Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 KR 314/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 332/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 3 KR 16/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zum Vergütungsanspruch eines Apothekers gegen eine Krankenkasse wegen der Abgabe eines Medikaments aufgrund einer gefälschten ärztlichen Verordnung.
Die in § 17 Abs. 1 des Arzneilieferungsvertrags vom 21.8.2008 zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. und dem Deutschen Apothekerverband e.V. (ALV) normierte Frist von 12 Monaten für die Beanstandung von Apothekenrechnungen ist eine absolute Ausschlussfrist, nach deren Ablauf der Retaxierungsanspruch der Kasse erlischt.
Eine nach Fristablauf durch die Ersatzkasse unzulässig erhobene Beanstandung löst keine Pflicht des Apothekers aus, zur Vermeidung von Rechtsnachteilen Einspruch gegen die Beanstandung einzulegen.
Die in § 17 Abs. 1 des Arzneilieferungsvertrags vom 21.8.2008 zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. und dem Deutschen Apothekerverband e.V. (ALV) normierte Frist von 12 Monaten für die Beanstandung von Apothekenrechnungen ist eine absolute Ausschlussfrist, nach deren Ablauf der Retaxierungsanspruch der Kasse erlischt.
Eine nach Fristablauf durch die Ersatzkasse unzulässig erhobene Beanstandung löst keine Pflicht des Apothekers aus, zur Vermeidung von Rechtsnachteilen Einspruch gegen die Beanstandung einzulegen.
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 3. September 2014 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 4.564,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Februar 2012 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten beider Instanzen zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 4.564,70 EUR nebst Zinsen aus einer Medikamentenbelieferung.
Die Klägerin ist selbständige Apothekerin und betreibt in A-Stadt die AX-Apotheke. Sie ist Mitglied im Hessischen Apothekerverband e.V. Dieser wiederum ist Mitglied im Deutschen Apotheker-Verband e.V., der auf Bundesebene mit dem Verband der Ersatzkassen, zu denen die Beklagte gehört, Arzneilieferungsverträge für seine Mitglieder aushandelt.
Zwischen den Beteiligten galt im hier streitigen Zeitraum der Arzneilieferungsvertrag vom 21. August 2008 zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK) und dem Deutschen Apothekerverband e.V. (im Folgenden ALV). § 17 dieses Vertrags lautet:
§ 17 Beanstandungen
1) Die bei der Rechnungsprüfung festgestellten rechnerisch und sachlich unrichtig angesetzten Beträge werden von den Ersatzkassen innerhalb von zwölf Monaten nach Ende des Kalendermonats berichtigt, in dem die Lieferung erfolgte. Hierzu gehören neben den rechnerischen und sonstigen offenbaren Unrichtigkeiten auch Taxdifferenzen und die Summe zurückgegebener Rezepte, auch von Fremdkassen (Irrläufer). Die Prüfung hat sowohl Differenzen zugunsten als auch zuungunsten der Apotheker bzw. der Ersatzkassen zu berücksichtigen ...
2) Einsprüche gegen Taxdifferenzen können vom Apotheker innerhalb von drei Monaten nach Eingang beim Apotheker geltend gemacht werden. Sie können auch über den zuständigen Mitgliedsverband des DAV erfolgen.
3) Die Prüfung von Einsprüchen gegen eine ausgesprochene Beanstandung hat innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Eingang des Einspruchs bei der Ersatzkasse zu erfolgen. Das Ergebnis der Prüfung ist der Apotheke, im Falle des Absatz 2 Satz 2 dem Mitgliedsverband des DAV, mitzuteilen.
4) Werden die Fristen nach Absatz 2 und 3 überschritten, gelten die Taxdifferenzen bzw. die Einsprüche als anerkannt. Rechnungskorrekturen können erst erfolgen, wenn die Taxbeanstandungen anerkannt sind, als anerkannt gelten oder der Einspruch durch die Ersatzkasse zurückgewiesen wurde.
Am 20. November 2009 wurde in der Apotheke der Klägerin ein Kassenrezept vom 19. November 2009 des in A-Stadt niedergelassenen Arztes Dr. med. C. vorgelegt, welches auf Herrn D., geboren 1976 in der D-Straße in A-Stadt ausgestellt war und als Krankenkasse die Beklagte benannte. Die Verordnung lautete auf fünf Fertigspritzen Norditropin Nordiflex 15mg/1,5 ml N1 zu einem Preis von 4.564,70 EUR. Die Medikamente wurden durch einen approbierten Mitarbeiter der Klägerin herausgegeben. Die Abrechnung gegenüber der Beklagten erfolgte im Dezember 2009 über ein Apothekenrechenzentrum unter Berücksichtigung eines Apothekenabschlags zu einem Preis von 4.333,74 EUR. Die Beklagten beglich die Forderung.
Mit Schreiben vom 19. April 2011 machte die Beklagte einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 4.333,74 EUR geltend. Bei dem abgerechneten Rezept habe es sich – wie in weiteren Fällen aus Oktober/November 2009 – um eine Fälschung gehandelt; dies sei Gegenstand eines bei der Staatsanwaltschaft Dortmund geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Die Fälschung sei für eine Fachkraft deutlich erkennbar gewesen. Die Beklagte forderte die Klägerin zur Rückzahlung auf und nahm, nachdem die Klägerin nicht zahlte, im August 2011 eine Verrechnung mit einem aktuellen Abrechnungsguthaben der Klägerin betreffend unstreitiger Rezeptabrechnungen aus August 2011 in Höhe von 4.333,74 EUR vor.
Die Klägerin wandte sich hierauf erstmals am 21. Dezember 2011 an die Beklagte und forderte sie in der Folge unter Fristsetzung zum 10. Februar 2012 zur Rückzahlung auf. Sie machte geltend, die Jahresfrist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 ALV sei zum 31. Dezember 2010 abgelaufen gewesen. Die Beklagte sei aber erst mit Schreiben vom 19. April 2011 auf sie hinsichtlich der Retaxierung zugekommen und habe damit die Beanstandungsfrist nicht gewahrt. Eine Retaxierung sei nach § 4 Abs. 5 ALV ohnehin nur dann möglich, wenn die Apotheke die Fälschung oder den Missbrauch erkenne oder hätte erkennen müssen. Weder ihr noch der Beklagten sei aber die Rezeptfälschung aufgefallen. Der angebliche Rezeptbetrug sei überhaupt erst im Zusammenhang mit einem Strafverfahren, an dem sie auch gar nicht beteiligt gewesen sei, bekannt geworden.
Die Beklagte antwortete u.a. mit Schreiben vom 27. Dezember 2011 und vertrat die Auffassung, es sei ihr auch nach Ablauf der Jahresfrist unbenommen, ein Retaxierungsverfahren durchzuführen. Ein Einspruch gegen die Retaxierung sei nicht innerhalb der Fristen des § 17 Abs. 2 ALV erhoben worden. Auf ihr Rückforderungsschreiben (vom 19. April 2011) habe der Hessische Apothekerverband sie nur um Übermittlung der Originalrezepte gebeten; in diesem Zusammenhang sei die Frist zur Retaxierung lediglich verschoben worden. Ein konkreter Einspruch gegen die Retaxierung sei damals jedoch weder durch die Klägerin noch durch den Apothekerverband eingereicht worden. Nach den vertraglichen Vorgaben habe dies zwingend zur Folge, dass die Taxdifferenz als anerkannt gelte.
Am 9. November 2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Kassel auf Zahlung, hilfsweise auf Herausgabe des Originalrezepts erhoben. Sie hat ergänzend zu ihrem vorprozessualen Vorbringen vorgetragen, das vorgelegte Rezept sei nicht als Fälschung erkennbar gewesen. Verschreibungen der vorliegenden Art und Höhe seien nicht außergewöhnlich und kämen in ihrer Apotheke auch regelmäßig vor. Alle Rezeptangaben seien ordnungsgemäß. Auffällig sei lediglich ein orthographischer Fehler in der Abkürzung im Arztstempel ("Dr.Med"). Ein solcher Fehler berechtige nicht zur Zurückweisung des Rezeptes. Es handele sich um eine sehr professionelle Fälschung. Auch der Beklagten sei schließlich die Fälschung nicht aufgefallen, sondern sie sei erst durch das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren auf die Fälschungen aufmerksam geworden. Ein allgemeines Informationsschreiben des Hessischen Apothekerverbandes mit dem Hinweis auf Rezeptfälschungen sei ihr erst nach dem 20. November 2009 eingegangen. Die Klageforderung berücksichtige, dass die Beklagte zur Retaxierung nicht berechtigt gewesen sei und deshalb die Taxe in voller Höhe – ohne Abzug des Apothekenrabatts – zu begleichen habe.
Die Beklagte hat eingewandt, das Aussehen der Verordnung stimme nicht mit dem üblichen Erscheinungsbild von Verordnungen überein. Dabei handele es sich nicht nur um die fehlerhafte Abkürzung "Med." im Arztstempel. So sei im Feld der Versichertendaten die Anschrift des Versicherten eingerückt. Das Geburtsdatum sei achtstellig aufgedruckt, bei korrekten Verordnungen werde es sechsstellig verwendet. Zudem hätte es dem fachkundigen Personal der Klägerin auffallen müssen, dass es sich um ein Medikament handele, welches zur Behandlung von kleinwüchsigen Kindern und in Ausnahmefällen kleinwüchsiger Erwachsener diene. Ausweislich der ausgestellten Verordnung sei der Versicherte im Jahr 1976 geboren und zum Zeitpunkt der Verordnung damit bereits 33 Jahre alt gewesen. Somit sei zumindest, die Richtigkeit der Verordnung unterstellt, ein Ausnahmefall der Behandlung eines kleinwüchsigen Erwachsenen gegeben gewesen. Dieser Umstand hätte das Personal der Klägerin zumindest irritieren müssen, da in Fachkreisen bekannt sei, dass das strittige Medikament Norditropin häufig zu Dopingzwecken für den Einsatz als Muskelaufbaupräparat zu hohen Preisen illegal gehandelt werde. Die Gesamtschau aller Umstände in Verbindung mit dem sehr hohen Preis des Medikaments hätte eine sorgfältige Prüfung der Richtigkeit der Verordnung nach sich ziehen müssen. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei sie auch nicht wegen Zeitablaufs gehindert, mit ihren Einwendungen gehört zu werden. Da die Verfälschung der Verordnung offenkundig sei, hätte es der Klägerin oblegen, sie - die Beklagte - über das verfälschte Rezept in Kenntnis zu setzen. Insoweit sei die Ausschlussfrist des § 17 Abs. 1 ALV von vorneherein gar nicht anwendbar. Ungeachtet dessen sei die Frist des § 17 Abs. 1 ALV keine absolute Ausschlussfrist. Die Zusammenschau der verschiedenen Absätze in § 17 ergäbe, dass die Versäumung der Jahresfrist lediglich für den Einspruch und dessen Zurückweisung verbindliche Konsequenzen habe, nicht hingegen für die allgemeine Rechnungsprüfung nach § 17 Abs. 1 ALV. Ein Einspruch der Apotheke könne zwar mit der Versäumung der Frist begründet werden, allerdings sei ein solcher Einspruch gegen die angekündigte Retaxierung weder durch die Klägerin noch durch den Landesapothekerverband innerhalb der Fristen des § 17 ALV erfolgt.
Mit Gerichtsbescheid vom 3. September 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Vergütungsanspruch der Klägerin sei gemäß § 4 Abs. 5 ALV ausgeschlossen, weil die Klägerin die Fälschung hätte erkennen müssen. Ganz maßgeblich sei, dass es sich bei dem abgegebenen Medikament bzw. dem darin enthaltenen Wirkstoff zum einen um ein sehr hochpreisiges Medikament handelte und zum anderen um ein solches, das üblicherweise an Kinder bzw. Jugendliche, die unter Kleinwüchsigkeit litten, und nur ausnahmsweise an kleinwüchsige Erwachsene abgegeben werde. Der auf der Verordnung angegebene Versicherte sei jedoch zum Abgabezeitpunkt bzw. Verordnungszeitpunkt über 30 Jahre alt gewesen, was die Klägerin hätte aufmerksam machen müssen, insbesondere deshalb, weil offenbar in Fachkreisen bekannt sei, dass der Wirkstoff dieses Medikamentes illegal auf dem Schwarzmarkt zu Dopingzwecken insbesondere bei Bodybuildern eingesetzt werde. Hinzu komme, dass an weiteren Merkmalen aus Sicht eines geschulten Apothekers deutlich zu erkennen sei, dass etwas an der Verordnung nicht in Ordnung sei. So sei z. B. nicht angekreuzt, ob Gebührenpflicht bestehe. Der Orthographiefehler im Stempel des Vertragsarztes habe Aufmerksamkeit erregen müssen. Darüber hinaus befinde sich die Arztnummer nicht im richtigen Feld. Außerdem sei das Verordnungsdatum nicht korrekt wiedergegeben. In der Gesamtschau sei es Sache der Klägerin gewesen, sich bei dem ausstellenden Arzt darüber zu vergewissern, ob die Verordnung in Ordnung gehe. In § 17 Abs. 1 ALV sei zur Überzeugung der Kammer eine absolute Ausschlussfrist von einem Jahr nach der streitigen Lieferung für Beanstandungen jeglicher Art geregelt. Diese Ausschlussfrist habe die Beklagte bei ihrer Aufrechnung 2011 deutlich überschritten. Die Klägerin habe es aber ihrerseits versäumt, gegen das Retaxierungsverlangen fristgerecht Einspruch einzulegen mit der Folge, dass die Taxdifferenz als anerkannt gelte. Aus dem Zusammenhang des § 17 ALV ergebe sich, dass eine Beanstandung, auch wenn sie nicht in der Ausschlussfrist geltend gemacht werde, als anerkannt gelte, wenn nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt werde. Da man mit den Einsprüchen auch die Nichteinhaltung der Beanstandungsfrist/Retaxierung rügen könne und müsse, zeige dieses Zusammenspiel der Vorschriften letztlich, dass ein ungerügtes Überschreiten der Fristen folgenlos bleibe und zwar je nach Fallkonstellation mal zu Gunsten des Apothekers und mal zu Gunsten der Kasse. Habe somit die Klägerin den rechtzeitigen Einspruch unstreitig unterlassen, könne dies nur zu Folge haben, dass sie die Retaxierung nicht mehr rügen könne. - Der Hilfsantrag sei abzuweisen, weil nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten in Folge der Digitalisierung der Verordnungen das Original nach den Aufbewahrungsfristen vernichtet worden sei.
Gegen den am 5. September 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am Montag, den 6. Oktober 2014, Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt, mit der sie ihren Zahlungsanspruch weiterverfolgt.
Sie trägt in Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vor, entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sei die Fälschung nicht als solche zu erkennen gewesen. Die Verschreibung des Medikaments sei nicht auf Kinder beschränkt, so dass kein Anlass bestanden habe, besonders misstrauisch zu sein. Die übrigen Abweichungen auf dem Rezept seien minimal und zum damaligen Zeitpunkt einer ganzen Reihe von hervorragend ausgebildeten und aufmerksamen Apothekern nicht aufgefallen. Aber auch den Ausführungen des Sozialgerichts zu den Fristen sei zu widersprechen. Die Beklagte habe die Beanstandungsfrist von 12 Monaten nicht beachtet, was eine Retaxierung ausschließe. Das vom Sozialgericht behauptete Wechselspiel zwischen Beanstandung und Einspruch sei § 17 ALV nicht zu entnehmen. Die Ausschlussfrist solle der Rechtssicherheit und Planbarkeit der Apotheke dienen und ihn vor Retaxierungen nach Ablauf der Frist absolut schützen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 3. September 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.564,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 11. Februar 2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung des Sozialgerichts.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts kann keinen Bestand haben. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von 4.564,70 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11. Februar 2012.
Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs eines Apothekers gegen eine Krankenkasse wegen der Abgabe eines vertragsärztlich verordneten Arzneimittels an einen ihrer Versicherten ist § 129 SGB V i.V.m. den zu dieser Vorschrift bestehenden ergänzenden Vereinbarungen, nämlich dem auf Bundesebene geltenden Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V sowie dem jeweiligen Landesvertrag nach § 129 Abs. 5 Satz 1 SGB V. Nach § 129 SGB V geben die Apotheken nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarungen und Landesverträge vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der GKV ab. § 129 SGB V begründet somit im Zusammenspiel mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheken zur Abgabe von vertragsärztlich verordneten Arzneimitteln an die Versicherten. Im Gegenzug erwerben die Apotheken einen vertraglich näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkassen. Der Apotheker kann nach § 129 SGB V ein Arzneimittel nur dann auf Kassenkosten abgeben, wenn ein Vertragsarzt es auf dem hierfür vorgesehenen Formblatt verordnet hat (vgl. zum Vorstehenden eingehend BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 13/08 R, BSGE 105, 157, juris Rn. 13 ff.).
Das vertraglich eingeräumte Recht der Krankenkassen zur Rechnungs- und Taxberichtigung in den Landesverträgen nach § 129 Abs. 5 Satz 1 SGB V ist nach der Rechtsprechung des BSG umfassend und betrifft nicht nur die Korrektur von reinen Einordnungs-, Schreib- und Rechenfehlern, sondern prinzipiell Fehler und Beanstandungen aller Art. Beanstandungen und Taxberichtigungen sind deshalb auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstellt, dass es an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelte oder gegen die landesvertraglich festgelegten Abgabebestimmungen verstoßen wurde. Es ist auch unerheblich, ob ein solcher Erstattungsanspruch im Zuge einer späteren Abrechnung durch Aufrechnung oder Verrechnung realisiert wird oder die Krankenkasse den Weg eines davon unabhängigen separaten Klageverfahrens beschreitet (BSG a.a.O. Rn. 33 f).
Die Klägerin hat aufgrund der vorgelegten vertragsärztlichen Verordnung vom 18. November 2009 fünf Fertigspritzen Norditropin Nordiflex 15mg/1,5 ml N1 zu Lasten der Beklagten als Kostenträger abgegeben und damit einen entsprechenden Vergütungsanspruch erworben. Bei der ärztlichen Verordnung handelte es sich allerdings unstreitig um eine Fälschung. Daran scheitert der Vergütungsanspruch der Klägerin jedoch nicht.
Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 ALV Hessen dürfen gefälschte Verordnungen oder Verordnungen auf missbräuchlich benutzten Verordnungsblättern nicht beliefert werden, sofern der Apotheker die Fälschung oder missbräuchliche Ausstellung erkannt hat oder hätte erkennen müssen. Daraus folgt im Umkehrschluss ein Zahlungsanspruch des Apothekers, wenn die Fälschung auch bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt nicht erkennbar war. Insoweit reicht einfache Fahrlässigkeit aus, um den Zahlungsanspruch des Apothekers auszuschließen (§ 276 Abs. 1 und 2 BGB). Fahrlässigkeit der Klägerin hat das Sozialgericht angenommen, weil die ärztliche Verordnung über ein hochpreisiges Arzneimittel lautete, welches wegen seiner Verwendung in Bodybuilder-Kreisen als missbrauchsanfällig anzusehen sei, weshalb die – an sich eher geringfügigen – Unregelmäßigkeiten in der ärztlichen Verordnung besonderen Anlass für eine Prüfung durch die Klägerin gegeben hätten. Aus Sicht des Senats ist allerdings nicht unzweifelhaft, ob allein die Hochpreisigkeit eines Medikaments ohne konkrete Hinweise auf aktuelle Fälle von Missbrauch eine besondere Prüfungspflicht des Apothekers begründet. Der Vortrag der Beklagten, dass es sich um ein in Bodybuilder-Kreisen beliebtes Medikament mit entsprechendem Missbrauchspotential handelt, mag zutreffen, es fehlt jedoch ein konkreter Vortrag, dass dies zum damaligen Zeitpunkt in Fachkreisen allgemein bekannt war. Ebenso wenig hat die Beklagte konkrete Umstände vorgetragen, dass zum damaligen Zeitpunkt Apotheker generell für Medikamentenfälschungen hinsichtlich dieses Präparats sensibilisiert sein mussten. Die Beklagte räumt selbst ein, dass das Medikament nicht nur für Kinder, sondern auch für (kleinwüchsige) Erwachsene zugelassen ist, so dass das Geburtsdatum des Versicherten ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht notwendig Anlass zu Zweifeln sein musste. Die Unregelmäßigkeiten der vorgelegten Verordnung selbst waren aus Sicht des Senats jedenfalls nicht sehr gravierend.
Ob gleichwohl im Hinblick auf die besondere Sachkunde der Klägerin von Fahrlässigkeit auszugehen ist – was ggf. einer weiteren Sachverhaltsaufklärung durch Befragung dafür sachverständiger Personen oder Institutionen bedurft hätte – kann der Senat aber dahinstehen lassen. Denn die Beklagte ist mit Einwendungen gegen den Vergütungsanspruch der Klägerin ausgeschlossen, weil sie die Beanstandungsfrist des § 17 Abs. 1 ALV nicht eingehalten hat. Die Lieferung der Klägerin erfolgte im November 2009. Die Beanstandung durch die Beklagte fand im April 2011 statt und damit nach Ablauf der Frist von zwölf Monaten nach Ende des Kalendermonats, in dem die Lieferung erfolgte.
Materiell-rechtliche Ausschlussfristen führen zum Erlöschen des davon erfassten Anspruchs durch Zeitablauf (BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 27/11 R –, juris Rn. 35). Um eine solche materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt es sich, wenn Einwendungen nur innerhalb einer bestimmten Frist nach Rechnungszugang geltend gemacht werden können (BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 27/11 R –, juris Rn. 35). Vertragliche Ausschlussfristen können in Arzneilieferverträgen nach § 129 SGB V zulässig vereinbart werden (BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 27/11 R –, Rn. 36; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 13/08 R –, juris).
In Übereinstimmung mit dem Sozialgericht sieht der Senat in der 12-Monats-Frist des § 17 Abs. 1 ALV eine derartige Ausschlussfrist, nach deren Ablauf Retaxierungen nicht mehr durchgeführt werden dürfen. Nach dieser Vorschrift werden die bei der Rechnungsprüfung festgestellten rechnerisch und sachlich unrichtig angesetzten Beträge von den Ersatzkassen innerhalb von zwölf Monaten nach Ende des Kalendermonats berichtigt, in dem die Lieferung erfolgte. Die so gesetzte Frist dient der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden, indem sie Rechnungskorrekturen nur innerhalb des genannten Zeitfensters zulässt. Angesichts der ansonsten geltenden allgemeinen Verjährungsvorschriften macht eine solche zeitliche Begrenzung nur Sinn, wenn sie nach Fristablauf eine Rückforderung bereits erfüllter Apothekenabrechnungen ausschließen soll. Anderenfalls würde die vertraglich vereinbarte Frist für die Vornahme von Beanstandungen ohne jede Rechtsfolge bleiben. Wäre die Regelung aber so gedacht gewesen, dass sie lediglich eine rechtlich unverbindliche Aufforderung zu einer zeitnahen Rechnungsprüfung beinhalten sollte, so hätte es nahegelegen, eine dahingehende Formulierung zu wählen, z.B. "rechnerisch und sachlich unrichtig angesetzte Beträgen sollen innerhalb von 12 Monaten berichtigt werden ...". Tatsächlich haben die Vertragspartner die Regelung aber imperativ formuliert ("Die bei der Rechnungsprüfung festgestellten rechnerisch und sachlich unrichtig angesetzten Beträge werden von den Ersatzkassen innerhalb von 12 Monaten ... berichtigt") und damit erkennbar eine Frist normiert, an welche die Rechtswirkung anknüpfen soll, dass nach Ablauf der Frist eine Beanstandung ausgeschlossen ist. Dass die Vertragspartner sich der Problematik der Wirkung einer solchen Fristbestimmung bewusst gewesen sind, verdeutlicht § 11 ALV, der für die Rechnungslegung durch die Apotheke eine Monatsfrist bestimmt, gleichzeitig aber in Satz 2 festhält, dass die Überschreitung der Frist die Ersatzkassen nicht von der Zahlungspflicht befreit. Aus Sicht des Senats ist § 17 Abs. 1 S. 1 ALV daher eine bewusst getroffene Ausschlussfrist, mit der die Parteien in dem laufenden Apothekenabrechnungsgeschäft, welches sich als Massenverwaltung einer großen Vielzahl von Rezepten und Abrechnungskorrekturen darstellt, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums Rechtssicherheit schaffen wollten.
Die Wirkung einer Ausschlussfrist ist, dass die betreffende Forderung erlischt. Anders als bei der Verjährung, die lediglich ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht gegen eine weiterhin bestehende Forderung verschafft, führt die Ausschlussfrist zu einem Erlöschen des materiellen Anspruchs. Aus diesem Grund ist der Ablauf einer Ausschlussfrist von Amts wegen zu beachten, da er eine rechtsvernichtende Einwendung darstellt (Lakkis in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 214 BGB, Rn. 11).
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts greift diese Ausschlussfrist nicht nur unter der weiteren Voraussetzung ein, dass der Apotheker sich innerhalb der 3-Monats-Frist des § 17 Abs. 2 ALV mit einem Einspruch gegen die Taxdifferenz wendet. Nach der Rechtsauffassung des Senats ist § 17 Abs. 2 ALV nur auf Fälle anwendbar, in denen bei fristgemäßer Beanstandung Streit über die inhaltliche Berechtigung dieser Beanstandung durch die Ersatzkasse besteht, nicht dagegen, wenn die Berichtigung bereits deshalb unzulässig ist, weil die Ersatzkasse die 12-Monats-Frist des Abs. 1 nicht gewahrt hat. Denn § 17 Abs. 1 ALV hat – wie bereits dargestellt – in seiner Wirkung als Ausschlussfrist für Retaxierungen rechtlich zur Folge, dass der materielle Anspruch der Ersatzkasse erlischt. Eine erloschene Forderung kann aber nicht dadurch wieder "aufleben", dass gegen die unzulässige Geltendmachung durch die Beklagte kein Einspruch erhoben wird. Vielmehr darf die Ersatzkasse, die als Körperschaft des Öffentlichen Rechts an Recht und Gesetz gebunden ist, eine solche Forderung überhaupt nicht mehr geltend machen. Es wäre sinnwidrig und würde einen Anreiz zur bewussten Missachtung von § 17 Abs. 1 ALV bieten, wenn man auch in einem solchen Fall einer verspätet geltend gemachten Beanstandung einen Einspruch der Apotheke innerhalb der 3-Monats-Frist des § 17 Abs.2 ALV verlangen würde und – wenn diese versäumt wird – die Forderung als anerkannt behandelt. Das Verfahren des § 17 Abs. 2 bis 4 ALV ist daher auf solche Sachverhalte beschränkt, in denen über eine durch die Ersatzkasse fristgerecht erhobene Beanstandung einer Arzneimittellieferung inhaltlicher Streit besteht; nur hier besteht ein Bedürfnis, durch die Vereinbarung von vertraglichen Fristen, nach deren Ablauf entweder die Beanstandung der Kasse oder der Einspruch des Apothekers als anerkannt gilt, zu einer schnellen und abschließenden Klärung des Streitfalls zu kommen.
Im vorliegenden Fall ist auch keine Hemmung der Ausschlussfrist eingetreten. Bei vertraglich vereinbarte Ausschlussfristen kann sich aus der Auslegung ergeben, dass die Parteien die Möglichkeit einer Hemmung bzw. eines Neubeginns beabsichtigt hatten (Lakkis in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 194 BGB). Vorliegend ist indes kein Grund ersichtlich, der eine Ablaufhemmung der 12-Monats-Frist begründen sollte. Insbesondere liegt kein Fall der Hemmung wegen laufender Verhandlungen (§ 203 BGB) vor. Allein die Tatsache, dass der Beklagten die Rezeptfälschung erst außerhalb der 12-Monats-Frist bekannt wurde, begründet keine Fristhemmung. Denn die vertraglich normierte Ausschlussfrist differenziert nicht danach, aus welchen Gründen die Retaxierung unterbleibt; insoweit stehen alle denkbaren Gründe, weshalb es nicht zu einer rechtzeitigen Retaxierung kommt, gleich.
Soweit die Beklagte dem Anspruch der Klägerin einen Schadensersatzanspruch wegen einer Verletzung ihr obliegender Informationspflichten entgegenstellen will, fehlt dafür ein Rechtsgrund. Besteht die dem Apotheker vorgeworfene Pflichtverletzung - wie im vorliegenden Fall – allein in dem Verstoß gegen landesvertragliche Abgabebestimmungen, scheidet ein neben dem Anspruch auf Erstattung der gezahlten Vergütung stehender Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten aus. Die Rechtsfolgen der Verletzung von solchen Abgabebestimmungen sind nach der Rsprg des BSG im Landesvertrag abschließend geregelt. Der ALV hält mit den Rechnungs- und Taxberichtigungen und dem Beanstandungsrecht ein ausgewogenes Instrumentarium zum Schutz der Vermögensinteressen der Krankenkassen bei Verstößen gegen die Abgabebestimmungen bereit, das mit seinen Fristen auch das Interesse des vorleistungspflichtigen Apothekers an Rechtsfrieden nach der Zahlung berücksichtigt. Daneben steht die Möglichkeit, durch die vertraglichen Regelungen Maßnahmen bei Pflichtverletzungen der Apotheker vorzusehen. Das landesvertraglich vereinbarte Instrumentarium ist für Fälle der vorliegenden Art als abschließend zu betrachten und lässt keinen Raum für danebenstehende Schadensersatzansprüche (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 13/08 R, juris Rn. 38).
Durch die Regelungen des ALV dagegen nicht ausgeschlossen sind Schadensersatzansprüche der Krankenkasse wegen Verhaltensweisen des Apothekers, die außerhalb des vorgenannten Rahmens stehen. In Betracht kommen insoweit Schadenersatzansprüche wegen Verstoßes gegen vertragliche oder gesetzliche Informations- und Schutzpflichten (§ 69 Abs 1 Satz 3 SGB V und § 61 Satz 2 SGB X i.V.m. § 241 Abs. 2 und § 280 BGB) und wegen unerlaubter Handlung (§ 823 BGB). Der Klägerin ist jedoch allenfalls eine leicht fahrlässige Verletzung von Abgabebestimmungen vorzuwerfen. Insbesondere gibt es keinen Anhalt dafür, dass die Klägerin erkannt hat, dass es sich bei der Verordnung um eine Fälschung handelte.
Hiernach hat die Klägerin Anspruch auf Zahlung von 4.564,70 EUR, also in Höhe des vollen Taxbetrages. Ein Abzug nach § 130 Abs. 1 SGB V in Form des sog. Apothekenrabatts ist nicht vorzunehmen. Denn nach § 130 Abs. 3 SGB V setzt die Gewährung des Abschlags voraus, dass die Rechnung des Apothekers innerhalb von zehn Tagen nach Eingang bei der Krankenkasse beglichen wird. Vorliegend hat die Beklagte aufgrund der Retaxierung nicht innerhalb der Zahlungsfrist geleistet.
Der Zinsanspruch der Klägerin ist ab dem 11. Februar 2012 gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB infolge Verzugs begründet, nachdem die Beklagte auf die Fristsetzung der Klägerin zu diesem Datum nicht reagiert hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a Sozialgerichtsgesetz, 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Beklagte hat die Kosten beider Instanzen zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 4.564,70 EUR nebst Zinsen aus einer Medikamentenbelieferung.
Die Klägerin ist selbständige Apothekerin und betreibt in A-Stadt die AX-Apotheke. Sie ist Mitglied im Hessischen Apothekerverband e.V. Dieser wiederum ist Mitglied im Deutschen Apotheker-Verband e.V., der auf Bundesebene mit dem Verband der Ersatzkassen, zu denen die Beklagte gehört, Arzneilieferungsverträge für seine Mitglieder aushandelt.
Zwischen den Beteiligten galt im hier streitigen Zeitraum der Arzneilieferungsvertrag vom 21. August 2008 zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. (VdAK) und dem Deutschen Apothekerverband e.V. (im Folgenden ALV). § 17 dieses Vertrags lautet:
§ 17 Beanstandungen
1) Die bei der Rechnungsprüfung festgestellten rechnerisch und sachlich unrichtig angesetzten Beträge werden von den Ersatzkassen innerhalb von zwölf Monaten nach Ende des Kalendermonats berichtigt, in dem die Lieferung erfolgte. Hierzu gehören neben den rechnerischen und sonstigen offenbaren Unrichtigkeiten auch Taxdifferenzen und die Summe zurückgegebener Rezepte, auch von Fremdkassen (Irrläufer). Die Prüfung hat sowohl Differenzen zugunsten als auch zuungunsten der Apotheker bzw. der Ersatzkassen zu berücksichtigen ...
2) Einsprüche gegen Taxdifferenzen können vom Apotheker innerhalb von drei Monaten nach Eingang beim Apotheker geltend gemacht werden. Sie können auch über den zuständigen Mitgliedsverband des DAV erfolgen.
3) Die Prüfung von Einsprüchen gegen eine ausgesprochene Beanstandung hat innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Eingang des Einspruchs bei der Ersatzkasse zu erfolgen. Das Ergebnis der Prüfung ist der Apotheke, im Falle des Absatz 2 Satz 2 dem Mitgliedsverband des DAV, mitzuteilen.
4) Werden die Fristen nach Absatz 2 und 3 überschritten, gelten die Taxdifferenzen bzw. die Einsprüche als anerkannt. Rechnungskorrekturen können erst erfolgen, wenn die Taxbeanstandungen anerkannt sind, als anerkannt gelten oder der Einspruch durch die Ersatzkasse zurückgewiesen wurde.
Am 20. November 2009 wurde in der Apotheke der Klägerin ein Kassenrezept vom 19. November 2009 des in A-Stadt niedergelassenen Arztes Dr. med. C. vorgelegt, welches auf Herrn D., geboren 1976 in der D-Straße in A-Stadt ausgestellt war und als Krankenkasse die Beklagte benannte. Die Verordnung lautete auf fünf Fertigspritzen Norditropin Nordiflex 15mg/1,5 ml N1 zu einem Preis von 4.564,70 EUR. Die Medikamente wurden durch einen approbierten Mitarbeiter der Klägerin herausgegeben. Die Abrechnung gegenüber der Beklagten erfolgte im Dezember 2009 über ein Apothekenrechenzentrum unter Berücksichtigung eines Apothekenabschlags zu einem Preis von 4.333,74 EUR. Die Beklagten beglich die Forderung.
Mit Schreiben vom 19. April 2011 machte die Beklagte einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 4.333,74 EUR geltend. Bei dem abgerechneten Rezept habe es sich – wie in weiteren Fällen aus Oktober/November 2009 – um eine Fälschung gehandelt; dies sei Gegenstand eines bei der Staatsanwaltschaft Dortmund geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Die Fälschung sei für eine Fachkraft deutlich erkennbar gewesen. Die Beklagte forderte die Klägerin zur Rückzahlung auf und nahm, nachdem die Klägerin nicht zahlte, im August 2011 eine Verrechnung mit einem aktuellen Abrechnungsguthaben der Klägerin betreffend unstreitiger Rezeptabrechnungen aus August 2011 in Höhe von 4.333,74 EUR vor.
Die Klägerin wandte sich hierauf erstmals am 21. Dezember 2011 an die Beklagte und forderte sie in der Folge unter Fristsetzung zum 10. Februar 2012 zur Rückzahlung auf. Sie machte geltend, die Jahresfrist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 ALV sei zum 31. Dezember 2010 abgelaufen gewesen. Die Beklagte sei aber erst mit Schreiben vom 19. April 2011 auf sie hinsichtlich der Retaxierung zugekommen und habe damit die Beanstandungsfrist nicht gewahrt. Eine Retaxierung sei nach § 4 Abs. 5 ALV ohnehin nur dann möglich, wenn die Apotheke die Fälschung oder den Missbrauch erkenne oder hätte erkennen müssen. Weder ihr noch der Beklagten sei aber die Rezeptfälschung aufgefallen. Der angebliche Rezeptbetrug sei überhaupt erst im Zusammenhang mit einem Strafverfahren, an dem sie auch gar nicht beteiligt gewesen sei, bekannt geworden.
Die Beklagte antwortete u.a. mit Schreiben vom 27. Dezember 2011 und vertrat die Auffassung, es sei ihr auch nach Ablauf der Jahresfrist unbenommen, ein Retaxierungsverfahren durchzuführen. Ein Einspruch gegen die Retaxierung sei nicht innerhalb der Fristen des § 17 Abs. 2 ALV erhoben worden. Auf ihr Rückforderungsschreiben (vom 19. April 2011) habe der Hessische Apothekerverband sie nur um Übermittlung der Originalrezepte gebeten; in diesem Zusammenhang sei die Frist zur Retaxierung lediglich verschoben worden. Ein konkreter Einspruch gegen die Retaxierung sei damals jedoch weder durch die Klägerin noch durch den Apothekerverband eingereicht worden. Nach den vertraglichen Vorgaben habe dies zwingend zur Folge, dass die Taxdifferenz als anerkannt gelte.
Am 9. November 2012 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Kassel auf Zahlung, hilfsweise auf Herausgabe des Originalrezepts erhoben. Sie hat ergänzend zu ihrem vorprozessualen Vorbringen vorgetragen, das vorgelegte Rezept sei nicht als Fälschung erkennbar gewesen. Verschreibungen der vorliegenden Art und Höhe seien nicht außergewöhnlich und kämen in ihrer Apotheke auch regelmäßig vor. Alle Rezeptangaben seien ordnungsgemäß. Auffällig sei lediglich ein orthographischer Fehler in der Abkürzung im Arztstempel ("Dr.Med"). Ein solcher Fehler berechtige nicht zur Zurückweisung des Rezeptes. Es handele sich um eine sehr professionelle Fälschung. Auch der Beklagten sei schließlich die Fälschung nicht aufgefallen, sondern sie sei erst durch das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren auf die Fälschungen aufmerksam geworden. Ein allgemeines Informationsschreiben des Hessischen Apothekerverbandes mit dem Hinweis auf Rezeptfälschungen sei ihr erst nach dem 20. November 2009 eingegangen. Die Klageforderung berücksichtige, dass die Beklagte zur Retaxierung nicht berechtigt gewesen sei und deshalb die Taxe in voller Höhe – ohne Abzug des Apothekenrabatts – zu begleichen habe.
Die Beklagte hat eingewandt, das Aussehen der Verordnung stimme nicht mit dem üblichen Erscheinungsbild von Verordnungen überein. Dabei handele es sich nicht nur um die fehlerhafte Abkürzung "Med." im Arztstempel. So sei im Feld der Versichertendaten die Anschrift des Versicherten eingerückt. Das Geburtsdatum sei achtstellig aufgedruckt, bei korrekten Verordnungen werde es sechsstellig verwendet. Zudem hätte es dem fachkundigen Personal der Klägerin auffallen müssen, dass es sich um ein Medikament handele, welches zur Behandlung von kleinwüchsigen Kindern und in Ausnahmefällen kleinwüchsiger Erwachsener diene. Ausweislich der ausgestellten Verordnung sei der Versicherte im Jahr 1976 geboren und zum Zeitpunkt der Verordnung damit bereits 33 Jahre alt gewesen. Somit sei zumindest, die Richtigkeit der Verordnung unterstellt, ein Ausnahmefall der Behandlung eines kleinwüchsigen Erwachsenen gegeben gewesen. Dieser Umstand hätte das Personal der Klägerin zumindest irritieren müssen, da in Fachkreisen bekannt sei, dass das strittige Medikament Norditropin häufig zu Dopingzwecken für den Einsatz als Muskelaufbaupräparat zu hohen Preisen illegal gehandelt werde. Die Gesamtschau aller Umstände in Verbindung mit dem sehr hohen Preis des Medikaments hätte eine sorgfältige Prüfung der Richtigkeit der Verordnung nach sich ziehen müssen. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei sie auch nicht wegen Zeitablaufs gehindert, mit ihren Einwendungen gehört zu werden. Da die Verfälschung der Verordnung offenkundig sei, hätte es der Klägerin oblegen, sie - die Beklagte - über das verfälschte Rezept in Kenntnis zu setzen. Insoweit sei die Ausschlussfrist des § 17 Abs. 1 ALV von vorneherein gar nicht anwendbar. Ungeachtet dessen sei die Frist des § 17 Abs. 1 ALV keine absolute Ausschlussfrist. Die Zusammenschau der verschiedenen Absätze in § 17 ergäbe, dass die Versäumung der Jahresfrist lediglich für den Einspruch und dessen Zurückweisung verbindliche Konsequenzen habe, nicht hingegen für die allgemeine Rechnungsprüfung nach § 17 Abs. 1 ALV. Ein Einspruch der Apotheke könne zwar mit der Versäumung der Frist begründet werden, allerdings sei ein solcher Einspruch gegen die angekündigte Retaxierung weder durch die Klägerin noch durch den Landesapothekerverband innerhalb der Fristen des § 17 ALV erfolgt.
Mit Gerichtsbescheid vom 3. September 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Vergütungsanspruch der Klägerin sei gemäß § 4 Abs. 5 ALV ausgeschlossen, weil die Klägerin die Fälschung hätte erkennen müssen. Ganz maßgeblich sei, dass es sich bei dem abgegebenen Medikament bzw. dem darin enthaltenen Wirkstoff zum einen um ein sehr hochpreisiges Medikament handelte und zum anderen um ein solches, das üblicherweise an Kinder bzw. Jugendliche, die unter Kleinwüchsigkeit litten, und nur ausnahmsweise an kleinwüchsige Erwachsene abgegeben werde. Der auf der Verordnung angegebene Versicherte sei jedoch zum Abgabezeitpunkt bzw. Verordnungszeitpunkt über 30 Jahre alt gewesen, was die Klägerin hätte aufmerksam machen müssen, insbesondere deshalb, weil offenbar in Fachkreisen bekannt sei, dass der Wirkstoff dieses Medikamentes illegal auf dem Schwarzmarkt zu Dopingzwecken insbesondere bei Bodybuildern eingesetzt werde. Hinzu komme, dass an weiteren Merkmalen aus Sicht eines geschulten Apothekers deutlich zu erkennen sei, dass etwas an der Verordnung nicht in Ordnung sei. So sei z. B. nicht angekreuzt, ob Gebührenpflicht bestehe. Der Orthographiefehler im Stempel des Vertragsarztes habe Aufmerksamkeit erregen müssen. Darüber hinaus befinde sich die Arztnummer nicht im richtigen Feld. Außerdem sei das Verordnungsdatum nicht korrekt wiedergegeben. In der Gesamtschau sei es Sache der Klägerin gewesen, sich bei dem ausstellenden Arzt darüber zu vergewissern, ob die Verordnung in Ordnung gehe. In § 17 Abs. 1 ALV sei zur Überzeugung der Kammer eine absolute Ausschlussfrist von einem Jahr nach der streitigen Lieferung für Beanstandungen jeglicher Art geregelt. Diese Ausschlussfrist habe die Beklagte bei ihrer Aufrechnung 2011 deutlich überschritten. Die Klägerin habe es aber ihrerseits versäumt, gegen das Retaxierungsverlangen fristgerecht Einspruch einzulegen mit der Folge, dass die Taxdifferenz als anerkannt gelte. Aus dem Zusammenhang des § 17 ALV ergebe sich, dass eine Beanstandung, auch wenn sie nicht in der Ausschlussfrist geltend gemacht werde, als anerkannt gelte, wenn nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt werde. Da man mit den Einsprüchen auch die Nichteinhaltung der Beanstandungsfrist/Retaxierung rügen könne und müsse, zeige dieses Zusammenspiel der Vorschriften letztlich, dass ein ungerügtes Überschreiten der Fristen folgenlos bleibe und zwar je nach Fallkonstellation mal zu Gunsten des Apothekers und mal zu Gunsten der Kasse. Habe somit die Klägerin den rechtzeitigen Einspruch unstreitig unterlassen, könne dies nur zu Folge haben, dass sie die Retaxierung nicht mehr rügen könne. - Der Hilfsantrag sei abzuweisen, weil nach dem unstreitigen Vortrag der Beklagten in Folge der Digitalisierung der Verordnungen das Original nach den Aufbewahrungsfristen vernichtet worden sei.
Gegen den am 5. September 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am Montag, den 6. Oktober 2014, Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt, mit der sie ihren Zahlungsanspruch weiterverfolgt.
Sie trägt in Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vor, entgegen der Ansicht des Sozialgerichts sei die Fälschung nicht als solche zu erkennen gewesen. Die Verschreibung des Medikaments sei nicht auf Kinder beschränkt, so dass kein Anlass bestanden habe, besonders misstrauisch zu sein. Die übrigen Abweichungen auf dem Rezept seien minimal und zum damaligen Zeitpunkt einer ganzen Reihe von hervorragend ausgebildeten und aufmerksamen Apothekern nicht aufgefallen. Aber auch den Ausführungen des Sozialgerichts zu den Fristen sei zu widersprechen. Die Beklagte habe die Beanstandungsfrist von 12 Monaten nicht beachtet, was eine Retaxierung ausschließe. Das vom Sozialgericht behauptete Wechselspiel zwischen Beanstandung und Einspruch sei § 17 ALV nicht zu entnehmen. Die Ausschlussfrist solle der Rechtssicherheit und Planbarkeit der Apotheke dienen und ihn vor Retaxierungen nach Ablauf der Frist absolut schützen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 3. September 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.564,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit 11. Februar 2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung des Sozialgerichts.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts kann keinen Bestand haben. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von 4.564,70 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11. Februar 2012.
Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs eines Apothekers gegen eine Krankenkasse wegen der Abgabe eines vertragsärztlich verordneten Arzneimittels an einen ihrer Versicherten ist § 129 SGB V i.V.m. den zu dieser Vorschrift bestehenden ergänzenden Vereinbarungen, nämlich dem auf Bundesebene geltenden Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V sowie dem jeweiligen Landesvertrag nach § 129 Abs. 5 Satz 1 SGB V. Nach § 129 SGB V geben die Apotheken nach Maßgabe der ergänzenden Rahmenvereinbarungen und Landesverträge vertragsärztlich verordnete Arzneimittel an Versicherte der GKV ab. § 129 SGB V begründet somit im Zusammenspiel mit den konkretisierenden vertraglichen Vereinbarungen eine öffentlich-rechtliche Leistungsberechtigung und -verpflichtung für die Apotheken zur Abgabe von vertragsärztlich verordneten Arzneimitteln an die Versicherten. Im Gegenzug erwerben die Apotheken einen vertraglich näher ausgestalteten gesetzlichen Anspruch auf Vergütung gegen die Krankenkassen. Der Apotheker kann nach § 129 SGB V ein Arzneimittel nur dann auf Kassenkosten abgeben, wenn ein Vertragsarzt es auf dem hierfür vorgesehenen Formblatt verordnet hat (vgl. zum Vorstehenden eingehend BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 13/08 R, BSGE 105, 157, juris Rn. 13 ff.).
Das vertraglich eingeräumte Recht der Krankenkassen zur Rechnungs- und Taxberichtigung in den Landesverträgen nach § 129 Abs. 5 Satz 1 SGB V ist nach der Rechtsprechung des BSG umfassend und betrifft nicht nur die Korrektur von reinen Einordnungs-, Schreib- und Rechenfehlern, sondern prinzipiell Fehler und Beanstandungen aller Art. Beanstandungen und Taxberichtigungen sind deshalb auch dann möglich, wenn sich nachträglich herausstellt, dass es an einer ordnungsgemäßen ärztlichen Verordnung mangelte oder gegen die landesvertraglich festgelegten Abgabebestimmungen verstoßen wurde. Es ist auch unerheblich, ob ein solcher Erstattungsanspruch im Zuge einer späteren Abrechnung durch Aufrechnung oder Verrechnung realisiert wird oder die Krankenkasse den Weg eines davon unabhängigen separaten Klageverfahrens beschreitet (BSG a.a.O. Rn. 33 f).
Die Klägerin hat aufgrund der vorgelegten vertragsärztlichen Verordnung vom 18. November 2009 fünf Fertigspritzen Norditropin Nordiflex 15mg/1,5 ml N1 zu Lasten der Beklagten als Kostenträger abgegeben und damit einen entsprechenden Vergütungsanspruch erworben. Bei der ärztlichen Verordnung handelte es sich allerdings unstreitig um eine Fälschung. Daran scheitert der Vergütungsanspruch der Klägerin jedoch nicht.
Nach § 4 Abs. 5 Satz 5 ALV Hessen dürfen gefälschte Verordnungen oder Verordnungen auf missbräuchlich benutzten Verordnungsblättern nicht beliefert werden, sofern der Apotheker die Fälschung oder missbräuchliche Ausstellung erkannt hat oder hätte erkennen müssen. Daraus folgt im Umkehrschluss ein Zahlungsanspruch des Apothekers, wenn die Fälschung auch bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt nicht erkennbar war. Insoweit reicht einfache Fahrlässigkeit aus, um den Zahlungsanspruch des Apothekers auszuschließen (§ 276 Abs. 1 und 2 BGB). Fahrlässigkeit der Klägerin hat das Sozialgericht angenommen, weil die ärztliche Verordnung über ein hochpreisiges Arzneimittel lautete, welches wegen seiner Verwendung in Bodybuilder-Kreisen als missbrauchsanfällig anzusehen sei, weshalb die – an sich eher geringfügigen – Unregelmäßigkeiten in der ärztlichen Verordnung besonderen Anlass für eine Prüfung durch die Klägerin gegeben hätten. Aus Sicht des Senats ist allerdings nicht unzweifelhaft, ob allein die Hochpreisigkeit eines Medikaments ohne konkrete Hinweise auf aktuelle Fälle von Missbrauch eine besondere Prüfungspflicht des Apothekers begründet. Der Vortrag der Beklagten, dass es sich um ein in Bodybuilder-Kreisen beliebtes Medikament mit entsprechendem Missbrauchspotential handelt, mag zutreffen, es fehlt jedoch ein konkreter Vortrag, dass dies zum damaligen Zeitpunkt in Fachkreisen allgemein bekannt war. Ebenso wenig hat die Beklagte konkrete Umstände vorgetragen, dass zum damaligen Zeitpunkt Apotheker generell für Medikamentenfälschungen hinsichtlich dieses Präparats sensibilisiert sein mussten. Die Beklagte räumt selbst ein, dass das Medikament nicht nur für Kinder, sondern auch für (kleinwüchsige) Erwachsene zugelassen ist, so dass das Geburtsdatum des Versicherten ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht notwendig Anlass zu Zweifeln sein musste. Die Unregelmäßigkeiten der vorgelegten Verordnung selbst waren aus Sicht des Senats jedenfalls nicht sehr gravierend.
Ob gleichwohl im Hinblick auf die besondere Sachkunde der Klägerin von Fahrlässigkeit auszugehen ist – was ggf. einer weiteren Sachverhaltsaufklärung durch Befragung dafür sachverständiger Personen oder Institutionen bedurft hätte – kann der Senat aber dahinstehen lassen. Denn die Beklagte ist mit Einwendungen gegen den Vergütungsanspruch der Klägerin ausgeschlossen, weil sie die Beanstandungsfrist des § 17 Abs. 1 ALV nicht eingehalten hat. Die Lieferung der Klägerin erfolgte im November 2009. Die Beanstandung durch die Beklagte fand im April 2011 statt und damit nach Ablauf der Frist von zwölf Monaten nach Ende des Kalendermonats, in dem die Lieferung erfolgte.
Materiell-rechtliche Ausschlussfristen führen zum Erlöschen des davon erfassten Anspruchs durch Zeitablauf (BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 27/11 R –, juris Rn. 35). Um eine solche materiell-rechtliche Ausschlussfrist handelt es sich, wenn Einwendungen nur innerhalb einer bestimmten Frist nach Rechnungszugang geltend gemacht werden können (BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 27/11 R –, juris Rn. 35). Vertragliche Ausschlussfristen können in Arzneilieferverträgen nach § 129 SGB V zulässig vereinbart werden (BSG, Urteil vom 13. November 2012 – B 1 KR 27/11 R –, Rn. 36; BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 – B 3 KR 13/08 R –, juris).
In Übereinstimmung mit dem Sozialgericht sieht der Senat in der 12-Monats-Frist des § 17 Abs. 1 ALV eine derartige Ausschlussfrist, nach deren Ablauf Retaxierungen nicht mehr durchgeführt werden dürfen. Nach dieser Vorschrift werden die bei der Rechnungsprüfung festgestellten rechnerisch und sachlich unrichtig angesetzten Beträge von den Ersatzkassen innerhalb von zwölf Monaten nach Ende des Kalendermonats berichtigt, in dem die Lieferung erfolgte. Die so gesetzte Frist dient der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden, indem sie Rechnungskorrekturen nur innerhalb des genannten Zeitfensters zulässt. Angesichts der ansonsten geltenden allgemeinen Verjährungsvorschriften macht eine solche zeitliche Begrenzung nur Sinn, wenn sie nach Fristablauf eine Rückforderung bereits erfüllter Apothekenabrechnungen ausschließen soll. Anderenfalls würde die vertraglich vereinbarte Frist für die Vornahme von Beanstandungen ohne jede Rechtsfolge bleiben. Wäre die Regelung aber so gedacht gewesen, dass sie lediglich eine rechtlich unverbindliche Aufforderung zu einer zeitnahen Rechnungsprüfung beinhalten sollte, so hätte es nahegelegen, eine dahingehende Formulierung zu wählen, z.B. "rechnerisch und sachlich unrichtig angesetzte Beträgen sollen innerhalb von 12 Monaten berichtigt werden ...". Tatsächlich haben die Vertragspartner die Regelung aber imperativ formuliert ("Die bei der Rechnungsprüfung festgestellten rechnerisch und sachlich unrichtig angesetzten Beträge werden von den Ersatzkassen innerhalb von 12 Monaten ... berichtigt") und damit erkennbar eine Frist normiert, an welche die Rechtswirkung anknüpfen soll, dass nach Ablauf der Frist eine Beanstandung ausgeschlossen ist. Dass die Vertragspartner sich der Problematik der Wirkung einer solchen Fristbestimmung bewusst gewesen sind, verdeutlicht § 11 ALV, der für die Rechnungslegung durch die Apotheke eine Monatsfrist bestimmt, gleichzeitig aber in Satz 2 festhält, dass die Überschreitung der Frist die Ersatzkassen nicht von der Zahlungspflicht befreit. Aus Sicht des Senats ist § 17 Abs. 1 S. 1 ALV daher eine bewusst getroffene Ausschlussfrist, mit der die Parteien in dem laufenden Apothekenabrechnungsgeschäft, welches sich als Massenverwaltung einer großen Vielzahl von Rezepten und Abrechnungskorrekturen darstellt, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums Rechtssicherheit schaffen wollten.
Die Wirkung einer Ausschlussfrist ist, dass die betreffende Forderung erlischt. Anders als bei der Verjährung, die lediglich ein dauerndes Leistungsverweigerungsrecht gegen eine weiterhin bestehende Forderung verschafft, führt die Ausschlussfrist zu einem Erlöschen des materiellen Anspruchs. Aus diesem Grund ist der Ablauf einer Ausschlussfrist von Amts wegen zu beachten, da er eine rechtsvernichtende Einwendung darstellt (Lakkis in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 214 BGB, Rn. 11).
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts greift diese Ausschlussfrist nicht nur unter der weiteren Voraussetzung ein, dass der Apotheker sich innerhalb der 3-Monats-Frist des § 17 Abs. 2 ALV mit einem Einspruch gegen die Taxdifferenz wendet. Nach der Rechtsauffassung des Senats ist § 17 Abs. 2 ALV nur auf Fälle anwendbar, in denen bei fristgemäßer Beanstandung Streit über die inhaltliche Berechtigung dieser Beanstandung durch die Ersatzkasse besteht, nicht dagegen, wenn die Berichtigung bereits deshalb unzulässig ist, weil die Ersatzkasse die 12-Monats-Frist des Abs. 1 nicht gewahrt hat. Denn § 17 Abs. 1 ALV hat – wie bereits dargestellt – in seiner Wirkung als Ausschlussfrist für Retaxierungen rechtlich zur Folge, dass der materielle Anspruch der Ersatzkasse erlischt. Eine erloschene Forderung kann aber nicht dadurch wieder "aufleben", dass gegen die unzulässige Geltendmachung durch die Beklagte kein Einspruch erhoben wird. Vielmehr darf die Ersatzkasse, die als Körperschaft des Öffentlichen Rechts an Recht und Gesetz gebunden ist, eine solche Forderung überhaupt nicht mehr geltend machen. Es wäre sinnwidrig und würde einen Anreiz zur bewussten Missachtung von § 17 Abs. 1 ALV bieten, wenn man auch in einem solchen Fall einer verspätet geltend gemachten Beanstandung einen Einspruch der Apotheke innerhalb der 3-Monats-Frist des § 17 Abs.2 ALV verlangen würde und – wenn diese versäumt wird – die Forderung als anerkannt behandelt. Das Verfahren des § 17 Abs. 2 bis 4 ALV ist daher auf solche Sachverhalte beschränkt, in denen über eine durch die Ersatzkasse fristgerecht erhobene Beanstandung einer Arzneimittellieferung inhaltlicher Streit besteht; nur hier besteht ein Bedürfnis, durch die Vereinbarung von vertraglichen Fristen, nach deren Ablauf entweder die Beanstandung der Kasse oder der Einspruch des Apothekers als anerkannt gilt, zu einer schnellen und abschließenden Klärung des Streitfalls zu kommen.
Im vorliegenden Fall ist auch keine Hemmung der Ausschlussfrist eingetreten. Bei vertraglich vereinbarte Ausschlussfristen kann sich aus der Auslegung ergeben, dass die Parteien die Möglichkeit einer Hemmung bzw. eines Neubeginns beabsichtigt hatten (Lakkis in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 194 BGB). Vorliegend ist indes kein Grund ersichtlich, der eine Ablaufhemmung der 12-Monats-Frist begründen sollte. Insbesondere liegt kein Fall der Hemmung wegen laufender Verhandlungen (§ 203 BGB) vor. Allein die Tatsache, dass der Beklagten die Rezeptfälschung erst außerhalb der 12-Monats-Frist bekannt wurde, begründet keine Fristhemmung. Denn die vertraglich normierte Ausschlussfrist differenziert nicht danach, aus welchen Gründen die Retaxierung unterbleibt; insoweit stehen alle denkbaren Gründe, weshalb es nicht zu einer rechtzeitigen Retaxierung kommt, gleich.
Soweit die Beklagte dem Anspruch der Klägerin einen Schadensersatzanspruch wegen einer Verletzung ihr obliegender Informationspflichten entgegenstellen will, fehlt dafür ein Rechtsgrund. Besteht die dem Apotheker vorgeworfene Pflichtverletzung - wie im vorliegenden Fall – allein in dem Verstoß gegen landesvertragliche Abgabebestimmungen, scheidet ein neben dem Anspruch auf Erstattung der gezahlten Vergütung stehender Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vertraglicher Nebenpflichten aus. Die Rechtsfolgen der Verletzung von solchen Abgabebestimmungen sind nach der Rsprg des BSG im Landesvertrag abschließend geregelt. Der ALV hält mit den Rechnungs- und Taxberichtigungen und dem Beanstandungsrecht ein ausgewogenes Instrumentarium zum Schutz der Vermögensinteressen der Krankenkassen bei Verstößen gegen die Abgabebestimmungen bereit, das mit seinen Fristen auch das Interesse des vorleistungspflichtigen Apothekers an Rechtsfrieden nach der Zahlung berücksichtigt. Daneben steht die Möglichkeit, durch die vertraglichen Regelungen Maßnahmen bei Pflichtverletzungen der Apotheker vorzusehen. Das landesvertraglich vereinbarte Instrumentarium ist für Fälle der vorliegenden Art als abschließend zu betrachten und lässt keinen Raum für danebenstehende Schadensersatzansprüche (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, B 3 KR 13/08 R, juris Rn. 38).
Durch die Regelungen des ALV dagegen nicht ausgeschlossen sind Schadensersatzansprüche der Krankenkasse wegen Verhaltensweisen des Apothekers, die außerhalb des vorgenannten Rahmens stehen. In Betracht kommen insoweit Schadenersatzansprüche wegen Verstoßes gegen vertragliche oder gesetzliche Informations- und Schutzpflichten (§ 69 Abs 1 Satz 3 SGB V und § 61 Satz 2 SGB X i.V.m. § 241 Abs. 2 und § 280 BGB) und wegen unerlaubter Handlung (§ 823 BGB). Der Klägerin ist jedoch allenfalls eine leicht fahrlässige Verletzung von Abgabebestimmungen vorzuwerfen. Insbesondere gibt es keinen Anhalt dafür, dass die Klägerin erkannt hat, dass es sich bei der Verordnung um eine Fälschung handelte.
Hiernach hat die Klägerin Anspruch auf Zahlung von 4.564,70 EUR, also in Höhe des vollen Taxbetrages. Ein Abzug nach § 130 Abs. 1 SGB V in Form des sog. Apothekenrabatts ist nicht vorzunehmen. Denn nach § 130 Abs. 3 SGB V setzt die Gewährung des Abschlags voraus, dass die Rechnung des Apothekers innerhalb von zehn Tagen nach Eingang bei der Krankenkasse beglichen wird. Vorliegend hat die Beklagte aufgrund der Retaxierung nicht innerhalb der Zahlungsfrist geleistet.
Der Zinsanspruch der Klägerin ist ab dem 11. Februar 2012 gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB infolge Verzugs begründet, nachdem die Beklagte auf die Fristsetzung der Klägerin zu diesem Datum nicht reagiert hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a Sozialgerichtsgesetz, 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
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