Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 10 SB 130/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 SB 32/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 4/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. Februar 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger streitet um die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).
Bei dem 1953 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2008 einen GdB von 70 sowie eine erhebliche Gehbehinderung (Nachteilsausgleich "G") fest. Als Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigte er dabei folgende Gesundheitsstörungen:
1. Funktionsstörungen der Wirbelsäule und Gliedmaßen - Einzel-GdB 50 2. Schädelverletzung, depressive Störung - Einzel-GdB 30 3. Chronische Nasennebenhöhlenentzündung - Einzel-GdB 20.
Am 15. Oktober 2012 machte der Kläger eine Verschlimmerung seiner gesundheitlichen Verhältnisse geltend mit dem Begehren, einen höheren GdB sowie den Nachteilsausgleich "RF" festzustellen. Er fügte seinem Antrag die Berichte des Hausarztes Dr. C. vom 4. Oktober 2010 sowie vom 23. Februar und 27. November 2012 bei. Der Beklagte zog die weiteren Berichte der Radiologin Dr. D. vom 20. Juni und 26. August 2012 bei und lehnte sodann den Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 10. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2013 ab. Zur Begründung führte der Bescheid aus, dass eine wesentliche Verschlimmerung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers nicht eingetreten sei und die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" nicht vorlägen.
Dagegen legte der Kläger am 18. April 2013 Klage vor dem Sozialgericht Kassel (Sozialgericht) ein mit der Begründung, er habe im Jahr 1966 in der ehemaligen DDR einen Wegeunfall erlitten. Seit dem leide er an schweren Beeinträchtigungen, die mit einem GdB von 70 zu niedrig bewertet seien. Von der Rundfunkgebühr sei er vom zuständigen Landkreis seit Jahren ohne Zuzahlung befreit, so dass er hinsichtlich dieses Begehrens das Klageverfahren nicht weiter betreibe.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der Radiologin Dr. D. vom 10. Juli 2013 sowie der Allgemeinmediziner Dres. C. vom 10. September 2013 und E. vom 12. November 2013 eingeholt.
Der Beklagte hat diese Berichte versorgungsärztlich auswerten lassen und hierzu die Stellungnahmen des Dr. F. vom 1. November 2013 sowie der Medizinaloberrätin G. vom 13. Januar 2014 vorgelegt. Beide Versorgungsärzte gehen davon aus, dass auch die vom Sozialgericht beigezogenen medizinischen Befunde einen GdB von 70 bestätigen sowie eine erhebliche Gehbehinderung.
Das Sozialgericht hat sodann von Amts wegen das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. eingeholt, dass dieser am 10. Juni 2014 nach Aktenlage erstattet hat, nachdem eine körperliche Untersuchung vom Kläger nicht toleriert worden war. Dr. H. hat das Gutachten mit Stellungnahme vom 18. August 2014 ergänzt. Er ist zur Diagnose eines organischen Psychosyndroms nach Schädelhirntrauma 1966 gelangt. Eine posttraumatische Belastungsstörung könne nicht diagnostiziert werden. Das organische Psychosyndrom führe beim Kläger zu typischen Beschwerden in Form von Kopfschmerzen, Schwindel, Erschöpfbarkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Störungen des geistigen Leistungsvermögens, des Gedächtnisses und des Schlafes sowie einer verminderten Belastungsfähigkeit bei Stress. Auch die begleitende Depressivität und Ängstlichkeit des Klägers und sein vermindertes Wertgefühl seien Teil des organischen Psychosyndroms. Die aus dem hirnorganischen Psychosyndrom resultierenden sozialen Anpassungsstörungen stellten zusammen mit den vorgenannten Symptomen typische Störungen eines mittelgradigen Ausmaßes nach einem Hirnschaden dar, der nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen mit einem Einzel-GdB von 60 zu bewerten sei. Kognitive Leistungsstörungen und auch neurologische Ausfälle seine im Übrigen nicht objektiviert. Daneben bestünden beim Kläger Funktionsstörungen der Wirbelsäule und der Gelenke mit einem Einzel-GdB von 50 sowie eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung mit einem Einzel-GdB von 20. Hieraus resultiere ein Gesamt-GdB von 80, da die Funktionsbeeinträchtigungen unabhängig voneinander seien, so dass der höchste Einzel-GdB von 60 entsprechend erhöht werden müsse.
Mit Urteil vom 10. Februar 2015 hat das Sozialgericht der Klage teilweise stattgegeben und einen Gesamt-GdB von 80 beim Kläger seit Antragstellung am 15. Oktober 2012 festgestellt. Es hat sich dabei auf das Gutachten des Dr. H. vom 10. Juni 2014 sowie auf die Befundberichte der behandelnden Ärzte gestützt. Die psychische Erkrankung des Klägers rechtfertige einen Einzel-GdB von 60, da der Kläger ein organisches Psychosyndrom nach dem 1966 erlittenen Hirnschaden aufweise, das zu mittelgradigen Auswirkungen im täglichen Leben führe. Weitergehende Erkenntnisse nach Untersuchung des Klägers habe der Sachverständige Dr. H. nicht gewinnen können, da beim Kläger eine Bereitschaft zur Untersuchung nicht bestanden habe. Der Diabetes Mellitus des Klägers werde ausweislich des hausärztlichen Berichtes Dr. C. mit Tablettengabe (Metformien) behandelt. Dadurch komme es zu keiner Beeinträchtigung der Lebensführung des Klägers, so dass nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen ein GdB von 0 insofern zu vergeben sei. Dasselbe gelte für das Schlaf-Apnoe-Syndrom, wobei es sich lediglich um eine Verdachtsdiagnose handele. Das Sozialgericht sah keine Anhaltspunkte, die Funktionsstörungen des Klägers an Wirbelsäule und Gliedmaßen mit einem Einzel-GdB von mehr als 50 zu bewerten, zumal der letzte fachärztliche Bericht aus dem Jahr 2008 datiere und weitergehende neue Erkenntnisse mangels Untersuchungsbereitschaft des Klägers nicht zu gewinnen gewesen seien. Die chronische Nasennebenhöhlenentzündung des Klägers sei keinesfalls mit einem Einzel-GdB von mehr als 20 zu bewerten. Soweit diese heute nur noch in leichterer Form vorliege, sähen B.6.2 der versorgungs-medizinischen Grundsätze nur noch einen GdB von 0 - 10 vor. Der Gesamt-GdB sei in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. ab dem Verschlimmerungsantrag des Klägers vom Oktober 2012 mit 80 festzustellen. Der höchste Einzel-GdB von 60 für die psychischen Störungen des Klägers sei im Hinblick auf die daneben mit einem Einzel-GdB zu bewertenden Funktionsstörungen der Wirbelsäule und Gliedmaßen auf 80 zu erhöhen. Daneben erlange die Nasennebenhöhlenentzündung, wobei es sich nur um eine leichte Gesundheitsstörung handele, keine weitere den Gesamt-GdB erhöhende Wirkung.
Der Kläger hat gegen das Urteil am 1. März 2015 vor dem Sozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung seiner Berufung hat er sich mit den Folgen des Arbeitsunfalles vom 20. Mai 1966 beschäftigt, auf den er alle als Behinderung anerkannten Erkrankungen zurückführt mit dem Ergebnis, dass er insbesondere von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung in der Bundesrepublik Deutschland nicht hinreichend für die erlittenen Arbeitsunfallfolgen entschädigt werde.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. Februar 2015 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2013 zu verurteilen, bei ihm einen Gesamtgrad der Behinderung von mehr als 80 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend, die im Ergebnis das von ihm erstinstanzlich abgegebene Vergleichsangebot ausgeurteilt habe, das der Kläger nicht habe annehmen wollen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand des Verfahrens gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene, zulässige (§§ 143, 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -)Berufung des Klägers ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat mit Urteil vom 10. Februar 2015 zutreffend eine wesentliche Verschlimmerung in dem gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers angenommen, die daraus beim Kläger resultierenden Behinderungen aber richtigerweise mit einem Gesamt-GdB von 80 ab dem Neufeststellungsantrag vom 15. Oktober 2012 bewertet. Die auf Feststellung eines noch höheren GdB gerichtete Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen, worüber im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter als Einzelrichter für den Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§§ 155 Abs. 3 und 4, 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG).
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im Schwerbehindertenrecht liegt eine solche wesentliche Änderung der Verhältnisse vor, wenn sich der Gesamtgrad der Behinderung um wenigstens 10 verändert oder wenn sich die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Nachteilsausgleichs ändern.
Bei der Klägerin waren danach die Verhältnisse bei Ergehen des Bescheides vom 14. Mai 2008 mit den Verhältnissen zu vergleichen, wie sie sich im Anschluss an den Neufeststellungsantrag der Klägerin vom 15. Oktober 2012 darstellen. Dabei hat das Sozialgericht seiner Beurteilung zutreffend die seit Januar 2009 als Anlage zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 des Bundesversorgungsgesetztes (VersMedVerordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 2412) und vom 14. Juli 2010 (Bundesgesetzblatt I Nr. 37 Seite 928) i.V.m. § 69 Abs. 1 SGB IX maßgeblichen Versorgungsmedizinischen Grundsätze zugrunde gelegt.
Beim Kläger ist es zu einer wesentlichen Verschlimmerung der behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen gekommen, wodurch der Gesamt-GdB von 70 auf 80 anzuheben ist.
Der Beklagte hatte zuletzt mit Bescheid vom 14. Mai 2008 beim Kläger eine Funktionsstörung der Wirbelsäule und der Gliedmaßen mit einem Einzel-GdB von 50, eine Schädelverletzung mit depressiver Störung mit einem Einzel-GdB von 30 und eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung mit einem Einzel-GdB von 20 zur Begründung des Gesamt-GdB von 70 aufgenommen. Die der Beurteilung des Gesamt-GdB zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen des Klägers sind die gleichen geblieben, allerdings hat das vom Sozialgericht eingeholte Gutachten des Dr. H. vom 10. Juni 2014 ergeben, dass die Schädelverletzungen verbunden mit einer depressiven Störung nunmehr nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen unter B 3.1.2 als organisches Psychosyndrom zu diagnostizieren und der zugrundeliegende Hirnschaden nach dem 1966 erlittenen Schädelhirntrauma zu mittelgradigen Funktionsstörungen führt. Diese sind verbunden mit Kopfschmerzen, Schwindel, Erschöpfbarkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Störungen des geistigen Leistungsvermögens, des Gedächtnisses und des Schlafes, einer verminderten Belastungsfähigkeit in Stresssituationen sowie begleitender Depressivität und Ängstlichkeit und einen verminderten Selbstwertgefühl. Dadurch hat sich - wie vom Sachverständigen Dr. H. in Übereinstimmung mit den versorgungsmedizinischen Grundsätzen dargelegt und vom Sozialgericht zutreffend seiner Entscheidung zugrunde gelegt - der Einzel-GdB für dieses Leiden von 30 auf 60 erhöht, womit das organische Psychosyndrom zur gravierendsten Behinderung beim Kläger geworden ist. Der Senat schließt sich insoweit der erstinstanzlichen Entscheidung vollinhaltlich an, die nicht nur durch das eingeholte Sachverständigengutachten gestützt wird, sondern auch in Übereinstimmung mit den Befunden der behandelnden Ärzte steht. Auch soweit das erstinstanzliche Urteil die Funktionsstörungen an Wirbelsäule und Gelenken mit einem Einzel-GdB von 50 und die chronische Nasennebenhöhlenentzündung mit einem Einzel-GdB von maximal 20 bewertet hat, folgt der Senat der erstinstanzlichen Entscheidung, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen verweist (§ 153 Abs. 2 SGG).
Schließlich folgt der erkennende Senat dem sozialgerichtlichen Urteil auch darin, dass der Gesamt - GdB ab dem Eingang des Neufeststellungsantrages am 15. Oktober 2012 mit 80 zu bewerten ist.
Nach der Rechtsprechung des BSG kommt bei der Feststellung des Gesamt-GdB eine wie auch immer geartete Bindungswirkung der Einzel-GdB-Werte nicht in Betracht, insbesondere sind eine Addition oder andere rechnerische Modelle unzulässig (z. B. Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82, 85 f = SozR 3870 § 3 Nr. 4). Das BSG hat ausdrücklich klargestellt, dass insbesondere mathematische Formeln kein rechtlich zulässiges oder gar gebotenes Beurteilungsmittel zur Feststellung des Gesamt-GdB sind, weil sich dieser nicht rechnerisch ermitteln lässt (vgl. Beschluss vom 17. April 2013 - B 9 SB 69/12 B). Nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil A. 3) ist bei Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt. Dann ist im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Gesamt-GdB - selbst dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung insgesamt zu schließen.
Ausgehend vom höchsten Einzel-GdB von 60 für die Erkrankung des Klägers auf psychiatrischen Sektor, waren daneben die weitergehenden Funktionsdefizite durch Erkrankung des Klägers an Wirbelsäule und Gelenken mit einem Zuschlag von 20 auf den Gesamt-GdB zu berücksichtigen. Der Einzel-GdB von maximal 20 für die Nasennebenhöhlenentzündung führt demgegenüber nicht zur weiteren Erhöhung des Gesamt-GdB über 80 hinaus. Auch insoweit tritt der erkennende Senat der erstinstanzlichen Entscheidung bei (§ 153 Abs. 2 SGG).
Der Kläger hat mit seiner Berufung keine inhaltlichen Einwände gegen die erstinstanzliche Entscheidung erhoben, vielmehr allein - wie bereits erstinstanzlich - eine unzureichende Bewertung und Entschädigung der Folgen seines noch in der ehemaligen DDR am 20. Mai 1966 erlittenen Arbeitsunfalles gerügt, was allerdings nicht Gegenstand seines nach dem SGB IX betriebenen Verfahrens zur Feststellung eines GdB nach versorgungsmedizinischen Grundsätzen sein kann. Danach war die Erhöhung des GdB über 80 hinaus nicht zu vertreten und die vom Kläger gegen die erstinstanzliche Entscheidung gerichtete Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger streitet um die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB).
Bei dem 1953 geborenen Kläger stellte der Beklagte mit Bescheid vom 14. Mai 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. August 2008 einen GdB von 70 sowie eine erhebliche Gehbehinderung (Nachteilsausgleich "G") fest. Als Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigte er dabei folgende Gesundheitsstörungen:
1. Funktionsstörungen der Wirbelsäule und Gliedmaßen - Einzel-GdB 50 2. Schädelverletzung, depressive Störung - Einzel-GdB 30 3. Chronische Nasennebenhöhlenentzündung - Einzel-GdB 20.
Am 15. Oktober 2012 machte der Kläger eine Verschlimmerung seiner gesundheitlichen Verhältnisse geltend mit dem Begehren, einen höheren GdB sowie den Nachteilsausgleich "RF" festzustellen. Er fügte seinem Antrag die Berichte des Hausarztes Dr. C. vom 4. Oktober 2010 sowie vom 23. Februar und 27. November 2012 bei. Der Beklagte zog die weiteren Berichte der Radiologin Dr. D. vom 20. Juni und 26. August 2012 bei und lehnte sodann den Neufeststellungsantrag mit Bescheid vom 10. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2013 ab. Zur Begründung führte der Bescheid aus, dass eine wesentliche Verschlimmerung in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers nicht eingetreten sei und die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" nicht vorlägen.
Dagegen legte der Kläger am 18. April 2013 Klage vor dem Sozialgericht Kassel (Sozialgericht) ein mit der Begründung, er habe im Jahr 1966 in der ehemaligen DDR einen Wegeunfall erlitten. Seit dem leide er an schweren Beeinträchtigungen, die mit einem GdB von 70 zu niedrig bewertet seien. Von der Rundfunkgebühr sei er vom zuständigen Landkreis seit Jahren ohne Zuzahlung befreit, so dass er hinsichtlich dieses Begehrens das Klageverfahren nicht weiter betreibe.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der Radiologin Dr. D. vom 10. Juli 2013 sowie der Allgemeinmediziner Dres. C. vom 10. September 2013 und E. vom 12. November 2013 eingeholt.
Der Beklagte hat diese Berichte versorgungsärztlich auswerten lassen und hierzu die Stellungnahmen des Dr. F. vom 1. November 2013 sowie der Medizinaloberrätin G. vom 13. Januar 2014 vorgelegt. Beide Versorgungsärzte gehen davon aus, dass auch die vom Sozialgericht beigezogenen medizinischen Befunde einen GdB von 70 bestätigen sowie eine erhebliche Gehbehinderung.
Das Sozialgericht hat sodann von Amts wegen das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. eingeholt, dass dieser am 10. Juni 2014 nach Aktenlage erstattet hat, nachdem eine körperliche Untersuchung vom Kläger nicht toleriert worden war. Dr. H. hat das Gutachten mit Stellungnahme vom 18. August 2014 ergänzt. Er ist zur Diagnose eines organischen Psychosyndroms nach Schädelhirntrauma 1966 gelangt. Eine posttraumatische Belastungsstörung könne nicht diagnostiziert werden. Das organische Psychosyndrom führe beim Kläger zu typischen Beschwerden in Form von Kopfschmerzen, Schwindel, Erschöpfbarkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Störungen des geistigen Leistungsvermögens, des Gedächtnisses und des Schlafes sowie einer verminderten Belastungsfähigkeit bei Stress. Auch die begleitende Depressivität und Ängstlichkeit des Klägers und sein vermindertes Wertgefühl seien Teil des organischen Psychosyndroms. Die aus dem hirnorganischen Psychosyndrom resultierenden sozialen Anpassungsstörungen stellten zusammen mit den vorgenannten Symptomen typische Störungen eines mittelgradigen Ausmaßes nach einem Hirnschaden dar, der nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen mit einem Einzel-GdB von 60 zu bewerten sei. Kognitive Leistungsstörungen und auch neurologische Ausfälle seine im Übrigen nicht objektiviert. Daneben bestünden beim Kläger Funktionsstörungen der Wirbelsäule und der Gelenke mit einem Einzel-GdB von 50 sowie eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung mit einem Einzel-GdB von 20. Hieraus resultiere ein Gesamt-GdB von 80, da die Funktionsbeeinträchtigungen unabhängig voneinander seien, so dass der höchste Einzel-GdB von 60 entsprechend erhöht werden müsse.
Mit Urteil vom 10. Februar 2015 hat das Sozialgericht der Klage teilweise stattgegeben und einen Gesamt-GdB von 80 beim Kläger seit Antragstellung am 15. Oktober 2012 festgestellt. Es hat sich dabei auf das Gutachten des Dr. H. vom 10. Juni 2014 sowie auf die Befundberichte der behandelnden Ärzte gestützt. Die psychische Erkrankung des Klägers rechtfertige einen Einzel-GdB von 60, da der Kläger ein organisches Psychosyndrom nach dem 1966 erlittenen Hirnschaden aufweise, das zu mittelgradigen Auswirkungen im täglichen Leben führe. Weitergehende Erkenntnisse nach Untersuchung des Klägers habe der Sachverständige Dr. H. nicht gewinnen können, da beim Kläger eine Bereitschaft zur Untersuchung nicht bestanden habe. Der Diabetes Mellitus des Klägers werde ausweislich des hausärztlichen Berichtes Dr. C. mit Tablettengabe (Metformien) behandelt. Dadurch komme es zu keiner Beeinträchtigung der Lebensführung des Klägers, so dass nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen ein GdB von 0 insofern zu vergeben sei. Dasselbe gelte für das Schlaf-Apnoe-Syndrom, wobei es sich lediglich um eine Verdachtsdiagnose handele. Das Sozialgericht sah keine Anhaltspunkte, die Funktionsstörungen des Klägers an Wirbelsäule und Gliedmaßen mit einem Einzel-GdB von mehr als 50 zu bewerten, zumal der letzte fachärztliche Bericht aus dem Jahr 2008 datiere und weitergehende neue Erkenntnisse mangels Untersuchungsbereitschaft des Klägers nicht zu gewinnen gewesen seien. Die chronische Nasennebenhöhlenentzündung des Klägers sei keinesfalls mit einem Einzel-GdB von mehr als 20 zu bewerten. Soweit diese heute nur noch in leichterer Form vorliege, sähen B.6.2 der versorgungs-medizinischen Grundsätze nur noch einen GdB von 0 - 10 vor. Der Gesamt-GdB sei in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. ab dem Verschlimmerungsantrag des Klägers vom Oktober 2012 mit 80 festzustellen. Der höchste Einzel-GdB von 60 für die psychischen Störungen des Klägers sei im Hinblick auf die daneben mit einem Einzel-GdB zu bewertenden Funktionsstörungen der Wirbelsäule und Gliedmaßen auf 80 zu erhöhen. Daneben erlange die Nasennebenhöhlenentzündung, wobei es sich nur um eine leichte Gesundheitsstörung handele, keine weitere den Gesamt-GdB erhöhende Wirkung.
Der Kläger hat gegen das Urteil am 1. März 2015 vor dem Sozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung seiner Berufung hat er sich mit den Folgen des Arbeitsunfalles vom 20. Mai 1966 beschäftigt, auf den er alle als Behinderung anerkannten Erkrankungen zurückführt mit dem Ergebnis, dass er insbesondere von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung in der Bundesrepublik Deutschland nicht hinreichend für die erlittenen Arbeitsunfallfolgen entschädigt werde.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 10. Februar 2015 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 10. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2013 zu verurteilen, bei ihm einen Gesamtgrad der Behinderung von mehr als 80 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend, die im Ergebnis das von ihm erstinstanzlich abgegebene Vergleichsangebot ausgeurteilt habe, das der Kläger nicht habe annehmen wollen.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand des Verfahrens gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene, zulässige (§§ 143, 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -)Berufung des Klägers ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat mit Urteil vom 10. Februar 2015 zutreffend eine wesentliche Verschlimmerung in dem gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers angenommen, die daraus beim Kläger resultierenden Behinderungen aber richtigerweise mit einem Gesamt-GdB von 80 ab dem Neufeststellungsantrag vom 15. Oktober 2012 bewertet. Die auf Feststellung eines noch höheren GdB gerichtete Berufung des Klägers war daher zurückzuweisen, worüber im Einverständnis der Beteiligten der Berichterstatter als Einzelrichter für den Senat ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (§§ 155 Abs. 3 und 4, 124 Abs. 2, 153 Abs. 1 SGG).
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Im Schwerbehindertenrecht liegt eine solche wesentliche Änderung der Verhältnisse vor, wenn sich der Gesamtgrad der Behinderung um wenigstens 10 verändert oder wenn sich die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Nachteilsausgleichs ändern.
Bei der Klägerin waren danach die Verhältnisse bei Ergehen des Bescheides vom 14. Mai 2008 mit den Verhältnissen zu vergleichen, wie sie sich im Anschluss an den Neufeststellungsantrag der Klägerin vom 15. Oktober 2012 darstellen. Dabei hat das Sozialgericht seiner Beurteilung zutreffend die seit Januar 2009 als Anlage zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 des Bundesversorgungsgesetztes (VersMedVerordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 2412) und vom 14. Juli 2010 (Bundesgesetzblatt I Nr. 37 Seite 928) i.V.m. § 69 Abs. 1 SGB IX maßgeblichen Versorgungsmedizinischen Grundsätze zugrunde gelegt.
Beim Kläger ist es zu einer wesentlichen Verschlimmerung der behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen gekommen, wodurch der Gesamt-GdB von 70 auf 80 anzuheben ist.
Der Beklagte hatte zuletzt mit Bescheid vom 14. Mai 2008 beim Kläger eine Funktionsstörung der Wirbelsäule und der Gliedmaßen mit einem Einzel-GdB von 50, eine Schädelverletzung mit depressiver Störung mit einem Einzel-GdB von 30 und eine chronische Nasennebenhöhlenentzündung mit einem Einzel-GdB von 20 zur Begründung des Gesamt-GdB von 70 aufgenommen. Die der Beurteilung des Gesamt-GdB zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen des Klägers sind die gleichen geblieben, allerdings hat das vom Sozialgericht eingeholte Gutachten des Dr. H. vom 10. Juni 2014 ergeben, dass die Schädelverletzungen verbunden mit einer depressiven Störung nunmehr nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen unter B 3.1.2 als organisches Psychosyndrom zu diagnostizieren und der zugrundeliegende Hirnschaden nach dem 1966 erlittenen Schädelhirntrauma zu mittelgradigen Funktionsstörungen führt. Diese sind verbunden mit Kopfschmerzen, Schwindel, Erschöpfbarkeit, Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, Störungen des geistigen Leistungsvermögens, des Gedächtnisses und des Schlafes, einer verminderten Belastungsfähigkeit in Stresssituationen sowie begleitender Depressivität und Ängstlichkeit und einen verminderten Selbstwertgefühl. Dadurch hat sich - wie vom Sachverständigen Dr. H. in Übereinstimmung mit den versorgungsmedizinischen Grundsätzen dargelegt und vom Sozialgericht zutreffend seiner Entscheidung zugrunde gelegt - der Einzel-GdB für dieses Leiden von 30 auf 60 erhöht, womit das organische Psychosyndrom zur gravierendsten Behinderung beim Kläger geworden ist. Der Senat schließt sich insoweit der erstinstanzlichen Entscheidung vollinhaltlich an, die nicht nur durch das eingeholte Sachverständigengutachten gestützt wird, sondern auch in Übereinstimmung mit den Befunden der behandelnden Ärzte steht. Auch soweit das erstinstanzliche Urteil die Funktionsstörungen an Wirbelsäule und Gelenken mit einem Einzel-GdB von 50 und die chronische Nasennebenhöhlenentzündung mit einem Einzel-GdB von maximal 20 bewertet hat, folgt der Senat der erstinstanzlichen Entscheidung, auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen verweist (§ 153 Abs. 2 SGG).
Schließlich folgt der erkennende Senat dem sozialgerichtlichen Urteil auch darin, dass der Gesamt - GdB ab dem Eingang des Neufeststellungsantrages am 15. Oktober 2012 mit 80 zu bewerten ist.
Nach der Rechtsprechung des BSG kommt bei der Feststellung des Gesamt-GdB eine wie auch immer geartete Bindungswirkung der Einzel-GdB-Werte nicht in Betracht, insbesondere sind eine Addition oder andere rechnerische Modelle unzulässig (z. B. Urteil vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 - BSGE 48, 82, 85 f = SozR 3870 § 3 Nr. 4). Das BSG hat ausdrücklich klargestellt, dass insbesondere mathematische Formeln kein rechtlich zulässiges oder gar gebotenes Beurteilungsmittel zur Feststellung des Gesamt-GdB sind, weil sich dieser nicht rechnerisch ermitteln lässt (vgl. Beschluss vom 17. April 2013 - B 9 SB 69/12 B). Nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil A. 3) ist bei Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt. Dann ist im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen Einzel-GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Gesamt-GdB - selbst dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem Einzel-GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung insgesamt zu schließen.
Ausgehend vom höchsten Einzel-GdB von 60 für die Erkrankung des Klägers auf psychiatrischen Sektor, waren daneben die weitergehenden Funktionsdefizite durch Erkrankung des Klägers an Wirbelsäule und Gelenken mit einem Zuschlag von 20 auf den Gesamt-GdB zu berücksichtigen. Der Einzel-GdB von maximal 20 für die Nasennebenhöhlenentzündung führt demgegenüber nicht zur weiteren Erhöhung des Gesamt-GdB über 80 hinaus. Auch insoweit tritt der erkennende Senat der erstinstanzlichen Entscheidung bei (§ 153 Abs. 2 SGG).
Der Kläger hat mit seiner Berufung keine inhaltlichen Einwände gegen die erstinstanzliche Entscheidung erhoben, vielmehr allein - wie bereits erstinstanzlich - eine unzureichende Bewertung und Entschädigung der Folgen seines noch in der ehemaligen DDR am 20. Mai 1966 erlittenen Arbeitsunfalles gerügt, was allerdings nicht Gegenstand seines nach dem SGB IX betriebenen Verfahrens zur Feststellung eines GdB nach versorgungsmedizinischen Grundsätzen sein kann. Danach war die Erhöhung des GdB über 80 hinaus nicht zu vertreten und die vom Kläger gegen die erstinstanzliche Entscheidung gerichtete Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, diejenige über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 Abs. 2 SGG.
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