderlich waren. Dies ist in Ermangelung von weiteren Anhaltspunkten bzw. Vortrags der Klägerin und Zugrundelegung von Erfahrungswerten, die der Senat teilt, nicht zu beanstanden. Die monatliche Durchschnittsberechnung beruht auf § 2a der ab 1. Januar 2007 gültigen ALG II-VO bzw. § 3 Abs. 1 und 4 der ab 1. Januar 2008 gültigen ALG II-VO, wonach bei der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft ist von den Betriebseinnahmen auszugehen ist. Wird eine Erwerbstätigkeit nach Satz 1 nur während eines Teils des Bewilligungszeitraums ausgeübt, ist das Einkommen nur für diesen Zeitraum zu berechnen. Für jeden Monat ist der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Im Fall des Absatzes 1 Satz 3 (Erwerbstätigkeit nur während eines Teiles des Bewilligungsabschnittes) gilt als monatliches Einkommen derjenige Teil des Einkommens, der der Anzahl der in den genannten Zeitraum fallenden Monate entspricht. Fehler in der Berechnung des Beklagten sind weder ersichtlich, noch wurden sie von der Klägerin geltend gemacht.
Durch das monatliche Einkommen des Ehemanns der Klägerin ist die wirtschaftliche Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft und damit der Anspruch der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auf Leistungen nach dem SGB II entfallen, § 19 Abs. 1, §§ 7, 9 SGB II. Der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft für Juni 2007 belief sich ausweislich der nicht beanstandeten und auch nicht ersichtlich fehlerbehafteten Berechnungen des Beklagten auf insgesamt 1.388,84 EUR (Rückseite Bl. 802 der Verwaltungsakte des Beklagten). Dieser Bedarf war durch das Einkommen des Ehemanns der Klägerin, das gem. § 9 Abs. 2 SGB II zu berücksichtigen war, offenkundig gedeckt. Gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II gehörte der Ehemann der Klägerin zur Bedarfsgemeinschaft. Von einem dauernden Getrenntleben, war trotz der offenkundigen Zerrüttung der ehelichen Verhältnisse nicht auszugehen. Auch ausweislich der Niederschrift des Erörterungstermins vom 20. Mai 2015 verschwand der Ehemann zwar durchaus für längere Zeit aus dem familiären Umfeld, kehrte aber auch wieder zurück, so dass es an der Dauerhaftigkeit einer Trennung fehlt. Zur Beurteilung der Frage, ob die Ehegatten nicht dauerhaft getrennt leben, sind die familienrechtlichen Grundsätze zum Gegenbegriff Getrenntleben (vgl. § 1567 BGB) heranzuziehen. Ein dauerhaftes Getrenntleben ist anzunehmen, wenn nach den tatsächlichen Verhältnissen davon auszugehen ist, dass eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben worden ist. Getrenntleben liegt nicht schon bei jeder räumlichen Trennung vor, insbesondere dann nicht, wenn mit der Fortführung der Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft zu rechnen ist. Die Trennung muss mehr als nur vorübergehender Natur sein (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 7, Rn. 164).
Die weiteren Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X sind ebenfalls erfüllt. Die Voraussetzung des Nr. 3 (Erzielung von Einkommen) liegt bereits offensichtlich vor. Zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin im Übrigen ihrer Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Veränderungen der Verhältnisse mindestens grob fahrlässig nicht nachgekommen, in dem sie das Einkommen bzw. die Einkommenserzielung ihres Ehemanns nicht angezeigt hat. Hierunter ist die Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße zu verstehen. Für die Erfüllung der groben Fahrlässigkeit reicht es also nicht aus, dass der Betroffene Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit seiner Angaben hat, sondern die Zweifel müssen so ausgestaltet sein, dass es für jeden erkennbar wäre, dass hier wenigstens eine Nachfrage notwendig wäre (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 45 SGB X, Rn. 87). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Im Gegensatz zum Vortrag der Klägerin, sie habe keine Kenntnis von der Einkommenserzielung ihres Ehemanns gehabt, geht der Senat insoweit von einer bloßen Schutzbehauptung aus. Hierfür spricht, dass die Klägerin selbst vorträgt, sie habe dem Ehemann zumeist seinen Anteil an den SGB II – Leistungen der Bedarfsgemeinschaft nicht ausbezahlt. Es lag daher auch für sie auf der Hand, dass ihr Ehemann eine andere Einkommensquelle gehabt haben muss. In seiner staatsanwaltlichen Vernehmung vom 17. Mai 2011 (Bl. 223 der Gerichtsakte) hat dann auch der Ehemann der Klägerin eindeutig erklärt, dass seine Ehefrau von seiner Selbständigkeit wusste und auch, dass er aus dieser Tätigkeit Einnahmen erzielte. Lediglich in welcher Höhe dieser Einnahmen hatte, war ihr wohl unbekannt. Jedenfalls die Angabe der Tätigkeit des Ehemanns an sich wäre aber von der Klägerin verlangt gewesen, § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I). Dass sie hierzu verpflichtet gewesen wäre, hätte sich ihr auch aufdrängen müssen, weil die von ihr ausgefüllten Formulare des Beklagten zur Weiterbewilligung entsprechende Nachfragen klar und verständlich formuliert enthalten.
Der Beklagte konnte die Veränderung der Verhältnisse gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auch für die Vergangenheit berücksichtigen. Die Aufhebung ist in dieser Höhe auch zulässig, weil insoweit rechtswidriger Doppelbezug – hier in Form von Einkommen einerseits und der Grundsicherungsleistung andererseits – vorlag (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1995 – 13 RJ 39/94).
Dass der Aufhebungsbescheid in seinem Verfügungssatz nicht sämtliche Änderungsbescheide nennt, führt nicht zu seiner Rechtswidrigkeit. Er ist insbesondere hinreichend bestimmt, weil sich auf Grund der konkreten Benennung des von der Aufhebung betroffenen Zeitraums auch aus der Sicht des Betroffenen kein Zweifel am Inhalt des von der Behörde Verfügten ergeben kann (BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 196/11 R; Urteil des Senats vom 12. November 2013 – L 6 AS 491/11 Rn. 47). Im Übrigen enthält der Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2009 eine entsprechende Klarstellung.
Die Rücknahmefristen gem. § 48 Abs. 4 SGB X sind gewahrt.
Die Erstattungsforderung beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Auch insoweit beeinträchtigt die fehlende Nennung sämtlicher Änderungsbescheide im Verfügungssatz des Aufhebungsbescheids die Erstattungsforderung nicht (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 196/11 R), weil spätestens mit dem Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 14. Juli 2009, der die Änderungsbescheide sämtlich aufzählt, mit ausreichender Bestimmtheit klargestellt wird, dass diese ebenfalls aufgehoben werden.
Sowohl die Aufhebung als auch die Erstattung wurde hinsichtlich der Berechnungsposten von der Klägerin nicht gerügt und weisen auch keine ersichtlichen Fehler auf.
II.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheids vom 31. Mai 2007 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 9. Juli 2007 für die Zeit von Juli 2007 bis Dezember 2007 und des Bescheids vom 4. Dezember 2008 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 1. April 2008 für die Zeit von Januar 2008 bis Juni 2008 ist § 45 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 SGB X. Danach gilt, dass soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, (nur) unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden darf. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit (Nr. 2) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Gem. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III handelt es sich für diesen Fall um eine gebundene, nicht um eine Ermessensentscheidung.
Im vorliegenden Fall waren die Bewilligungsbescheide – wie oben dargestellt – für die Monate Juli 2007 bis (mindestens) Februar 2008 von Anfang an rechtswidrig, weil eine wirtschaftliche Hilfebedürftigkeit und damit ein Leistungsanspruch nach dem SGB II der Bedarfsgemeinschaft nicht gegeben war. Für die Zeit von Juli 2007 bis Dezember 2007 ist ebenfalls von einem Einkommen in Höhe von 4098,00 EUR, für die Monate Januar und Februar 2008 von 5.592,87 EUR auszugehen (jeweils berechnet nach dem durchschnittlichen monatlichen Umsatz ausweislich der Belege des Hauptzollamts abzüglich 10 % geschätzter Betriebsausgaben). Diese Rechtswidrigkeit beruhte auf der Nichtangabe der selbständigen Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin und damit auf unvollständigen Angaben in den Fortzahlungsanträgen durch die Klägerin.
Die Rücknahmefrist gem. § 45 Abs. 4 SGB X ist gewahrt. Die Erstattungsforderung beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Sowohl die Aufhebung als auch die Erstattung wurde hinsichtlich der Berechnungsposten von der Klägerin nicht gerügt und weisen auch keine ersichtlichen Fehler auf.
Der Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 SGG liegen nicht vor.
II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Überprüfung eines Bescheids zur Aufhebung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Monate Juni 2007 bis Februar 2008; in der Berufungsinstanz noch in Höhe von insgesamt 2.992,84 EUR.
Die 1962 geborene Klägerin stand bei dem Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum im Leistungsbezug nach dem SGB II. Sie ist Mutter von drei Kindern. Der 1993 geborene C. A. ist vor dem Sozialgericht noch als Kläger zu 2 aufgetreten. Ab 1. Juli 2006 lebte auch der zuvor getrennt lebende Ehemann der Klägerin, D. A., wieder in der Wohnung der Familie.
Aufgrund des Fortzahlungsantrags der Klägerin vom 8. Dezember 2006 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Dezember 2006 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 18. Dezember 2006, vom 10. Januar 2007, vom 5. April 2007, vom 16. Mai 2007, vom 31. Mai 2007 und vom 6. Juni 2007 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Januar 2007 bis Juni 2007. Mit Bescheid vom 31. Mai 2007 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 9. Juli 2007 und vom 19. Juli 2007 bewilligte der Beklagte auf den Folgeantrag der Klägerin vom 29. Mai 2007 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Juli 2007 bis Dezember 2007. Auf den Fortzahlungsantrag der Klägerin vom 23. November 2007 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 5. Dezember 2008 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 1. April 2008 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Januar 2008 bis Juni 2008. Hierbei wurde jeweils kein Einkommen des Ehemanns der Klägerin berücksichtigt.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2008 teilte das Hauptzollamt Gießen dem Beklagten unter Beifügung entsprechender Abrechnungsbelege mit, dass der Ehemann der Klägerin als Schrotthändler selbständig tätig gewesen sei und Schrott in erheblicher Höhe an die Firma E. GmbH verkauft habe. Ab dem 22. Juni 2007 ergeben sich für das Kalenderjahr 2007 Verkäufe in Höhe von durchschnittlich 4.553,32 EUR und für das Kalenderjahr 2008 in Höhe von monatlich durchschnittlich 6.213,19 EUR.
Am 2. März 2009 hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Rückforderung von 2.992,84 EUR für die Monate Juni 2007 bis Februar 2008 an. Ihr Ehemann habe in dieser Zeit Einkommen aus einer Selbständigkeit erzielt, das anzurechnen sei.
Hierauf teilte die Klägerin am 10. März 2009 mündlich mit, sie habe von der Selbständigkeit ihres Ehemanns nichts gewusst. Ihr Ehemann sei teilweise wochenlang unterwegs und im Übrigen spielsüchtig gewesen. Sie habe daher auch von dem Geld keine Kenntnis gehabt.
Mit Bescheid vom 26. März 2009 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit von Juni 2007 bis Februar 2008 unter anderem gegenüber der Klägerin gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, Nr. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahrensrecht und Sozialdatenschutz (SGB X) in Höhe von 2.992,84 EUR und damit in voller Höhe auf. Aufgrund des Einkommens ihres Ehemanns sei die Klägerin in diesem Zeitraum nicht hilfebedürftig gewesen. Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II habe daher nicht bestanden. Gem. § 50 SGB X sei der überzahlte Betrag zu erstatten.
Hiergegen legte die Klägerin am 15. April 2009 Widerspruch ein. Ihr Ehemann sei spielsüchtig und das Verhältnis mit ihm zerrüttet. Von seinem Einkommen habe sie keine Kenntnis gehabt. Ganz im Gegenteil habe sie kaum Geld zum Leben gehabt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2009 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie habe erstens keine Mitteilung über das Einkommen des Ehemanns gemacht und zweitens die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung erkennen müssen. Hiergegen erhob die Klägerin am 18. August 2009 Klage vor dem Sozialgericht Kassel, die unter dem Aktenzeichen S 9 AS 957/09 geführt wurde. Am 29. Oktober 2010 nahm sie die Klage durch ihren Bevollmächtigten ohne Angabe von Gründen zurück.
Mit Urteil vom 11. August 2010 wurde die Klägerin vom Amtsgericht Kassel im Verfahren 7612 Js 23776/09 wegen Sozialleistungsbetrugs freigesprochen. Es könne ihr nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, dass sie Kenntnis über die Einkünfte ihres Ehemanns gehabt habe. Im November 2010 meldete sich der Ehemann der Klägerin bei der Staatsanwaltschaft Kassel und machte in einer Vernehmung vom 17. Mai 2011 unter anderem folgende Angaben auf die Frage: "Hatte Ihre Frau Kenntnis von Ihrer freiberuflichen Tätigkeit als Schrotthändler?"
"Anwort: Ja, sie hatte Kenntnis darüber, dass ich als Schrotthändler Einkünfte erzielte. Sie hatte jedoch keine Kenntnisse über den Umfang meiner Einkünfte. Ich war damals spielsüchtig und habe das eingenommene Geld verspielt. Die Sozialhilfe wurde demgegenüber auf das Konto meiner Ehefrau überwiesen. Es war so vereinbart, dass ich nicht auf das Konto zugreifen sollte. Daran habe ich mich auch gehalten mit einer Ausnahme, wo ich das Kindergeld abgeholt habe. Ich war persönlich bei der Kindergeldstelle und spiegelte vor, dass meine Frau im Krankenhaus sei. Das ist zwischenzeitlich 15 Jahre her.
[ ...]
Natürlich wusste meine Ehefrau von meiner Selbständigkeit."
Am 21. März 2011 beantragte die Klägerin anwaltlich vertreten die Überprüfung des Bescheids vom 26. März 2009. Es sei nicht zutreffend, dass ihr Ehegatte während des Zeitraums von Juni 2007 bis Februar 2008 Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit als Schrotthändler erzielt habe.
Mit Bescheid vom 23. März 2011 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag ab. Auch bei nochmaliger Überprüfung sei der angegriffene Bescheid nicht zu beanstanden. Hiergegen legte die Klägerin am 25. März 2011 Widerspruch ein, den sie nicht näher begründete. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2011 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen richtet sich die am 28. April 2011 vor dem Sozialgericht Kassel erhobene Klage der Klägerin, die mit Schriftsatz vom 25. November 2011 auf Nachfrage des Gerichts um die Klage der Sohnes C. A. erweitert wurde. Zur Begründung führt die Klägerin aus, es handele sich um eine fiktive Einkommensanrechnung. Schon der Einkommenszufluss beim Ehemann der Klägerin sei nicht nachgewiesen. Dies ergebe sich auch nicht aus den Quittungen, die das Hauptzollamt vorgelegt habe. In seiner Vernehmung am 17. Mai 2011 habe er dementsprechend auch erklärt aus dem Unternehmen nur sehr wenig Geld bekommen zu haben. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass die Beweislast für den Zufluss von Einkommen bei dem Beklagten liege.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. Januar 2014 hat das Sozialgericht Kassel die Klage abgewiesen. Die Klage des dortigen Klägers zu 2., Herrn C. A., sei unzulässig. Er habe nicht innerhalb der einmonatigen Klagefrist des § 87 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Klage erhoben.
Hinsichtlich der Klägerin sei die Klage unbegründet. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X seien nicht gegeben. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 26. März 2009 sei nicht zu beanstanden. Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 8. Dezember 2006 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 18. Dezember 2006, 10. Januar 2007, 5. April 2007, 16. Mai 2007, 31. Mai 2007 und 6. Juni 2007 sowie des Bewilligungsbescheides vom 31. Mai 2007 sei § 48 SGB X. Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung des weiteren Bewilligungsbescheides vom 5. Dezember 2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 1. April 2008 sei § 45 SGB X. Die Leistungsbewilligung für den Zeitraum 1. Juni 2007 bis 28. Februar 2008 sei rechtswidrig gewesen. Die Bedarfsgemeinschaft der Klägerin sei zur Überzeugung des Gerichts im streitgegenständlichen Zeitraum nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB II gewesen. Der zur Bedarfsgemeinschaft der Klägerin gehörende Ehemann habe zur Überzeugung des Gerichts, wie vom Hauptzollamt ermittelt und von dem Beklagten festgestellt, ab Juni 2007 bis Februar 2008 ein solches monatliches Einkommen erzielt, dass die Kläger jedenfalls zusammen mit dem von der Klägerin und ihrer Tochter erzielten Einkommen und des Kindergelds keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt haben. Diese Überzeugung des Gerichts von mehr als bedarfsdeckenden Einkommen beruhe auf den vom Hauptzollamt ermittelten, von der Firma E. an den Ehemann der Klägerin adressierten Belegen über Bareinzahlungen. Diese Überzeugung werde auch nicht dadurch erschüttert, dass die Klägerin bestreite, dass das Geld an Herrn F., einen Geschäftspartner des Ehemannes oder ihren Ehemann ausgezahlt worden sei bzw. behaupte, dass Auszahlungen an Herrn F. dem Ehemann der Klägerin nicht zugerechnet werden könnten. Zweifel an der Richtigkeit der vom Hauptzollamt ermittelten Auszahlungsbelege habe das Gericht nicht. Gründe, warum die Firma E. dem Hauptzollamt falsche Unterlagen ausgehändigt haben sollte, würden selbst die Kläger nicht nennen. Die Belege seien an den Ehemann der Klägerin adressiert. Das Gericht halte es bei einem Teil der Unterlagen zwar für möglich, dass nicht der Ehemann der Klägerin, sondern Herr F. Schrott verkauft und Bargeld oder einen Barscheck erhalten habe. Soweit Herr F. das Geld aber nicht an den Ehemann der Klägerin weitergegeben hätte, müsse dieser das aber mit Herrn F. im lnnenverhältnis klären. Der Ehemann der Klägerin habe das Gewerbe angemeldet und es auf seinen Namen mit Herrn F. als Geschäftspartner betrieben. Nach allgemeinen zivilrechtlichen Regeln (§ 164 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB -) berühre etwaiges zweck- und pflichtwidriges Handeln des Vertreters das Außenverhältnis zum Geschäftspartner grundsätzlich nicht. Das Gesetz kenne keine allgemeine Beschränkung der Vertretungsmacht in dem Sinne, dass sie nur soweit reiche, als der Vertreter von ihr pflichtgemäßen Gebrauch mache. Da das Gericht die Angaben der Klägerin, dass ein Teil des Geldes an Herrn F. ausgezahlt worden sei, als wahr unterstelle und lediglich in der rechtlichen Würdigung dieses Umstandes differiere, sei eine Zeugenvernehmung entbehrlich gewesen. Nicht erheblich sei auch die Frage, wer die Barschecks eingelöst habe. Auch sehe das Gericht insofern keine technische Möglichkeit, dies über die Firma E. nachzuvollziehen. Damit könne das Gericht dahinstehen lassen, dass der Antrag auf Anhörung eines Mitarbeiters der Firma E. ein unbestimmter, auf Ausforschung gerichteter und damit unzulässiger Antrag sei, die Klägerin hinsichtlich keines Zeugen ladungsfähige Anschriften genannt habe, und der Ehemann der Klägerin aufgrund der gegen ihn verhängten Einreisesperre nicht erreichbar sei. Das Gericht hege auch keine Bedenken gegen die Art und Weise, wie der Beklagte das Einkommen angerechnet habe. Nach § 2a der ab 1. Januar 2007 gültigen Arbeitslostengeld – II – Verordnung (ALG II-VO) bzw. § 3 Abs. 4 und 5 der ab 1. Januar 2008 gültigen ALG II-VO sei bei selbständiger Tätigkeit nicht der einzelne Monat zu betrachten, sondern für jeden Monat der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Jahr bzw. im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monat ergebe. Das so ermittelte Einkommen des Ehemanns der Klägerin sei derart hoch, dass es auch bei Berücksichtigung von Freibeträgen, zusammen mit den dem Beklagten bereits zuvor bekannten Einkommen der Klägerin und ihrer Tochter, bei weitem ausgereicht habe, den Bedarf der gesamten Bedarfsgemeinschaft zu decken. Nicht entlasten könne die Klägerin ferner, dass sie vortrage von den Einkünften aus dem Schrotthandel nichts gewusst zu haben. Auch dies sei etwas, dass sie im Innenverhältnis mit dem Ehemann bzw. Vater klären müsse, und was jedenfalls nicht zu Lasten des Beklagten und der Allgemeinheit gehen könne. Im Übrigen stimme die Behauptung der Klägerin, nichts von den Einkünften gewusst zu haben, nicht mit den letztendlichen Ermittlungsergebnissen überein. Der Ehemann der Klägerin habe diese, nachdem das strafrechtliche Urteil vorgelegen habe, gegenüber der Staatsanwaltschaft schwer belastet. Im Rahmen von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X und damit hinsichtlich der Aufhebung der Bewilligungsbescheide vom 8. Dezember 2006 und 31. Mai 2007 für den Zeitraum 1. Juni 2007 bis 31. Dezember 2007 komme es auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit der Klägerin aber auch überhaupt nicht an. Es genüge die reine Erwirtschaftung von Einkommen. Insgesamt hätte die Klägerin nach Überzeugung des Gerichts gewusst oder zumindest wissen müssen, dass die Angaben hinsichtlich des Einkommens in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht worden seien (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X bzw. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X) und hätte die Rechtswidrigkeit der Bewilligungen des Beklagten kennen müssen oder lediglich infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X bzw. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X).
Gegen den am 20. Januar 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat (nur) die Klägerin am 19. Februar 2014 Berufung eingelegt.
Sie meint, der Sachverhalt sei nicht hinreichend aufgeklärt. Insbesondere müsse der Ehemann der Klägerin als Zeuge dazu gehört werden, wieviel Geld er aus dem Schrotthandel erlöst habe. Sie rügt, das Sozialgericht verweise zu Unrecht auf zivilrechtliche Normen. Für das Grundsicherungsrecht komme es lediglich auf den tatsächlichen Zufluss an. Dass ihr Ehemann nicht nach Deutschland reisen dürfe, sei kein Argument, auf seine Einvernahme zu verzichten. Diese hätte notfalls im Rahmen eines Rechtshilfegesuchs auch in Albanien erfolgen können.
Die Klägerin beantragt schriftlich und sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 15. Januar 2014 und den Bescheid des Beklagten vom 23. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. April 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 26. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt schriftlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Auf Nachfrage des Gerichts hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erklärt, eine Anschrift des Herrn F. sei nicht bekannt und auch weitere Ermittlungsmöglichkeiten für das Gericht würden nicht gesehen. Eine Einwohnermeldeamtsabfrage hinsichtlich des Ehemanns der Klägerin ist ergebnislos geblieben.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten und der beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 15. Januar 2014 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid des Beklagten vom 23. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. April 2011 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch gem. § 44 SGB X auf Aufhebung des Bescheids vom 26. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2009 über die Aufhebung und Erstattung für die Monate Juni 2007 bis Februar 2008.
Gem. § 44 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen vom 26. März 2009 und vom 14. Juli 2009 sind im Ergebnis rechtmäßig.
I.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 8. Dezember 2006 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 18. Dezember 2006, vom 10. Januar 2007, vom 5. April 2007, vom 16. Mai 2007, vom 31. Mai 2007 und vom 6. Juni 2007 für den Monat Juni 2007 ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X. Hiernach gilt, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit (Nr. 2) der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist oder (Nr. 3) nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Gem. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) handelt es sich für diesen Fall um eine gebundene, nicht um eine Ermessensentscheidung.
Im vorliegenden Fall ist es (jedenfalls) für den Monat Juni 2007 zu einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gekommen, in dem der Ehemann der Klägerin, als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin, bedarfsdeckend Einkommen aus einer selbständigen Tätigkeit erzielt hat, welches bei Erlass der Verwaltungsakts im Dezember 2006 noch nicht gegeben war. Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse liegt vor, wenn der Sachverhalt, der dem maßgeblichen Bescheid zugrunde lag, so nicht mehr gegeben ist. (Brandenburg, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 48 SGB X, Rn. 54).
Der Ehemann der Klägerin hat zur Überzeugung des Senats nach Durchführung sämtlicher möglicher Ermittlungen nach Lage der Akten Einkommen in Höhe von 4098,00 EUR erzielt. Der Senat stützt sich seine Überzeugung auf die schlüssigen und nachvollziehbaren Berechnungen des Beklagten, der sich wiederum auf die Ermittlungen des Hauptzollamts Gießen stützt (Bl. 698 ff. der Verwaltungsakte des Beklagten). Das Hauptzollamt hat hierzu in nicht zu beanstandender Weise die Zahlungsbelege der Firma E. GmbH Rohstoffgroßhandel ausgewertet (Bl. 367 ff. der Verwaltungsakte des Beklagten). Zwar hat der Ehemann der Kläger bei seiner Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft Kassel am 17. Mai 2011 (Bl. 223 der Gerichtsakte) angegeben, dass, nachdem er anlässlich der Beantragung eines Aufenthaltstitels bei der Ausländerbehörde erfahren habe, dass er nicht selbständig tätig sein durfte, die Einkünfte im Wesentlichen noch sein Geschäftspartner Herr F. erzielt habe. Er habe das unter seinem Gewerbe angemeldete Unternehmen genutzt und auch das Geld erhalten. Der Ehemann selbst habe nur wenig Geld bekommen. Diese Behauptung ist aber völlig unbelegt und findet insbesondere in den vom Hauptzollamt ermittelten Belegen der Firma E., die jeweils auf den Namen des Ehemanns der Klägerin ausgestellt sind, keine Stütze. Im Übrigen ist es aus grundsicherungsrechtlicher Perspektive nicht weiter beachtlich, wenn der Ehemann der Klägerin – wohl sogar ohne Rechtsgrund – die erhaltenen Erlöse an seinen Geschäftspartner weitergegeben hätte; maßgeblich ist insoweit zunächst ausschließlich der tatsächlich zugeflossene Gewinn des Unternehmens (vgl. Sächsisches LSG Beschluss v. 16. April 2013 – L 3 AS 1311/12 B ER).
Weitere Ermittlungsmöglichkeiten hinsichtlich des Verbleibs der Einnahmen aus den Geschäften mit der Firma E. hatte der Senat nicht. Insbesondere der Ehemann der Klägerin als auch der als Zeuge in Betracht kommende ehemalige Geschäftspartner F. für den Senat unerreichbar. Zwar hat das Gericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht alle verfügbaren Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen, § 103 SGG (BSG, Urteil vom 11. Dezember 1969 – GS 2/68 Rn. 73; Müller, JuS 2014, 324 ff.). Das Gericht ist aber nicht angehalten, Ermittlungsmöglichkeiten zu verfolgen, die unerreichbar sind (BSG, Beschluss vom 16. Mai 2007 – B 11b AS 37/06 B Rn. 10; Müller, in: Roos/Wahrendorf, 1. Aufl. 2014 § 103 Rn. 13). Unerreichbarkeit ist nicht alleine deshalb anzunehmen, weil hierzu Ermittlungen im Ausland anzustellen wären bzw. Rechtshilfe durch ein ausländisches Gericht in Anspruch genommen werden müssten (BSG, Urteil vom 6. Februar 1991 – 1/3 RK 3/90 Rn. 18; BVerwG, Urteil vom 28. Juli 1977 – III C 17.74). Unerreichbarkeit liegt ferner nicht bereits dann vor, wenn ein Zeuge nicht erscheint, oder erklärt, nicht aussagen zu wollen, obwohl ihm ein Recht zur Zeugnis- oder Aussageverweigerung nicht zusteht. Im vorliegenden Fall konnte aber der tatsächliche Aufenthaltsort weder des Ehemanns der Klägerin noch des Herrn F. ermittelt werden. Durch seine Nachfragen beim Klägervertreter, bei der Staatsanwaltschaft und beim Einwohnermeldeamt hat der Senat sämtliche Möglichkeiten erschöpft, eine weitergehende Befragung zu ermöglichen.
Nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten ist die Tatsache des Einkommenszuflusses daher nach den Grundsätzen der objektiven Beweis- bzw. Feststellungslast zu beurteilen (BSG, Urteil vom 26. November 1992 – 7 RAr 38/92; BSG, Urteil vom 24. Mai 2006 – B 11a AL 7/05 R Rn. 32f.; BSG, Urteil vom 21. März 2007 - B 11a AL 21/06 R; BSG, Urteil vom 8. September 2010 – B 11 AL 4/09 R Rn. 17; Müller, in: Roos/Wahrendorf, 1. Aufl. 2014 § 103 Rn. 16, 43). Allgemein gilt, dass derjenige die objektive Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft das Vorhandensein der positiven und das Fehlen der negativen Tatbestandsvoraussetzungen. Für das Vorliegen von Ausnahmevorschriften trägt derjenige die Beweislast, der sich auf diese Norm beruft. Für belastende Aufhebungsentscheidungen trägt die Behörde die Beweislast (BSG, Urteil vom 13. September 2006 – B 11a AL 13/06 R Rn. 18; BSG, Urteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a/7 AL 102/04 R Rn. 13 ff.; BSG, Urteil vom 2. April 2009 – B 2 U 25/07 R). Eine Umkehr der Beweislast ist jedoch anzunehmen, wenn es um Tatsachen geht, die sich ausschließlich in der Sphäre eines Beteiligten befinden (sog. besondere Beweisnähe BSG, Urteil vom 13. September 2006 – B 11a AL 13/06 R Rn. 18; BSG, Urteil vom 21. März 2007 – B 11a AL 21/06 R Rn. 18). Unabhängig davon, ob dies hier zulasten der Klägerin anzunehmen ist, weil die besondere Beweisnähe unmittelbar nur für ihren Ehemann vorlag, zu dem ihr Verhältnis offensichtlich zerrüttet war, trifft sie aber hier die Beweislast ohnehin wegen ihrer verfahrensrechtlichen Situation im Rahmen eines Überprüfungsantrags gem. § 44 SGB X. Insoweit ist es die Klägerin, die die Beweislast für die für sie positive unrichtige Sachverhaltsgrundlage trägt. Die Beweislastverteilung bestimmt sich immer nach dem Regelungsgefüge der für den Rechtsstreit maßgebenden Norm, hier § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Es geht zu Lasten der Klägerin, wenn das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der unrichtigen Sachverhaltsgrundlage nicht festgestellt werden kann (BSG, Urteil vom 25. Juni 2002 B 11 AL 3/02 R –, Rn. 17; vgl. auch von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., 2014 § 44 Rn. 12).
In rechtlicher Hinsicht hat der Beklagte typisierend unterstellt, dass zur Erzielung des Umsatzes Betriebsausgaben in Höhe von 10 Prozent des Umsatzes erforderlich waren. Dies ist in Ermangelung von weiteren Anhaltspunkten bzw. Vortrags der Klägerin und Zugrundelegung von Erfahrungswerten, die der Senat teilt, nicht zu beanstanden. Die monatliche Durchschnittsberechnung beruht auf § 2a der ab 1. Januar 2007 gültigen ALG II-VO bzw. § 3 Abs. 1 und 4 der ab 1. Januar 2008 gültigen ALG II-VO, wonach bei der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft ist von den Betriebseinnahmen auszugehen ist. Wird eine Erwerbstätigkeit nach Satz 1 nur während eines Teils des Bewilligungszeitraums ausgeübt, ist das Einkommen nur für diesen Zeitraum zu berechnen. Für jeden Monat ist der Teil des Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Im Fall des Absatzes 1 Satz 3 (Erwerbstätigkeit nur während eines Teiles des Bewilligungsabschnittes) gilt als monatliches Einkommen derjenige Teil des Einkommens, der der Anzahl der in den genannten Zeitraum fallenden Monate entspricht. Fehler in der Berechnung des Beklagten sind weder ersichtlich, noch wurden sie von der Klägerin geltend gemacht.
Durch das monatliche Einkommen des Ehemanns der Klägerin ist die wirtschaftliche Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft und damit der Anspruch der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auf Leistungen nach dem SGB II entfallen, § 19 Abs. 1, §§ 7, 9 SGB II. Der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft für Juni 2007 belief sich ausweislich der nicht beanstandeten und auch nicht ersichtlich fehlerbehafteten Berechnungen des Beklagten auf insgesamt 1.388,84 EUR (Rückseite Bl. 802 der Verwaltungsakte des Beklagten). Dieser Bedarf war durch das Einkommen des Ehemanns der Klägerin, das gem. § 9 Abs. 2 SGB II zu berücksichtigen war, offenkundig gedeckt. Gem. § 7 Abs. 3 Nr. 3 a SGB II gehörte der Ehemann der Klägerin zur Bedarfsgemeinschaft. Von einem dauernden Getrenntleben, war trotz der offenkundigen Zerrüttung der ehelichen Verhältnisse nicht auszugehen. Auch ausweislich der Niederschrift des Erörterungstermins vom 20. Mai 2015 verschwand der Ehemann zwar durchaus für längere Zeit aus dem familiären Umfeld, kehrte aber auch wieder zurück, so dass es an der Dauerhaftigkeit einer Trennung fehlt. Zur Beurteilung der Frage, ob die Ehegatten nicht dauerhaft getrennt leben, sind die familienrechtlichen Grundsätze zum Gegenbegriff Getrenntleben (vgl. § 1567 BGB) heranzuziehen. Ein dauerhaftes Getrenntleben ist anzunehmen, wenn nach den tatsächlichen Verhältnissen davon auszugehen ist, dass eine Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben worden ist. Getrenntleben liegt nicht schon bei jeder räumlichen Trennung vor, insbesondere dann nicht, wenn mit der Fortführung der Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft zu rechnen ist. Die Trennung muss mehr als nur vorübergehender Natur sein (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 7, Rn. 164).
Die weiteren Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X sind ebenfalls erfüllt. Die Voraussetzung des Nr. 3 (Erzielung von Einkommen) liegt bereits offensichtlich vor. Zur Überzeugung des Senats ist die Klägerin im Übrigen ihrer Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Veränderungen der Verhältnisse mindestens grob fahrlässig nicht nachgekommen, in dem sie das Einkommen bzw. die Einkommenserzielung ihres Ehemanns nicht angezeigt hat. Hierunter ist die Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße zu verstehen. Für die Erfüllung der groben Fahrlässigkeit reicht es also nicht aus, dass der Betroffene Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit seiner Angaben hat, sondern die Zweifel müssen so ausgestaltet sein, dass es für jeden erkennbar wäre, dass hier wenigstens eine Nachfrage notwendig wäre (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 45 SGB X, Rn. 87). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Im Gegensatz zum Vortrag der Klägerin, sie habe keine Kenntnis von der Einkommenserzielung ihres Ehemanns gehabt, geht der Senat insoweit von einer bloßen Schutzbehauptung aus. Hierfür spricht, dass die Klägerin selbst vorträgt, sie habe dem Ehemann zumeist seinen Anteil an den SGB II – Leistungen der Bedarfsgemeinschaft nicht ausbezahlt. Es lag daher auch für sie auf der Hand, dass ihr Ehemann eine andere Einkommensquelle gehabt haben muss. In seiner staatsanwaltlichen Vernehmung vom 17. Mai 2011 (Bl. 223 der Gerichtsakte) hat dann auch der Ehemann der Klägerin eindeutig erklärt, dass seine Ehefrau von seiner Selbständigkeit wusste und auch, dass er aus dieser Tätigkeit Einnahmen erzielte. Lediglich in welcher Höhe dieser Einnahmen hatte, war ihr wohl unbekannt. Jedenfalls die Angabe der Tätigkeit des Ehemanns an sich wäre aber von der Klägerin verlangt gewesen, § 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I). Dass sie hierzu verpflichtet gewesen wäre, hätte sich ihr auch aufdrängen müssen, weil die von ihr ausgefüllten Formulare des Beklagten zur Weiterbewilligung entsprechende Nachfragen klar und verständlich formuliert enthalten.
Der Beklagte konnte die Veränderung der Verhältnisse gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auch für die Vergangenheit berücksichtigen. Die Aufhebung ist in dieser Höhe auch zulässig, weil insoweit rechtswidriger Doppelbezug – hier in Form von Einkommen einerseits und der Grundsicherungsleistung andererseits – vorlag (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1995 – 13 RJ 39/94).
Dass der Aufhebungsbescheid in seinem Verfügungssatz nicht sämtliche Änderungsbescheide nennt, führt nicht zu seiner Rechtswidrigkeit. Er ist insbesondere hinreichend bestimmt, weil sich auf Grund der konkreten Benennung des von der Aufhebung betroffenen Zeitraums auch aus der Sicht des Betroffenen kein Zweifel am Inhalt des von der Behörde Verfügten ergeben kann (BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 196/11 R; Urteil des Senats vom 12. November 2013 – L 6 AS 491/11 Rn. 47). Im Übrigen enthält der Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2009 eine entsprechende Klarstellung.
Die Rücknahmefristen gem. § 48 Abs. 4 SGB X sind gewahrt.
Die Erstattungsforderung beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Auch insoweit beeinträchtigt die fehlende Nennung sämtlicher Änderungsbescheide im Verfügungssatz des Aufhebungsbescheids die Erstattungsforderung nicht (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 196/11 R), weil spätestens mit dem Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 14. Juli 2009, der die Änderungsbescheide sämtlich aufzählt, mit ausreichender Bestimmtheit klargestellt wird, dass diese ebenfalls aufgehoben werden.
Sowohl die Aufhebung als auch die Erstattung wurde hinsichtlich der Berechnungsposten von der Klägerin nicht gerügt und weisen auch keine ersichtlichen Fehler auf.
II.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheids vom 31. Mai 2007 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 9. Juli 2007 für die Zeit von Juli 2007 bis Dezember 2007 und des Bescheids vom 4. Dezember 2008 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 1. April 2008 für die Zeit von Januar 2008 bis Juni 2008 ist § 45 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 SGB X. Danach gilt, dass soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, (nur) unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden darf. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit (Nr. 2) der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Gem. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III handelt es sich für diesen Fall um eine gebundene, nicht um eine Ermessensentscheidung.
Im vorliegenden Fall waren die Bewilligungsbescheide – wie oben dargestellt – für die Monate Juli 2007 bis (mindestens) Februar 2008 von Anfang an rechtswidrig, weil eine wirtschaftliche Hilfebedürftigkeit und damit ein Leistungsanspruch nach dem SGB II der Bedarfsgemeinschaft nicht gegeben war. Für die Zeit von Juli 2007 bis Dezember 2007 ist ebenfalls von einem Einkommen in Höhe von 4098,00 EUR, für die Monate Januar und Februar 2008 von 5.592,87 EUR auszugehen (jeweils berechnet nach dem durchschnittlichen monatlichen Umsatz ausweislich der Belege des Hauptzollamts abzüglich 10 % geschätzter Betriebsausgaben). Diese Rechtswidrigkeit beruhte auf der Nichtangabe der selbständigen Tätigkeit des Ehemanns der Klägerin und damit auf unvollständigen Angaben in den Fortzahlungsanträgen durch die Klägerin.
Die Rücknahmefrist gem. § 45 Abs. 4 SGB X ist gewahrt. Die Erstattungsforderung beruht auf § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Sowohl die Aufhebung als auch die Erstattung wurde hinsichtlich der Berechnungsposten von der Klägerin nicht gerügt und weisen auch keine ersichtlichen Fehler auf.
Der Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 SGG liegen nicht vor.
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